Читать книгу Tränen, Glück und schwerste Stunden: Arztroman Sammelband 6 Romane - A. F. Morland - Страница 18
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ОглавлениеIsolde lag auf dem Rücken im Bett, hatte die Beine gespreizt und angewinkelt. Trotz der Beschwerden, die sie empfand, war vorübergehend die Scham noch größer, die Scham vor dem Mann, den sie insgeheim liebte, den sie geliebt hatte, als sie die Frau eines anderen geworden war, und den sie geliebt hatte, als sie empfing, was jetzt in ihrem Leibe war. An ihn hatte sie gedacht; an ihn, den der Vater nicht gewollt und akzeptiert hatte.
Jetzt würde sie auch den Vater nicht mehr fragen, selbst wenn er noch lebte. Aber sie glaubte nicht, dass Thomas sie wirklich haben wollte. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen. Und vor allen Dingen zweifelte sie daran, dass Thomas der Vater ihres Kindes sein wollte, dass er dieses Kind jemals lieben könnte. Nein, das könnte er nicht. Aber daran dachte sie im Moment nicht. Sie dachte daran, dass dieser Mann sie jetzt untersuchte, dass er etwas tat in ihrem intimsten Bereich, das ihr, wenn es durch einen Frauenarzt geschah, vom Gefühl her völlig gleichgültig war. Jetzt aber genierte sie sich, aber sie wusste zugleich, dass sie es erdulden musste.
Er hatte noch alles, sein ganzes Besteck, vom Stethoskop bis zum Scheidenspekulum, von der Parametrium Klemme bis zum Venenhaken.
Der Koffer war ein wenig verstaubt gewesen, und diesen Staub hatte er abgeputzt.
Nach zwei Minuten war sich Thomas darüber klar, dass es absolut nicht so sein würde, wie das die Frau Kreweling angenommen hatte. Erstens einmal war der Muttermund nicht mehr geschlossen. Und zweitens lag eine Situation vor, die alles andere war als harmlos.
Unmittelbar bevor Thomas begonnen hatte Isolde zu untersuchen, war die Fruchtblase geplatzt. Der Muttermund war nur leicht geöffnet. Thomas machte sofort bei Beginn der Untersuchung eine überraschende Feststellung, die ihm gar nicht gefallen wollte. Die Nabelschnurschlinge lag in der Scheide vor dem Kopf des Kindes. Die kindlichen Herztöne klangen unregelmäßig, dazu schwach. Es bestand eine erhebliche Gefahr. Offensichtlich wurde die Nabelschnur abgequetscht.
Thomas handelte sofort. Mit Hilfe von Marion packte er die Kissen unter das Becken von Isolde, ging mit der behandschuhten Hand in die Vagina und schob den Kindskopf ganz vorsichtig zurück, um die Nabelschnurabquetschung zu beheben. Gleichzeitig versuchte er mit dem Finger die Nabelschnur ein wenig anzuheben und von dem Druck zu lösen.
Sofort wurden die kindlichen Herztöne wieder besser und normalisierten sich.
„Was willst du tun?“, fragte Marion, während Isolde schnaufte und bei einer erneuten Wehe die Hände in die Bettlaken krallte.
„Ich muss die Wehentätigkeit unterbrechen. Das ist unhaltbar in dieser Form. Bevor ich etwas Weiteres unternehme, müssen die Wehen zurückgehen.“
„Hast du denn etwas da?“
„Ich habe noch etwas da in meinem Notfallkoffer.“
„Ist das Zeug denn noch gut?“, fragte Marion zweifelnd.
„Es ist noch gut. Du kannst mir helfen. Wir geben ihr 0,25 ml Suprarenin auf 10 ml Glukoselösung langsam intravenös.“
Während sich Marion mit der Infusion befasste, versuchte Thomas den Kindskopf weiter zurückzubringen. Es war nicht schwierig. Die Geburt stand ja nicht unmittelbar bevor. Die Öffnung des Muttermundes war minimal. Aber durch die Wehentätigkeit presste der Kopf gegen die vorgefallene Nabelschnur und schnürte das Blut ab, sodass die Herztätigkeit des Kindes in äußerste Gefahr geriet.
Im Augenblick waren die Herztöne des Kindes wieder normal. Aber das würde nicht so bleiben, sobald wieder eine Wehe einsetzte. Diese Wehe galt es vorübergehend zu verhindern.
„Was ist denn?“, fragte Isolde.
Er hatte sich aufgerichtet und sah sie an. „Wir müssen dir jetzt erst einmal eine Spritze geben in die Vene.“
„Und dann?“, fragte Isolde erregt.
Thomas nickte ihr aufmunternd zu. „Dann wird alles viel besser für dich“, behauptete er, obgleich er längst nicht dieser Überzeugung war. Er sah Marion an und meinte: „Etwas sedieren müssen wir sie auch. Aber das kommt anschließend.“
Marion verstand das. Sie war Veterinärin und kannte die Fachausdrücke. Isolde wusste nicht, dass Thomas mit sedieren beruhigen meinte und damit ein Beruhigungsmittel. Inzwischen war Marion fertig. Obgleich er es eigentlich nicht durfte, setzte Thomas die Kanüle in die Vene, und Marion begann mit der Infusion. Es war eine ziemliche Menge, die da eingegeben werden musste. Und das hatte ganz langsam zu geschehen. Wie langsam, das erklärte Thomas Marion ganz genau.
Indessen gab Thomas eine Beruhigungsspritze, ging dann nach draußen und suchte Friedhelm und Frans. Aber die Frau Kreweling sagte ihm, dass die beiden losgefahren waren, diese Ärztin zu holen.
Na ja, dachte Thomas, dann soll sie es machen. Er ging wieder hinaus. Marion war immer noch dabei, diese langsame Infusion zu geben.
Als sie damit fertig war, lag Isolde ruhig in den Kissen. Da vom abgegangenen Fruchtwasser das ganze Bett durchtränkt war, halfen ihr Marion und Thomas herunter. Während Marion dann aus ihrem Zimmer neue Matratzen holte, ihnen Gummilagen überzog und ein Laken darüberdeckte, schaffte Thomas die durchnässte Matratze nach draußen.
Schließlich lag Isolde wieder im Bett. Sie fühlte sich müde, wie erschöpft, und sie fürchtete eine neue Wehe. Aber die kam nicht. Die Wehen waren unterbrochen worden. Thomas wusste genau, dass das nicht immer gelang. Aber hier hatte es zum Glück geklappt.
Die Beruhigungsspritze bewirkte eine zusätzliche Müdigkeit bei Isolde. Sie hatte die Augen geschlossen, den Kopf zur Seite geneigt. So lag sie ein wenig blass im Kissen.
Thomas ging mit Marion leise nach draußen. Auf dem Flur flüsterte Marion: „Was ist denn mit ihr?“
„Nabelschnurvorfall, und es besteht eine große Gefahr der Asphyxie für das Kind.“
„Also eine Anoxie?“, fragte Marion.
Thomas nickte. „Es gibt nur eins: Section.“
„Also, Kaiserschnitt“, entgegnete Marion.
Er nickte. „Ja, so ist es.“
„Aber wie sollen wir sie in eine Klinik bekommen? Das ist doch praktisch unmöglich. Du brauchst doch bloß mal zum Fenster hinauszusehen.“
„Frans und Fried sind unterwegs. Sie sind mit dem Jeep zu dieser Ärztin gefahren. Wir könnten ja diese Operation hier machen. Das heißt, wir könnten; wir müssen! Es gibt gar keine Alternative. Es gibt nur diese Operation und sonst gar nichts.“
„Eine normale Geburt müsste doch möglich sein.“
„Eine normale Geburt und dann von einem toten Kind. Kannst du dir vorstellen, wie Isolde darauf reagiert? Isolde, die sich seit wenigstens sechs oder sieben Monaten auf nichts mehr freut als auf dieses Kind. Die ihr ganzes Leben auf dieses Kind eingestellt hat. Marion, ein totes Kind wäre eine Katastrophe für Isoldes Seelenleben. Wir müssen dieses Kind durchbringen, und da gibt es nur eins: das ist der Kaiserschnitt.“
„Den müsstest du aber machen.“
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Den macht die Ärztin.“
„Aber, ich bitte dich, das ist eine praktische Ärztin. Die hat so was bestimmt noch nie gemacht.“
„So etwas hat sie gelernt. Heutzutage lernen praktische Ärzte das auch. Sie ist bestimmt Medizinalassistentin gewesen, wie es alle sein müssen. Und sie hat ganz sicher auch in einer geburtshilflichen Abteilung gearbeitet. Heute ist praktisch jeder Arzt, der eine Allgemeinpraxis hat, auch Geburtshelfer. Ergo muss er auch mit den Techniken der Sectio caesarea vertraut sein.“
„Aber wenn wir eine Sectio machen, da fehlen uns doch sämtliche Voraussetzungen. Das ist doch kein Tier. Natürlich, in meinem Beruf machen wir so etwas sogar in einem Kuhstall.“
„Und hier machen wir es in einem Bett; das heißt, wir werden es auf einem Tisch machen. Wir werden einen Tisch hochholen, wir werden ihn polstern mit einem Plaid oder dergleichen und ein weißes Laken darüber decken, vielleicht auch Gummitücher oder was immer wir hier haben. Das ist alles nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir das Besteck haben; und ich habe es noch. Und wenn ich es nur für diesen einen einzigen Fall aufgehoben habe, und wenn ich die Medikamente nur deshalb immer wieder erneuert habe, weil ich mir eingebildet hatte, es könnte hier einmal ein Notfall eintreten. Ein Notfall“, er sah Marion nachdenklich an, „in dieser Form war er von mir allerdings nicht erwartet worden. Ich habe dabei nie an Isolde gedacht.“
„An mich vielleicht?“
„An dich vielleicht. Bei Isolde konnte ich es mir nicht vorstellen. Und gerade bei ihr ...“
„Ja, sie braucht dich jetzt. Ich glaube, sie braucht dich überhaupt, Thomas. Sie weiß nur nicht, wie sehr sie dich braucht.“
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin bereit, wenn es gar nicht anders geht, dieser Ärztin zu helfen, genau wie du ihr hilfst. Aber die Operation muss sie machen. Ich darf es nicht. Wenn ich es dennoch tue, da kann ich sehr hoch bestraft werden.“
„Und wenn sie es nicht kann?“
„Dann werde ich ihr sagen, was sie tun muss.“
„Darfst du das denn?“
„Ich darf es. Sie ist die Ärztin. Sie kann ja sagen, sie macht es nicht.“
„Ich glaube, ich gehe wieder zu ihr“, sagte Marion. „Es ist deine Entscheidung. Vielleicht ist alles nicht notwendig. Glaubst du nicht doch, dass wir eine normale Geburt über die Bühne bekommen? Glaubst du nicht doch, dass es vielleicht gelingt, die Nabelschnur ...“
„Aber Marion. Du weißt doch ganz genau, das ist bei den Kühen und Pferden und Schafen genauso wie bei Menschen, dass ein Nabelschnurvorfall nicht einfach so wieder mit ein paar Bewegungen geregelt werden kann. Es gäbe nur ein Mittel, um die Sache zu retten. Das wäre, die Wehen wieder anzuregen, sobald sich der Muttermund weit genug geöffnet hat. Aber das ist nicht der Fall. Die Geburt kann sich noch stundenlang hinziehen. In dieser Zeit ist der Fötus tot. Das weißt du ganz genau.“
Marion nickte. Natürlich wusste sie es viel zu genau, und ihre Einwände waren im Grunde unsinnig, das musste sie zugeben. Die Sache war sehr, sehr ernst.
„Hör mal, warum machst du nicht einfach diese Sachen? Warum operierst du sie nicht? Du hast das Zeug hier, du kannst es, und was geschehen ist, dringt von hier aus nicht nach außen. Du könntest sie die ganze Zeit weiterbehandeln. Wir pflegen sie hier. Oder gibt es irgendetwas, was wir nicht haben?“
„Es gibt alles. Ich habe die Narkose und alles, was dazu gehört“, erklärte er. „Das wäre es nicht. Daran hapert es nicht. Doch sie ist ein Mensch, nicht irgendein Stück Eisen, das man mit der Feile bearbeitet und wo man im Vorhinein weiß, dass man am Ende dies oder jenes erreicht mit seiner Arbeit. Menschen, das weißt du so gut wie ich, sind ebenso unberechenbar wie Tiere. Es kann zu einem Herzstillstand kommen. Es kann irgendeinen Narkosezwischenfall geben, eine Allergie kann eintreten, ein Schock. Es können hunderttausend Dinge passieren, die bei der kleinsten, wie bei der größten Operation eintreten können. Kein Chirurg ist davor gefeit. Und dann? Was ist dann? Es ist nicht irgendeine Frau. Es ist jemand, den ich kenne, sehr gut kenne.“
„Würdest du dasselbe denken, wenn ich an ihrer Stelle wäre?“, fragte Marion.
„Ich würde absolut dasselbe denken, wenn du an ihrer Stelle wärst. Das macht es schwierig. Du weißt doch, bei Ärzten sagt man, schneide nie, was du liebst. Ich kenne keinen Arzt, der seine Frau operiert. Und ich soll Isolde operieren? Selbst wenn ich es dürfte, wäre das eine Mauer, über die ich möglicherweise nicht hinwegkomme. Aber es ist mir überdies auch verboten. Was ich da tun würde, wäre ein Schritt vom Wege ab. Das ist gegen das Gesetz.“
„Ach, pfeif doch auf dein Gesetz! Es geht um Isolde!“
„Ich weiß. Es geht um Isolde. Aber noch haben wir Zeit, noch können wir darauf warten, dass die beiden mit dieser Ärztin durchkommen. Ich kenne diese Frau nicht. Ich weiß nicht, was sie vermag.“
„Du könntest hier einfach anfangen. Niemand von uns würde dir je einen Vorwurf machen.“
„Niemand von uns, das ist mir klar“, erwiderte er. „Aber wenn etwas passiert? Es geht ja nicht nur um mich. Es ist ganz einfach so, dass ich mir das nie verzeihen würde, ganz gleich, ob ich daran eine Schuld trage oder nicht. Ich habe kein Recht, sie zu operieren.“
„Ein Recht oder nicht. Wenn sie in Not ist, hast du die Pflicht. Sie ist ein Mensch. Dass du sie liebst, macht diese Pflicht noch größer.“
„Und problematischer“, entgegnete er. „Ich werde hineingehen. Ich muss die kindlichen Herztöne überwachen.“
Als sie drin waren, schien seine Sorge unbegründet. Isolde lag ganz ruhig, und als er sie abhörte, da waren sowohl ihre, als auch die kindlichen Herztöne normal. Der Geburtsvorgang war unterbrochen worden.
„Wenn das Fruchtwasser solange heraus ist, das ist auch nicht gut“, meinte Marion leise.
Thomas, der der Ansicht war, dass Isolde keineswegs schlief, sondern nur apathisch dalag und die Augen geschlossen hielt, drückte Marion den Finger vor den Mund, dass sie schweigen sollte. Sie begriff es sofort und sprach nicht weiter. Stattdessen sagte Thomas: „Es hat überhaupt keine Bedeutung.“ Er wusste zwar, dass es sehr wohl Bedeutung hatte, wenn der Zeitraum zwischen dem Abgang des Fruchtwassers und der Geburt sehr groß war. Doch hier gab es ohnehin keine normale Geburtsmöglichkeit. Das hatte er sofort erkannt. Hier galt es mit einer Schnittentbindung das Leben des Kindes zu retten. Eine andere Möglichkeit, bei der das Kind leben würde, gab es nicht.
„Ich werde anrufen“, sagte Marion. „Bleibst du bei ihr?“
„Anrufen, wen?“, fragte Thomas. „Die Ärztin. Sie können noch nicht dort sein. Ich werde anrufen.“ Marion war im Gegensatz zu ihrer Schwester immer sehr selbständig gewesen, und wenn es darauf ankam, auch resolut. Thomas wusste, dass er sich bei Marion darauf verlassen konnte, dass sie einen klaren Kopf behielt. Das war auch jetzt der Fall. Er nickte ihr nur zu; sie ging hinaus.
Sie lief hinunter zum Telefon, wählte die Nummer der Ärztin, und als die sich meldete, sagte sie: „Sind mein Bruder und mein Verlobter schon bei Ihnen.?“
„Nein. Aber hören Sie. Ich hab mir gerade überlegt, dass ist doch völlig unmöglich. Ich kann doch nicht stundenlang da irgendwohin fahren. Inzwischen ist hier niemand.“
„Sie können doch sowieso nicht hinaus. Und hier werden Sie gebraucht. Ich wollte sie etwas fragen. Es kann sein, dass Sie eine Sectio caesarea vornehmen müssen. Sind Sie dazu imstande?“
„Eine Sectio? Wie kommen Sie darauf? Wie wollen Sie denn das wissen?“
„Nehmen Sie an, wir wissen es. Nehmen Sie an, wir haben jemanden, der das beurteilen kann.“
„Einen Arzt?“
„Fragen Sie jetzt nicht danach. Wir haben keine Zeit für solche Sachen. Sind Sie imstande, eine Sectio caesarea durchzuführen?“
„Also, ich weiß nicht ... Da werde ich lieber den Krankenwagen ...“
„Wie soll ein Krankenwagen durchkommen? Das wissen Sie ganz genau.“
„Vielleicht die Bundeswehr, dass sie mit einem Geländekrankenwagen ...“
„In Ordnung. Versuchen Sie es. Aber kommen Sie selbst auf jeden Fall. Es geht um Leben und Tod. Kommen Sie! Ich verpflichte Sie darauf. Sie müssen kommen! Sie werden geholt.“
„Aber ich kann doch nicht einfach hier weggehen und ...“
„Sie können? Ob Sie können oder nicht, Sie müssen! Ich sagte Ihnen, es geht um Leben und Tod, und Sie werden geholt. Sie brauchen selbst nichts dazu tun, als sich warm anzuziehen. Und bringen Sie bitte alles mit an Besteck, was notfalls für eine Sectio notwendig ist.“
„Aber, das hab ich hier gar nicht. Das kann man nur in einer Klinik machen. Wie stellen Sie sich das denn vor, ich kann doch nicht bei Ihnen eine Sectio caesarea machen?“
„Natürlich können Sie das. Hören Sie, ich bin Veterinärin, ich mache das im Kuhstall bei Tieren auch. Die können wir auch nicht erst in eine Klinik fahren, womöglich nach Hannover oder sonst wohin. Das muss an Ort und Stelle geschehen, und das können Sie hier im Notfall auch.“
„Ich kann das nicht dort machen. Das gibt es gar nicht. Und das ist gar nicht zulässig, da sind die aseptischen Gegebenheiten gar nicht gewährleistet und ...“
„Dann rufen Sie den Krankenwagen der Bundeswehr an. Machen Sie, was Sie wollen, aber Sie selbst kommen hierher, und Sie werden auch die Patientin bis in die Klinik begleiten. Ich verpflichte Sie darauf. Sie müssen es tun!“
„Ich muss es gar nicht tun und ...“
„Sie müssen es tun! Sie wissen genau, dass Sie es tun müssen. Ich habe Ihnen erklärt, dass es um Leben oder Tod geht, und dass wir alles zur Verfügung stellen, was für Sie notwendig ist. Was hier von Ihnen verlangt wird, ist nur noch Ihre ärztliche Kunst. Und die werden Sie ja wohl beherrschen können.“
„Wie erlauben Sie sich mit mir zu reden? Das lasse ich mir nicht gefallen! Ich muss überhaupt nicht zu Ihnen kommen. Das können Sie den Leuten gleich sagen, die Sie geschickt haben. Ich werde nicht mitkommen! Ich denke gar nicht daran!“
„Sie verweigern also eine in äußerster Lebensgefahr befindlichen gebärenden Frau Ihre Hilfe, habe ich Sie richtig verstanden?“
Eine Weile kam keine Antwort. Dann sagte die Frau am anderen Ende der Leitung: „Also gut, ich komme! Aber vielleicht schaffen es Ihre Leute gar nicht, hierher durchzukommen.“
„Die kommen durch! Verlassen Sie sich darauf. Und ob die durchkommen! Rufen Sie aber ruhig den Krankenwagen der Bundeswehr an. Vielleicht können die Ihnen wirklich helfen.“
„Mir braucht niemand zu helfen. Ihnen soll geholfen werden; Ihnen, nicht mir“, fauchte die Ärztin zurück, dann legte sie auf.
Marion lächelte grimmig. „Na, warte mal, so einfach auf dem Stühlchen sitzen, die Beine übereinanderschlagen und die Patienten reihenweise antreten lassen, das kann jeder. Und jetzt, wo es einmal ernst wird, da möchtest du kneifen, mein Mädchen. Aber das ist nicht. Du wirst herkommen! Arzt sein ist eben kein reines Vergnügen.“
Sie ging wieder hinauf, und oben sah sie Thomas fragend an. Sie nickte nur beruhigend. „Und hier?“, fragte sie.
„Zurzeit alles gut, zurzeit“, er deutete auf seine Uhr. Isolde, die die Augen geschlossen hatte, konnte das nicht sehen. Er zeigte ihr durch ein Bewegung seines kleinen Fingers, der auf die Uhr deutete, dass sie ungefähr noch eine Dreiviertelstunde Zeit hatten. Dann musste etwas geschehen. Dann musste die Schnittentbindung begonnen werden, sonst war das Kind verloren. Denn dann würden die Wehen wieder einsetzen, dann kam es erneut womöglich zum Abquetschen der Nabelschnur und damit zum Tod dieses kleinen Lebens im Bauche der Mutter.