Читать книгу Der Preis der Wahrheit - Stefanie Hauck - Страница 7

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Lisa war todmüde, als sie nach Hause kam. Der Tag in der Klinik war unheimlich anstrengend gewesen, und sie war jetzt einfach nur genervt. Die Ärztin ließ sich erschöpft auf ihr gemütliches Sofa im Wohnzimmer fallen, nachdem sie sich ein Glas Rotwein eingeschenkt hatte und schaltete den Fernseher an.

Einfach nur noch abhängen, dachte sie, wie gut, dass ich keinen Bereitschaftsdienst habe. Ich bin nämlich für nichts mehr zu gebrauchen. Und damit mich auf keinen Fall noch jemand erreichen kann, schalte ich mein Telefon und mein Handy aus.

Der Rotwein und der Fernseher taten ihre Wirkung. Nach kurzer Zeit war Lisa auf dem Sofa eingeschlafen. Dementsprechend erschrocken fuhr sie hoch, weil sie sich im Schlaf herumgedreht hatte und dabei vom Sofa auf den Fußboden plumpste. Sie brauchte einige Sekunden, um sich darüber klar zu werden, was geschehen war.

“Oh Mann”, murmelte sie genervt und rieb sich die schmerzende Stelle am Hinterkopf, “du wärst mal lieber direkt ins Bett gegangen, Lisa Rein­hards.”

Also rappelte sie sich hoch und brachte zuerst die Flasche und das Glas in die Küche, weil sie wenigstens noch die Spätnachrichten sehen wollte, und die kamen gleich. Aber es gab keine besonderen Meldungen. Deshalb legte sie die Decke vom Sofa zusammen, ließ die Rolladen herunter und griff nach der Fernbedienung, um den Fernseher auszuschalten. Nur gerade in diesem Moment kam noch eine aktuelle Nachricht herein. Der Moderator, der sie ankündigte, sah ziemlich geschockt aus. Das irritierte Lisa, weil diese Leute ständig schlechte Nachrichten bekannt geben mussten. Aber im nächsten Augenblick verstand sie, was den Moderator aufgewühlt hatte.

“Oh mein Gott!”, stöhnte Lisa voller Entsetzen, “ich wünschte, das wäre nur ein Alptraum, obwohl es wirklich einer ist!”

Denn bei dieser Meldung handelte es sich um das Video, das Caín von Thomas’ Entführung und Behandlung durch Miguel hatte aufzeichnen lassen. Lisa stand wie versteinert vor ihrem Fernsehgerät, und genau wie ihren Freunden in den USA und in Venezuela blieb ihr fast das Herz stehen, als sie sah, was Miguel mit Thomas alles anstellte. Aber was der Sache die Krone aufsetzte, war der Abspann. Als die Aufnahme damit endete, dass Thomas ins Bett gelegt wurde, wurde der Text “Fortsetzung folgt” eingeblendet.

Lisa schaltete wie in Trance den Fernseher aus. Sie war wie betäubt, hatte das Gefühl, nicht mehr denken zu können, in ihrem Kopf drehte sich alles. Schließlich ging sie in die Küche, nahm eine Schlaftablette ein und legte sich ins Bett, weil sie am nächsten Morgen ja wieder fit sein musste. Trotzdem konnte sie nicht richtig schlafen und wenn sie doch einnickte, hatte sie schreck­liche Alpträume. Gegen 5.00 Uhr morgens erwachte sie und war völlig fertig.

Ich brauche jetzt jemandem, mit dem ich über diese Sache reden kann, dachte sie. Weil niemand erfahren darf, dass ich Thomas persönlich kenne, da die Drogenmafia mich dann auch einkassieren wird, gibt es nur zwei Leute, die ich deshalb kontaktieren kann. Und das sind Christina und Leo. Christina hat gerade Bereitschaftsdienst, die kann ich also nicht anrufen. Bleibt nur noch Leo. Ich muss mit ihm reden, sonst werde ich verrückt.

Also schaltete sie ihr Handy ein, weil sie sich einbildete, dass man damit am wenigstens nachvollziehen konnte, wen sie angerufen hatte und bekam fast einen Herzinfarkt, als ihr eine Flut von Anrufen auf der Mailbox angezeigt wurde. Es handelte sich dabei allerdings immer nur um drei Nummern, und zwar die von Martha, Laetitia und Leo. Zunächst lauteten alle Nachrichten immer nur, sie solle sie dringendst zurückrufen, es hätte oberste Priorität, wenn nein, könnte noch eine Katastrophe geschehen. Später zeigte das Handy aber nur noch ‘Anruf ohne Nachricht’ auf der Mailbox an.

Weil sie der Meinung war, dass es das Beste wäre, Leo zu kontaktieren, rief sie ihn umgehend zurück.

“Leo, was um alles in der Welt ist passiert?!”, stieß sie wie gehetzt hervor.

“Gott sei Lob und Dank, dass du dich endlich meldest!”, befand Leo erleichtert, “Lisa, Thomas ist von Miguel Ramí­rez...”

Aber da wurde er von der Ärztin direkt unterbrochen.

“Du weißt es also auch!”, stöhnte die Deutsche.

“Ja, es kam hier gestern Abend in den Nachrichten. Allerdings hatte mich Martha schon am frühen Nachmittag infor­miert.”

Und dann erzählte der Pilot ihr alles, was die Juristin ihm mitgeteilt hatte.

“Wir sind so lange nicht in Gefahr, wie Thomas dicht hält”, schloss Leo, “allerdings dürfen wir uns auch nichts anmerken lassen. Ferner besteht meiner Meinung nach eine kleine Beruhigung für uns darin, dass Miguel wohl zunächst auch nicht versuchen wird, jemand aus Thomas’ Umfeld zu entführen, weil dann das Argument mit dem Doppelleben nicht mehr schlüs­sig ist. Und außerdem will Ramírez sich erst mal an Thomas rächen. Was hat dieser Verbrecher nur für ein angekratztes Ehrgefühl, dass er zuerst einmal seinen Gegner derart vorführen will. Gleichzeitig ist es aber auch ziemlich clever, mit Thomas so zu verfahren und alles obendrein noch zu veröffentlichen. Schließlich könnte das Thomas’ Verbündete auf den Plan rufen, so dass die versuchen würden, ihn zu befreien.”

Lisa stöhnte nur noch mehr.

“Und verplappere dich nicht”, fügte Leo an, “wenn du mit anderen Leuten über dieses Video sprichst so wie damals bei Peter Myers.”

“Ja, klar Leo, ich werd’s mir merken”, seufzte Lisa.

Es entstand eine Pause.

Schließlich nahm Lisa das Gespräch nochmal auf.

“Leo”, setzte sie an, “Leo, kannst du jetzt verstehen, warum ich damals nicht sofort nach Südamerika zurückkommen wollte? Weißt du, der Boden ist mir dort einfach zu heiß. Ich bin nicht mehr sicher. Die könnten mich schneller einkassieren, als ich ‘papp’ sagen kann.”

“Hm, ich verstehe es, und dann auch wieder nicht”, erwiderte Leo ruhig, “weißt du, ich verstehe deine Angst. Aber wenn diese Leute dich entführen wollen, dann bist du vor denen nirgendwo sicher. Thomas wurde ja von seinem Arbeitsplatz weg verschleppt, und diese Entführung wurde sogar noch auf Video aufgezeichnet. Das ist derart dreist und zeugt von einer unglaublichen Selbstsicherheit und Kaltschnäuzigkeit, sowas habe ich noch nie erlebt.”

“Auch wieder wahr”, seufzte die Ärztin.

Die beiden schwiegen eine Weile. Dann aber meinte Leo: “Lisa, ich möchte, dass du weißt, dass ich für dich da bin, wenn du mich brauchst. Dennoch bitte ich dich, extrem vorsichtig zu sein, falls du mich anrufst. Es darf uns niemand belauschen. Wenn du mich also kontaktierst, dann frag zuerst, ob ich frei sprechen kann. Dann kann ich ja oder nein sagen. Sollte ich nein sagen, legst du sofort auf. Ich werde dann ein wenig so tun, als wenn ich noch telefoniere, damit niemand Verdacht schöpft. Alles klar?”

“Ja, das ist wirklich sehr clever von dir.”

“Ruf ferner auf keinen Fall Martha an, sondern Tante Laetitia und vermittele ihr durch die Blume, dass du Bescheid weißt. Wenn du sie kontaktierst, kannst du es so erscheinen lassen, als wenn du dich mal wieder bei ihr melden und erzählen willst, wie es dir so geht.”

“Hm.”

“Lisa, du bedeutest mir sehr viel”, befand der Venezolaner, “es ist schon schlimm genug, was Thomas zugestoßen ist. Aber ich will nicht, dass du auch noch unter die Räder kommst. Das würde mir das Herz brechen.”

“Danke Leo”, erwiderte die Ärztin, “ich danke dir für alles. Du bist echt der beste Freund, den ich habe.”

“Das freut mich”, fand er, “und geh bitte zur Arbeit. Das lenkt nämlich am besten ab.”

“Na klar, das mache ich. Heute werde ich mich allerdings krank melden. Ich bin so fertig, dass ich mich nur sehr schwer konzentrieren kann und dann mache ich Fehler. Okay, dann bis bald, Leo, und nochmals danke, dass ich auf dich zählen kann.”

“Klar, das ist doch selbstverständlich.”

“Okay, mach’s gut.”

Damit legte Lisa auf.

Leo sah seinerseits auf das Display seines Handys und dachte ein wenig missmutig: Wenn ich der beste Freund bin, den sie hat, warum ist sie dann nicht sofort zu mir zurückgekommen?! Das Argument mit dem zu heißen Boden ist ja jetzt definitiv hinfällig, das hat sie sogar selbst eingesehen. Oh diese elenden McNamaras! Wenn die mir damals nicht in die Quere gekommen wären, dann könnten Lisa und ich jetzt theoretisch schon verheiratet sein. Ich wollte ihr genau an dem Tag meine Liebe erklären, als wir zum ersten Mal diese Amerikaner getroffen haben. Und dann ging alles so schnell. Aber wahrscheinlich bin ich für sie eh nur ein Kumpel, und sie ist dort in Hamburg schon mit einem von ihren Kollegen liiert. Wer kümmert sich da noch um einen Taxipiloten im venezolanischen Dschungel! Warum habe ich Idiot nur so lange gewartet mit meiner Liebeserklärung!

Der Preis der Wahrheit

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