Читать книгу 11 fantastische Horror-Romane zum Fest - A. F. Morland - Страница 16
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Die rote Morgensonne schien von der Ostseite der San Francisco Bay herüber zu den Piers. Ein kühler Morgen. Wie der glutrote Stern einer sterbenden Welt stand die Sonne direkt über dem auf der anderen Bayside gelegenen Oakland.
Ein Frachter kroch in Richtung Norden, würde an der berüchtigten und heute zum Museum gewordenen Insel Alcatraz vorbeiziehen und die Golden Gate Bridge passieren, um dann den Pazifik zu erreichen.
Murphy stand an der Ecke eines Lagerhauses. Ein gewaltiger Kran in seinem Blickfeld. Davor befand sich eine breite Asphaltfläche. Einige Container waren dort abgestellt worden.
Murphy wartete.
Genau hier war der Treffpunkt.
Es war vier Uhr morgens.
Und um diese Zeit gab es keinen einsameren Ort in der ganzen Bay Area.
Selbst auf dem Highway, der über die San Francisco-Oakland Bridge führte, über die man von Frisco aus links nach Berkeley und rechts nach Oakland gelangen konnte, wurde zur Zeit kaum befahren. Man konnte die Wagen noch zählen.
Murphy blickte auf die Uhr.
Er war früher hier als notwendig.
Das war immer das Beste.
Sich nie überraschen lassen. Eine Überlebensdevise, die er sich in seinem Job zu eigen gemacht hatte.
Unter der Lederjacke, die er trug, fühlte er den Abdruck seiner Beretta. Der Schalldämpfer war aufgeschraubt. Sicher war sicher. Auch wenn der Mörder, dessen Seele in dem Amulett namens Abrash'dala gefangen war, ihn dafür verhöhnte, dass er eine im Vergleich zum magischen Arsenal der Dunkeldämonen geradezu primitive Waffe mit sich führte, so wollte Murphy doch nicht darauf verzichten.
Alte Gewohnheiten, dachte er.
Der Schrecken, den ihm sein letzter Versuch verursacht hatte, 'mit der Finsternis zu verschmelzen', wie es von ihm gefordert worden war, saß noch sehr tief. Wie ein Stachel im Fleisch seiner Seele. Und du hast gedacht, dir kann nichts und niemand etwas anhaben, du wärst mit allen Wassern gewaschen, abgehärtet und stahlhart!, ging es ihm voller Sarkasmus durch den Kopf.
JEDER HAT SEINE GRENZEN, MURPHY.
Auf dich habe ich gewartet, meinen ungeliebten Kommentator!, war Murphys Erwiderung auf den Gedankenimpuls des Mörders Yyndron.
ES IST DIE WAHRHEIT, MURPHY!
Mag sein.
UND JEDER SOLLTE SEINE GRENZEN KENNEN UND SIE RESPEKTIEREN. WER IMMER DAGEGEN VERSTÖSST, WIRD ES BEREUEN!
Nicht ich habe versucht, meine Grenzen zu überschreiten, Yyndron! Du hast es mir eingeredet, mich quasi dazu gezwungen!
DAS IST KEIN WIDERSPRUCH. AUSSERDEM BIN ICH ÜBRZEUGT DAVON, DASS DU ES WIEDER VERSUCHEN WIRST. WIEDER UND WIEDER, BIS ES DIR GELINGT!
ÜBRIGENS - DIESER MOMENT WÄRE EINE GUTE GELEGENHEIT, EINEN ERNEUTEN VERSUCH ZU STARTEN.
Um dann im entscheidenden Moment zu versagen?
ES IST BEDAUERLICH, DASS DU DIESE MÖGLICHKEIT ÜBERHAUPT IN BETRACHT ZIEHST, MURPHY!
Hängt die Tatsache, dass du nichts weiter bist, als eine gefangene Seele in einem Amulett, vielleicht damit zusammen, dass du die Möglichkeit des eigenen Scheiterns nie genug in Betracht gezogen hast?, versetzte Murphy.
Yyndron schwieg.
Murphy hielt das für ein gutes Zeichen.
Er lächelte.
Auf der Bay nahm er eine Motoryacht wahr.
Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, um mit seiner Yacht hinauszufahren, ging es Murphy durch den Kopf. Kurz bevor der Killer in den Diensten der Dunkeldämonen zum Hafen aufgebrochen war hatte ihn ein Anruf erreicht. Einer von Mister Tangs Handlangern hatte sich gemeldet und ihn über die genauen Umstände des Deals informiert. Und dazu gehörte, dass die Kolumbianer mit einer Motoryacht an der Pier anlegen würden.
Und noch etwas anderes hatte Murphy erfahren.
Beide Seiten hatten sich darauf geeinigt, höchstens drei Leibwächter mitzubringen.
Für Murphy eine gute Nachricht.
Er konnte nur hoffen, dass sich alle Beteiligten auch daran hielten. Sonst wurde es vielleicht doch noch eng. Trotz der Kräfte des Abrash'dala.
Eine Limousine mit Überlänge fuhr auf die Pier.
Murphy sah sie ganz deutlich.
Ein Mann stieg aus, gekleidet wie ein Reverend. Die Uzi, die er über der Schulter trug, deutete allerdings an, dass es sich keineswegs um einen Diener des Herrn handelte. Ganz im Gegenteil. Misstrauisch ließ der 'Reverend' den Blick schweifen. Als er die Yacht draußen in der Bay sah, schien er sich etwas zu entspannen.
Jedenfalls glaubte Murphy das aus seiner Körperhaltung herauszulesen.
Er ging zur Hintertür der Limousine, öffnete sie und einen Augenblick später stieg Rico Altobelli ins Freie.
Murphy griff zur Waffe unter seiner Jacke. WAGE ES! ES IST EINE EINZIGARTIGE GELEGENHEIT! ERINNERE DICH DARAN, WIE DU DIE DUNKELDÄMONEN BESIEGT HAST!, meldete sich die Stimme Yyndrons in seinem Inneren.
Murphy ließ die Beretta stecken.
Stattdessen umfasste er mit der Hand das Abrash'dala.
Eine unglaubliche Wärme ging von dem Amulett aus, durchströmte jetzt seinen gesamten Körper.
JA, SPÜRE DIE MACHT, MURPHY... FÜHL SIE UND GLAUBE AN SIE, DANN WIRST DU ES SCHAFFEN!
Er pirschte sich voran, erreichte den Kran.
Murphy duckte sich, blickte unterdem gewaltigen Gewichte- kasten des Krans hindurch.
Altobelli ging ungeduldig auf und ab. Einer seiner drei Leibwächter hatte ein Walkie-Talkie in der Hand. Möglicherweise waren sie darüber in Kontakt mit der Yacht.
DREI LEIBWÄCHTER, erinnerte ihn Yyndron. MIT HILFE DER KRÄFTE DES ABRASH'DALA WIRST DU DAMIT SPIELEND FERTIG.
Murphy legte eine Hand auf das Abrash'dala. Die eigenartige Wärme, die von diesem Amulett ausging, durchströmte ihn. Er erinnerte sich an jenen Augenblick, an dem er in eine Art Blutrausch geraten war und die Dunkeldämonen vernichtet hatte, die man ihm als Gegner vorgesetzt hatte.
Er spürte jetzt wie ähnliche Empfindungen in ihm hochkamen, spürte wie die Kräfte des Abrash'dala von ihm Besitz ergriffen. Gleichzeitig schreckte er davor zurück.
Ich kann es nicht kontrollieren, dachte er.
DU WIRST ES LERNEN, war Yyndrons kalte Antwort.
Und wenn nicht?
DIESE MÖGLICHKEIT GIBT ES NICHT. DU SOLLTEST SIE DESHALB NICHT IN BETRACHT ZIEHEN. UND AUCH ICH WERDE ES NICHT TUN, war Yyndrons Erwiderung.
Der Instinkt für Gefahr meldete sich. Dieser Instinkt hatte nichts mit den Eigenschaften des Abrash'dalas zu tun. Er war vielmehr eine Eigenschaft, die Murphy in den vielen Jahren in denen er als Killer tätig gewesen war zugewachsen war. Murphy hatte es im Gefühl, ob ein Augenpaar auf ihn gerichtet war oder vielleicht der Lauf einer Beretta.
Er wirbelte herum. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er eine Bewegung wahr. Reflexartig hechtete er zu Boden.
Die Reflexe waren durch die Eigenschaften des Abrash'dalas offenbar um ein vielfaches beschleunigt. Er kannte dies schon durch seine Erlebnisse mit den Dunkeldämonen.
Seine Schnelligkeit war es, die ihn in der nächsten Sekunde tatsächlich rettete. Denn nur einen Augenaufschlag später zischten mehrere Projektile dicht über ihn hinweg, klackerten in das Stahlgehäuse des Krans hinein. Hier und da wurden Löcher gestanzt, Funken sprühten.
Murphy rollte sich auf dem Boden herum. Links und rechts schossen weitere Projektile kleine Stücke aus dem Asphalt, ließen sie hochspringen.
Der Mann, der auf ihn gefeuert hatte, trug eine dunkle Lederjacke. Er befand sich an der Ecke eines Containers.
Murphy konnte sich an zwei Fingern ausrechnen, dass es sich um einen von Altobellis Leuten handelte. Offenbar hatte der Mafiosi nicht vorgehabt, sich an die Abmachungen zu halten, die er mit den Kolumbianern getroffen hatte. Zwischen beiden Parteien schien es doch erheblich mehr Mißtrauen zu geben, als dass Altobelli es wirklich riskieren wollte, sich mit nur drei Leibwächtern sehen zu lassen. Offenbar hatte der große Boss vorgesorgt.
Der Geschosshagel verebbte.
"Schnappt ihn euch, Jungs!", rief jemand.
In Windeseile kamen vier Mann aus ihren Deckungen heraus. Alle bewaffnet.
"Stehenbleiben! Keine Bewegung! Zieh ganz langsam deine Waffe heraus und wirf sie herüber!"
Murphy war wie erstarrt. Es war klar, was diese Männer vorhatten. Sie wollten ihn lebend fangen. Altobelli musste unbedingt wissen, wer es war, der da auf ihn gelauert hatte und wer diesen Hitman geschickt hatte.
Die Bewaffneten kamen näher, umringten ihn. Bei der geringsten falschen Bewegung hätte ihn ein Kugelhagel durchsiebt.
Vorsichtig öffnete Murphy seine Jacke. Er kauerte noch immer am Boden. Einer der Männer bewegte seine Beretta auf und ab und deutete Murphy damit an sich aufzurichten.
Murphy ging auf die Knie, öffnete die Jacke nun vollends. Seine eigene Waffe kam zum Vorschein.
Einer der Kerle kam heran, nahm sie ihm ab. Und diesen Augenblick nutzte Murphy. Der Reflex war mörderisch. Ein wuchtiger Schlag traf den Altobelli-Killer in der Körpermitte, schleuderte ihn nach hinten. Murphy erhob sich, wirbelte herum. Der getroffene Mafia-Mobster wurde mit geradezu übermenschlicher Gewalt gegen eine Containerwand geschleudert. Es schepperte. Eine Blutspur zog der Mobster hinter sich her, als er hinabsackte und an der Wand herunter rutschte.
Einer der Killer feuerte, aber Murphy hatte sich längst geduckt. Die Schüsse gingen über ihn hinweg. Querschläger wurden auf die Reise geschickt.
Murphy schnellte mit unglaublicher Gewandheit vor. Seine Fußspitze traf einen der Kerle, schleuderte ihn einige Meter weit zurück gegen seine Komplizen.
Seine Maschinenpistole knatterte los.
Die Schüsse gingen ins Nichts.
Dann hechtete Murphy hinter einen Container. Gerade noch rechtzeitig. Die dreißig bis vierzig Schuss, die man mit einem Feuerstoß einer Maschinenpistole abfeuern konnte, knatterten hinter ihm her, stanzten Löcher in die Containeraußenhaut. Murphy rappelte sich auf.
Habe ich es dir nicht gesagt, Yyndron, ging es ihm durch die Gedanken. Ich beherrsche die Kräfte dieses verdammten Amuletts einfach noch nicht genug.
Die Seele des Mörders antwortete. WER HÄTTE AHNEN KÖNNEN; DASS ALTOBELLI SICH NICHT AN DIE ABMACHUNGEN HÄLT?
Ich, erwiderte Murphy in Gedanken. Denn ich kenne Altobelli! Murphy spürte, wie die Kräfte des Abrash'dala ihn durchströmten.
Er hörte Schritte, viele Schritte.
Er sprang in die Höhe, erreichte mit den Händen die Oberkante des Containers und zog sich hoch. Es war keine Schwierigkeit für ihn, eher eine leichte Übung. Das Abrash'dala machte es möglich. Dann legte er sich auf die Oberseite des Containers, presste sich gegen das kalte Metall.
"Der verfluchte Hund muss hier irgendwo sein!", hörte er eine Stimme. "Hast du das gesehen, wie er Toni umgebracht hat? Mammamia, ich habe noch nie gesehen wie jemand so durch die Gegend geschleudert wurde."
Murphy hörte einen aufbrausenden Motor. Das musste Altobellis Limousine sein. Der große Boss machte sich davon. Der Deal im Hafen war geplatzt, soviel stand fest.
Und wenn auch Murphys Plan, Altobelli umzubringen, fürs erste gescheitert war, so erfüllte es Murphy doch mit einer gewissen Befriedigung, dass das genauso für Altobellis neue Geschäftsbeziehungen mit den Kolumbianern galt.
Murphy wartete ab. Keiner seiner Verfolger erwartete offenbar, dass es einem Menschen möglich war sich so derart schnell an einer glatten Containerwand emporzuziehen.
ABER DU BIST AUCH NICHT MEHR NUR EIN MENSCH, kommentierte Yyndron in seinem Schädel.
Die Worte hallten noch lange in Murphys Bewusstsein wider.