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Gemeinsam vorgetragene Wir-Texte

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Nun drängt sich eine Frage auf: Warum werden Wir-Gebete nicht einfach von allen gemeinsam gesprochen? Dann käme das wir doch viel besser zum Ausdruck, und nebenbei könnte man sich auch das floskelhafte Amen sparen.

(Kleine Anmerkung: Der Fachbegriff für liturgische Wir-Gebete lautet Oration oder Kollektengebet. Auch das Eucharistische Hochgebet, das größte und wichtigste liturgische Gebet, hat die Wir-Form.)

Die Idee scheint attraktiv, sie ist aber in der Praxis nur sehr schwer umzusetzen. In der katholischen Liturgie wechseln die Wir-Gebete jeden Tag, nur wenige wiederholen sich mehrmals im Jahr. Egal wie gut Sie es üben, egal ob Sie diese Texte sprechen oder singen: Sie werden es nicht schaffen, solche Texte gemeinschaftlich so vorzutragen, dass das irgendjemand akustisch verstehen kann. Alle werden vorrangig damit beschäftigt sein, auf die Atempausen, das Sprechtempo und auf die Aussprache der anderen zu achten. Vom eigentlichen Text lenkt das erheblich ab, aber genau um diesen Text geht es ja: ihm sollen alle zustimmen und dadurch die Kirche bilden.

Gemeinsames Vorlesen bewirkt übrigens auch soziale Ausgrenzung. Wer sich mit den Augen schwertut oder Analphabet ist, wird vor den anderen bloßgestellt, weil er nicht mitsprechen kann, und im Stimmengewirr der anderen kann er dann nicht einmal mehr verstehen, was da eigentlich inhaltlich gesagt wird.

Weil der Text verstanden werden soll, ist es sachgerecht, dass er nur von einer einzelnen Person laut vorgetragen wird. Man kann es auch aus einer anderen Perspektive beschreiben: Damit Wir-Texte verständlich bleiben, hat die Kirche ein eigenes Amt für den Vortrag geschaffen, nämlich das Amt des Liturgievorstehers (Kapitel 9). Der Vorsteher stellt sich in den Dienst der Versammlung, indem er anstelle unverständlichen gemeinsamen Genuschels einen verständlichen Text vorträgt, und zwar im Namen der Versammlung und mit Zustimmung der Versammlung. Der Vorsteher ist deswegen aber keineswegs mächtiger als die anderen, denn ohne das Amen der Versammlung ist alles, was er tut, unwirksam.

Nur in einem einzigen Fall lässt sich gemeinschaftlich vorgetragenes Gebet gut umsetzen, nämlich wenn der Text sehr häufig wiederkehrt und allen so gut bekannt ist, dass sich ein einheitlicher Sprechrhythmus etabliert hat, ohne dass es stressig oder unverständlich wird. In der Tat: Das Herrengebet (Vaterunser), das ja auch ein an Gott gerichtetes Wir-Gebet ist, wird in der katholischen Liturgie meist gemeinschaftlich gesprochen oder gesungen. Aber selbst das ist erst eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Zuvor beschränkte sich die Versammlung – wenn überhaupt – auf die letzte Zeile sondern erlöse uns von dem Bösen, alles andere wurde nur vom Vorsteher vorgetragen.

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