Читать книгу Tränen, Glück und schwerste Stunden: Arztroman Sammelband 6 Romane - A. F. Morland - Страница 8

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„Wollen Sie wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?“, fragte Professor Winter und blickte die junge, dunkelhaarige Frau an, die auf der Liege lag und von ihm mit dem Ultraschallgerät untersucht wurde. Und während Professor Winter mit dem Schallkopf weiter über den Leib der Mutter glitt, wurden ganz deutlich die Konturen dieses kleinen Wesens auf dem Bildschirm sichtbar, das die junge Frau in ihrem Bauch trug.

„Ich möchte es gern wissen. Ist das wirklich möglich?“

Professor Winter nickte. „Es wird ein Junge. Man kann alles ganz deutlich sehen. Da“, er zeigte auf den Bildschirm, „sehen Sie die Genitalien des Kindes ...“

Die junge Frau schaute verzückt auf den Bildschirm. Es war ein erhebendes Gefühl, schon etwas von dem zu sehen, was sie da im Leib trug. „Wie funktioniert das denn, Herr Professor Winter?“, fragte sie.

„Die ganze Sache funktioniert wie das Echolot bei den Schiffen, mit denen sie feststellen, wie tief sich der Meeresgrund befindet. Es werden Schallwellen in ihren Bauch geschickt, und die reflektieren an Haut, Fettgewebe, Knochen und Organen ihres Körpers, aber auch von dem des Kindes. Durch die Reflexion entsteht ein Echo. Dieses Echo kommt wieder zurück, wird von dem Schallknopf, den ich hier in meiner rechten Hand halte, wieder aufgenommen, und der leitet die Schallwellen weiter an den Apparat drüben, wo der Bildschirm ist, und dann wird das alles gespeichert und auf dem Bildschirm sichtbar gemacht. So können Sie, je nach Lage des Kindes, Kopf, den Körper mit der Wirbelsäule, den Armen und den Beinen, auch die Plazenta, das Verbindungsorgan zwischen Ihnen und Ihrem Kind, deutlich sehen. Und wenn ich will, kann ich mit Hilfe einer Polaroidkamera Fotos machen.“

„Aber ich sehe gar nicht, wo die Geschlechtsorgane sind? Ich habe es nicht richtig erkannt.“

„Hier ist es ganz deutlich zu sehen“, erklärte er ihr. „Da, diese Linien, das ist der Penis, und dahinter sehen Sie die Hoden. Es ist ein Junge.“

„Das ist ja wunderbar. Oh, ich bin so glücklich!“

„Es ist auch ein Glücksgefühl für eine junge Frau. Alle diese werdenden Mütter, die zu mir kommen, empfinden das als etwas Wunderbares. Nicht nur Sie, Frau von Rottwitz.“

Ihr eben noch so fröhliches Gesicht wurde ernst. „Herr Professor Winter, ich habe meinen alten Namen wieder angenommen.“

Er blickte sie überrascht an. „Wie soll ich das verstehen?“

„Meinen Mädchennamen. Als Mädchen hieß ich Isolde von Bredow. Ich lasse mich von Herrn von Rottwitz scheiden.“

„Sie lassen sich scheiden? Heißt das, dass Sie wieder zurück zu Ihrer Familie gegangen sind?“

Sie nickte. „Ich gehe wieder zurück zu meinem Bruder, zu meiner Schwester, zurück nach Gut Hartmannsdorf. Es ist aus und vorbei.“ Sie starrte vor sich hin, machte einen Augenblick lang einen deprimierten, ja sehr verstörten Eindruck. Jedenfalls hatte Professor Winter diesen Eindruck.

„Das habe ich nicht gewusst. Das tut mir leid“, erklärte er, und es kam ihm selbst dumm vor, dies zu sagen. Aber was sollte er auf so eine Erklärung antworten?

Er hatte Isolde von Bredow schon gekannt, als die noch ein Schulmädchen gewesen war. Damals war ihr Vater mit ihr gekommen, hatte sie untersuchen lassen. Harmlose Menstruationsstörungen waren das gewesen. Danach war sie jahrelang nicht mehr gekommen. Erst später, kurz nach ihrer Verheiratung mit dem Baron von Rottwitz, einem Mann, der Winter eigentlich nie sonderlich sympathisch gewesen war. Im Gegenteil. So insgeheim war ihm dieser Mann wie ein Windhund vorgekommen; ein Maulheld auf alle Fälle, großspurig. Aber wenn er sich um jeden Ehemann seiner Patientinnen derart den Kopf zerbrechen wollte, wäre er sicher schon in seiner Praxis verrückt geworden.

„Ich habe mich in ihm getäuscht“, erklärte sie jetzt und sah Professor Winter an. „Ich habe mich sehr getäuscht. Eigentlich hatte ich ihn gar nicht heiraten wollen, aber meine Familie ...“

„Es sollte ja Ihr Mann sein und nicht der Ihrer Familie“, meinte Winter.

Sie nickte. „Stimmt schon, Herr Professor. Aber Sie wissen ja, wie das oft so ist. Der Einzige, der mich nicht gedrängt hat, war mein Bruder. Aber meine Mutter, ja, und auch mein Vater. Kurz darauf ist mein Vater gestorben. Er braucht jedenfalls nicht mitzuerleben, wie schlecht sein Ratschlag war.“

„Und was sagt Ihre Frau Mutter jetzt?“ Professor Winter kannte auch die. Sie war ebenfalls eine Patientin von ihm, kam zweimal im Jahr zur Vorsorgeuntersuchung und ließ sich nur von ihm, und sonst von niemandem, untersuchen.

„Die ist jetzt auch der Meinung, dass er der Falsche für mich gewesen ist. Wissen Sie, es ist eine üble Geschichte, über die ich nicht reden möchte, aber ...“ Ihr Gesicht hellte sich auf, „... ich freue mich auf mein Kind. Ich habe mir vorgenommen, nur für mein Kind zu leben. Es wird mein ganzer Lebensinhalt sein. Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich bin. Am Anfang, das wissen Sie ja, da hatte ich noch Beschwerden. Aber jetzt, im fünften Monat, geht es mir sehr gut.“

„Na, hoffentlich bleibt das so. Ich würde mich sehr freuen. Sie müssen nur regelmäßig kommen.“

„Es ist natürlich schrecklich weit. Kann ich die Zwischenuntersuchungen nicht bei unserem Hausarzt machen?“

„Natürlich können Sie das bei ihm machen lassen. Aber einmal möchte ich Sie noch sehen, und das ist, kurz bevor Sie hierher zur Entbindung kommen. Oder wollen Sie nicht hier entbinden?“

„Doch, ich habe es vor. Nach meiner Berechnung ist da Winter. Hoffentlich sind die Straßen frei. Sie wissen ja“, sie lächelte, „wir wohnen ja ein Stück abseits, ein gutes Stück. Das ist der Nachteil, wenn man so weit draußen wohnt.“

„Dann machen wir Folgendes“, schlug Professor Winter vor. „Sprechen Sie in jedem Fall mit der für Sie erreichbaren Klinik. Da ist doch irgendetwas in der Nähe, oder nicht?“

Sie nickte. „Oh ja, Herr Professor. Es sind zwölf Kilometer bis Monschau.“

„Monschau“, sagte Professor Winter nachdenklich. „Eigentlich eine wunderbare Gegend, nicht wahr? Herrliche Landschaft.“

Sie nickte. „Das stimmt schon. Ich liebe sie auch und die Wälder da. Aber im Winter? Ist manchmal ganz schön was los bei uns.“

„Hoffentlich nicht, verehrte Frau von Bredow. Wenn es bei Ihnen so weit ist, wir haben gesagt ...“ er sah auf seine Kladde, „dass es am 17. Januar ist, nicht wahr?“

„Ja, das hatten Sie ausgerechnet, Herr Professor.“

„17. Januar. Na, ich drücke Ihnen jetzt schon die Daumen. Kommen Sie nur früh genug.“

„Ich habe mir schon überlegt, dass es vielleicht am besten ist, wenn ich die letzte Woche zu einer Bekannten hier in Bonn gehe. Dann könnte ich jederzeit rechtzeitig bei Ihnen sein.“ Winter nickte zustimmend. „Das ist eine gute Idee. Aber wir sehen uns dann noch Ende Dezember, nicht wahr? Und zwischendurch gehen Sie zu Ihrem Hausarzt.“

„Das mache ich, Herr Professor.“ Sie lachte. „So, wie ich mich jetzt fühle, ich glaube, da geht alles gut. Sie machen sich kein Bild, wie sehr ich mich auf mein Kind freue.“

Winter lächelte. „Das ist schön so. Sie sollen sich auch freuen. Und vergessen Sie bitte nicht, morgen Mittag mal anzurufen, wegen der Ergebnisse Ihrer Blutuntersuchung. Vor morgen hat das Labor diese Sachen nicht fertig.“

„Ich weiß. Ihre Sprechstundenhilfe hat es mir schon gesagt.“

„Na dann, alles Gute, Frau von Bredow.“ Er hätte fast wieder Frau von Rottwitz gesagt.

Als Isolde von Bredow gegangen war, beschäftigte sich Professor Winter in seinen Gedanken schon mit der nächsten Patientin. Renate Angern, seine Sprechstundenhilfe, meldete sie schon an ...


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