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Versuch einer Annäherung

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Ein Buch wie dieses wird seiner Thematik nur bedingt gerecht. Die Besetzung Frankreichs, lediglich ein Kapitel im furchtbaren Drama des Zweiten Weltkriegs, hat unendlich viele Aspekte. Es ließe sich auf vielfache Weise erzählen, anhand der unterschiedlichsten Ereignisse, Akteure und Erfahrungen. Insofern bietet das Buch nur eine Geschichte jener Zeit. Sie kann auch ganz anders präsentiert werden, mit anderen Schwerpunkten und Perspektiven. Gleichwohl habe ich mich bemüht, die mir am bedeutsamsten erscheinenden Aspekte herauszugreifen und zu beleuchten. Eine Gesamtdarstellung ist dieses Buch nicht, wohl aber der Versuch einer umfassenden Annäherung.

Immer wieder stellt sich die Frage, wie man Vergangenes darstellt, Empfindungen der damaligen Akteure rekonstruiert. Ich habe das versucht, indem ich mich extensiv auf die Schriften, Erinnerungen und Notizen jener Zeit, also auf Dokumente aus erster Hand, gestützt habe. Natürlich: Vieles erschließt sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten. So haben wir heute ein viel klareres Bild von den großen Linien des französischen Antisemitismus (die noch viel größeren des deutschen Antisemitismus bleiben in diesem Buch – dem Thema geschuldet – weitestgehend außen vor). Aber auch diese Linie, scheint mir, lässt sich am besten mithilfe von Originalzitaten aus der damaligen Zeit verfolgen, eingebettet in den Rahmen der historischen Aufarbeitung.

Dieses Buch zu schreiben ist mir nicht durchweg leicht gefallen. Immer wieder hatte ich als deutscher Autor mit der Scham zu kämpfen, zu der die Diktatur der Nationalsozialisten so viel Anlass gibt. Auch Trauer hat sich in die Arbeit geschlichen angesichts der zahllosen Opfer, die Hitlers Schergen auch in Frankreich forderten, gerade unter den im Lande lebenden Juden – und noch einmal unter den Kindern: junge Menschen von vier, fünf Jahren, die die Nazis ebenfalls in die Vernichtungslager deportierten. Umso größer ist die Achtung gegenüber jenen vielen französischen Historikern, die Licht in die Jahre der Finsternis brachten. Ganz besonders beeindruckt hat mich das Ehepaar Serge und Beate Klarsfeld, die ihr gesamtes Leben in den Dienst der Aufklärung stellten. Dies taten sie zum einen durch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, die bereits von ungeheurer Kraft, ungeheurer Geduld und Zähigkeit zeugen. Ich denke etwa an das monumentale, auch über 30 Jahre nach seinem Erscheinen noch aktuelle Buch Vichy – Auschwitz. Die ›Endlösung der Judenfrage‹ in Frankreich von Serge Klarsfeld. Ich denke zum anderen aber auch an die Prozesse gegen führende Nazis, die die Klarsfelds bis in die 1980er-, 1990er-Jahre ins Rollen gebracht hatten. So dauerte es über 15 Jahre, bis ein Verbrecher wie Klaus Barbie durch ein ordentliches Gericht verurteilt war. Ihr Beispiel zeigt, wie viel einzelne Menschen erreichen können, was einzelnen Menschen möglich ist; dass sich ein anfangs kaum zu realisierendes Unternehmen – Barbie schien in seinem südamerikanischen Exil zunächst unangreifbar – schließlich doch zum Erfolg führen lässt. Den beiden Klarsfelds verdanke ich in Sachen Mut, Entschiedenheit und Konsequenz eine Lektion fürs Leben.

Ein Buch zu schreiben, kann nahegehen. Frankreich hat in meinem Leben recht früh eine wichtige Rolle gespielt. In Gedanken war ich während der vergangenen Monate häufig am Ort des Ursprungs dieser Beziehung: in einem auf den ersten Blick ganz unspektakulären Zimmer im Hause meiner Großeltern nahe Aachen. Dort, im Lesezimmer, standen im Regal, geschützt hinter Glas, unzählige Bücher. Unter ihnen auch ein Band, der mich von Anfang an faszinierte, die »Psychologie der Massen« von Gustave Le Bon, jenes feinsinnige, hypersensitive und darum - behaupte ich - höchst französische Buch. Der Name des Autors wie auch sein Buch waren mir bereits ein Begriff, kaum dass ich die Buchstaben zu entziffern vermochte. Gelesen habe ich es erst später – es formte umgehend meine Vorstellung von der französischen Essayistik als Kunst unschlagbarer Subtilität, des Sinns für feinste und allerfeinste Regungen. Die inzwischen stark in die Jahre gekommene Ausgabe dieses Buchs begleitet mich bis heute, und auch, wenn ich oft nicht an es denke, ist dieses Exemplar immer in meiner Nähe, diskret, bisweilen erst auf den zweiten Blick auffindbar, aber niemals erst auf den dritten. Als wär’s, hätte Carl Zuckmayer gesagt, ein Stück von mir …

So war dieses Lesezimmer im Hause meines Großvaters von Anfang an ein Schlüssel zur Welt, ein Schlüssel auch und vor allem zu Frankreich. Dieser meist stille Raum, aufgrund der zwar großen, für seine Dimensionen aber unzureichenden Fenster immer in leicht schummrigem Licht liegend und damit auf elegante Art der Welt entzogen, führte mich in die faszinierende Welt der Romanistik. Er schenkte mir eine Ahnung von dem, was außerhalb seiner selbst lag, von Weite und Offenheit, die sich auch über Bücher mitteilten. So reifte, ohne dass ich es damals bemerkt hätte, in diesem Raum der später unumstößliche Entschluss, Romanistik, vorneweg französische Literatur, zu studieren. Von dieser Literatur fühle ich mich zutiefst geprägt, und für die Begegnung mit ihr empfinde ich größte Dankbarkeit. Umso schmerzhafter zu sehen, wie selbstherrlich, brutal und enthemmt die deutschen Besatzer ihr Zerstörungs- und Vernichtungswerk auch in Frankreich in Gang setzten. Dass es verhältnismäßig rasch wieder zu einem Dialog, peu à peu dann auch wieder zu vertieften Beziehungen beider Länder im Rahmen eines mittels größter Staatskunst befriedeten Europas kam: Das ist eine Entwicklung, für die man nur in Demut danken kann.

Paris unterm Hakenkreuz

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