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Isolde stand am Fenster und blickte hinaus auf den ersten Schnee, der über das Land gefallen war. Drüben, hinter dem lang gestreckten, großen Hühnerstall, gackerten die Hühner in ihrem Auslauf herum. Auf Gut Hartmannsdorf gab es nur Freilandhühner, die auch im Winter Auslauf hatten. Sollte es ihnen zu kalt sein oder der Regen sie stören, konnten sie immer noch durch ihre Schlupflöcher in den Stall hinein, auch um Eier zu legen. Aber sonst waren sie meist draußen am Tag über, viertausend Hühner. Und für die Eier bekam das Gut mehr, als hätte es sie in Legebatterien produziert.

Der ganze Betrieb war auf biologischen Anbau, aber auch auf biologische Tierzucht eingerichtet. Das war die Idee von Thomas gewesen, als er damals zu ihnen gekommen war. Anfangs hatte es viele Schwierigkeiten gegeben. Die Erträge waren geringer als vorher. Und auch mit den Freilandhühnern war anfangs eine Schlappe nach der anderen über den Betrieb gekommen, und fast hatte Friedhelm von Bredow schon den Mut verloren. Isolde erinnerte sich noch sehr gut daran.

Aber dann war eines Tages Frans van Welkenraedt aufgetaucht, der Flame. Er war gekommen, nur um sich den Betrieb einmal anzusehen, dessen Felder von Wald umgeben an keinem anderen Nachbarn stießen. Frans van Welkenraedt besaß einen kleinen Betrieb im nahen Belgien und belieferte mehrere Geschäfte mit seinen Waren, Geschäfte, die gerne biologisch angebaute landwirtschaftliche Produkte kauften und mehr dafür zahlten, viel mehr als für normale Produkte. Denn Frans van Welkenraedt baute ebenfalls biologisch an, dynamisch biologisch, wie er es nannte. Und er wusste noch mehr Kunden, mehr, als er selbst je beliefern konnte. Von diesem Augenblick an lieferten die von Bredows ihre Produkte fast ausschließlich nach Belgien, in ein Land, das sonst landwirtschaftliche Erzeugnisse exportierte. Aber es waren normal angebaute Sachen, die chemisch behandelt worden waren, wie es zum gegenwärtigen Stand der Landwirtschaft üblich ist.

Das Bewusstsein der Menschen in den Städten war erwacht. Immer mehr wollten Eier von Hühnern, die normal aufwuchsen. Immer mehr Leute aßen lieber Brot, das von Getreide gemacht war, bei dem keine chemischen Mittel angewendet werden mussten. Und sie aßen auch lieber Fleisch von Schweinen, die nicht eingepfercht waren, sondern frei herumliefen auf großen Koppeln, die Friedhelm von Bredow und Thomas Brückner in den gewaltigen Waldungen angelegt hatten. In diesen Eichen und Buchenwäldern hatten die Schweine sogar im Herbst eine natürliche Nahrung, die von den Bäumen fiel und nichts kostete. Eine Nahrung, bei der das Fleisch einen ganz besonders guten Geschmack bekam, wie jeder Feinschmecker weiß.

An das alles musste Isolde im Augenblick denken, während hinter ihr am Schreibtisch Marion saß und schrieb. Und sie musste auch daran denken, dass Marion und Frans van Welkenraedt ein Liebespaar waren, ein Liebespaar, das zu gerne Weihnachten geheiratet hätte. Aber Weihnachten zu heiraten, nachdem vor zwei Monaten Marions, Friedhelms und Isoldes Mutter gestorben war, daran wagte jetzt niemand zu denken. Der Tod der Mutter und die eigene Scheidung, das waren Dinge, die Isolde stark belasteten. Kraft gab ihr das Gefühl dieses kleinen Wesens in ihrem Bauch, Kraft und Hoffnung.

„Sag mal, Isolde, merkst du eigentlich nichts?“, fragte Marion.

Isolde drehte sich um und betrachtete aufmerksam die Schwester und fragte: „Etwas an dir? Warst du beim Friseur?“

„Nein, das siehst du doch. Ich müsste aber mal hin, du hast recht. Nein, ich meine etwas anderes. Ist dir nichts an Thomas aufgefallen?“

Isolde wandte sich wieder um, sah hinaus und drehte damit der Schwester den Rücken zu. Sie wusste ganz genau, was Marion meinte. Es war auch nicht das erste Mal, dass sie in dieser Richtung Andeutungen machte. Das brauchte sie gar nicht. Aber jetzt wollte sie daran nicht denken. Er tut es aus Mitleid. Und sie sagte: „Ich weiß, was du sagen willst. Natürlich hab ich es gemerkt, schon lange, noch bevor ich Winfried kennengelernt hatte, lange davor.“

„Mein Gott, die Eltern sind tot. Es ist schlimm, dass sie tot sind“, sagte Marion. „Aber ein Gutes hat jede schlimme Sache. Ein kleines Gutes. Das kleine Gute ist, dass dich hier niemand mehr zu beeinflussen versucht. Thomas liebt dich doch. Er hat dich schon geliebt, lange bevor du dich mit Winfried verheiratet hast. Warum hast du ihm nie eine Chance gegeben?“

„Weil ich mich nicht getraut habe. Weil ich Angst hatte. Weil mein Vater uns immer wieder erklärt hat, dass man nur standesgemäß heiratet, wenn man eine von Bredow ist. Weil wir ganz alter Adel sind, hat er gesagt. Weil ich geglaubt hab’, dass wir etwas Besonderes sein müssen.“

„Es ist Unsinn. Wir sind nichts Besonderes“, widersprach Marion. „Wenn wir etwas Besonderes sind, dann nur durch das, was wir erlernen konnten. In diesem Punkt hatten wir eine Chance. Ich konnte Veterinärmedizin studieren und unserem Bruder jetzt sehr nützlich sein. Und du könntest es auch. Du hast eine kaufmännische Ausbildung.“ Sie lachte. „Eigentlich hättest du viel besser zu Frans gepasst. Frans ist ein richtiger Kaufmann. Der kann rechnen. Es verblüfft mich oft, wie der mit Geld umgehen kann. Der macht aus einer Mark im Handumdrehen zehn, ohne dass er geizig ist. Wenn er geizig wäre, hätte ich ihn nicht haben wollen.“

„Ich hab Frans sehr gern. Er passt nicht besser zu mir. Zu dir passt er. Er ist ein feiner Kerl. Ich mag ihn sehr. Er passt sehr gut zu dir, wirklich.“

„Und Thomas passt zu dir. Er mag dich, und du magst ihn, gib es zu!“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe das Kind. Ich will nur für das Kind da sein; nur für meinen Jungen ...“

„Und du selbst gibst dich dabei auf. Das ist doch Wahnsinn. Rede doch nicht solchen Stuss!“

Isolde hob trotzig den Kopf und sah die Schwester fanatisch an. „Stuss? Das ist kein Stuss. Ich werde nur für mein Kind leben, nur für mein Kind!“


Tränen, Glück und schwerste Stunden: Arztroman Sammelband 6 Romane

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