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9. Vom Herrn Magister Hölderlin

Am Nachmittag hat Mutter Zeit, mit Lotte in die Platanenallee zu sitzen, denn am Morgen ist sie mit allen Arbeiten fertig geworden, Herrenzimmer aufgeräumt, viele Hemden gebügelt, denn ein Untermieter, genannt die „Cremerseele“ z.B. zieht jeden Tag ein frisches Hemd an, da kommt einiges zusammen. Zudem hat Mutter für den nächsten Tag Kartoffeln vorgekocht und Gemüse geputzt. Um fünf sei eben Tagwacht, nur so kann sie all die Arbeit bewältigen.

Heute will sie am Vorderteil des Baumwollpullovers weiterhäkeln, einem Auftrag von Frau Beutelsbacher, Streifen in verschiedenen Farben harmonieren miteinander, hellblau, orange und weiß, danach sollen Figürchen mit dunkelgrün hineingestickt werden. Es wird schön aussehen, oft ist Mutter richtig verliebt in ihre Arbeiten und würde sie gern behalten.

Die Märzensonne meint es gut in diesem Jahr, sie leuchtet hell und wärmt wie im Mai. Die beiden sitzen auf einer Bank gegenüber dem Hölderlinturm, der früher, als der Dichter ihn bewohnte, ganz anders aussah. Nach seinem Tod brennt es, der Turm wird wiederaufgebaut und bekommt ein hoch hinaufgezogenes Kegeldach.

Im vorderen Zimmer in der Mühlstraßenwohnung hängt Hölderlins Jugendbild, vielleicht gemalt in der Zeit, als er im Stift studieren musste, um später Pfarrer zu werden. Aber dies wollte er auf keinen Fall! Die Ausbildung dort war die beste, Griechisch, Latein, Philosophie und die Lehrer bekannte Professoren, z.B. David Friedrich Strauss. Die Verpflegung sehr kärglich, die Betten schlecht, es war ja auch ein ehemaliges Dominikanerkloster. Einmal wohnten Hölderlin, Hegel und Schelling in einem Raum!

Schön ist der junge Mann auf dem Bild, es heißt in einem Bericht, er habe ausgesehen wie Apoll, der Lichtgott. Leider war er stolz, der Stolz des Einsamen, eine Eigenschaft, welche ihm das Leben erschweren sollte.

Mutter hat viel über den Dichter gelesen und kann sein schönstes Gedicht auswendig. Es heißt Andenken. Er erinnert sich darin an seine Zeit in Bordeaux, wo er als Hauslehrer angestellt war. Der ganze Süden, die heftige Sonne, die Pflanzen, der Fluss Garonne und die Menschen, all das war eine neue Welt, überwältigend, seine Seele fast zerstörend. Es war sein Griechenland, von dem er träumte, es in dem berühmten Roman Hyperion beschrieb, aber nie kennenlernte. Lotte möchte wissen, warum er dort drüben im Turm lebte. Er sei wahnsinnig geworden vom vielen Denken und vielen anderen außergewöhnlichen Begebenheiten seines Lebens, sagt Mutter. Schreinermeister Zimmer und seine Tochter Jungfer Lotte betreuten den Kranken, der ein „Gewächs“ im Kopf hatte. Manchmal war der Kranke ruhig, aber wenn der Tumor wieder ein Stück wuchs, konnte es sein, der Arme fing an zu rasen! So ging es viele Jahre, denn er wurde alt. Heute könnte man das Gewächs entfernen, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg, sagt Mutter.

Die Dichter Mörike und Waiblinger nahmen ihn, so oft es ging, mit in das Presselsche Gartenhaus hinter dem Schloss. Dort rauchte er und trank Wein oder Bier, hörte ihren Gesprächen zu. Er spielte gut Flöte und erhielt ein kleines Klavier und ein Sofa in sein Zimmer, Besucher baten ihn um Gedichte, die er mit dem Namen Scardanelli unterzeichnete.

Jungfer Lotte heiratete nicht und betreute ihn bis zu seinem Tod 1843. Welch großes Glück war es für den Kranken, diese beiden Menschen, Vater und Tochter Zimmer, getroffen zu haben!

Lotte ist froh, dass ihr Mutter dies alles erzählt und möchte, wenn sie erwachsen ist, den Hyperion lesen und andere seiner Dichtungen und wird dabei an den Märztag denken, als sie mit ihrer Mutter auf der Bank saß und so vieles von Fritz Hölderlin erfuhr.


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