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Liturgische Rolle und kirchliche Macht

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Eine Umfrage würde vermutlich Folgendes zutage fördern: Die meisten Katholiken (und erst recht die „nichteingeweihten“ Gäste einer katholischen Liturgie) erfahren sich im liturgischen Ritual als Zuschauer, so als gäbe es einen Gegensatz zwischen Schauspielern und Publikum. Gelegentlich wird das Publikum zwar aktiv einbezogen (durch Gesang und aufgesagte Texte), aber letztlich stehen das Ritual und die handelnden Personen wie ein fertiges Konzertprogramm bereit, ohne dass das Publikum darauf Einfluss hätte. Auch die Körperhaltung begünstigt diese Wahrnehmung: Während die handelnden Personen auf der Bühne sich hin und herbewegen und für verschiedene Handlungen ihre Plätze wechseln, sind die Zuschauer an feste Steh-, Sitz- und Knieplätze gebunden.

So verstärkt sich der Eindruck, dass es im katholischen Gottesdienst um ein Aufeinandertreffen von Mächtigen und Machtlosen geht. Die Machtlosen haben nur zwei Optionen: entweder hingehen und das Ritual über sich ergehen lassen oder gar nicht erst hingehen. Für das Programm sind ausschließlich die Mächtigen zuständig.

Nun ist Macht für die katholische Kirche ein Thema von höchster Relevanz. Unkontrollierte Macht sowie Missbrauch von Macht – moralische Macht, spirituelle Macht, körperliche Macht, sexuelle Macht – haben Menschen irreparabel an Leib und Seele geschädigt. Die katholische Kirche hat sich vor allem ab dem 19. Jahrhundert zu einer Meisterin darin entwickelt, Macht in den Händen einiger weniger Menschen zu bündeln. Ihre gesamte rechtliche Struktur ist auf Einzelpersonen mit hoher Autorität zugeschnitten. Auch in der aktuellen Liturgiewissenschaft stellt sich die Frage, inwieweit die Ausdrucksformen der Liturgie Machtstrukturen legitimieren und verfestigen. Aus dieser Perspektive ist es umso auffälliger, dass die katholische Kirche bestimmte Rollen – und zwar gerade die machtvollen – ausschließlich Männern zuweist, und umso größer ist der Reformdruck, der auf die Liturgie ausgeübt wird, sobald in ihr Strukturen von Macht identifiziert werden.

Ich möchte in diesem Buch zeigen, dass liturgische Rollen, wenn man sie richtig versteht und sachgerecht ausfüllt, eigentlich viel weniger mit Macht zu tun haben als es auf den ersten Blick scheint. Einen ersten, und zwar ökumenischen Aspekt gebe ich an dieser Stelle bereits zu bedenken: Es gibt christliche Kirchen – etwa die anglikanische und die altkatholische –, die in ihrer rechtlichen Struktur anders verfasst sind als die katholische Kirche. Sie lassen Frauen zu allen kirchlichen Ämtern zu, ihre Amtsträger dürfen weitreichende Entscheidungen nur im Zusammenspiel mit synodalen (also „parlamentarischen“) Gremien treffen und einiges mehr. Dennoch kennen diese Kirchen dieselben liturgischen Rollen wie die katholische Kirche. Nimmt eine Katholikin an einem anglikanischen oder altkatholischen Gottesdienst teil, wird sie sich problemlos zurechtfinden. Die Kirchenbauten folgen denselben Grundmustern, die Handlungen in der Liturgie sind nach demselben Schema auf verschiedene Personen aufgeteilt, die Strukturelemente des Rituals stimmen weitgehend überein, sogar die vorgetragenen Bibeltexte sind an vielen Tagen miteinander identisch.

Würde die katholische Kirche kurz nach Erscheinen dieses Buches Frauen zu allen Ämtern zulassen, würde sie auf allen Ebenen entscheidungsberechtigte Synoden einführen, würde sie kirchliche Gerichte installieren, die von Papst und Bischöfen unabhängig urteilen, so könnte dieses Buch doch bleiben, wie es ist. Dieses Buch muss erst dann aktualisiert werden, wenn sich die Liturgie der Kirche selbst ändert. Ob solche Änderungen vom Papst als mächtigster Einzelperson oder in Zukunft vielleicht von regionalen Kirchensynoden ausgehen, ist dafür unerheblich. Für die liturgische Rolle des Bischofs, des Presbyters und des Diakons ist es unerheblich, ob Bischöfe, Presbyter und Diakone männlich oder weiblich sind.

Würden also kurz nach Erscheinen dieses Buches katholische Bischöfinnen, Presbyterinnen und Diakoninnen ihr Amt antreten, so hätten sie in der Liturgie dieselben Rollen wahrzunehmen wie ihre männlichen Pendants. Auch die für dieses Buch grundlegenden Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65) zur Theologie der Liturgie werden ihre Gültigkeit und Verbindlichkeit behalten. In diesem Punkt darf ich mit meinem Buchmanuskript also recht entspannt in die Zukunft blicken und davon ausgehen, dass es noch für längere Zeit auf die katholische Liturgie anwendbar bleibt, selbst wenn sich in der rechtlichen Struktur der katholischen Kirche kurzfristig etwas ändern sollte.

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