Читать книгу Gegen die Zeit - Simone Lilly - Страница 2

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 August 1887

„Was machst du heute nach der Schule?“, fragend war sein bester Freund, Jake, neben ihn getreten und hatte sich auf Nathans Tisch gesetzt.

Genervt schaukelte er einen Stift zwischen seinen Fingern. „Catherine, das blonde Mädchen aus der Nachbarsschule will mich heute abholen. Und dann gehen wir irgendwo hin.“, knurrte er und blickte kurz zu ihm auf.

„Uhh“, Jake lachte. „Das klingt doch vielversprechend. Seid ihr zusammen?“

Erschrocken ließ er den Stift fallen. „Nein, natürlich nicht. Spinnst du? Ich bin 14!“

Jake glitt vom Tisch und rutschte auf seinen eigenen Platz, direkt neben ihm. „Na und?“

„Nein, mein Vater möchte, dass ich sie eines Tages heirate.“

„Willst du das denn? Warum eigentlich nicht, sie sieht gut aus und sie ist nett.“, fragte Jake und musterte ihn skeptisch.

Lange und durchdringend blickte er seinem Freund in die Augen. „Ja, schon. Sie ist auch nett. Aber…ich weiß es nicht. Irgendetwas ist da, was mich stört.“

„Heirate sie doch einfach, sie ist toll.“

Betroffen und beinahe beleidigt erhob er seine Stimme. „Nein, heirate du sie doch wenn sie dir so gefällt!“

Nun herrschte zwischen ihnen vollkommenes Schweigen. Bis auf die umstehenden Jungen, die laut durch die Klasse brüllten, war nichts zu hören.

Es war Mitte August. Seit Tagen hatte es nicht aufgehört zu regnen. Schon wieder wurde der Himmel von schwarzen Wolken durchzogen. Im Zimmer war es dunkel.

„Nathan, wen haben wir jetzt überhaupt? Nachdem Mr. Engels krank ist.“, versuchte Jake von der unangenehmen Situation abzulenken. „Ich hoffe eine Freistunde.“

Nachdenklich schüttelte er den Kopf. „Keine Ahnung. Irgendeinen neuen Lehrer. Vielleicht haben wir Glück und er lässt uns in Ruhe.“

Eine Papierkugel traf ihn an seiner Schläfe. Gleichgültig kickte er sie weiter, als ruckartig die Tür geöffnet wurde.

Ein hagerer Mann, dessen kurze, dunkelblonden Haare steif nach hinten gegeelt waren, betrat den Raum, ließ seinen Blick kurz durch ihn hindurch gleiten, legte dann einen Stapel Blätter und Ordner auf das Pult und musterte sie finster. Dann, herrschte Stille.

„Da hast du dein Glück!“, nuschelte Jake resigniert und sank tiefer und gelangweilter in seinen Stuhl zurück.

Der Mann meldete sich zu Wort. Seine dunkle Stimme, verschaffte sich sofort den Respekt der Schüler. Obwohl sie alles andere als streng und angsteinflößend klang.

„Ich bin für heute euer Aushilfslehrer, Mr...“, er überlegte für eine Weile. Sollte er seinen richtigen Namen nennen?„...Mr. Brown.“

Die Kreide quietschte und bröckelte, als er ihn mit Druckbuchstaben gut leserlich an die Tafel schrieb.

„Sie können ruhig verschiedene Aufgaben erledigen, solange es ruhig bleibt.“

Nathan atmete durch. Wenigstens mussten sie ihm nicht auch noch Gehör schenken.

Sofort als er es gesagt hatte, nahm er wieder seinen Stift zur Hand und drehte sich zu Jake, um mit ihm zu reden.

Jeder in der Klasse, tat, was er wollte, einige hatten tatsächlich ihre Hefte hervorgeholt, um Hausaufgaben zu erledigen, andere spielten Stadt, Land, Fluss und er, wollte seine angefangene Unterhaltung mit Jake fortführen.

Mr. Brown hingegen, hielt zu seinem Wort. Teilnahmslos hatte er sich in seinen Stuhl gesetzt und schrieb etwas auf ein Blatt Papier.

„Aber...“, Jake zog sich seine schwarze Jacke enger um den Leib und kam an ihn heran. „...es ist doch wirklich nichts dabei, dich mit Catherine zu treffen.“

„Du verstehst das nicht. Ich mag sie. Aber...ich mag sie.“

Verständnislos zog sein Gegenüber die Augenbrauen nach oben. „Du magst sie? Das reicht doch. Ich meine, sie ist hübsch, eine solche Frau findest du nie wieder.“

Lautes Geschrei durchbrach ihr Gespräch. Während Mr. Brown zu den Verursachern gestürmt war, um der Sache auf den Zahn zu fühlen, versuchte Nathan sich zu rechtfertigen. „Meine Eltern mögen, nein, lieben sie. Sie wäre die perfekte Frau für mich. Das finde ich auch. Sie ist perfekt. Das ist aber schon alles. Wir sind beide nicht reich.“, beendete er den Satz.

„Ah, verstehe. Sonst hättest du sie für ihr Geld geheiratet. Stimmt‘s?“

Empört versetzte er ihm einen freundschaftlichen Tritt unter dem Tisch. „Nein, natürlich nicht. Aber das wäre vielleicht eine Erklärung, warum meine Eltern das wollen.“

Jakes Augenbrauen zuckten seltsam, während er schlagartig die Wörter, die er sagen wollte, hinunterschluckte und warnend nach hinten nickte: „Bst.“

Die Warnung kam gerade rechtzeitig. Nur schattenhaft vernahm Nathan einen Luftzug. Dann, war ein Stuhl neben ihnen, auf dem, ungewohnt lässig, Mr. Brown Platz nahm. Für einen Moment musterte er beide.

„Jake, ich möchte bitte für eine Sekunde mit Nathan alleine sprechen. Wäre das möglich?“

Irritiert nickte dieser. Was hätte er auch sonst tun sollen? Es gehörte sich nicht, einem Lehrer zu widersprechen. Also musste er tun wie ihm geheißen wurde.

„Selbstverständlich.“

Wie von selbst erhob er sich und gesellte sich zu anderen Schülern an deren Tisch.

Fast flehend hatten Nathans Augen seinen Freund begleitet. Warum war er einfach gegangen?

Mr. Brown nahm freundlich seinen Platz ein und sah ihn durchdringend in die Augen. „Also, du sollst dich gleich mit Catherine treffen, möchtest es aber nicht?“, fasste er das Gespräch kurz und bündig zusammen und lächelte verschmitzt, jedoch immer noch ernst.

Ihm entglitten seine Gesichtszüge. „Woher wissen Sie das?“

„Habe ich gehört. Warum tust du das?“

Unsicher blickte Nathan nach draußen. Ein heftiges Gewitter hatte begonnen, über ihre Stadt zu ziehen. Blätter und Äste wehten im Wind und peitschten gegen die Fensterscheiben. „Weil mein Vater es so möchte. Aber, bitte, was geht Sie das an? Es ist meine, unsere Sache.“

Nun wurde auch Mr. Brown ernst. „Ja…du hast recht. Aber, bevor du etwas Unüberlegtes tust, sei dir bewusst, dass…“

Die Schulglocke läutete. Augenblicklich sprangen alle aus ihren Sitzen und stürmten hinaus. Trotz des Wetters. Auch Nathan bückte sich nach seiner Tasche und setzte zum Gehen an, als vor ihm die Tür geschlossen wurde, und sogar der Schlüssel im Schloss gedreht wurde.

„Nathan Emrick. Bitte bleib hier. Ich muss mit dir reden.“, zischte Mr. Brown und setzte sich halbwegs ordentlich auf seinen Tisch.

„Was soll das? Mr. Brown, ich habe nichts getan. Lassen sie mich sofort hier raus! Das dürfen sie nicht.“ Panik überkam ihn. Was wollte der Mann damit bezwecken?

Beruhigend ging dieser auf ihn zu. „Keine Sorge, ich möchte dir nur helfen.“

„Aber“, er wich einige Schritte zurück. „Ich muss gehen. Sie wissen nicht, was mein Vater tut, wenn ich mich nicht mit Catherine treffe.“

Plötzlich, wurde er stutzig. „Kenne ich sie irgendwoher?“

Mr. Brown schluckte. „Nein, nein. Ich bin erst kürzlich hierher gezogen. Hör zu, ich möchte dich wirklich nur warnen… du solltest nichts…“

Doch er unterbrach ihn. „Bitte, ich sollte jetzt wirklich gehen.“

Mr. Brown senkte den Kopf. „Wie du willst. Ich habe es versucht.“

Mit diesen Worten und mit gesenkter Stimme, griff er erneut nach dem Schlüssel und drehte ihn im Schloss. „Auf Wiedersehen.“

Äußerst irritiert und verunsichert, nahm er seine Jacke von der Garderobe und betrat schon bald darauf, gebückt und unter sie gehüllt, den verregneten Pausenhof. Dort, unter einen alten Baum geschlüpft, wartete Jake auf ihn.

„Hey…“, zögernd kam er auf ihn zu. „Wo warst du denn so lange?“

„Ach, Mr. Brown wollte nur noch schnell mit mir reden.“

Erstaunt und neugierig begann Jake zu rennen. „Und was wollte er von dir? Ich dachte, du hast ihn noch nie vorher gesehen.“

„Das hab ich auch nicht!“, brüllte Nathan durch den immer lauter werdenden Regen.

„Aber er dich anscheinend schon“, sofort hielt sein Freund in seinem Satz inne. „Da ist Catherine.“

Jetzt sah auch Nathan sie. Ein heller Punkt der durch den stärker werdenden Regen strahlte. Seine Lippen kräuselten sich.

Freudig wurde er von Jake umarmt und setzte zum Gehen an.

„Viel Spaß euch zwei. Und ich verlange danach einen vollständigen Bericht von dir!“, er zwinkerte verschwörerisch.

Noch einmal atmete Nathan tief ein, während er zu dem Mädchen, das, in einen grellen Regenmantel gehüllt, auf ihn wartete, zueilte. Er mochte sie. Wie eine Schwester. Genau das war sein Problem.

Ermüdet hatte er sich auf den bequemen Stuhl, der sich neben dem Pult befand, fallen lassen und verbarg sein Gesicht in seinen Händen.

Es gab sie. Vier Stück. Sicherlich hatte er auch noch mehrere ausfindig machen können. Zahlreiche. Doch waren diese Vier die entscheidenden.

Nur zu diesen Zeitpunkten konnte er Nathan verfolgen. Das war alles. Enttäuscht setzte er sich wieder auf und musterte die leere Klasse. Sie wirkte gespenstisch, ohne die Schüler, die sie erfüllten. Nachdem er bei den letzten Zwei versagt hatte, blieben ihm nur noch zwei. Zwei. Das war zu wenig.

Sven, reiß dich zusammen. Tu es einfach.

Seine Stimme klang wenig aufmunternd. Im Gegenteil. Sie nahm ihm noch mehr den Mut an der Richtigkeit seiner Mission. War es das überhaupt? Sich in fremde Leben einzumischen, wurde nie für gut geheißen.

Gegen die Zeit

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