Читать книгу Der Preis der Wahrheit - Stefanie Hauck - Страница 14

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Miguel ließ Thomas von seinen Leuten abführen und in einen Hubschrauber verfrachten. Er selbst stieg ebenfalls ein, und dann flog der Helikopter los. Die Strecke, die er zurücklegte, erschien Thomas relativ kurz, aber das war nur ein Gefühl. Schließlich konnte er nicht abschätzen, wie schnell die Maschine flog.

Als sie gelandet waren, zerrten die Handlanger den Bundesrichter aus dem Hubschrauber heraus und zu Fuß weiter. Thomas strauchelte ein ums andere Mal, weil der Boden uneben war und er ja nichts sehen konnte. Dieser Marsch kam ihm deshalb viel länger vor als der Flug. Aber dann hatten sie endlich ihr Ziel erreicht.

Ramírez wies seine Handlanger an, dem Amerikaner die Augenbinde abzunehmen. Wegen des hellen Lichts blinzelte Thomas ein wenig. Aber dann blickte er sich um. Für einen Moment konnte er nicht glauben, was er sah. Es kam ihm vor, als sei das alles hier ein böser Traum. Aber nachdem der Drogenbaron ihm den Ohrring verpasst hatte, wunderte ihn das hier fast gar nicht mehr, denn es passte genau zu Miguels Charakter.

Er befand sich auf einem gerodeten Freiplatz im Dschungel, über dem hoch oben die Äste der großen Urwaldriesen einen Baldachin bildeten. Dadurch war das Areal gegen Blicke aus der Luft geschützt, gleichzeitig drang aber genügend Licht durch das Blätterdach. Auf dem Gelände selbst stand eine ganze Anzahl von Hütten, Käfigen gleich, deren Dächer notdürftig mit Wellblech gedeckt waren. In diesen Behausungen saßen Männer, die so wie er mit Ketten gefesselt und ähnlich angezogen waren. Frauen schien es dort keine zu geben.

Der Drogenbaron ließ Thomas so in der Mitte des Lagers postieren, dass ihn alle Gefangenen in den Hütten genau sehen konnten. Dann hob er die Hand zum Zeichen, dass er etwas sagen wollte. Sofort verstummte rundherum das Gemurmel.

“Lieber Mitarbeiter, liebe Abgesandte”, begann er, “ich darf Ihnen ein neues Mitglied unserer Dorfgemeinschaft vorstellen. Dieser Herr hier ist Dr. Thomas Zedekiah McNamara, seines Zeichens Bundesrichter der Vereinigten Staaten von Amerika. Oh, ich muss mich korrigieren, ich habe mich nicht korrekt ausgedrückt, dieser Herr ist Justice Dr. Thomas Zedekiah McNamara. Ich hoffe, Sie entschuldigen meine Unbedachtheit, Sir.”

Miguel blickte seinen Gefangenen erwartungsvoll an.

“Ich entschuldige das durchaus”, entgegnete Thomas mit einem gütigen Lächeln, “aber vielleicht sollten Sie den Herrschaften hier noch sagen, dass ich zur Zeit auf Dauerurlaub in Südamerika bin und aufgrund meiner plötzlichen Abreise leider keine Gelegenheit hatte, meine Aufgaben an jemanden zu übergeben, der mich vertreten kann.”

Der Kolumbianer grinste breit und meinte: “Sie waren mal wieder sehr vorausschauend, und offenbar ist Ihnen der Humor noch nicht vergangen. Aber das wird sich gleich ändern.”

Du bist ein absoluter Blödmann, Thomas, dachte der Bundesrichter, warum hast du den Kerl provoziert? Aber auf der anderen Seite ist es wahrscheinlich eh egal, weil er immer wieder einen Aufhänger findet, weswegen er mich quälen kann. Von daher kann ich wenigstens auch ein bisschen Spaß haben.

“Justice Dr. McNamara hat uns gerade schon sehr treffend erklärt, dass er gern längere Zeit bleiben will.”

Miguel machte eine kleine Pause. Dadurch erwischte er aber zwei Gefangene dabei, wie der eine dem anderen etwas ins Ohr flüsterte und der Angeredete missmutig den Mund verzog.

“Ich kann es nicht billigen”, zischte er die Männer an, wobei er auf ihre Hütte zuging, “dass Sie meine Autorität dadurch mit Füßen treten, dass Sie es wagen, sich zu unterhalten, während ich eine Ankündigung zu machen habe. Offenbar leiden Sie unter Gedächtnisschwund. Aber wie heißt es so schön: ‘Ein voller Bauch studiert nicht gern.’ Wahrscheinlich waren Ihre kleinen grauen Zellen durch eine zu große Essensportion lahmgelegt. Damit das nicht so schnell wieder passiert, werden Sie heute Abend kein Essen bekommen.”

Er sah die beiden durchdringend an und kniff die Augen zusammen.

“Ich denke, wir haben uns verstanden?!”, horchte er nach.

Die beiden Männer nickten nur.

“Fein, dann kann ich mich ja wieder unserem neuen Familienmitglied widmen. Wo war ich doch gleich noch stehengeblieben?”, meinte er sinnend, “ach ja, der Herr Bundesrichter möchte für längere Zeit bei uns bleiben. Und weil er nicht irgend so ein durchschnittlicher Mann, sondern jemand ganz besonderes ist, hat er auch einen besonderen Status. Sie, meine Herren, sind entweder meine Mitarbeiter oder die Abgesandten Ihrer Familien und Arbeitskollegen und wen es da sonst noch alles geben mag, der gern einen Vertreter in meiner Nähe hätte. Aber dieser Mann hier ist mein Eigentum. Wenn sich also jemand an ihm vergreift oder ihm irgendeinen Schaden zufügt, dann ist das so, als würde er sich an mir vergreifen.”

Miguel machte eine Pause und wandte sich dem Lageraufseher zu.

“Jaime”, sprach er ihn an, “kommen Sie mal bitte hierher.”

Jener gehorchte sofort.

“Jaime, wie lange stehen Sie schon in meinen Diensten?”

“Acht Jahre, Señor Ramírez.”

“Fein, Sie haben schon viel Erfahrung. Das ist gut, sehr gut. Okay, ich habe hier eine ganz besondere Aufgabe für Sie. Ich lege mein Eigentum in Ihre verantwortungsvollen Hände und hoffe, dass Sie ein guter Verwalter sein werden. Und das sind Ihre Kompetenzen: Sie können bestimmen, wie viel und wie lange Dr. McNamara arbeiten muss, es liegt in Ihrer Hand, wie und wo Sie ihn fesseln oder einsperren. Ferner sind Sie berechtigt, ihn für Vergehen, Ungehorsam und ähnliches zu bestrafen, sei es durch Nahrungsentzug, Demütigung oder Folter. Nur zwei Sachen dürfen auf keinen Fall passieren, erstens, dass er von hier flieht und zweitens, dass er stirbt. In beiden Fällen bekomme ich ein großes Problem, wobei Fall Nummer eins nicht ganz so schlimm ist wie Fall Nummer zwei. Einen entlaufenen Mann wieder einzufangen, ist manchmal schwierig, aber durchaus machbar. Nur einen toten Mann kann man nicht mehr interviewen. Und genau das will ich mit Dr. McNamara später noch machen. Ist Ihnen soweit alles klar, Jaime? Wenn nicht, fragen Sie ruhig, ich bin Ihnen dann nicht böse. Ich will nämlich, dass mein Eigentum gut und sicher verwaltet wird, und das können Sie nur tun, wenn Sie ganz klar wissen, was Sie zu tun haben und was nicht.”

“Nein, keine Sorge, ich habe alles genau verstanden”, erwiderte Jaime.

“Schön, das hätten wir”, befand Miguel zufrieden und wandte sich dann wieder dem Bundesrichter zu, “und nun möchte ich mich noch eben von Ihnen verabschieden, Dr. McNamara. Ich habe mir dazu etwas ganz besonderes für Sie ausgedacht, damit Sie mich in Erinnerung behalten, weil Sie mich in den nächsten Monaten nicht wiedersehen werden.”

Der Drogenbaron machte eine Pause und sah sein Gegenüber mit eiskaltem Blick an.

“Auf die Knie!”, meinte er mit einer gefährlichen Ruhe in der Stimme.

Thomas war so verdattert, dass er nicht reagierte, und gleichzeitig fand er diese Aufforderung ziemlich dreist.

“Sind Sie taub?!”, zischte Ramírez den Bundesrichter an, “ich sagte ‘Auf die Knie!’”

Weil Thomas nicht sogleich den Befehl ausführte, fauchte Miguel ihn an: “Na, wird’s bald?!”

Dann hieb er ihm seine Faust in die Magengrube. Thomas krümmte sich wie ein Würmchen und wäre beinahe schon deshalb zu Boden gegangen. Aber jetzt ließ er sich umgehend auf seine Knie nieder. Ramírez packte ihn am Schopf, zog Thomas’ Kopf nach hinten und überstreckte dabei dessen Hals.

“Ich habe dich ja schon mal ein mieses Schwein genannt, aber ich finde, dass das eine Beleidigung für Schweine ist, weil diese nämlich sehr gutmütige Tiere sind. Du bist alles andere als gutmütig, du bist eine gemeine und hinterlistige Schlange. Verflucht seist du!”

Miguel schlug ihm ins Gesicht und ließ den Schopf wieder los. Thomas keuchte leise und leckte sich das Blut von der aufgeplatzten Lippe.

“Und nun leg dich komplett auf den Boden mit dem Gesicht zur Erde”, forderte er seinen Gefangenen auf.

Thomas gehorchte diesmal sofort. Und gleichzeitig kam ihm in den Sinn, dass er im Prinzip genauso damals mit Jeremiah verfahren war. Als sie auf der Flucht mit dem Jeep nicht mehr weiterkamen, hatten sie sich über die weitere Vorgehensweise gestritten, und schließlich war Jerry so genervt gewesen, dass er Thomas an die Behörden ausliefern wollte.

In gewisser Weise geschieht mir das jetzt recht, dachte er, Jeremiah hat mir geholfen und sich derart für mich eingesetzt, sich in Lebensgefahr gebracht, seine Existenz geopfert für den damals noch verhassten Bruder. Und zum Dank dafür nimmt der ihn gefangen und behandelt ihn ebenso selbstherrlich wieder dieser Drogenbaron.

Ramírez stellte nun seinen Fuß auf den Nacken des Bundesrichters und fuhr fort: “Vielleicht weißt du noch aus der Kirche, was Gott, der Herr, mit der Schlange machte, weil sie den Menschen verführt hatte, von dem verbotenen Baum zu essen. Sie sollte Staub fressen und auf dem Bauch kriechen, und zwar ihr Leben lang (Liebe Leserin, lieber Leser: Dieser Roman war ursprünglich nur als gedrucktes Buch veröffentlicht und enthielt eine Anzahl von Fußnoten. Weil das bei einem e-book aus technischen Gründen nicht funktioniert, erscheinen die Informationen jetzt in Klammern hinter dem Fließtext. Dies ist der Inhalt der ersten Fußnote: Die Bibel, Altes Testament (AT), 1. Mose, Kap. 3, Vers 14. Sehr interessant der Gesamtzusammenhang des ganzen Kapitels 3, das ist die Geschichte vom Sündenfall.) Nun, das ist mir in Bezug auf dich ein wenig zu aufwendig, zumal ich noch etwas anderes mit dir vorhabe. Aber ich will, dass du mal einen kleinen Eindruck davon bekommst, wie das ist, wenn man auf dem Bauch liegt und Dreck frisst. Los, fang an!”

Thomas glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Das meinte der doch nicht im Ernst! Völlig irritiert schielte er Miguel von unten herauf an.

Aber der Kolumbianer fauchte ihn nur an: “Na, wird’s bald?!!”

Also biss Thomas wirklich in den Lehmboden vor sich.

“Schön kauen und runterschlucken”, kommentierte Miguel die Bemühungen seines Feindes.

Ich glaube, das hier vermittelt mir einen Eindruck davon, wie man sich fühlt, wenn man in der Gosse liegt, dachte Thomas. Man empfindet sich nicht mehr als Mensch, sondern nur noch als ein Stück Abfall.

Aber jetzt konnte der eine Gefangene, der eben über die Stränge geschlagen war, sich nicht mehr beherrschen. Vor lauter Entsetzen stieß er reflexartig aus: “Oh mein Gott! Das darf nicht wahr sein.”

Ramírez fuhr wie ein Tiger herum und fauchte den Gefangenen an: “Dr. Pérez Zambrano, ich kann durchaus verstehen, dass Sie sich als ein Berufskollege Dr. McNamara sehr verbunden fühlen, aber für einen Akademiker sind Sie wirklich sehr vergesslich. Ich denke, zwei Tage Nahrungsentzug wirken da Wunder.”

Dann aber widmete er seine Aufmerksamkeit wieder ganz dem Amerikaner.

“So, ich finde, das reicht erst mal”, meinte Miguel, “ich will ja nicht, dass Sie sich überessen.”

Damit nahm er seinen Fuß von Thomas’ Nacken herunter und befahl ihm aufzustehen. Der Bundesrichter rappelte sich mühsam hoch.

“Okay, dann sehen wir uns erst ein anderes Mal wieder”, befand Miguel hämisch grinsend, “hasta luego, Dr. McNamara.”

Und zu Jaime gewandt fuhr er fort: “Stecken Sie ihn zu Zambrano in die Hütte. Fesseln Sie ihn so, dass er die Gitterstäbe im Rücken hat und fixieren Sie auch seinen Hals daran. Er bleibt bis morgen Abend so sitzen und bekommt weder Essen noch Trinken. Wenn jemand mit ihm spricht, werden Sie denjenigen auspeitschen. Zwanzig Hiebe. Die Vorgabe gilt bis morgen Abend, wenn die Männer von der Mine zurück sind. Ich denke, länger kann sich unser Richter Zambrano nicht zurückhalten, und ich möchte doch nicht, dass ihm das Herzchen blutet.”

Am liebsten hätte Pérez Zambrano die Bemerkung des Drogenbarons noch kommentiert, aber er wusste, dass er sich schon viel zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Und deshalb gab er sich eingeschüchtert.

“Gut, dann wäre ja alles geklärt”, fand Miguel und blickte seine Handlanger forschend an, “somit kann ich mich wieder anderen Aufgaben widmen. Wenn irgendetwas sein sollte, wissen Sie ja, wie Sie mich errei­chen, Jaime. Machen Sie Ihre Aufgabe gut! Sie wissen, dass ich gute Arbeit belohne und schlech­te bestrafe.”

Der Preis der Wahrheit

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