Читать книгу Der Preis der Wahrheit - Stefanie Hauck - Страница 5

Kapitel

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“Er gehört dir!”

Es entstand eine Pause, keiner der Männer sagte ein Wort. Die Stille war für den gefesselten Thomas, der zudem noch eine Augenbinde trug, fast unerträglich. Diese Aussage von Caín, “er gehört dir”, brachte ihn beinahe um den Verstand.

Was für ein entsetzlicher Gedanke! fuhr es ihm durch den Kopf, mein Leben gehört einem anderen Menschen, ja, mein Leben ist in seiner Hand. Und dieser Jemand führt nun wahrhaftig nichts Gutes mit mir im Schilde.

Aber dann vernahm Thomas Schritte. Dieser Jemand ging einmal um ihn herum, und dann blieb er wohl vor ihm stehen. Plötzlich packte der ihn am Kinn und riss ihm ruckartig die Augenbinde herunter.

“Buenas dias, Dr. McNamara, wie schön, dass wir uns doch noch treffen können, wo uns die Polizei damals einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.”

Thomas sagte nichts, sondern schloss nur für einen Moment voller Grauen die Augen, denn sein “Gastgeber” war Miguel Ramírez.

Auch wenn es total bescheuert ist, bis zum letzten Moment zu hoffen, dass dieser Caín mich nicht zu seinem Boss bringt, dachte Thomas, so ist diese Gewissheit jetzt trotzdem absolut entsetzlich.

“Wieso sind Sie denn so unhöflich und sagen mir nicht auch ‘Guten Tag’?”, horchte Ramírez nach und ließ Thomas’ Kinn los.

“Buenas dias”, entgegnete Thomas abwartend und fügte auf Englisch an, dass das einige der wenigen Brocken Spanisch wären, die er beherrschte.

“Nun, das stört mich überhaupt nicht, dass Sie nicht mehr Spanisch beherrschen. Aber es gibt da etwas anderes, was Sie sehr gut beherrschen, und das stört mich gewaltig. Ich denke, wir beide wissen, was ich meine.”

Thomas schwieg.

Es entstand eine Pause. Miguel musterte seinen Gegner und legte den Kopf auf die Seite. Danach aber fuhr er plötzlich nach vorn, packte den Bundesrichter erneut unsanft am Kinn und sah ihm frontal in die Augen.

“Du mieses dreckiges Arschloch”, fauchte er ihn mit zusammengekniffenen Augen an, “hast versucht, mich hereinzulegen. Dein fettes Juristengehalt und deine Provision aus dem Handel mit diesem sehr wertvollen landwirtschaftlichen Produkt haben dir ja nicht gereicht. Nein, der Herr Dr. McNamara wollte die Nummer eins sein. Und dazu fährt der liebe Thomas nach Venezuela, um sich seinen Busenfreund Miguel persönlich zur Brust zu nehmen. Das Ganze wird dann noch gut getarnt als Versöhnungsaktion mit dem kleinen Bruder. Wie rührend. Und das haben die Trottel in New York dir auch noch geglaubt. Sogar befördert haben sie dich, wie charmant. Jetzt ist der Herr Dr. McNamara sogar Bundesrichter, was für ein ehrenvoller Job und obendrein unkündbar, weil man ihn auf Lebenszeit innehat. Ein Schweinehund mit Doppelleben auf dem Juristenthron Amerikas. Was für Hohn! Aber eins sage ich dir, Dr. Bundesrichter, ich habe auch einen Job für dich, den du auf Lebenszeit innehaben wirst, und zwar als mein Gefangener. Das ist noch viel interessanter, als in einem eurer Gefängnisse zu stecken, weil aufregender und überraschender.”

Thomas schwieg auch weiterhin, weil er es für sinnlos hielt, diesem Mann hier irgendetwas zu entgegnen. Egal, was er sagen würde, es wäre immer verkehrt.

“Und hat der Herr Doktor auch was dazu zu sagen?”, forschte Miguel lauernd nach.

“Wir beide wissen ganz genau, dass wir keine Freunde sind und es ferner nie waren”, erwiderte Thomas, “nur beweisen kann ich das nicht. Was für ein genialer Schachzug von dir, Ramírez. Denn selbst wenn jemandem aufgefallen sein sollte, dass ich entführt wurde, so wirst du immer behaupten können, dass du dich an mir rächen wolltest, weil ich vorhatte, deine Position in der Organisation einzunehmen.”

“Messerscharf geschlossen, McNamara, ich will mich dafür an dir rächen, dass du es beinahe geschafft hättest, mich auszuschalten. Niemand hat jemals zuvor mein kleines Imperium derart ins Wanken gebracht wie du. Wer anderes als ein enger Vertrauter hätte derart detaillierte Kenntnisse darüber haben können. Wir waren das perfekte Team. Noch nicht einmal Caín hatte ich dieses Geheimnis anvertraut, um ja kein Risiko einzugehen. Deshalb ist es logisch, dass er bei diesem Treffen mit Roy und Max in der einsamen Villa behauptet hat, ich sei dein Feind und hätte dich hereingelegt, indem ich dir bei deinem Besuch in Venezuela diesen Brief untergeschoben habe, wo ich behaupte, wir hätten dort ein persönliches Treffen vereinbart. Leider konntest du sowohl der Polizei als auch meinen Leuten entwischen. Denn keiner hatte damit gerechnet, dass dein Bruder Jeremiah, mit dem du im Streit lebtest, dich bei deiner Verhaftung heraushauen und mit dir durch den Dschungel fliehen würde. Dort verlor sich dann eure Spur, und es hieß, ihr wärt umgekommen.”

“Was macht dich so sicher, dass ich hinter dem ganzen Chaos in deiner Organisation stecke?”, befand Thomas verärgert.

“Das Chaos in meiner Organisation begann zu einer Zeit, als es theoretisch möglich war, dass du auf verschlungenen Wegen zurück in die Staaten gekommen warst”, entgegnete Miguel, “Caín hatte das schon ganz richtig eingestuft, dass man eigentlich nicht sicher sein konnte, dass du wirklich tot warst. Denn man hatte ja keine Leichen gefunden. Und das Chaos hörte schlagartig in dem Moment auf, als es diesen Mitschnitt der Unterhaltung von Caín mit Roy und Max in der einsamen Villa gab. Dass der erst gut vier Wochen später an die Öffentlichkeit kam, tut nichts zur Sache oder besser gesagt, es verstärkt meine Vermutung noch. Als du offiziell beweisen konntest, dass man dich hereingelegt hatte, brauchtest du keine Verwirrung mehr zu stiften. Für die Behörden war damit die Sache vom Tisch, nur für mich nicht. Du hättest nämlich jederzeit unvermutet und plötzlich wieder zuschlagen können...”

“Was aber nicht geschah!”, fuhr der Bundesrichter seinem Gegenüber dazwischen, “warum regst du dich dermaßen auf?! Denn dir ist doch nichts passiert!”

“Ach, jetzt machst du mir noch Vorwürfe?!”, fauchte der Drogenbaron, “ich soll mich wohl dafür entschuldigen, dass ich dieses kleine Treffen arrangiert habe, frei nach dem Motto ‘Oh Verzeihung, Dr. McNamara, da hab ich mich leider geirrt, ist mir ehrlich unangenehm. Natürlich können Sie sofort gehen.’ Ich sag dir jetzt mal was, du Mistkerl, und zwar, dass du einen perfekt ausgetüftelten Plan hattest. Dass ich dir dazwischenfunken konnte, war ein absoluter Glücksfall. Die Tatsache, dass du nach deiner Rehabilitierung nicht umgehend wieder aktiv geworden bist, würde ich mal so interpretieren, dass du zuerst Bundesrichter werden wolltest, damit du auch da die Nummer eins bist. Dann konntest du an dem Projekt ‘Miguel vernichten’ in Ruhe weiterarbeiten. Nur ein enger Vertrauter hätte solch umfassende Informationen über meine Organisation haben können. Um an die Konten zu kommen und diese zu manipulieren, musste man Punkt eins die Nummern und die Banken kennen. Aber was noch viel schwieriger herauszukriegen war, das war das Passwort. Ein Fremder hätte es niemals entschlüsseln können, weil ein bestimmter Satz dahinter steckte, der wiederum einen Zahlencode verschlüsselte. Und erzähl mir nicht, du hättest alle diese Sachen recherchiert und den Code geknackt.”

“Nein, das habe ich nicht”, bestätigte Thomas und musste sich schwer beherrschen, um nicht zu grinsen, auch wenn seine Situation so hoffnungslos war. Aber bei dem Gedanken, dass das mal wieder eine ungelogene Aussage war, die den Gegner auf die falsche Fährte führte, hatte er schon seinen Spaß.

Natürlich habe ich das nicht herausgekriegt, dachte er, sondern Peter hat die Recherchearbeit geleistet, Leo ist auf den entsprechenden Satz gekommen, er und Jeremiah haben den Code geknackt, und Cedric hat dann die Konten manipuliert. Das war wirklich übermenschlich, nämlich göttlich, und das sehe ich immer noch so, dass wir darin Gottes Hilfe erfahren haben. Allerdings war ich leider auch ein totaler Idiot, indem ich meinte, das Dossier wäre so eine Art Lebensversicherung. Im Gegenteil, es ist mein Verderben, weil ich dadurch furchtbar in der Klemme sitze.

“Na also!”, fauchte Miguel den Bundesrichter an, “demnach bleibt dafür nur eine Erklärung übrig, und die lautet, dass wir Freunde waren und du Einblick in meine bzw. unsere Geschäfte hattest. Deshalb fange ich jetzt mit der Rache an, denn ich muss erst mal meine Aggressionen abbauen, damit ich nachts wieder entspannt schlafen kann. Später fahre ich dann mit dem Interview fort.”

Und zu den beiden Handlangern meinte: “Bringt ihn rüber in die Schmie­de, und legt ihn in Ketten.”

Die Männer packten Thomas umgehend und zerrten ihn hinaus. Als sie schon fast außer Hörweite waren, vernahm der Amerikaner noch, wie Miguel zu Caín sagte: “Und du trommelst die anderen Jungs zusammen. Sie sollen alle auf den Hof kommen und dabei zuschauen, wenn ich an McNamara ein Exempel statuiere.”

Während ihn die Männer zu der Schmiede schleppten, wusste Thomas nicht, wovor ihm mehr graute... in Ketten gelegt zu werden oder der Tatsache, dass Miguel ihn in Gegenwart der ganzen Truppe fertigmachen wollte.

Als der kleine Trupp an der Werkstatt ankam, beschlug der Schmied gerade ein Pferd. Weil er im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, blickte er kurz auf und murmelte: “Ich bin gleich fertig, bringt ihn schon mal rein.”

Also zerrten die Burschen Thomas in die Schmiede und warteten ungeduldig, bis der Handwerker endlich erschien. Währenddessen hatte der Amerikaner Gelegenheit, sich ein wenig umzuschauen. Die Wände waren weiß gestrichen. An der einen Seite hingen an Nägeln Hufeisen in verschiedenen Größen. Aber an der gegenüberliegenden Seite hingen Ketten in diversen Längen und runde Eisenteile, ähnlich Rohrringen, die man genau auf den Umfang eines Handgelenkes einstellen konnte.

“Dauert’s noch lange?!”, beschwerte sich schließlich einer der Handlanger, die Thomas festhielten.

Aber noch ehe der Schmied antworten konnte, hörten die drei Männer, wie Miguel gerade hinzukam, jenen anfauchte: “McNamara hat oberste Priorität, Fernando. Den Gaul kannst du auch später noch beschlagen!”

Umgehend erschienen der Drogenbaron und sein Untergebener in der Werkstatt. Miguel befahl dem Schmied, sich einen Stuhl zu nehmen und den vor dem Bundesrichter abzustellen, und zwar so, dass die Lehne auf jenen zeigte. Anschließend forderte er die beiden Handlanger auf, dem Amerikaner die Handschellen abzunehmen. Kaum von seinen Fesseln befreit, rieb sich Thomas ganz intuitiv die schmerzenden Handgelenke.

“Tja, die Dinger tun schon recht unangenehm weh”, befand Miguel mit gespielter Leidensmiene, “und deshalb habe ich mir gedacht, dass Sie wesentlich besser damit leben können, wenn Sie mit Ketten gefesselt sind, weil Sie dieses Gefühl doch von Ihren Oberhemden mit steifen Manschetten kennen.”

Anschließend wies er seinen Gefangenen an, sein elegantes Jackett und sein Oberhemd auszuziehen sowie Schuhe und Strüm­pfe.

“Die goldenen Manschettenknöpfe können Sie mir geben”, meinte Miguel mit mütterlichem Unterton, “die werden noch gebraucht.”

Thomas händigte sie ihm also aus, und der Drogenbaron steckte sie voller Genugtuung in seine Jackentasche. Die Bekleidung des Amerikaners ließ er anschließend in den Ofen der Werkstatt stecken und verbrennen.

“Und nun knien Sie sich bitte vor den Stuhl und legen die Arme über die Lehne”, befand Miguel, alldieweil er Fernando mit einer Kopfbewegung bedeutete, dass der anfangen sollte.

Thomas gehorchte aufs Wort und wartete nun angstvoll, was der Schmied mit ihm anstellen würde. Für einen Moment befürchtete er, dass man ihn mit glühenden Ketten fesseln würde. Aber dann verwarf er diesen Gedanken wieder, weil ihm einfiel, dass Miguel ihm ja noch einige Informationen entlocken wollte. Und glühende Eisen hätten ihn wahrscheinlich lebensgefährlich verletzt.

Fernando holte nun diverse Eisenringe von der Wand und kramte etwas aus einer Schublade hervor. Anschließend kam er auf Thomas zu und legte sein Material vor dem Gefangenen auf der Sitzfläche des Stuhls ab. Der Schmied nahm an den Handgelenken Maß, legte die Eisenringe darum und hakte ein Kettenglied mit einem Scharnier und einem kleinen Schloss ein. Dadurch hatte man die Möglichkeit, es ähnlich einem Vorhängeschloss zu öffnen und auf diese Weise ganz nach Belieben die Länge der Verbindungsketten zu regulieren

Als Fernando mit Thomas’ Händen fertig war, befahl er ihm aufzustehen, die Hände hinter den Kopf zu legen und den rechten Fuß auf die Sitzfläche des Stuhles zu stellen. Genau wie die Handgelenke fesselte er auch die Fußgelenke.

Miguel wies ihn nun an, dem Bundesrichter ziemlich lange Verbindungsketten anzulegen, so lang, dass sie fast an eine Schleppe erinnerten.

“Was für einen hübschen Schmuck Sie doch haben, Dr. McNamara”, meinte Miguel lächelnd und befahl ihm dann, mit den Händen hinter dem Kopf in den Hof hinauszugehen. Gleichzeitig sollten die beiden Handlanger die Ketten tragen.

“Damit Sie sich nicht darin verheddern, Dr. McNamara”, meinte Miguel fürsorglich, “auf geht’s.”

Im Hof hatten sich schon alle versammelt und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Die Handlanger postierten den Amerikaner nun in der Mitte zwischen zwei Holzpfählen und befestigten seine Fußketten ganz unten am Boden. Anschließend hakten sie ihm über Kopf die Verbindungsketten an seinen Händen so stramm an den Pfählen ein, dass Thomas sich wie ein Stück aufgespanntes Leder in der Sonne vorkam. Und fürwahr, die Sonne stach nur so vom strahlendblauen Himmel.

Dann aber trat Miguel vor seinen Gefangenen und sah ihm demonstrativ in die Augen.

“So, das hätten wir”, begann er, “dann können wir ja loslegen.

Anschließend wandte er sich ein wenig zur Seite und meinte: “Aber vorher möchte ich noch eine kleine Erklärung abgeben. Liebe Anwesende, was ihr gleich sehen werdet, ist nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, was jemandem blüht, wenn ich mich an ihm räche. Jeder, der sich gegen mich auflehnt, muss dafür bezahlen. Und für Dr. McNamara ist heute Zahltag.”

Dann trat er ein Stück zurück, damit einer seiner Männer besser an den Gefangenen herankam. Der zückte sein Messer und zerschnitt ihm das Unterhemd, um es ihm besser vom Leib zu reißen zu können. Genauso verfuhr er mit der Anzughose und der Unterhose. Zuletzt zog er ihm sogar den Ehering vom Finger, den er dann feierlich Miguel überreichte. Der steckte ihn mit sichtlicher Genugtuung in eine kleine Tasche seiner Weste. Danach wandte sich der Drogenbaron an seinen Gegner mit der Frage, wie der sich denn jetzt fühle. Thomas schwieg, obwohl er sein Gegenüber am liebsten mit den übelsten Schimpfworten überschüttet hätte, und gleichzeitig schämte er sich entsetzlich wegen seiner Nacktheit.

“Ich habe Sie was gefragt!”, fuhr Miguel ihn an, “also antworten Sie gefälligst!”

“Wie soll ich mich wohl fühlen”, knurrte Thomas, “total entwürdigt, beschissen, misshandelt, suchen Sie sich was aus.”

“Oh, misshandelt habe ich Sie noch nicht”, entgegnete Miguel, “aber wie ich sehe, haben Sie eine Menge Weitblick. Die Misshandlung kommt noch, verlassen Sie sich drauf. Und zwar werde ich Ihnen jetzt ein paar Peitschenhiebe verpassen, ich denke, zwanzig reichen für den Anfang. Schließlich muss es ja noch eine Steigerung geben.”

Anschließend händigte ihm einer seiner Leute eine Peitsche aus. Miguel begutachtete sie prüfend, wobei allen Anwesenden klar war, dass er Thomas dadurch zusätzlich schocken wollte. Schließlich ging er noch einmal mit hämischem Grinsen um seinen Gefangenen herum. Dann aber blieb er an dessen Rückseite stehen und holte zum Hieb aus. Thomas hatte die Zähne zusammengebissen, um ja nicht schon beim ersten Hieb zu schrei­en, aber leise keuchen musste er trotzdem und kniff vor Schmerz die Augen zu. So sauste die Peitsche nun wieder und wieder gnadenlos auf seinen Rücken nieder, während Miguel ihn mit allen möglichen unflätigen Schimpfworten überschüttete. An der Art, wie der Drogenbaron mit dem Bundesrichter verfuhr, merkte man, was für eine große Wut der auf jenen hatte. Fast konnte man meinen, mit jedem Hieb schlüge Miguel fester zu, er kam immer mehr in Rage. Spätestens ab dem zehnten Hieb half auch Zähne zusammenbeißen nichts mehr. Thomas schrie vor Schmerz ein ums andere Mal laut auf. Als Miguel endlich fertig war, keuchte nicht nur sein Gefangener, sondern er auch selbst. Der Drogenbaron hatte wirklich seine Aggressionen abgebaut, ja, er hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes abreagiert. Anschließend kam er wieder um Thomas herum und baute sich ihm gegenüber auf. Dem liefen die Tränen vor Schmerzen nur so übers Gesicht.

“Ja, es ist wirklich zum Heulen”, befand Miguel, “jetzt wissen Sie mal, wie es mir die ganze Zeit ergangen ist. Was für eine Quälerei. Aber das Eine schwöre ich Ihnen. Sie werden all die Qualen, die ich erlitten habe, auch erleiden.”

Nun konnte sich Thomas allerdings nicht mehr beherrschen.

“Du mieses, dreckiges Schwein!”, fuhr er den Kolumbianer an, “was weißt du schon von Qualen! Es geht bei dir doch nur um deinen gekränkten Stolz...”

Weiter kam er nicht, weil Miguel ihm frontal ins Gesicht schlug und ihn anzischte: “Noch ein Wort mehr, und ich werde dir auf der Vorderseite ebenfalls zwanzig Hiebe verpassen. Und damit du noch ein wenig Zeit zum Nachdenken hast, wie man sich mir gegenüber ordentlich benimmt, wirst du bis zum Einbruch der Dunkelheit hier festgemacht bleiben. Hasta luego, Dr. McNamara.”

Damit wandte er sich zum Gehen, und seine Leute verließen ebenfalls den Hof, um ihre täglichen Arbeiten wieder aufzunehmen. Thomas blieb also in der brennenden Sonne zurück, was auf seiner zu dieser Jahreszeit noch sehr blassen Haut recht schnell einen fürchterlichen Sonnenbrand verursachte. Durch die Wärme verlor er aber nicht so viel Körpertemperatur, weil er sonst nahezu lebensbedrohlich ausgekühlt wäre.

Und all diese ganzen Schweinereien hat der Kerl auf Video aufnehmen lassen, dachte Thomas, das schlägt dem Fass wirklich den Boden aus. Wie mächtig und selbstsicher muss sich dieser Mann fühlen, dass er die Dreistigkeit besitzt, seine Verbrechen zu dokumentieren. Der hält sich wahrscheinlich für Gott. Ich frage mich bloß, warum der das macht. Wer ist schon so verrückt, dass er sich mit solch einem Material selbst ans Messer liefert?!

Mal abgesehen davon, dass der Bundesrichter sich fühlte, als würde er in der Sonne geröstet, war die Stellung, in der Miguel ihn hatte fesseln lassen, extrem schmerzhaft und erschöpfte ihn sehr. Die zwei Stunden bis zum Abend schienen endlos zu sein. Zwischenzeitig fragte sich Thomas, ob es überhaupt noch mal Abend werden würde. Irgendwie war es ihm schon fast egal, dass die vorbeikommenden Männer ihn angafften und hämisch angrinsten, zum Teil noch einen sarkastischen Spruch auf den Lippen hatten. Hauptsache, er würde endlich aus dieser Haltung erlöst werden.

Aber dann wurde das Licht ziemlich rasch schwächer, weil sie sich in Äquatornähe befanden und die Dunkelheit hereinbrach. Rund um den Hof wurden Lampen angezündet, und in diesem Zuge erschien Miguel mit Caín und zwei Handlangern an der Seite, um Thomas loszumachen.

“Hola, Dr. McNamara”, meinte Miguel, “ich denke, es wird draußen ein wenig zu kalt für Sie. Das kann ich nicht verantworten, Sie nicht ins Haus zu holen. Jetzt kommen Sie rein in die gute Stube.”

Damit gab er den Handlangern einen Wink, den Gefangenen loszumachen. Thomas war so fertig, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Deshalb packten die beiden ihn unter den Armen, schlepp­ten ihn ins Haus und brachten ihn auf eine Art von medizinischer Versorgungsstation. Diego, Miguels Hausarzt, untersuchte den Amerikaner und winkte dann eine Krankenschwester herbei, die dessen Wunden am Rücken verbinden und ferner die gerötete Haut eincremen sollte. Nachdem Thomas versorgt worden war, verfrachteten die Handlanger ihn in ein Krankenbett, wie man es in Kliniken findet, legten ihn bäuchlings hinein und fixierten ihn daran.

“Wie geht es ihm?!”, erkundigte sich Miguel nun bei Diego.

“Er hat eine leichte Unterkühlung und wird eine ziemlich intensive Erkältung bekommen, vielleicht auch eine Lungenentzündung, aber das werde ich in den Griff kriegen. Machen Sie sich mal keine Sorgen deswegen. Die Wunden von den Peitschenhieben sind nicht sonderlich schlimm, die verheilen recht schnell.”

“Fein.”

Und zu Thomas gewandt fügte Ramírez hinzu: “Da sage noch einer, ich würde Sie nicht zuvorkommend behandeln, Dr. McNamara. Sie haben Ihr eigenes Bett und eine privatärztliche Versorgung. Also, werden Sie nicht zu krank, denn ich habe ja noch paar andere Sachen mit Ihnen vor.”

Der Amerikaner erwiderte nichts.

“In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch eine gute Nacht, Dr. McNamara”, befand Miguel grinsend, “und für den Rest der Welt gibt es jetzt ein bisschen Late-Night Reality-TV.”

Damit verließ der Drogenbaron das Zimmer und wies die Kranken­schwester an, Thomas’ restliche Kleidung mitzunehmen und zu entsorgen.

Miguel und Caín zogen sich nun ins Kaminzimmer zurück, um auf die gelungene Entführungsaktion anzustoßen und weitere Pläne zu schmieden. Ramírez goss seinem Stellvertreter und sich einen sehr teuren und seltenen Whisky ein und prostete ihm dann zu. Anschließend schüttete er ihn auf Ex herunter und stellte sein Glas demonstrativ vor sich auf dem Couchtisch ab.

“Das hast du wirklich gut gemacht, Caín”, eröffnete Miguel die Unterhaltung, “mein Kompliment. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein Genuss das für mich war, McNamara fertigmachen zu können.”

“Doch, in gewisser Weise kann ich mir das schon vorstellen”, entgegnete Caín, “und wenn ich bedenke, dass ich mich völlig unnötigerweise verplappert habe, dann könnte ich mich jetzt noch dafür ohrfeigen. Wie kann man nur so blöd sein und seinem Feind den Beweis seiner Unschuld auf Band sprechen. Ich wüsste nur zu gern, wer der Mittelsmann war, der das Gespräch aufgenommen hat. So ein Mist, dass dieser Philip unsere beiden Jungs überwältigen und töten konnte. Sonst hätten wir über den bestimmt etwas herausfinden können.”

“Nun, das ist doch inzwischen gar nicht mehr ausschlaggebend”, meinte Miguel lächelnd, “im Gegenteil. Wir haben den Herrn Doktor persönlich, was ich viel besser finde. Und glaub mir, der kennt alle Zusammenhänge, da brauchen wir uns nicht erst mit diesem Philip abzugeben, auch wenn der sein Vertrauter war. Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob Philip überhaupt irgendetwas wusste. Es ist zwar nur ein Bauchgefühl, aber ich habe den Eindruck, dass McNamara in seinem engsten Umfeld niemanden hatte, der von der Aktion wusste.”

Caín zog die Augenbrauen hoch und sah seinen Boss irritiert an.

“Die Behörden haben wirklich alles auf den Kopf gestellt, was in irgendeinem Zusammenhang mit dem Herrn Doktor stand und haben nichts gefunden, auch bei Philip Banks nicht. Alle in McNamaras Umfeld waren geschockt, als plötzlich die Hetzjagd auf ihn begann, weil man ihn den Freund eines Drogenbarons nannte. Diese Nachricht traf sie aus heiterem Himmel, sie waren völlig kopflos, was im Umkehrschluss bedeutet, dass es eine andere Verbindung geben musste, von der niemand weiß. Das ist eine satte Leistung, so etwas zu arrangieren und über eine wer weiß wie lange Zeit gemeinsam zu operieren.”

Miguel verzog grimmig den Mund und sah Caín dabei an. Der schnaufte verärgert und nickte.

“Und auch wenn ich zunächst ziemlich sauer auf dich war, weil du dich verplappert hast”, fügte der Drogenbaron an, “eröffnete sich dann in genialer Weise die Möglichkeit, dass wir uns den Herrn Doktor persönlich vorknöpfen können. Außerdem haben wir jetzt den Vorteil, dass die Amis nicht versuchen werden, ihren Bundesrichter zu befreien, weil er ja ein Doppelleben geführt hat. Und es gibt keine Möglichkeit, das zu widerlegen, es sei denn, ich sage, dass es eine Lüge war.”

“Und du meinst wirklich, dass die Behörden in Amerika nichts unternehmen werden, um ihren Juristen herauszuhauen?”, befand Caín ziemlich skeptisch, “schon allein deshalb, um ihm selbst den Prozess zu machen?!”

“Theoretisch ja”, entgegnete Miguel ruhig, “aber es wäre sehr aufwendig und risikoreich für die Staatsgewalt, McNamara zu befreien. Das könnte zu einem hübschen Politikum werden à la warum die eigenen Leute gefährden, wenn ein Verbrecher mit dem anderen abrechnet.”

“Hm.”

“Und außerdem muss ich mich eigentlich noch bei dir bedanken”, fügte der Drogenbaron an, “dass du McNamara in einer absolut dreisten Art und Weise einkassiert und verschleppt hast. Das ist richtig Balsam für meine Seele und schenkt mir eine wunderbare Beruhigung. Du hattest es mir zwar als kleine Wiedergutmachung für den Patzer mit dem Verplappern angeboten, sprich, du hast mir sein Leben für dein Leben geschenkt. Aber durch die dreiste Entführungsaktion hast du zum einen deine Cleverness bewiesen und zum anderen meine Ehre wieder hergestellt.”

“Gern geschehen”, meinte Caín lächelnd.

“Und noch eins muss ich dir lassen”, befand Miguel, “deine Idee, die Entführung auf Video aufnehmen, war genial. Wie hast du das nur hingekriegt, dass sogar schon die Szene, wo ihr aus dem Gericht he­rauskommt, aufgezeichnet wurde?”

“Ganz einfach”, erklärte Caín, “wir hatten noch einen Mann, der wie ein Tourist Aufnahmen machte. Weil niemand dachte, dass er uns filmt, fiel er gar nicht auf. Na ja, den Rest aufzunehmen, war ja einfach. Welche Szene gefällt dir denn am besten?!”

“Schwer zu sagen”, befand Miguel nachdenklich, “alles ist gut. Es freut mich nämlich am meisten, dass wir den ganzen Hergang komplett dokumentiert haben. Die Gesamtheit der Szenen verleiht der Sache eine gewisse Würze und flößt dem Betrachter mächtig Respekt ein.”

Caín nickte schmunzelnd und freute sich über das Kompliment.

“Schade nur”, befand er, “dass wir die entsetzten Gesichter der Zuschauer bei der ersten Folge von unserer Reality-Serie nicht sehen können.”

Der Preis der Wahrheit

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