Читать книгу Der Preis der Wahrheit - Stefanie Hauck - Страница 9

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“Ich wusste es! Ich habe es immer schon gewusst! Da sieht man es mal wieder!”

Jerry kochte, als er das Video gesehen hatte, auf dem Miguel Thomas im Hof fesseln und nackt ausziehen ließ, um ihn dann eigenhändig auszupeitschen.

“Gott ist ein mieser kleiner Opportunist und...”

“Jeremiah!”, fuhr ihm Maggie dazwischen, “versündige dich nicht!”

“Wieso?!”, erwiderte Jerry sarkastisch, “Tom behauptet, dass jede Sünde vergeben wird bis auf diese Sünde wider den Heiligen Geist oder wie sich das nennt. Von daher wird Gott doch wohl nicht nachtragend sein. Das heißt, wenn es ihn überhaupt gibt!”

“Solimár, das ist nicht witzig!”, beschwerte sich nun auch José, “ich verstehe ja, dass du entsetzt bist, wir alle sind geschockt. Aber deshalb musst du nicht Gott beschimpfen. Er kann nun wirklich nicht dafür, dass deinem Bruder all das angetan wurde.”

“Nein, dafür kann Gott wirklich nichts”, giftete sich Jerry, “aber er hat es auch nicht verhindert, wo er doch so allmächtig ist. Warum hat er dem lieben Miguel nicht eins auf die Fresse gehauen und meinen Bruder befreit, hä?!”

“Du bezweifelst, dass es Gott gibt?!”, horchte Eugenio jetzt nach.

“Sag mal, seid ihr nun auf meiner Seite oder nicht?!”, erregte sich Jerry immer mehr, “mir scheint eher, dass nein.”

“Hey, Solimár, wir stehen alle hinter dir”, versuchte Angelo, den Freund zu besänftigen, “aber es bringt nichts, sich so aufzuführen. Wir sollten besser überlegen, wie wir deinem Bruder helfen können.”

“Und du hast bestimmt schon eine gute Idee”, knurrte Jerry.

“Na ja”, pirschte sich Angelo heran, “ich denke, die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist, für ihn zu beten.”

“Für ihn zu beten”, entgegnete Jerry mit einer beklemmenden Ruhe in der Stimme, “für ihn zu beten, das ist eine ausgezeichnete Idee. Weißt du, Angelo, du bist vielleicht ein Engel und hast einen guten Draht zu Gott. Aber was mich angeht, so kann mich der liebe Vater im Himmel mal am Abend besuchen. Vielen Dank, das muss ich mir nicht antun. Wenn ihr beten wollt, bitte sehr, aber ohne mich.”

Damit verließ Jerry Josés Bar und verschwand im Dunkel der Nacht.

Maggie und Jeremiahs Freunde sahen sich unheilschwanger an.

“Willst du ihm nachgehen, Maggie?”, fragte Eugenio unsicher.

“Ich weiß nicht, ob das was bringt”, erwiderte Maggie, “im Moment ist er für nichts und niemanden zugänglich, das habt ihr ja gemerkt. Wahrscheinlich ist es besser, wenn man ihn einfach nur in Ruhe lässt. Ich habe ihn noch nie so geschockt erlebt. Wisst ihr, da kommen zwei Sachen zusammen. Solimár hatte von Kindesbeinen an eine große Abneigung gegen Gott, weil er sich von ihm ohne Grund benachteiligt und verstoßen fühlte. Und durch dieses Abenteuer mit Thomas konnte er seine Vorbehalte gegen Gott schon ziemlich gut abbauen. Ich glaube, dass vor allem Lisas authentische Art ihm dabei sehr geholfen hat. Sie war nicht so perfekt wie die anderen frommen Leute, die Solimár kannte. Lisa hatte ebenfalls eine große Abneigung gegen Gott gehabt. Von daher konnte sich Solimár gut mit ihr identifizieren. Das hat ihn sehr befreit. Wir beide haben in der letzten Zeit oft über Gott gesprochen, und ich habe gemerkt, dass er sich sehr danach sehnte, eine unkomplizierte Beziehung zu ihm aufzubauen. Und nun passiert das hier. Sein Bruder, mit dem er sich endlich versöhnen konnte, wird von diesem Verbrecher verschleppt, gedemütigt und gefoltert. Wo ist da Gott? Warum hat Gott das nicht verhindert? Mit einem Mal ist diese zarte Pflanze des Vertrauens zu Gott zertreten worden.”

Maggie senkte traurig den Blick.

“Du verstehst es auch nicht, warum Gott das zugelassen hat, hab ich Recht?”, forschte José nach.

“Stimmt”, seufzte Maggie, “aber wie gesagt, es bringt nichts, jetzt hinter Solimár herzulaufen und mit ihm über den Sinn oder Unsinn der Ereignisse zu diskutieren, weil er eh keinem Argument zugänglich ist. Wie ich ihn kenne, tut ihm das, was er gerade gesagt hat, bald schon wieder leid, und er schämt sich unendlich dafür. Aber selbst, wenn nicht, sollten wir wenigstens für Thomas beten. Ist das für euch okay?”

“Na klar!”, freute sich José, und die anderen Leute stimmten zu.

Also beteten sie zusammen für den Bundesrichter. Aber wahr­scheinlich beteten sie mehr für sich, weil sie ebenfalls nicht fassen konnten, warum Gott diese schrecklichen Dinge zugelassen hatte. Sie klagten Gott ihr Leid, in gewisser Weise klagten sie ihn auch an, sagten ihm, dass sie ihn nicht verstehen konnten. Aber sie beteten ebenfalls dafür, dass Gott Thomas Kraft geben möge, all das durchzustehen. Und sie baten ihn, den Bundesrichter aus den Händen des Drogenbarons zu befreien.

Irgendwie fühlten sie sich anschließend besser, auch wenn es vielen von ihnen schwer gefallen war, ein Gebet einigermaßen frei zu formulieren. Oftmals kannten sie nur vorformulierte Gebete und wussten nicht so recht, wie sie ihre Bitten in Worte fassen sollten.

Dann verabschiedete sich Maggie und meinte, sie wolle mal nach ihrem Ehemann sehen. Die anderen nickten verständnisvoll und bestellten ihr Grüße für den Freund. Und sie sollte ihm sagen, dass ihn seine Freunde trotz allem sehr lieb hätten und nicht böse auf ihn wären, weil er gerade so ausgeflippt sei.

Maggie traf Jeremiah vor seiner alten Hütte an. Er saß auf dem Rand eines Bootes und starrte geradeaus. Der Mond stand am Himmel und warf sein silbernes Licht auf das Wasser. Die Atmosphäre wirkte kalt und gespenstisch. Jerry sah kurz zur Seite, weil er eine Bewegung vernahm und wandte sich wieder ab.

“Darf ich mich zu dir setzen?”, horchte Maggie zärtlich nach.

“Meinetwegen”, lautete die nicht gerade einladende Antwort.

Maggie nahm also neben ihrem Mann Platz und sah ebenfalls auf das Meer. Keiner der beiden sagte ein Wort. Schließlich wurde Jerry die Stille zu lang.

“Du sagst ja gar nichts”, meinte er und blickte Maggie dabei an.

“Du sagst ja auch nichts”, erwiderte Maggie, “und ich hatte nicht den Eindruck, als wenn du mit mir reden wolltest.”

“Ach Maggie, mit dir will ich immer reden”, seufzte Jerry und nahm sie in den Arm, “was würde ich bloß ohne dich machen? Ich könnte diese schreck­liche Situation allein überhaupt nicht aushalten!”

“Schon gut”, meinte Maggie sanft und drückte ihn an sich.

“Und was ich noch sagen wollte”, fuhr Jerry fort, “es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen.”

“Du hast mich nicht verletzt”, beruhigte ihn Maggie, “aber ich weiß, dass du dich von zwei Personen verletzt fühlst. Die eine Person ist Miguel Ramírez, weil er deinen Bruder so grauenhaft behandelt. Aber die andere Person ist Gott, weil du dich von ihm verarscht fühlst. Irgendwie warst du Gott in der letzten Zeit näher gekommen, und jetzt ist er fort wie ein Nebel, ja, schlimmer noch. Du hast das Empfinden, als wenn er sich bei dieser Schwierigkeit aus dem Staub macht und sich nicht mehr um dich und deinen Bruder kümmert. Ich nehme an, dass dir das mindestens so weh tut wie die Tatsache, mit ansehen zu müssen, was Miguel mit deinem Bruder alles anstellt und nicht helfen zu können.”

“Kannst du Gedanken lesen?”, wunderte sich Jerry.

“Natürlich”, entgegnete Maggie mit stoischer Ruhe, “ich habe ja schon jahrelang deinem Bruder in meiner Zeit als seine Sekretärin die Empfindungen und Wün­sche von den Augen abgelesen. Von daher hatte ich eine Menge Zeit, an dem einen der McNamara-Brüder zu üben. Warum sollte ich das bei dir nicht ebenfalls können?”

Jerry musste lachen.

“Ja, ja, du hast Recht, und zwar in sämtlichen Punkten. Es ist wirklich unglaublich, wie gut du dich in mich hineinversetzen kannst. Das zeigt mir auch dein Ausspruch ‘Du fühlst dich von Gott verarscht.’ Normalerweise benutzt du nie solche vulgären Ausdrücke wie ‘verarscht’, aber das ist jetzt genau das richtige Wort.”

Es entstand eine Pause. Dann nahm Jerry das Gespräch noch mal auf.

“Maggie”, pirschte er sich unsicher und ein wenig ängstlich heran, “ich nehme an, ihr habt für Tom gebetet?”

“Ja, das haben wir.”

“Maggie, meinst du, dass eure Gebete weniger oder gar nich­ts bewirken, nur weil ich Gott so beschimpft habe? Das fände ich nämlich absolut schreck­lich.”

“Würdest du dich dann bei ihm entschuldigen?”, horchte Maggie nach.

“Wenn es Einfluss auf die Erhörung der Gebete hätte, dann auf jeden Fall!”

“Oh Jeremiah”, seufzte Maggie, “Gott kennt doch dein Herz. Er weiß, wie enttäuscht du von ihm bist. Du hast all die hässlichen Sachen doch nicht gesagt, um dich über ihn lustig zu machen. Wie viele Leute tun das! Sie kommen sich so clever vor und versuchen, Gott wegzudiskutieren. Als Argumente führen sie dann ihre genialen Forschungsergebnisse an, was im Umkehrschluss nicht heißt, dass Forschung sich gegen Gott richtet. Aber auf die Motivation kommt es an. Denn wenn Gott etwas Positives getan hätte, hättest du nicht gesagt, dass es ein günstiger Zufall war, sondern hättest Gott dafür gedankt.”

“Hm, stimmt”, murmelte Jerry verschämt.

“Glaub mir, wir sind alle sehr geschockt, und es fällt uns schwer, mit der Situation umzugehen, wir können es nicht verstehen. Vielleicht empfindest du das, was ich jetzt sage, als blöden Spruch, aber ich sage es dir trotzdem. Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. In Bezug auf deinen Bruder ist das furchtbar bitter. Aber ich kann nicht glauben, dass sein Leiden ein sinnloses Leiden ist.”

“Das hast du sehr lieb gesagt, Maggie”, befand Jerry milde, “und es hat mir sehr geholfen. Komm, lass uns ins Bett gehen. Ich befürchte allerdings, dass ich jetzt eh nicht schlafen kann.”

Der Preis der Wahrheit

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