Читать книгу 11 fantastische Horror-Romane zum Fest - A. F. Morland - Страница 18
10
ОглавлениеEinen Tag später...
Murphy saß in einem Coffee Shop in Sausalito, einem nördlichen Stadtteil von San Francisco. Der Weg vom Shapiro auf dem Russian Hill nach Sausalito führte über die berühmte Golden Gate Bridge. Murphy hatte sich einen metallicfarbenen Mitsubishi geliehen. Dem Führerschein nach, der in der Brusttasche seiner Jacke steckte, hieß er Jack Seldur. Aber für den Notfall hatte er noch einige andere Identitäten, die er buchstäblich nur aus er Tasche zu ziehen brauchte. Man musste immer für jede nur erdenkliche Eventualität gerüstet sein.
Murphy hatte in Carlo's Coffee Shop einen Platz eingenommen, von dem aus man aus dem Fenster sehen konnte. Er wollte den Wagen, den er auf der anderen Straßenseite geparkt hatte im Auge behalten. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ihm jemand etwas in den Wagen legte, was dort nicht hingehörte. Einen Sprengsatz zum Beispiel.
Außerdem wollte er wissen, ob ihm jemand auf den Fersen war.
Nach dem missglückten Attentat auf Altobelli musste er damit rechnen.
Verdammt, ich hätte mich auf die herkömmlichen Methoden verlassen sollen!, ging es ihm durch den Kopf.
DU BIST ES NICHT GEWÖHNT, DICH ZU QUÄLEN, WAS?, kommentierte Yyndron, die Mörderseele in seinem Kopf, mit einer Eiseskälte, die Murphy das kalte Grausen bis ins Mark trieb. DU BIST DER TRÄGER DES ABRASH'DALA. EIN PRIVILEG, MURPHY. BEDENKE DAS.
Ich denke schon an gar nichts anderes mehr!, dachte Murphy. Sein Gesicht verzog sich dabei zu einem galligen Lächeln. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Erinnerungen an die Folter, der ihn die Dunkeldämonen unterzogen hatten und die letztlich zu dem Zweck angewandt worden war, ihn gefügig zu machen. Und sie hatten es geschaft. Ich bin ein willfähriges Werkzeug geworden, dachte Murphy. Er hatte schlicht keine andere Wahl gehabt. Die Tatsache, dass er sich kaum etwas so sehr wünschte, wie an Altobelli Rache zu nehmen, änderte daran nichts.
DU WIRST AN DIR ARBEITEN MÜSSEN, UM DICH ALS WÜRDIGER TRÄGER DES ABRASH'DALA ZU ERWEISEN, meldete sich die Stimme Yyndrons in seinem Hirn.
Klang das nicht wie eine Drohung?
Etwas davon schwang mit, kein Zweifel.
Inzwischen kannte Murphy den unsichtbaren Kommentator und Ratgeber gut genug, um dessen Gedankenimpulse richtig einschätzen zu können. Auch wenn er von einer fremden Welt stammte, auf der gewiss andere Gesetze und Regeln galten.
Yyndron beabsichtigte nichts weiter, als dem ehemaligen Hitman anzudeuten, dass die Möglichkeit bestand, ihm das mächtige Amulett wieder wegzunehmen.
Und ihn erneut zu foltern.
Schon bei dem Gedanken an die furchtbaren Schmerzen, krampfte sich alles in Murphy zusammen.
In diesem Moment fuhr ein Wagen vor dem Coffee Shop vor.
Zur gleiche Zeit erschien Carlo persönlich, ein gedrungener wirkender Amerikaner, der in Wahrheit Lew Barovsky hieß und von Italien so viel wusste wie ein toter Hund vom beißen. Aber der Espresso, den er gemacht hatte, sah gut aus.
"Danke!", sagte Murphy, beobachtete weiter die Limousine.
Ein Chinese mit schwarzblauen, hinten zu einem Zopf zusammengefassten Haaren, stieg aus.
Er knöpfte sich das dunkle Jackett zu.
Die Sekunde vorher reichte Murphy aus, um zu erkennen, das er eine Waffe unter der Jacke trug.
Ein Abgesandter von Mister Tang, das war Murphy klar.
Der große Triaden-Pate hatte Murphy hier her, nach Sausalito bestellt. In dem Moment war Murphy schon klargewesen, dass er nur mit einem der subalternen Lakaien des großen Bosses zusammentreffen würde.
Aber was konnte er auch anderes erwarten?
Schließlich hatte Murphy versagt, wenn man unter allem, was geschehen war, einen Strich machte und die Summe zog.
Altobelli lebte noch.
Und das war mehr als nur ärgerlich.
Der Chinese betrat den Coffee Shop, sah sich um. Er erkannte Murphy sofort, ging auf ihn zu, setzte sich zu ihm an den Tisch.
Ein schlechtes Zeichen, dass er mich erkannt hat, dachte Murphy. Das konnte bedeuten, dass von den Passfotos, die für die Erstellung seiner Papiere gebraucht worden waren, noch Duplikate kursierten, die der große Mister Tang dem Zopfträger gezeigt hatte.
Murphy atmete tief durch.
Damit hättest du rechnen können!, ging es ihm durch den Kopf.
Wenigstens schwieg die Mörderseele in dem Amulett jetzt. Wahrscheinlich, weil es um Dinge ging, zu denen Yyndron nicht allzuviel zu sagen hatte, mit denen er sich schlicht und einfach nicht auskannte. Sie hatten zwar gemeinsam, dass sie beide Killer waren, der eine noch aktiv, der andere nur noch als Berater-Schatten eines anderen Mörders, aber die Umstände, unter denen sie ihre Taten begangen hatten, waren einfach zu unterschiedlich.
Sie kamen eben aus verschiedenen Welten.
Und das im wörtlichen Sinn.
Das Gesicht des Chinesen blieb unbewegt. Seine dunklen Augen musterten Murphy aufmerksam.
"Das Debakel an den Piers hat Mister Tang nicht erfreut", war seine wenig diplomatische Eröffnung.
"Kann ich verstehen."
"Ach, wirklich?
"Mich hat die ganze Sache auch nicht erfreut."
"Mister Tang fragt, wie es jetzt weitergehen soll?"
"Mister Tang sollte sich darüber freuen, dass Altobelli ein Riesendeal geplatzt ist. Und der Geldkoffer ist das Organ, an dem man ihn am empfindlichsten treffen kann! Er sollte sich also freuen, dass sich sein Feind in einer geschwächten Verfassung befindet."
Der Chinese richtete sich straff auf.
"Mister Tang teilt Ihre Einschätzung nicht, Murphy! Altobelli wird sich zurückziehen wie eine Schildkröte in ihr Gehäuse. Das zweite Problem ist, das er immer mächtiger wird. Es kann sein, dass er in einigen Monaten schon vollkommen unangreifbar ist!"
"Niemand ist unangreifbar!"
"Ein eigenartiges Credo für einen Hitman, der vor kurzem kläglich gescheitert ist!"
Murphy beugte sich etwas vor, trank seinen Espesso aus.
"Was wollen Sie mir mit Ihren langatmigen Vorträgen und düsteren Andeutungen eigentlich sagen? Habe ich noch Tangs Unterstützung oder nicht?"
"Noch haben Sie sie."
"Ich mag es immer, wenn man mich ermutigt."
'Carlo' kam herbei, der Chinese wollte aber nichts bestellen.
Er winkte ab.
Ein Geräusch ließ Murphy herumfahren. Er nahm eine Bewegung war. Die Tür, die zu den Toiletten führte (oder den 'Waschräumen', wie sie in den prüden Staaten verschämt genannt wurden), wurde zur Seite gestoßen.
Ein Mann mit Basball-Cap stürmte herein, duckte sich, hielt dabei eine 45er Automatik mit aufgeschraubtem Schalldämpfer im beidhändigen Combat-Anschlag.
Es machte zweimal kurz 'klack', während das Mündungsfeuer aus dem Schalldämpfer herauszüngelte.
Der Chinese riss seine Waffe unter dem Jackett hervor.
Eine schlanke, zierliche Beretta - nicht so ein Schädelzerplatzer wie die 45er, um die der Kerl mit der Baseball-Kappe seine Hände gekrallt hatte.
Das Projektil des 45er fetzte dem Chinesen durch die Stirn.
Die Wucht des Aufpralls ließ ihn nach hinten springen.
Der durch seinen Todeskrampf verursachte Schuss aus der Beretta des Zopfträgers ging ungezielt in die Decke, fetzte ein daumengroßes Stück aus einem Holzbalken heraus.
Der Chinese knallte regelrecht auf den Boden.
Blut und Hirnmasse spritzten bis zur Tür.
Der zweite Schuss des Killers mit der Baseball-Kappe traf 'Carlo' nur einen Sekundenbruchteil später in die Brust. Eine hektische Bewegung war dem Besitzer des Coffee Shops zum Verhängnis geworden. Der Killer hatte wohl geglaubt, dass 'Carlo' eine Waffe ziehen wollte.
Die Wucht des Treffers schleuderte ihn bis zum Tresen. Er knallte mit dem Hinterkopf gegen das Holz, blieb in eigenartig verrenkter Haltung liegen.
Ein dritter Schuss war auf Murphy gemünzt.
Aber dieser wich zur Seite. Haarscharf zischte das Projektil an ihm vorbei, durchdrang die Fensterscheibe und ließ sie zerspringen.
Murphys Hand hatte für den Bruchteil einer Sekunde das Abrash'dala berührt. Die charakteristische Wärme ging von dem Amulett aus. Wahrnehmung und Schnelligkeit waren extrem beschleunigt, die Kraft um ein Vielfaches potenziert. Er griff nach dem runden Tisch vor ihm, schleuderte ihn in Richtung des Killers mit der Baseball-Kappe.
Dies geschah mit ungeheurer, übermenschlicher Wucht.
Wie ein gewaltiges Geschoss sauste die Tischplatte durch die Luft.
Sie erwischte den Killer am Hals, schleuderte ihn zurück gegen die Wand.
Ein knackendes Geräusch zeigte an, dass von seinem Kehlkopf wohl nicht viel übrig geblieben war.
Ein Komplize des Killers war inzwischen durch die Tür zu den 'Waschräumen' getreten.
Ein dunkelhaariger Lockenkopf mit einer Uzi über der Schulter.
Eine Schrecksekunde lang starrte er auf seinen getöteten Kumpanen.
Wahrscheinlich war es das erste Mal, dass er miterlebt hatte, wie jemand auf so eine Art und Weise starb.
Dann feuerte der Kerl.
Eine Garbe von dreißig oder vierzig Schüssen knatterte innerhalb eines Herzschlags aus der kurzläufigen MPi heraus.
Murphy rette sich durch einen Sprung durch das zerstörte Fenster, rollte sich auf dem Boden ab. Passanten stoben zur Seite.
Murphy war innerhalb eines Augenaufschlags wieder auf den Beinen.
Im ersten Moment wollte er über die Straße rennen, auf seinen Mitsubishi zu.
Aber er entschied sich anders.
Das hatte mit einem Chevy zu tun, der in diesem Augenblick aus der Reihe parkender Fahrzeuge ausbrach. Der Fahrer riss das Steuer herum. Ein entgegenkommendes Fahrzeug wich aus, als der Chrysler brutal die Fahrbahnseite wechselte. Eine der getönten, spiegelnden Scheiben glitt hinunter. Auf der Beifahrerseite wurde etwas durch den entstehenden Schlitz gesteckt.
Der Schalldämpfer einer Waffe.
Der erste Schuss zischte durch die Luft.
Logischerweise war kein Geräusch zu hören
Das Projektil surrte dicht an Murphy vorbei, zerstörte eine der Schaufensterscheiben ein paar Yards weiter.
Murphy spurtete. Er war durch die Kraft des Abrash'dalas schneller als ein gewöhnlicher Mensch.
Der Lockenkopf-Killer tauchte indessen am zerschossenen Fenster des Coffee-Shops auf.
WERDE EINS MIT DER FINSTERNIS! VERSCHMELZE MIT IHR!, rief die Stimme Yyndrons in Murphy.
Er rannte.
Sprintete.
Schlug einen Haken zwischen den Passanten hindurch.
Er sah die Einschüsse in den Brownstone-Fassaden.
Aus dem Coffee-Shop heraus knatterte die MPi.
Die Passanten stoben auseinander.
Reifen quietschen. Wagen verkeilten sich ineinander.
Murphy erreichte die nächste Ecke.
Er blickte auf seine Hände. Sie waren zu dunklem, schattenhaften geworden. Pure Finsteris, durchschoss es ihn. Diese Schwärze setzte sich fort, breitete sich unaufhaltsam aus. Ein eigenartiges Gefühl der Kraft durchströmte ihn, ausgehend vom Abrash'dala.
DU WIRST ZU EINEM SCHATTEN!, meldete sich Yyndron.
Murphy hatte das Gefühl, dass die Zeit sich dehnte. Alles um ihn herum schien wie ein Zeitlupe abzulaufen.
EINE ILLUSION. ES IST DEINE EIGENE SCHNELLIGKEIT, DIE DICH SO EMPFINDEN LÄSST!, vermeldete die Seele des Mörders. FÜR DEINE FEINDE BIST DU JETZT UNSICHTBAR. WENIGER NOCH ALS EIN SCHATTEN. EIN NICHTS.
Es hätte dieses Hinweises nicht bedurft.
Murphy blieb stehen, drehte sich herum.
Die Passanten hatten sich inzwischen so gut es ging in Sicherheit gebracht, hatten sich in Nebenstraßen und Hauseingänge gerettet.
Aber da war der Killer mit der Uzi, der sich fast hilfesuchend umsah. Er warf einen schulterzuckenden Blick zu dem Chevy hin, aus dem heraus auf Murphy geschossen worden war. Die Wagentür ging auf. Ein Mann mit Schnauzbart stieg halb heraus, in der Hand eine Waffe mit Schalldämpfer. Er blickte genauso orientierungslos drein, wie sein Komplize.
GEH!, riet Yyndron. DU WEISST NICHT, WIE LANGE DU DIESEN ZUSTAND DES VERSCHMOLZENSEINS MIT DER FINSTERNIS AUFRECHTERHALTEN KANNST. SCHLIESSLICH STEHST DU ERST AM ANFANG DER BEHERRSCHUNG DES ABRASH'DALA UND DER IHM INNEWOHNENDEN KRÄFTE.
Ja, dachte Murphy, du hast Recht.
Er löste sich aus seiner Erstarrung.
Ohne Eile ging er weiter.
Ein Dutzend Yards, ein weiteres Dutzend... Die Distanz wurde größer.
Der Uzi-Mann ging zu dem Chevy, der wie zahlreiche andere Fahrzeuge auch, eingekeilt war.
Dann setzte die Rückverwandlung ein. Sie kam schnell und unvorbereitet. Sein zu einem Schatten gewordener Körper verwandelte sich wieder in das, was er vorher gewesen war. In den Körper eines gewöhnlichen Menschen. Gewöhnlich, wenn man von dem Umstand absah, dass es sich um den Träger des Abrash'dala handelte.
Ein Motorrad fuhr zwischen den sich gegenseitig blockierenden Fahrzeugen hindurch, setzte dann seinen Weg über den Bürgersteig hinweg fort, brauste knapp an den Auslagen eines Gemüsehändlers entlang und hielt dann mit quietschenden Reifen neben Murphy.
Der Fahrer wirkte sehr grazil.
Murphy fragte sich, ob es eine Frau war.
Die sanften Rundungen, die sich durch die Ledermontur abhoben, sprachen dafür. Das Gesicht konnte Murphy nicht sehen. Ein Helm mit heruntergelassenem Visir verdeckte es. Nicht einmal die Augen waren sichtbar. Das getönte Plastikglas verhinderte es.
"Aufsteigen!"
Die Anweisung war knapp und unmissverständlich.
Und es handelte sich tatsächlich um die Stimme einer Frau.
Murphy zögerte nicht lange. Das beste Angebot, dass du in dieser Situation bekommen kannst!, ging es ihm durch den Kopf. Er bestieg das Motorrad, setzte sich hinter die grazile Fahrerin, der man kaum zutraute, das Motorrad beherrschen zu können, musste dann zusehen, dass er sich an ihr festhielt. Sie brauste los. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit raste sie davon. Passanten sprangen zur Seite. Dann, als es wieder möglich war, wechselte sie auf die Fahrbahn.
In den ersten Augenblicken hielt Murphy den Atem an.
Schüsse peitschten hinter ihm her.
Auch seine Verfolger hatten die Verwandlung mitbekommen, die mit dem Schattenwesen vor sich gegangen war.
Aber es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Distanz so immens war, dass die Verfolger keinerlei Gefahr mehr darstellten.