Читать книгу Der Preis der Wahrheit - Stefanie Hauck - Страница 8

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Was Thomas allerdings anging, so konnte der nun wirklich nicht schlafen. Er verspürte nämlich nicht nur sehr intensiv den Sonnenbrand, sondern hatte zudem höllische Kopf­schmerzen von dem Sonnenstich, den er bekommen hatte. Und mal abgesehen davon fühlte er sich auch insgesamt sehr unwohl, weil er nackt im Bett lag. Zum einen hatte es ihm nie gefallen, ohne Schlafanzug im Bett zu liegen. Und zum anderen empfand er es als doppelt bedrohlich, nackt gefesselt zu sein, weil Kleidung für ihn zumindest psychologisch einen Schutz darstellte.

Oh Gott, dachte Thomas, Gott, was habe ich getan, dass du mich in so eine Situation kommen lässt? Damals, als Lisa mir das Band aus der einsamen Villa vorgespielt hat, habe ich dir dafür gedankt, dass mir diese Leiden alle erspart geblieben sind und nun? Okay, ich bin nicht in einem “Privat”-Kerker unter der Erde eingesperrt, an dessen Tür ein feines Messingschild mit meinem Namen angebracht ist. Aber wenn ich mir überlege, dass dieser Mistkerl sozusagen unter freiem Himmel schon so selbstsicher Leute misshandelt und demütigt und das alles dokumentiert, würde es mich nicht wundern, wenn das mit dem Verlies bald auch noch drankäme. Gott warum? Ist das die Strafe dafür, dass ich jahrelang andere Menschen tyrannisiert habe, auch wenn diese mir vergeben haben? Gott, ich habe solche Angst, sie schnürt mir fast die Kehle zu. Was wird dieser Mistkerl alles mit mir anstellen?! Und ich kann mich noch nicht einmal wehren! Das Beweismaterial, das ich immer als Lebensversicherung angesehen habe, ist gar keine Lebensversicherung, denn Miguel hat ja deutlich gesagt, dass nur jemand sein nettes kleines Familienunternehmen derart ins Wanken bringen konnte, der detaillierte Kennt­nisse darüber hatte. Und die habe ich allerdings. Jetzt wird mir auch klar, warum Ramírez alles auf Video aufgenommen hat. Das ist seine Rückversicherung, falls ihm jemand vorwerfen will, dass er mich verschleppt hat. Natürlich hat er mich verschleppt, aber er kann dann immer behaupten, dass ich ein Doppelleben geführt habe und er sich an mir rächen will. Und da wird die Polizei keinen Finger mehr krumm machen, um mir zu helfen oder mich herauszuhauen. Wie praktisch, wenn ein Verbrecher seinen Konkurrenten erledigt. Oh mein Gott, das ist ja noch tausendmal schrecklicher als damals dieser Horrortrip durch den Dschungel. Damals war Jeremiah wenigstens dabei, wir waren in gewisser Weise freie Männer, wir konnten noch was machen. Aber hier kann ich gar nichts mehr machen. Ich gehöre wirklich diesem Schweinehund. Mein Leben ist ganz und gar in seiner Hand. Und dabei dachte ich immer, Gott, dass mein Leben in deiner Hand ist. Das haben sie uns jedenfalls in der Sonntagschule erzählt und später auch in den Predigten im Gottesdienst. In dieser Situation kommt mir das wie ein Hohn vor, und ich frage mich, aus welchem Grunde du mich fallengelassen hast, Gott. Ja, nicht nur fallengelassen, sondern ganz verlassen. Wie gottverlassen muss sich Jeremiah oft gefühlt haben, wo sein Vorname obendrein noch “Gott hat ihn verlassen” bedeutet. Nun gut, Lisa hat gesagt, die Bedeutung des Namens Jeremiah ist nicht eindeutig zu klären, es könnte auch “Gott hat ihn aufgerichtet und zu Ehren gebracht” bedeuten. Und Jeremiah wurde aufgerichtet... aber von wem? Ich hätte normalerweise immer gesagt, von dir, Gott. Oder war das nur ein schöner Zufall? Alles nur Zufall, dass wir Lisa getroffen haben, alles Zufall, dass Leo die Idee hatte, dass Lisa mit uns nach Deutschland reisen sollte und die Lage in den Staaten peilen. Das war nämlich sehr selbstlos von ihm. Ich wette zehn zu eins, dass Leo total verknallt war in Lisa. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass die nicht ein Paar waren. Und ich glaube auch, dass Lisa ihn ebenfalls sehr nett fand. Na, wie dem auch sei, war es nur ein Zufall, dass Lisa uns die Plätze für die Überfahrt nach Amerika klarmachen konnte und wir später nicht entdeckt wurden, als wir bei Tante Laetitia untergetaucht sind? Alles nur Zufall, dass Leo nachher die Idee gekommen ist, welcher Satz hinter dem Passwort steckte und dass er es obendrein fast geknackt hat? Und war es nur ein Glücksfall, dass die Leute mir vergeben haben? Irgendwie kann ich das immer noch nicht verstehen, dass sie dazu fähig waren, wo ich sie über eine so lange Zeit hinweg derart schreck­lich tyrannisiert habe. Miguel hat gesagt, dass jeder, der sich mit ihm anlegt, dafür bezahlen muss. Und fast kommt es mir vor, als wäre heute nicht nur Zahltag für mich ihm gegenüber, sondern auch dir gegenüber, Gott. Es erscheint mir, als würdest du mich zur Rechenschaft ziehen für all das, was ich anderen angetan habe, wenn auch nicht aus derart niederen Motiven wie dieser Drogenbaron. Oh Gott, ich darf gar nicht darüber nachdenken, was der Kolumbianer noch mit mir anstellen wird, wenn er sich an mir rächen will. Das wird die Hölle auf Erden, das wird so furchtbar sein, dass ich wünschte, ich würde lieber sterben und einfach nicht mehr da sein.

Für einen Moment schloss Thomas voller Grauen die Augen und wandte dann seinen Blick einem kleinen Fenster zu, das neben seinem Bett war. Ganz in der äußersten Ecke sah er einen Stern, von dem er fast den Eindruck hatte, er hätte genau in dem Moment geblinkt, als er ihn wahrgenommen hatte.

Als hätte er mir zugezwinkert, dachte Thomas, genauso sah der Stern aus.

Aber dann fiel ihm noch etwas anderes ein.

Was wohl meine Familie und meine Freunde machen? fragte er sich, und meine Kollegen, sowohl die in Washington als auch die ehemaligen in New York? Hoffentlich tut Ramírez denen nicht ebenfalls etwas Schlimmes an.

Thomas wurde ganz schlecht bei dem Gedanken und das, obwohl es ihm selbst schon dreckig ging.

Allerdings wurde ihm sofort klar, dass Miguel Leuten aus seinem Umfeld deshalb nichts antun würde, weil das Argument mit dem Doppelleben dann nicht mehr funktionierte.

Ramírez weiß, dass ich detaillierte Kenntnisse über seine Organisation habe, dachte der Bundesrichter, das war und ist für ihn ein Schock. Die Behörden in den Staaten haben die Version mit der Versöhnung mit Jeremiah geschluckt, und den Besuch in dem Immobilienbüro konnte ich damit erklären, dass einige Leute in meinem Bekanntenkreis mich aufgefordert hatten, sich mal zu erkundigen, weil sie vielleicht etwas Geld investieren wollten. Da kam ihnen mein Versöhnungsversuch gerade recht. Das mit der privaten Erkundigung war gelogen, weil ich in Wirklichkeit ein letztes Beweismittel dort besorgen wollte. Falls die Polizei weiter nachgeforscht hätte, hätten Martin und Philip mich gedeckt. Es hat aber niemand weiter recherchiert, weil es eh schon peinlich genug war, dass man das mit dem Doppelleben geglaubt hatte. Die Behörden haben ferner den Unfrieden in Miguels kleinem “Familienunternehmen” als interne Fehde interpretiert, was wir ja auch so arrangiert hatten. Für die Polizei war demnach alles geklärt, aber für Miguel bestand eine Menge Klärungsbedarf! Der Verantwortliche für diese Krise konnte nur einer sein, und das war Thomas McNamara. Deshalb musste Miguel mich auch unbedingt einkassieren. Denn mal ganz abgesehen von der maßlosen Wut, die er auf mich hat, könnte ich ja jederzeit und unvermutet wieder zuschlagen. Was für eine Demütigung und was für ein entsetzliches Risiko. Ich frage mich, warum mir das nicht schon lange klar war, dass Ramírez es mit der Versöhnungsgeschichte nicht auf sich beruhen lassen würde. Vielleicht wollte ich es auch nicht wahrhaben oder ich dachte, er würde das mit der Versöhnung schon deshalb glauben, weil wir das Dossier gar nicht ins Spiel gebracht hatten und hernach die Unruhe in seiner Organisation auch aufhörte, als ich meine Unschuld beweisen konnte. Tja, das Dossier. Es ist mein Verderben, weil es Miguels Behauptung untermauert, ich hätte ihn vom Thron stürzen wol­len. Ironischerweise stimmt das im Grunde sogar, nur dass ich nicht seine Position in der Organisation einnehmen, sondern ihn zur Beute haben und ins Gefängnis stecken wollte.

Irgendwann wurde Thomas dann aber doch so müde, dass er einschlief. Am nächsten Morgen begann er allerdings schon zu fiebern, und seine Temperatur stieg auf über 39°C an. Diego, der direkt morgens um 7.00 Uhr bei seinem Patienten Fieber gemessen hatte, verabreichte ihm ein starkes Antibiotikum. Anschließend befahl er der Krankenschwester, am Bett des Amerikaners Wache zu halten und ihn sofort zu informieren, wenn irgendetwas Außergewöhnliches sein sollte. Schließlich wusste er genau, dass Miguel seinen Gefangenen lebend brauchte.

Der Preis der Wahrheit

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