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5. Liebe Dinge

Es handelt sich hier um Gegenstände, welche die vielen Jahre seit der Tübinger Kindheit überstanden haben und noch bei Lotte sind.

Als Vater bei dem alten Herrn im Herrenausstattergeschäft in Baden-Baden arbeitet, begegnet ihm ein wundervoll weicher Schal aus Alpakawolle, der wahrscheinlich in England von einem weiblichen oder männlichen Wesen gestrickt wurde. Entweder mit vier langen Nadeln rundherum als Schlauch, oder mit einer Rundnadel. Lang ist er geworden, fast drei Meter, weil die Strickerin oder der Stricker nicht aufhören wollte mit der angenehmen Arbeit. Aber der große Wollknäuel ging endlich doch zu Ende, sie mussten die Maschen übereinander ziehen, abketten, und es blieb gerade noch Wolle übrig für die Fransen. Für Mutter und Lotte ist er das Allheilmittel, der Tröster, bei den vielen Halskrankheiten, von welchen sie heimgesucht werden, natürlich auch bei Zahnweh und Bauchschmerzen. War er bei ihnen, konnte keine Bosheit der Welt den beiden etwas anhaben. Der sanfte Wollgeruch verband sich mit dem des Harzes aus den Zedernholzstückchen, in denen er gelagert wurde.

Leider hat Mutter einmal versäumt, ihn zusammen mit Zedernholzstückchen zu verpacken, was die Motten schnell herausfanden. Wie köstlich schmeckte ihnen die weiche Wolle, gar nicht aufhören konnten sie mit dem Knabbern. Getränk brauchen sie dazu nicht, was Lotte sich nicht vorstellen kann, weil sie selbst immer Durst hat und trinken muss. Bei der nächsten Krankheit wurden die Löchlein im Schal entdeckt, Mutter mochte sie nicht flicken, gleiche Wolle war nicht zu finden, dazu waren die Löchlein eine ständige Mahnung, dem Schal mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

In der Schachtel liegt beim Schal der zweite kostbare Gegenstand. Ein etwa vier Zentimeter langes Farbstiftchen; in rosa, gold und grün ist außen herum das Holz lackiert. Leider läuft die dunkelrote Mine aus, und Wasser kommt dazu. Einmal versteckt sich der kleine Stift in einer Blusentasche, die weiße Bluse gelangt in die Kochwäsche und man kann sich denken, wie sie danach aussieht. Rote Flecken überall! Heldenmütig übersteht das Stiftlein die Marter! Nur ganz wenig verkleinert sich die Mine. Die Flecken zu entfernen ist viel Bleichmittel, Wasser und Feuerholz nötig, aber dem Kleinen kann man nichts übelnehmen, weil er doch so herzig aussieht, wie Frau Steinhilber sagt, die sich mit der befleckten Wäsche herumplagt.

Ein wirklich bedauernswertes Stück Holz liegt auch in der Schachtel, ein kleiner Kochlöffel, noch aus Großmutter Kiedaischs Besitz. Mutter sagt, er sei nur zum Breikochen genommen worden. Nun hat er 104 Jahre durchgehalten, ist noch ganz, zwar sehr mitgenommen, aber in Ehren braun geworden und immer wieder abgeschabt. Er hat nach so viel hitzigen Bädern den Ruhestand verdient.

Was gibt es noch in der Schachtel? Ein längliches Stücklein Zelluloid, weiß, mit abgerundeten Ecken, links ist ein Blumensträußchen gemalt. Die Hauptsache ist das Wort Andenken, gebildet aus Löchlein, zum Ausnähen gedacht. Lotte muss von Baumwollteilgarn den einzelnen Faden (fünf waren es insgesamt) in eine dünne Nadel fädeln und die kleinen Löcher damit ausfüllen. Wie stolz ist sie, dass es gelingt! Mutter soll es als Geburtstagsgeschenk bekommen am 26. Oktober. Sie freut sich sehr darüber und legt das Lesezeichen in Mörikes Buch vom Stuttgarter Hutzelmännle, das sie nie müde wird zu lesen, darin steht ja auch die Historie von der schönen Lau, die Lotte und Mutter besonders gefällt.

Und eine weitere Kostbarkeit folgt. Ein Kleiderbügelchen, das Lotte im Handarbeitsunterricht der 2. Klasse bei Frau Mohl bestrickt. Nur vier kleine Nadeln sind dazu nötig. Die damals beliebte Wolle ist in Abständen gefärbt in dunkelrot, hellrot, lachsrot, weiß. Trotzdem die Wolle genau so weich war wie die vom Schal, kommt kein Mottenlöchlein hinein. Vielleicht hat die Farbe einen unangenehmen Geruch. Es liegt auch nie bloß herum, sondern wird immer benutzt, die gefräßigen Tierlein hatten gar keine Zeit zu nagen.

In der ersten Klasse kommt nach dem Häkeln das Stricken. Zwei viereckige Stücke 6 x 6 cm sollen entstehen für ein Nadelkissen. Lotte wählt rosa Baumwollgarn. In diesen Tagen meint es die Sonne gut, die kleinen Hände beginnen zu schwitzen, die Nadeln rosten leicht. Lotte will alles aufziehen und an einem kühleren Tag neu anfangen. Frau Mohl ist dagegen. „Nein, nein", sagt sie, „wenn du später einmal das kleine Kissen wiederfindest, denkst du gern an die Wildermuth-Schule, an Frau Kerridge, an dein geliebtes Häsle (Marianne). Dann wird dir ganz warm ums Herz!" Unter die zusammengenähten Vierecke kommt ein gleiches Kissen aus dichtgewebtem Stoff, das ist mit Eisenfeilspänen gefüllt, die den Rost abschleifen. Man kann sie beim Schlosser Dieterle umsonst bekommen. Mutter bringt ihm dafür Pfeifentabak. Er habe so etwas noch nie bekommen, sagt er und bedankt sich sehr. Mutter sagt: „Verschenke so viel du kannst, mach Freude, wo es geht. Alles kommt zurück, Vater hat's auch so gemacht und ist selber am glücklichsten dabei gewesen!" Mutter hat recht. Ihre Worte werden Lotte das ganze Leben begleiten.

Was liegt noch im Korb, versteckt unter dem wollenen Schal? Ein Schächtelchen aus marmoriertem Bakelit, einem frühen Kunststoff, das als Behältnis für winzige Perlmutterknöpfe dient, Goldperlen oder besonders kostbare Seidenfleckchen, getränkt mit Tropfen von Vaters besonders guten Düften. Öffnet man es, ist er wieder da. Lotte sieht ihn vor sich, hört ihn lachen …

Zu allerletzt sitzt da noch das alte Stoffhundle Molly, Lottes treuester Kamerad, der überallhin mitgenommen wird, im Puppenwagen fährt und nie verloren gehen darf. Man sieht ihm seinen etwas stürmischen Lebensweg an, an den Vorderpfötchen ist nur noch wenig vom weißen Fell zu sehen, das schwarze Schnäuzle besteht nur noch aus wenigen Fäden, aber die braunen Augen gucken unverändert lieb in die Welt. Ach, treuer Molly, nie wird Lotte dich hergeben und dir auch immer noch Geschichten erzählen, wenn du abends bei ihr im Bett liegst!


Lotte, 1926


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