Читать книгу Vom Himmel abgewiesen - Abdul Maria-Lama - Страница 12
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ОглавлениеImmer deutlicher spürte Ali den fürchterlichen Schmerz an seinem Kopf. Zitternd hob er die Hand, fasste sich an die Schädeldecke, wo eine dicke Beule gewachsen war. Dabei fühlten sich seine Finger richtig klebrig an. „Au, au“, wimmerte er. „Hilfe, ich blute. Wo bin ich?“ Nur mühsam erinnerte er sich wieder an das vorherige Geschehen.
„Der Arme, das ist er nicht!“, vernahm er eine weibliche Stimme ganz nah bei sich. Interessiert öffnete er die Augen. Eine wunderschöne <Jungfrau> stand neben ihm und blickte freundlich auf ihn herab.
„Schnell, gebt mir ein Tuch und holt einen Eisbeutel!“, rief die <Jungfrau> und beugte sich zu Ali herunter, der von der Burka entkleidet mit dem Rücken auf dem Boden lag. „Man muss das Blut aufsaugen und die Beule kühlen.“
Behutsam legte die Schöne das ihr gereichte Tuch auf seine Wunde und hielt es mit den Händen fest. Ganz nah kam sie dabei mit ihren spärlich bedeckten Brüsten an sein Gesicht heran. Wie ferngesteuert blickte ihr Ali in den Ausschnitt und entdeckte ein kleines Rosentattoo. ´Ui`, dachte er, ´die linke Brust der Jungfrau ist mit einer Blume verziert. Sicher soll der Richtige danach greifen.`
Schon zog sie ihre Brüste wieder zurück, richtete sich kniend auf und sagte mit sanfter Stimme: „Du Armer, wegen mir bist du so geschlagen worden!“
´Auch diese Jungfrau soll anscheinend mir gehören`, dachte Ali. ´Aber weshalb hat mich dann die Wärterin geschlagen?`
Lächelnd beugte sich die Schöne wieder zu Ali herunter und küsste ihn zweimal auf die Stirn. Sofort schlug sein Herz schneller und seine Kopfschmerzen steigerten sich erneut ins Unerträgliche. „Au, schön, ja, ohhh, aua“, jauchzte er wimmernd.
„Jeanette!“, rief eine weibliche Stimme streng. „Wir wollten nur wissen, ob der Kerl dein Zuhälter ist.“
Jeanette blickte auf und sagte trotzig: „Nein, mit Sicherheit nicht! Ihr habt ihm Unrecht getan, ihr habt ihn geschlagen, einfach so, nur auf Verdacht!“
„Wenn du einen Mann verprügelst, triffst es nie den Falschen!“, rief die Stimme zurück, die Ali nun Erika, der Wärterin des Frauenhauses, zuordnete. „Das gilt auch für diesen hier, selbst wenn er nicht dein Zuhälter ist! Wir Frauen wissen doch, alle Männer sind potenzielle Vergewaltiger, jeder hat Schläge verdient! So, jetzt entferne dich wieder von dem Kerl, sonst verfällst du ihm noch!“
´Die Wärterin ist die Tochter des Teufels persönlich`, dachte Ali. ´Würde sie Männer sonst so hassen?`
„Komm zur Vernunft und setz dich zu uns!“, schallte die Stimme der Wärterin jetzt satanisch böse. „Wie oft bist du schon ohne Grund von einem Kerl geschlagen worden! Nun hat es einmal die Gegenseite erwischt – da brauchst du dir keinen Kopf zu machen!“
„Außerdem hat der Typ sehr wohl etwas getan!“, tönte Gerdas Stimme. „Er wollte sich unerkannt zu uns ins Frauenhaus einschleichen. Wer weiß, was er alles vorhatte.“
„Er wollte nur Schutz und Sicherheit im Zeichen der Burka und ihr habt ihn misshandelt“, rief Helga nun dazwischen.
„Ach ja“, tönte Erika. „Da habe ich eine interessante Frage an euch. Habt ihr gewusst, dass sich ein Kerl unter dem Stoffumhang befindet?“
„Äh, öh, wieso? Nein! Vielleicht hätten wir drauf kommen können. Aber uns ist er als Frau vorgestellt worden und wir haben es geglaubt.“
„Wenn das so ist, dann haltet euch da raus! Und du, Jeanette, setz dich her zu uns, der Kerl tickt nicht richtig!“
Während Jeanette sich von Ali entfernte, warf dieser ihr einen sehnsüchtigen Blick hinterher und dachte: ´Die strenge Wärterin ist verärgert, dass ich als Burkafrau verkleidet in ihrem Haus erschienen bin. Deshalb will sie mir nicht ihre Jungfrauen geben. Ich muss ihr sagen, wie´s wirklich war.` „Frau Helga lügt“, wimmerte er los. „Sie und die andere Frau hier und ihre beiden Männer haben gemeint, um ins Frauenhaus zu kommen, muss ich mich unter einer Burka verstecken und darf nicht reden. Dann würden alle glauben, dass ich eine Frau bin und ich dürfte hier bleiben.“
Mit aufgerissenen Augen sah Erika zuerst Helga und dann Lydie an. „Stimmt das? Habt ihr gewusst, dass er ein Mann ist?“
„Nein, wo denkst du hin?“, antwortete Lydie. „Wieso hätten wir ihn dann in euer Haus bringen sollen?“
„Damit mich die Behörden nicht finden, foltern und abschieben können“, rief Ali mit weinerlicher Stimme dazwischen. „Außerdem haben sie mir versprochen, dass ich hier zu meinen Jungfrauen komme.“
„Glaubt ihm kein Wort“, sagte Lydie. „Er ist komplett verwirrt. Deshalb denkt er auch, ein Frauenhaus ist ein Haus voller Jungfrauen.“
„Eh, das ist so, er hat sehr viel Schlimmes erlebt“, fügte Helga hastig an. „Zuerst in seiner Heimat, dann auf der Flucht und schließlich hier in Deutschland mit den Schweinebehörden. Von all den traumatischen Erlebnissen ist er psychotisch geworden.“
„Er hat eine Jungfrauenpsychose, das wurde sogar in der Psychiatrie festgestellt“, ergänzte Lydie.
„Und woher wisst ihr das alles?“ fragte Erika.
„Er hat es uns gesagt“, entfuhr es Helga.
Erikas Augen weiteten sich. „Ach so, ich dachte er konnte nicht sprechen!?“
„Öh, ja, nein!“, stammelte Helga. „Ich meine, ein paar Worte hat er manchmal schon noch rausgebracht.“
Über Erikas Gesicht huschte ein spöttisches Grinsen. „Er oder sie? Ich dachte, er wäre als Frau aufgetreten?“
„War er auch, ich meine, anfangs hat er so getan“, erklärte Lydie kleinlaut.
„Nein, ich bin noch nie als Frau aufgetreten“, rief Ali wimmernd und drückte das nasse Tuch an seine Wunde. „Diese beiden verrückten Frauen haben mich – mit ihren ebenso verrückten Männern, die nebenan im Auto warten - aus dem Krankenhaus gelockt. Dann haben sie gemerkt, dass ich keine Revolution machen will, sondern auf der Suche nach zweiundsiebzig Jungfrauen bin und wollten mich wieder los werden. Als sie nicht wussten wohin mit mir, haben sie gemeint, ich soll als stumme Burkafrau in einem Frauenhaus untertauchen. Wenn ich das nicht täte, bekäme ich keine Jungfrauen, sondern würde gefoltert und abgeschoben.“
„Na ja, zumindest das mit der Jungfrauenpsychose scheint zu stimmen,“ meinte Sabine spöttisch.
„Seine Psychose hat aber nichts mit der Flucht zu tun“, merkte Samira an. Diese Krankheit stammt aus seiner Heimat. Alle islamisch dominierten Gesellschaften sind von einem ausgesprochenen Jungfräulichkeitswahn besessen.“
„Moment mal“, schaltete sich Helga erregt ein. „Wir haben nicht das Recht, fremde Gesellschaften als krank zu bezeichnen. Sie sind einfach anders. Wenn eine Gesellschaft krank ist, dann unsere!“
„In islamischen Ländern werden Frauen oftmals wie Haustiere eingesperrt, das soll man nicht als krank bezeichnen?“, empörte sich Gerda.
Ali hatte sich inzwischen mühevoll aufgerichtet und sagte mit erregter Stimme: „Dieses Land hier ist krank, ehrlose Männer lassen ihre Ehefrauen, Töchter und Schwestern unverschleiert aus dem Haus! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie schamlos deutsche Frauen herumlaufen. Wer weiß, wie viele Frauen in diesem Haus tatsächlich noch jungfräulich sind!“
„Halt dein Maul, du Scheißkerl!“ Samira´s Stimme bebte. „Ich kann das Wort Jungfrau nicht mehr hören! Leute wie du zerstören Millionen von Menschenleben. Und damit du Bescheid weißt, dies ist kein Haus voller Jungfrauen, dies ist ein Haus für Frauen, die vor ihren gewalttätigen Männern Schutz suchen!“
„Aber was ist mit den beiden anderen schönen Frauen hier? Mit der, die mich gerade gestreichelt hat? Und mit Frau Elke? Frau Elke, Sie sind doch noch unberührt, nicht wahr?“
Elke wandte wortlos ihren Blick von Ali ab. Stattdessen erklärte Erika mit schneidender Stimme: „Sie ist Mitarbeiterin und keine Frau, die vor ihrem Mann flüchtete. Alles Weitere geht dich einen feuchten Kehricht an.“
Wie von einem Baum getroffen sank Ali in sich zusammen. Seine ganzen Hoffnungen, in diesem Haus Jungfrauen zu finden, waren mit einem Schlag verflogen! ´Der Erzengel Immamuel hat es mir vorausgesagt` sinnierte er. ´Um mein großes Ziel zu erreichen, muss ich in diesem, vom Christentum geprägten Land erst leiden. So schwer es ist, ich habe diese Bürde geduldig zu ertragen.`
„Ihr nehmt ihn doch bei euch auf - auch wenn er ein Mann ist?“, fragte Lydie nach einer kurzen Pause und sah Erika verlegen an. „Wir wissen nämlich nicht, wohin mit ihm. Euer Haus fiel uns als allerletzter Ausweg ein.“
„Tut uns leid! Einen Mann können wir nicht hierbehalten, schon gar nicht so einen Perversen und erst recht nicht, wenn ihr uns angelogen habt! Ihr müsst ihn wieder mitnehmen und woanders unterbringen! Außerdem ist es immer problematisch, jemand mit illegalem Status im Haus zu haben.“
„Kein Mensch ist illegal!“ Helga blickte Erika düster an.
„Ich habe nicht gesagt, dass Ali als Mensch illegal ist, sondern es auf Aufenthaltsstatus in Deutschland bezogen! Diesen Unterschied musst du schon verstehen!“
„Nein, verstehe ich nicht! Auch der Status eines Menschen kann nicht illegal sein!“
„Wenn keine Aufenthaltsberechtigung vorliegt, sehr wohl!“
„Aufenthaltsberechtigung, wenn ich das schon höre! Jeder Mensch auf dieser Erde ist berechtigt, hier vollwertig zu leben! Solange sich der deutsche Staat dem verweigert, ist er inhuman und ausländerfeindlich. Progressive Kulturwissenschaftler und Soziologen sehen das genauso!“
Erika runzelte die Stirn. „Dann wären alle Staaten ausländerfeindlich. Es gibt nämlich keinen einzigen Staat, der unbegrenzt Ausländer ins Land lässt und ihnen zudem noch alle Rechte einräumt.“
„Jeder Staat ist eine Gewaltkonstruktion“, mischte sich Lydie ein. „Faschistoid, ausländerfeindlich, patriarchal. Deshalb kämpfen wir für die Abschaffung des Staates. Hier in diesem Land und weltweit. Hoch die internationale Solidarität!“
„Aufhören!“, wimmerte Ali. „Mein Kopf hält dieses unverständliche Gerede nicht länger aus.“
„Also, was ist?“, fragte Helga. „Nehmt ihr unseren Ali auf, oder soll er abgeschoben werden, weil er ein Mensch fremder Herkunft ist und ihr ihn misshandelt habt?“
Gerda und Elke blickten fragend auf Erika. Diese sagte nach kurzem Zögern: „Immerhin hängt von unserer Gesetzestreue ab, ob wir weiterhin das Haus finanziert bekommen.“
Helga verzog den Mundwinkel nach unten. „Verstehe, ihr lasst euch also kaufen. Die Interessen eines Flüchtlings haben da keinen Platz mehr. Komm Lydie, wir versuchen es in einem anderen Frauenhaus. Dort wo das Leben eines Menschen wichtiger genommen wird, als juristischer Formalkram.“
„Wenn es sich um eine Frau handeln würde, wäre ich vielleicht bereit, solch ein Risiko einzugehen. Aber nicht für einen Mann.“ In Erikas Stimme mischte sich ein nachdenklicher Ton.
Helga setzte eine mitleidige Mine auf und sagte: „Bei ihm handelt es sich genauso um einen Flüchtlingsfall wie bei all den Frauen hier. Die Frauen mussten vor ihren gewalttätigen Ehemännern flüchten - dieser Mann hier flüchtete vor einem despotischen Herrscher aus seiner Heimat. Das mit der Burka war eine Notlüge, um ihn zu retten. Wenn er nicht bei euch bleiben kann, wird er abgeschoben und muss um sein Leben fürchten. Wir wissen nicht, wohin mit ihm. Wir sind schon ganz verzweifelt.“
„Der Ali könnte doch bei euch im Haus erst mal so leben wie all die andern Frauen hier“, ergänzte Lydie. „Soziologisch betrachtet würde er dadurch zu einer Frau werden. Wenn er sich gut fügt, könnt ihr versuchen, ihm über einen Frauenfonds eine Geschlechtsumwandlung zu finanzieren. Dann hättet ihr auch biologisch eine Frau aus ihm gemacht.“
„Hm, das ist keine schlechte Idee“, sagte Gerda. Schließlich gibt es dadurch eine Frau mehr und einen Mann weniger auf der Erde.“
„Das wäre wirklich eine effektive Frauenförderung“, ergänzte Lydie. „Stimmt´s Helga?!“
Die Angesprochene schwieg beharrlich.
„Wenn die Geschlechtsumwandlung vorab stattfinden würde, könnten wir über eine Aufnahme reden“, sagte Erika.
Lydie blickte Ali auffordernd an. „Komm Ali, lass dir deinen Penis und deinen Hodensack wegschneiden, dann darfst du hierblieben und die Welt wird ein Stückchen besser.“
„Und für uns Frauen sicherer“, ergänzte Erika.
„Was? Ich soll mir meine Geschlechtsteile abschneiden lassen?“, rief Ali entrüstet. „Um mich zu einer Frau zu degradieren? Niemals! Lieber lasse ich mich foltern und abschieben!“
„Wenn, dann wirst du erst nach der Abschiebung gefoltert“, korrigierte Erika.
„Nein“, widersprach Ali, „Frau Helga hat auf der Fahrt hierher gesagt, zuerst werde ich in Deutschland gefoltert und dann in meine Heimat abgeschoben.“
„Also in Deutschland wird nicht gefoltert! Eindeutig nicht! Sicher gibt es auch zweifelhafte Maßnahmen der Behörden, aber keine Folter.“
„Hast du eine Ahnung, was der deutsche Schweinestaat mit Flüchtlingen alles anstellt! Erst neulich ...“
„Hört auf zu streiten!“ Mit diesen Worten unterbrach Samira Helga. „Ich hätte einen Vorschlag, der die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.“
Erika machte große Augen. „Na, sag schon!“
„Der Ali bleibt - umhüllt von seiner Burka - hier im Frauenhaus und lebt wie eine Burkafrau. Er wird dadurch am eigenen Leib erfahren, wie es Frauen in seiner Kultur ergeht.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, protestierte Ali. „Wenn Allah gewollt hätte, dass ich so leben muss, hätte er mich als Frau erschaffen. Das hat er aber nicht und weil er mich als Mann ...“
„Du bist still!“, schnitt Erika ihm das Wort ab. „Wenn wir Frauen uns über dich Gedanken machen, hast du gefälligst zuzuhören!“
„Nein, das lasse ich mir als muslimischer Mann nicht bieten! Mir hat keine Frau irgendetwas zu sagen!“
Erika kniff die Augen zusammen. „Meinst du?“ Dann bückte sie sich und hob den Holzschläger, den sie Ali über den Kopf gezogen hatte, vom Boden auf, schwenkte ihn drohend in der Luft und meinte: „Soll ich nochmal zuschlagen?“
Entsetzt starrte Ali auf den Schläger. „Nein, nicht schlagen, ich habe es nicht so gemeint! Ich höre auf alle Frauen hier!“
Erika legte den Schläger wieder zu Boden und sah Samira an: „Dein Vorschlag klingt ganz interessant, aber was haben unsere Frauen davon?“
Samira lächelte bedächtig: „Die Genugtuung, dass endlich auch ein Mann in ihrem Umfeld das gedemütigte Leben einer Frau erfährt, und zwar in einem Ausmaß, wie es für euch im Westen unvorstellbar ist.“
„Ja, genau, die Rolle eines Anderen einzunehmen ist pädagogisch sehr wertvoll, das haben wir erst letztes Semester an der FH gehört.“ Elke glühte vor Begeisterung.
„Das scheint doch für alle Seiten passabel“, kommentierte Lydie. „Was meinst du dazu Helga?“
„Bevor wir ihn wieder mitnehmen müssen, von mir aus!“
„So etwas geht aber nur, wenn alle unsere Bewohnerinnen einverstanden sind. Meine Stellvertreterin Irmi muss selbstverständlich auch zustimmen - und die anderen Frauen im Haus. Was denkst du darüber, Gerda?“
„Na ja, für unsere Frauen wäre es sicher eine neue Erfahrung, einmal einen Mann richtig zu demütigen.
„Ich find´s gut, wenn wir Frauen und Ali im Umgang miteinander unsere Geschlechterrolle wechseln“, schwärmte Elke. „Durch diese multiperspektivischen Erfahrungen bekommen wir alle ein Stück Bewusstseinserweiterung.“
„Okay, ich geh mal ins Büro und versuche Irmi zu erreichen“, sagte Erika. „Schließlich muss sie auch zustimmen, wenn wir diesen Ali aufnehmen. Lasst euch inzwischen von Samira erklären, wie sich eine orientalische Burkafrau zu verhalten hat, macht euch am besten Stichpunkte; und du Jeanette, wirst hier nicht mehr gebraucht, geh bitte wieder auf dein Zimmer.“
Jeanette warf Ali noch einen mitleidigen Blick zu und verließ mit Erika den Raum. Sehnsüchtig blickte ihr Ali hinterher. Nachdem Elke sich bereit erklärt hatte, die Notizen zu machen, begann Samira mit ihren Ausführungen: „In der Kürze kann ich nicht alle Aspekte der Frauenrolle in meiner Heimat erläutern. Außerdem muss ich mich auf das beschränken, was unser Ali erfüllen kann. Zum Beispiel ist er als Mann nicht fähig, Kinder zu gebären. Die zentrale Frauenpflicht, möglichst viele Söhne in die Welt zu setzen und damit den Islam zu stärken, können wir deshalb nicht einfordern. Aber auch so ...“
„Verglichen mit uns Frauen sind Männer doch minderwertige Kreaturen“, unterbrach Lydie. „Unfähig, selbst Kinder auszutragen, ständig fixiert auf ihren Schwanz und meistens viel zu doof, sich angemessen mitzuteilen. Selbst ihre Gefühle kennen sie nicht. Überlegen sind sie uns nur in der Anwendung von roher Gewalt.“
„Na ja, angeblich können Männer besser einparken als wir“, bemerkte Elke.
„Aber Unfälle bauen sie trotzdem mehr“, setzte Gerda nach.
„Das Beispiel Autofahren zeigt“, ergänzte Lydie, „dass sie durch ihre destruktive Aggressivität uns Frauen sogar darin unterlegen sind, wo sie vielleicht besser sein könnten.“
„Hm“, machte Helga. „Psychologisch betrachtet besteht der Mann aus einer Mischung von Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn. Um seine gefühlte Minderwertigkeit zu kompensieren, muss er uns Frauen ständig unterdrücken, wenn nötig auch durch Gewaltanwendung.“
„Viele Männer forschen, tüfteln und erfinden aber auch“, warf Elke ein. „Schließlich sind es fast immer Männer, die uns Frauen durch technischen Fortschritt das Leben erleichtern. Denkt nur mal an die Waschmaschine. Was mussten die Frauen früher einen Aufwand betreiben, um die Wäsche sauber zu kriegen.“
„Pah!“, entgegnete Lydie. „Wenn wir Frauen die gleiche Förderung und Ausbildung bekämen, würden wir noch ganz andere Dinge erfinden! Nicht nur Dinge, die uns unsere Ausbeutung durch die Männer leichter ertragen lassen.“
„Ja, es ist an der Zeit“, kommentierte Gerda, „dass wir Frauen die Zügel in die Hand nehmen, in der Gesellschaft, in der Politik, in der Wirtschaft und auch in der Religion. Erst wenn wir Frauen die Welt dominieren, wird sie friedlich und human.“
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Ali alles schweigend über sich ergehen lassen. Nur mühevoll war es ihm gelungen, seine Aggressionen zurückzuhalten. Nun, da er vernahm, dass nicht der Islam, sondern Frauenherrschaft den Erdenfrieden stiften sollte, konnte er sich nicht mehr kontrollieren. Obwohl der Kopf wie wild schmerzte, schimpfte er nun lautstark los: „Ihr satanischen Ungläubigen, der Islam, einzig der Islam bringt allen Menschen Frieden! Damit ihr es wisst: Wir Männer stehen eine Stufe über euch Frauen – ausnahmslos! Der Mann ist sogar der Abglanz Allahs, die Frau nur der Abglanz des Mannes! So steht es im Koran, dem heiligen Buch von uns Muslimen.“
Lydie warf Ali einen grimmigen Blick zu. „Ja, ihr Männer müsst schon eine große Stufe über uns Frauen stehen; nur so kommt ihr mit all eurer Mickrigkeit auf gleiche Augenhöhe! Insofern hat der Koran sogar recht!“
Und merk dir noch etwas“, fügte Gerda höhnisch grinsend an, „wenn ihr Männer ein Abglanz eures Gottes seid, dann ist dieser Gott ein armseliges Wesen.“
„Hoh, hoh, hoh!“ Ali schnappte empört nach Luft und hielt sich den Kopf, um die abscheulichen Schmerzen auszuhalten.
Besorgt sah Helga Ali an und sagte: „Du bist ganz rot im Gesicht und atmest so komisch.“
Ali hob den Kopf leicht an und blickte mit schmerzverzerrtem Gesicht erst auf Lydie, dann auf Gerda. „Ihr teuflischen Frauen, ihr werdet für diese Gotteslästerung eure gerechte Strafe noch bekommen! Allah wird dafür sorgen. Aua ohh, au, Mann tut das weh!“
Die Beiden verzogen angewidert das Gesicht. Gerda meinte: „Ich nehm´s nicht persönlich! Der Typ ist völlig durchgeknallt!“
Lydie nickte. „Ich will nur noch eins, ihn loswerden.“
„Das ist kein Grund, seine Religion ...“
„Lasst mich doch endlich die Frauenrolle in meiner Heimat zu Ende erzählen!“, unterbrach Samira Helga ungehalten. „Wir wollen schließlich den Rollentausch vorbereiten.“
„Ja, du hast recht“, antwortete Gerda. „Über die männliche Minderwertigkeit zu diskutieren, ist so sinnlos wie offensichtlich.“
„Also“, fuhr Samira fort, „entscheidend ist, dass Mädchen und Frauen niemals über sich selbst bestimmen dürfen. Ihr gesamtes Leben lang haben sie sich am Islam und seinen Traditionen auszurichten, dabei stehen sie stets unter männlicher Vormundschaft. In der Regel werden sie sehr früh mit einem Mann verheiratet, den sie nicht kennen. Neben der bedingungslosen Befriedigung ihres Ehemanns sind sie verpflichtet, viele Söhne zu gebären, sich auf die Kinder und den Haushalt zu beschränken, und sich dabei den Schwiegermüttern unterzuordnen. Von familienfremden Männern haben sich Frauen prinzipiell fernzuhalten, das Haus dürfen sie nur verhüllt, tagsüber und mit Erlaubnis ihres Vormundes verlassen; lässt sich die Nähe eines familienfremden Mannes nicht vermeiden, haben sich die Frauen schamhaft abzuwenden.“
„Hörst du, schamhaft abzuwenden!“, wiederholte Lydie und blickte Ali eindringlich an. Dieser nickte stumm.
„Bringt die Frau keine Söhne zur Welt“, fuhr Samira fort, „wird ihr die Schuld zugeschoben. Wenn der Ehemann es sich leisten kann, tauscht er sie dann gegen eine andere aus oder stellt sie als Nebenfrau aufs Abstellgleis. Und wie gesagt, Frauen müssen stets dafür sorgen, dass sich niemand an ihnen vergreifen kann. Selbst wenn sie vergewaltigt werden, bekommen sie die Schuld zugeschoben und werden von ihren Familien hart bestraft, ja sogar getötet.“
„Das heißt“, sinnierte Elke, „wenn wir Ali außerhalb seines ihm zugewiesenen Bereiches zu Gesicht bekommen, können wir ihn nach Lust und Laune quälen.“
„Ihr könnt ihm auch was lang ziehen“, ergänzte Lydie.
„Vor allem dann, wenn wir ihn ohne Burka erwischen“, fügte Samira an. Die Burka dient ihm als Schutz vor Belästigung und sexueller Misshandlung. Alis Verhüllung sagt uns <seht her, ich bin eine ehrbare Person, ich habe all meine Reize unter einem Stoffkäfig verhüllt, ich gebe niemand Anlass, mich zu begehren.>“
Elke legte den Stift zur Seite und betrachtete ihre Mitschrift. „So, jetzt fasse ich zusammen: Unser Ali wird die meiste Zeit im Haus als Küchenhilfe, als Putzkraft und beim Wäschewaschen verbringen, wohnen wird er in der Dachkammer, beim Essen kommt er als Letzter dran, außerhalb seines Zimmers muss er immer Burka tragen, Freizeit ist gestrichen, unsere Anweisungen hat er strikt zu befolgen, sein Zimmer darf er nur mit Genehmigung verlassen, von den Frauen hat er sich fernzuhalten.“
„Und“, ergänzte Gerda, „wenn er diese Regeln nicht befolgt, haben alle Frauen das Recht, ihn sexuell zu belästigen oder zu misshandeln.“
Inzwischen hatte Erika wieder den Raum betreten. „Hast du alles verstanden?“, fragte sie Ali harsch.
„Verstanden schon, aber einverstanden bin ich damit nicht,“ entgegnete dieser leise. Die geballte weibliche Aggressivität hatte ihn völlig eingeschüchtert.
„Du lässt dich auf das Rollenspiel ein!“, blaffte Lydie los. „Denkst du, wir haben dich durch ganz München gekarrt und uns deinem dämlichen Gequatsche ausgesetzt, damit du dich weigerst, diesen Unterschlupf hier anzunehmen?“
„Wenn wir gewusst hätten, was da auf uns zukommt, hätten wir dich in der Klapse gelassen“, ergänzte Helga.
Ali drehte den Kopf zur Seite und murmelte: „Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, wäre ich gar nicht mitgekommen.“
„Er ziert sich“, meinte Samira verächtlich. „Obwohl wir ihn wesentlich besser stellen, als die Frauen in meiner Heimat. Er muss weder Angst vor einer Vergewaltigung haben, noch davor, dass er der Ehre wegen getötet wird.“
Erika trat an Ali heran. „Sollen wir dich vergewaltigen, damit du dich fügst? Auch wenn es bei euch Männern nicht so einfach geht, wir kriegen das schon hin!“
Alis Widerstand gegen die weibliche Übermacht war nun völlig gebrochen. Dutzende Schweißperlen auf seiner Stirn bahnten sich ihren Weg nach unten. „Nein, bitte, bitte nicht!“ bettelte er. „Ich werde hier leben wie eine orientalische Frau und bin gehorsam.“
„Okay“, meinte Erika, „obwohl es bei dir als Mann etwas länger dauert, ist der Groschen jetzt gefallen. Wenn Irmi und die Hausbewohnerinnen zustimmen, bleibst du eine Zeit lang hier.“
„Gott sei Dank!“, entfuhr es Helga.
Lydie atmete laut aus und sagte: „Na endlich – länger hätte ich den Kerl nicht ausgehalten!“
„Hoffentlich überfordern wir ihn nicht“, warf Elke ein. Seine patriarchale Sozialisation hat sich sicher tief in seine Persönlichkeit eingegraben.“
„Für ihn ist es ganz einfach“, entgegnete Samira: „Er muss immer nur daran denken, er wäre eine seiner Schwestern, wir Hausbewohnerinnen wären die familienfremden Männer seines Dorfes und Ihr Mitarbeiterinnen wäret seine männlichen Familienangehörigen. Wenn er sich so verhält, wie sich die Schwester verhalten sollte, bekommt er keine Probleme.“
„Hast du das kapiert?“, fragte Erika.
Ali nickte gehorsam und dachte: ´Welch eine Schande! Jetzt soll ich leben wie meine Schwestern. Das hat mir der Erzengel aber nicht gesagt! Leider habe ich keine andere Wahl. Sobald ich dieses Horrorhaus verlassen habe, werde ich umso aufrechter das Leben eines geachteten muslimischen Mannes führen.`
„Übrigens“, sagte Erika nach kurzem Schweigen, „ich habe Irmi erreicht. Sie hat gleich verstanden, dass dieser Fall eine dringende Angelegenheit ist, und beeilt sich.“
In diesem Moment klingelte Helgas Handy. Am anderen Ende meldete sich Volker: „Ja, wir sind noch im Verhandeln“, sagte Helga. „Das Ganze ist recht kompliziert geworden, der Ali hat sich extrem dämlich angestellt und ist aufgeflogen - aber wir scheinen Glück zu haben; so wie es aussieht, darf er, als Burkafrau verkleidet, im Haus bleiben. ... Ja, er muss sich auch wie eine Burkafrau verhalten. ... Sein Jungfrauengequatsche haben sie ihm schon ausgetrieben. ... Wie lange es noch dauert? Kann ich nicht genau sagen. Eine halbe, eine ganze Stunde? ... Ihr wollt nicht auf uns warten? ... Da kann ich nichts ändern. ... Nein, den Bus kriegt ihr nicht; wenn es euch pressiert, könnt ihr mit den Öffentlichen zurückfahren. ... Dann geht halt in ein Lokal. Wenn wir soweit sind, rufen wir euch an, okay? ... Ja, ohne den Verrückten, ich denke, das wird schon klappen. Tschau!“
„Das waren unsere beiden Begleiter, die auf der Straße stehen“, erklärte Helga. „Die haben gefragt, wo wir bleiben und was mit dem Ali ist. Denen dauert es schon zu lange.“
„Da hast du genau richtig reagiert“, meinte Erika. „Männer haben stundenlang Zeit, vor einem Bildschirm zu sitzen und nackte Frauen anzuschauen, da können sich die Herrschaften auch mal gedulden, damit wir Frauen alles in Ruhe klären können.“
„Ich will nicht hierbleiben, ich möchte lieber zu den beiden Männern, die im Bus sind“, sagte Ali zaghaft. „Selbst wenn dort keine wunderschönen Jungfrauen auf mich warten.“
Erika riss die Augen auf. „Jetzt reicht es uns mit deinem Gefasel! Du gibst unaufgefordert keinen Ton mehr von dir, sonst kleben wir dir den Mund zu.“
Lydie nahm die durchnässte Burka aus dem Wasserbottich. „Du bist jetzt wieder die stumme Burkafrau! Los zieh dir das Ding über und setz dich abseits von uns auf einen Stuhl!“
Ali hob abwehrend die Hände. „Ich will die Burka nicht anziehen, sie ist nass und kalt! Ich möchte lieber trockene Kleidung, mich friert.“
„Von wegen!“ schaltete sich Samira ein. „In meiner Heimat wurden Frauen, nur weil sie keine Burka trugen, vergewaltigt und du regst dich auf, weil du wegen ein paar nasser Klamotten einen Schnupfen bekommen könntest!“
Helga blickte Ali mitleidig an und sagte: „Ach seid halt nicht so garstig zu ihm, er hat euch doch nichts getan!“
„Nichts getan?“, fuhr Sabine hoch. „Seine Besessenheit nach Jungfrauen beinhaltet Gewalt pur!“
„Genau so ist es!“, sagte Erika und richtete ihren strengen Blick auf Ali. „Zieh dir deine Burka über und setz dich auf den Stuhl! Wenn ich von den Bewohnerinnen komme und du bist noch immer ohne, helfe ich mit dem Elektroschocker nach! Nur dein Gesicht darf ausnahmsweise frei bleiben!“
„Los steh endlich auf und nimm die Burka!“, sagte Lydie.
Mühevoll erhob sich Ali vom Boden und nahm das nasse Teil entgegen. Erika ging auf die Türe zu und sagte: „Ach übrigens, du setzt dich ohne Kissen auf den Stuhl, nicht dass du es noch einnässt.“
Unterstützt von Helga zog sich Ali wieder das triefende Gewand über. Zitternd trat er an einen freien Holzstuhl, entfernte das Kissen und nahm Platz.
„So machst du das richtig“, kommentierte Lydie mit zufriedener Mine, worauf Ali sie im Stillen verfluchte.
Nach kurzem Schweigen fragte Elke: „Ali, wieso sprichst du eigentlich so gut Deutsch?“
„Ich spreche fließend Deutsch, weil, äh, weil ich in meiner Heimat deutsche Touristen betreut habe.“
„Aber weshalb bist du geflüchtet? Das mit dem Ehemann, der zum Christentum übergetreten ist, kann wohl nicht stimmen.“
Schweigend überlegte Ali, was er sagen sollte.
„Los, antworte!“, drängte Gerda. „Jetzt darfst du reden, wir erlauben es dir. Aber nimm nicht mehr das Wort Jungfrau in den Mund!“
Während Ali weiter nachdachte, was er sagen sollte, ergriff Helga das Wort: „Er hat die Regierung seines Landes kritisiert und ihr vorgeworfen, eine Marionette der US-Regierung zu sein. Als er erfuhr, dass ihn deshalb die Geheimpolizei verhaften wollte, ergriff er die Flucht.“
„Stimmt das?“, fragte Gerda und blickte Ali misstrauisch an.
„Genau so war es“, antwortete dieser, froh darüber, dass er nicht mehr selbst antworten musste.
„Erzähl mal was von dir“, forderte Gerda Ali auf. „Wie war deine Kindheit, hast du Geschwister?“
„Ich habe vier Schwestern“, platzte es aus ihm heraus. „Vor meiner Flucht habe ich erfolgreich dafür gesorgt, dass sie alle bis zu ihrer Hochzeit ihre Jungfräulichkeit behielten.“
„Oh nein, nicht schon wieder!“, stöhnte Gerda.
„Öh, äh, bitte, Entschuldigung. Das ist mir jetzt so rausgerutscht, aber die Keuschheit meiner Schwestern hat mich während meiner Jugend in El Aoutsch ständig beschäftigt.“
„So jetzt reicht es uns“, sagte Lydie. „Wir haben gesagt, wir wollen das Wort Jungfrau nicht mehr von dir hören! Wir kleben dir jetzt den Mund zu.“
„Nein, tun wir nicht!“, widersprach Helga. „Ihr habt ihn mit euren Fragen regelrecht dazu provoziert, wieder von Jungfrauen zu reden.“
„Das haben wir nicht!“
„Doch! Habt ihr!“
„Wer hat hier provoziert?“, ertönte eine unbekannte Frauenstimme. Alle Blicke richteten sich auf die korpulente Frau Mitte dreißig, die den Raum betreten hatte.
´Mann oh Mann, wie sieht die denn aus?`, dachte Ali. ´Die Haare hängen wie Schnittlauch an ihr herunter und die Brüste sind geformt wie Birnen. Ihr Rumpf gleicht einer Riesenaubergine und die Füße sehen aus wie monsterhafte Bauerngurken. Diese Frau sollte sich auf jeden Fall komplett verschleiern!`
„Hallo Irmi“, sagte Helga zu der Frau.
„Grüß dich Helga, schön dich zu sehen!“ Strahlend ging Irmi auf Helga zu, die sich von der Couch erhob, und umarmte sie herzlich. Dann begrüßte sie Lydie per Handschlag, um sogleich ihren Blick auf Ali zu richten. „Das ist also euer Flüchtling, der immer von Jungfrauen redet?“
„Ja“, antwortete Helga. „Gerade hat er es schon wieder getan, aber wir hatten ihn dazu provoziert. Er soll bei euch bleiben dürfen - wir wussten keinen anderen Ausweg, als euch zu fragen.“
„Aber wieso ist er in einen nassen Sack gehüllt? Und weshalb hält er sich ein Tuch an den Kopf? Oh, das Tuch ist ja ganz blutig!“
„Erika und Gerda haben gedacht, er wäre Jeanettes Zuhälter, der sich, unter dieser Burka verkleidet, in unser Haus schleichen wollte. Da haben sie ihn mit dem Anti-Vergewaltigungsschocker behandelt und ihm noch eins mit dem Schlagstock drüber gezogen.“
„Das ist aber dumm gelaufen!“ Die Frau trat an Ali heran, strich sanft seine Schulter und sagte: „Hallo, ich heiße Irmi, bin Mitarbeiterin des Frauenhauses und die stellvertretende Leitung.“ Dabei blickte sie ihn mitleidsvoll an.
Distanziert musterte Ali das Gesicht dieser Frau. Nichts war erotisch daran, weder die schmalen Lippen noch die blassen, aufgedunsenen Backen, noch die buschigen Augenbrauen. „Ich heiße Ali Ben Islami und soll hier Unterschlupf finden“, sagte er zögerlich.
Interessiert beugte sich Irmi über seinen Kopf. „Zeig´ mal, oh ja, das ist eine dicke Beule! Ich hol´ gleich eine Salbe. Dass ihr ihn nicht verarztet, wo ihr ihn doch unschuldig misshandelt habt?“ Während der letzen Worte sah sie Gerda vorwurfsvoll an.
„Ein Mann ist nie unschuldig, das sagst du doch selbst immer“, wandte Gerda ein.
„Ja, aber Frau muss auch die äußeren Umstände mit betrachten. Gerade wenn es sich um einen Flüchtling aus einer anderen Kultur handelt. Weshalb war der Ali denn überhaupt mit dieser Burka bekleidet?“
„Er sollte wie eine orientalische Frau aussehen, damit wir ihn aufnehmen“, antwortete Gerda.
Irmi warf Ali einen mitfühlenden Blick zu. “Der Arme! Sicher hat er sich dabei sehr unwohl gefühlt.“
„Auch nicht unwohler als die Frauen, die zu so etwas gezwungen werden“, entgegnete Samira.
„Na ja, immerhin sind diese Frauen daran gewohnt, Burka zu tragen. Schließlich werden sie in ihrer Kultur von Kindheit an darauf vorbereitet.“
„Mit dieser Sichtweise wäre die Sklaverei niemals abgeschafft worden“, entgegnete Lydie ungehalten.
„Lassen wir diese Diskussion“, erwiderte Irmi. „Die bringt doch nichts, wir sind da unterschiedlicher Meinung. Aber der Ali ist nun hier bei uns und soll auch wie ein Mensch behandelt werden.“
„Aber nur wie ein Mensch dritter Klasse“, fügte Gerda an.
Irmi zuckte zusammen. „Wie bitte?“
„Er darf nur bei uns bleiben, wenn er die Rolle einer Burkafrau einnimmt, vorausgesetzt die Hausbewohnerinnen sind einverstanden und du gibst dein Okay.“
„Ich finde, das ist zu hart. Na ja, da rede ich noch mal mit Erika.“
´Diese unattraktive Frau ist wirklich sehr nett`, dachte Ali, während Irmi aufstand, um die Salbe zu holen. ´Sie respektiert, dass ich keine Frau bin und verteidigt meine Kultur. Ich hoffe, sie hilft mir, das Leben in diesem Haus zu überstehen.`
Wenige Minuten später rieb Irmi behutsam Alis Kopf mit einer Salbe ein. Als sie damit fertig war, meinte sie freundlich: „Bald geht deine Beule zurück und auch die Schmerzen werden nachlassen.“
„Vielen Dank, das tut gut“, sagte Ali und sah Irmi mit traurigen Augen an.
„Dich friert doch sicherlich mit der nassen Burka. Willst du sie nicht ausziehen?“
„Ich darf nicht. Die Wärterin, Frau Erika, hat gesagt, wenn sie zurückkommt und ich keine Burka trage, verpasst sie mir wieder einem Stromschlag.“
„Nein, das wird sie nicht tun! Dafür sorge ich. Komm, zieh das nasse Ding aus, ich helfe dir dabei.“
Umständlich entledigte sich Ali der nassen Burka und setzte sich auf einen Stuhl. Gerda und Samira begleiteten das Geschehen kritischen Blickes.
„Hallo Irmi, du bist schon da, das ging ja schnell“, ertönte Erikas Stimme.
Irmi drehte sich zur Zimmertür, an der Erika mit ernster Mine stand. „Ich habe mich sehr beeilt. Anscheinend war es auch gut, dass ich gleich gekommen bin.“
Erika blickte wütend auf Ali, der zu Boden sah. „Ich habe dir ausdrücklich gesagt, du sollst deine Burka wieder anziehen! Du willst wohl noch eins mit dem Elektroschocker?“
Ali schüttelte heftig den Kopf. „Nein, Frau Irmi hat gemeint, ich darf die Burka wieder ausziehen.“
„Ja, ich hab´s ihm erlaubt“, sagte Irmi sanftmütig. „Er hat schon am ganzen Körper gezittert. Außerdem braucht er trockene Kleidung.“
„Ach so“, entgegnete Erika mit Unmut in der Stimme. „Auf die kann er noch warten. Übrigens, ich habe soeben mit den Bewohnerinnen geklärt, dass er bei uns bleiben kann. Einige waren am Anfang dagegen. Ich musste ihnen erst verdeutlichen, dass wir auf strikte Geschlechtertrennung achten und dass sich Ali allen Frauen unterordnen wird. Jetzt liegt´s nur noch an dir, Irmi. Bist du auch einverstanden, dass er hier bleibt?“
„Ja, natürlich, wir können ihn doch nicht den deutschen Behörden zur Abschiebung überlassen.“
Erika trat einen Schritt nach vorne. „Damit haben wir entschieden, dass Ali vorerst bei uns aufgenommen wird – vorausgesetzt, er trägt Burka und hält sich an unsere Regeln.“
„Gott sei Dank!“, entfuhr es Lydie.
„Aber das mit der Burka muss doch nicht sein“, meinte Irmi und sah Erika bittend an.
„Die Burka ist Bedingung! Die ganze Zeit hat dieser Typ von zweiundsiebzig Jungfrauen gefaselt.“
„Der Ali ist krank und kann nichts dafür“, warf Helga ein. „Flucht und drohende Abschiebung haben ihn fertig gemacht; die Übersexualisierung der deutschen Öffentlichkeit trieb ihn dann in eine Jungfrauenpsychose.“
„Na also, dafür können wir ihn doch nicht bestrafen“, sagte Irmi und warf Ali einen mitleidigen Blick zu.
„Entweder er behält die Burka an oder er geht! Das sind wir unseren Bewohnerinnen schuldig. Außerdem hat Samira klar bestätigt, dass die Jungfrauenpsychose aus seiner Kultur kommt.“ Erikas Stimme klang kompromisslos.
Samira nickte und Irmi verzog bedauernd das Gesicht. Ali, der sich vorübergehend Hoffnung gemacht hatte, ließ mit ausdrucksloser Miene den Kopf hängen.
„Irmi willst du mit Elke schon mal die Dachkammer herrichten?“, fragte Erika. „Dann kann Ali auf sein Zimmer und sich trockene Wäsche anziehen.“
„Ja, das mach ich“, antwortete Irmi und verließ mit Elke den Raum.
„Da nun alles geklärt ist, gehen wir jetzt“, sagte Lydie.
„Ihr müsst uns aber noch Alis Sachen aus dem Auto bringen“, meinte Gerda.
„Ehm“, machte Lydie. „Wir haben nur noch einen Pullover von ihm im Auto.“
„Was? Ihr habt ihn ohne alles zu uns gebracht?“ Erika blickte fassungslos drein.
„Wir mussten ihn so schnell wie möglich in Sicherheit bringen“, entgegnete Helga verlegen. Die Behörden waren ihm dicht auf den Fersen.“
„Und wie stellt ihr euch das jetzt vor?“
„Na ja,“ bemerkte Lydie, „ihr seid doch eine Sozialeinrichtung und der Ali ist ein Sozialfall. Könnt ihr nicht für seine Bedürfnisse aufkommen?“
„Nein!!! Er bekommt schon zu essen bei uns. Mehr ist nicht drin. Habt ihr keinen Flüchtlingssolidaritätsfonds?“
„Ja - eigentlich schon“, antwortete Lydie.
„Na also, dann muss der dafür herhalten!“
„Aber viel können wir nicht für ihn ausgeben. Wir wollen schließlich auch noch andere Flüchtlinge unterstützen.“
„Auf alle Fälle braucht er Waschzeug, ein paar Schuhe und zwei Garnituren Oberbekleidung. Ganz wichtig ist viel Unterwäsche. Die Unterwäsche wird jeden Tag gewechselt! Unser Haus stinkst du nicht voll, hier herrscht Hygiene! Hast du verstanden?“ Während der letzten Worte sah Erika Ali eindringlich an.
„Da habe ich nichts dagegen“, antwortete dieser aufrichtig. „Gerne kleide ich mich jeden Tag neu ein.“
„Bilde dir nicht ein, dass du fabrikneue Sachen bekommst!“, fuhr ihn Lydie an. „Es reicht völlig, wenn du gebrauchte Kleidung von der Caritas trägst. Unter deiner Burka sieht man sowieso nicht, was du anhast.“
„Ganz richtig“, kommentierte Erika. „Einen Wecker bekommt er von uns. Besorgt ihm noch Rasierzeug. Auf ein Islamistenbärtchen lege ich in diesem Haus keinen Wert.“
„Ich brauche unbedingt auch einen Koran“, sagte Ali. „Als gläubiger Muslim möchte ich täglich in den heiligen Schriften lesen.“ Plötzlich war ihm eingefallen, dass er seit seiner Erdrückführung die Gabe der Decodierung von Buchstabenfolgen besaß.
„Ph!“, machte Erika. „Den Koran kannst du dir abschminken! Dieses Buch ist extrem frauenfeindlich! Außerdem bekommen Christen in einem islamischen Land auch keine Bibeln in die Hand.“
„Das ist auch gut so“, kommentierte Ali. „In der Bibel steht viel Verfälschtes, nur das heilige Buch von uns Muslimen enthält die absolute Wahrheit Allahs! Geben Sie mir einen Koran – ansonsten wird der Allmächtige Sie strafen!“
„Das interessiert mich nicht die Bohne! Du bekommst keinen Koran! Frauenfeindliche Bücher haben in einem Frauenhaus nichts zu suchen!“
„Ich würde ihm einen Koran zugestehen“, meinte Helga. „Irgendetwas braucht er doch, woran er sich in der Fremde festhalten kann.“
„Soll er sich an etwas Vernünftigem festhalten! In dieser Hinsicht bin ich kompromisslos.“
„Recht so,“ kommentierte Lydie. „Komm Helga, wir gehen! Und du Ali, benimm dich so, wie es die Frauen hier erwarten! Falls wir dich wieder abholen müssen, wirst du uns von unserer unangenehmen Seite erleben!“
Nur mit Mühe konnte Ali seine Wut zurückhalten. In seinem Inneren verwünschte er diese satanischen Frauen und flehte Allah um Rache an. Dennoch senkte er den Kopf, sah auf den Boden und sagte mit leiser Stimme: „Ich werde tun, was man von mir verlangt, sofern es sich nicht gegen meinen Glauben richtet. Ich bin bereit, das Leiden auf mich zu nehmen.“
„Gut so“, meinte Lydie. An der Türe angekommen drehte sich Helga noch einmal zu Ali hin und sagte: „Ich wünsche dir, dass du dich von deinem Kulturschock erholst und deine Jungfrauenpsychose abklingt.“
Ali warf ihr einen flehenden Blick zu. „Mich friert immer mehr, mein Schädel schmerzt fürchterlich und Hunger habe ich auch. Ich würde gerne ...“
„Was du willst, interessiert hier nicht!“, unterbrach ihn Erika. „Sobald es hergerichtet ist, wirst du dir die Burka wieder überziehen und auf dein Zimmer gehen. Dort bekommst du Schlafwäsche einer ehemaligen Bewohnerin. Aber zu essen gibt es heute nichts für dich.“
Begleitet von Elke und Gerda, näherte sich Ali mühsam dem Dachgeschoss. Sein Kopf schmerzte wie verrückt und die Burka, die ihn wie eine eingenässte Ganzkörperwindel umgab, ließ seinen Leib vor Kälte zittern. Endlich erreichte die kleine Gruppe das Zimmer. Gerda öffnete die Türe, knipste das Licht an und bedeutete Ali einzutreten.
„Der Raum hier ist sehr bescheiden“, kommentierte sie. „Dennoch hat unser Burkamann hier alles, was er benötigt: ein Holzbett, einen Kleiderschrank und ein Tischchen mit einem Stuhl. Sogar ein WC mit Waschbecken und einer einfachen Dusche befinden sich hinter dieser Seitentür.“
Alis Blick schweifte matt durch das Zimmer. ´Damit komme ich zurecht`, dachte er, ´in El Aoutsch hatte ich nicht einmal ein Bett. Schlimm ist aber, dass ich wie eine Frau zu leben habe, keinen Koran bekomme und mit Kopfschmerzen hungrig ins Bett muss.`
„Den zweiten Stuhl haben wir entfernt“, fuhr Gerda fort. „Frauenbesuche sind für dich strikt verboten. Hast du das verstanden?“
„Ja“, sagte Ali leise.
„Leg dich am besten gleich hin“, meinte Elke und deutete auf das frisch bezogene Bett. „Ein Nachthemd ist im Schrank.“
„Morgen früh schaut eine Mitarbeiterin nach dir“, ergänzte Gerda. „Wir wünschen wohl zu ruhen.“
Alleine in der Kammer, entledigte sich Ali mühevoll der feuchten Kleidung und zog sich widerstrebend das Damennachthemd an. Dann verrichtete er ein Gebet und legte sich ins Bett. Anfangs spürte er noch seinen Magen knurren. Bald wurde das Hungergefühl jedoch von einem grausamen Frösteln übertönt. Gepeinigt von Schüttelfrost und Kopfschmerzen lag er noch Stunden lang wach. Selbst in den beiden Krankenhäusern hatte er sich nicht so elend gefühlt.