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4.8 Erfassung der Zugunruhe, Haltung und Zucht von Versuchsvögeln

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Vogelhaltern ist seit Jahrhunderten bekannt, dass gefangen gehaltene Zugvögel während ihrer Zugzeiten in so genannte Zugunruhe verfallen, zugunruhig werden: Sie hüpfen oder flattern umher oder „schwirren“, d.h., sie schlagen im Sitzen mit ihren hoch erhobenen Flügeln mit hoher Frequenz und geringer Amplitude. Diese Zugunruhe ist besonders auffällig bei Nachtziehern. Während Angehörige dieser großen Gruppe von Vögeln außerhalb der Zugzeit normalerweise nachts ruhen, sind sie zu den Zugzeiten nachts aktiv, mitunter die ganze Nacht hindurch (Abb. 9). Man hat die Zugunruhe als Ausdruck des Zugtriebes gedeutet, und Naumann (1795–1817) hat wohl als Erster vermutet, dass die Dauer der Zugunruhe Auskunft über die Länge der Zugperiode und der Wanderstrecke geben könnte. Er verfolgte die Zugunruhe bei Pirol (Oriolus oriolus) und Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca), die er in seiner Vogelstube hielt, und schloss aus deren langer Dauer, dass diese beiden Arten „sehr weit, vermuthlich bis nach Afrika“ ziehen.

Die Zugunruhe – vor allem der Nachtzieher – lässt sich gut quantitativ erfassen, und zwar in so genannten Registrierkäfigen (Abb. 10). Die gebräuch lichste Methode beruht auf der Verwendung von beweglichen Sitzstangen, die auf Mikroschaltern gelagert sind. Springt oder fliegt ein Versuchsvogel auf eine solche Stange, drückt er sie durch sein Gewicht nach unten, wodurch die Schalter betätigt werden. Die Schalter sind in einen Stromkreis eingebaut, so dass jeder Ansprung auf eine bewegliche Stange als Impuls in einem Registriergerät (Mikroprozessor, Computer, Zeitmarkenschreiber usw.) erfasst werden kann. Auf diese Weise lässt sich die Verteilung der Zugunruhe während ganzer Zugperioden ermitteln, und für Individuen und Versuchsgruppen können Zugunruhemuster aufgezeichnet und mit den Zugmustern freilebender, tatsächlich ziehender Artgenossen verglichen werden. Dabei zeigte die Untersuchung von über 100 Arten, dass die Zugunruhe regelmäßig Ausdruck des Zugverhaltens freilebender Artgenossen ist und Auskunft über den Ablauf des Zugs in der freien Natur gibt (6.12–6.15, Berthold 1996). Der geschilderte Registrierkäfigtyp ist inzwischen modifiziert worden: Statt der Mikroschalter werden z.T. Photozellen, Ultraschall und Luftdruckschalter ver wendet. Videoaufnahmen nächtlich zugaktiver Vögel (vor allem von Grasmücken) bei Infrarotlichtbeleuchtung, die für die Versuchsvögel unsichtbar ist, haben gezeigt, dass die Zugunruhe fast ausschließlich aus dem oben beschriebenen Schwirren besteht, also aus Flügelschlagen oder Schwirrflug im Sitzen. Man kann demnach die Zugunruhe als eine Art „Ziehen im Sitzen“ bezeichnen (Berthold u. Querner 1988).


Abb. 10: Registrier- und Orientierungskäfige, Datenerfassung und -auswertung. a: Registrierkäfig zur Erfassung der tageszeitlichen Bewegungsaktivität und der nächtlichen Zugaktivität, mit zwei beweglichen Sitzstangen, angeschlossen an verschiedene Registrieranlagen (Original), b: oktogonaler Orientierungskäfig mit radial angeordneten Sitzstangen (aus Wiltschko 1968), c: Rundkäfig zur Erfassung des Orientierungsverhaltens, Emlen-Typ (Original), d: wie c, schematisch (aus Emlen u. Emlen 1966), e: Tipp-Ex-Papier aus einem Rundkäfig (auf einem Leuchttisch photografiert) mit den (hellen) Fußkratzern eines Versuchsvogels nach einem 1,5-stündigen Test, f: Darstellung der von Hand ausgezählten Fußkratzer aus e im Kreisdiagramm mit 24 Sektoren (aus Helbig 1991), g: Darstellung der Fußkratzer nach automatischer Auswertung mit einem computergesteuerten Lesegerät der Vogelwarte Radolfzell im Computerplot-Kreisdiagramm, h: wie g, longitudinale Darstellung nach Winkelgraden.

Zugunruhe lässt sich auch bei Tagziehern ermitteln, wie an mehreren Arten gezeigt wurde. Bei ihnen ist jedoch erforderlich, zunächst fortlaufend die gesamte tageszeitliche Aktivität zu messen. Durch Subtraktion der Tagesaktogramme von Perioden außerhalb der Zugzeiten von denen innerhalb der Zugzeiten erhält man als Differenz die Menge der Zugunruhe (Berthold 1978, 1996, Munro u. Munro 1998).

Die Erfassung der Zugunruhe hat sehr an Bedeutung gewonnen, seit es möglich ist, Zugvögel in großer Zahl – zu Tausenden – von Hand aufzuziehen und, wie im Falle der Grasmücken (Kap. 6), in erheblichem Umfang zu züchten. Dabei ist sorgfältig von anderen Tag- und Nachtunruhen wie Dispersions-, Sommer-, Winter-, Hunger-, Durst-, Eingewöhnungs- und Schlafplatzunruhe zu unterscheiden, die z.T. auch als Pseudozugunruhe bezeichnet werden (Berthold 1988c, 1996). Die Zucht (Kreuzungs- und Selektionsversuche, unter Einbeziehung von Methoden der molekularen Genetik) spielt heute eine wichtige Rolle, nachdem die große Bedeutung genetischer Faktoren bei der Zugsteuerung erkannt und experimentelle Mikroevolutionsforschung möglich wurde (Kap. 2, 6, 7 u. Kap. 10). Sie hat die Zugforschung der letzten 50 Jahre mit am weitesten vorangebracht (Gauthreaux 1996).

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