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Оглавление„Friede sei mit dir, Herr Engel! Ich bin Märtyrer und möchte ins Paradies zu meinen zweiundsiebzig Jungfrauen!“
Der Himmelspförtner musterte den Neuankömmling skeptisch und fragte: „Dein Name?“
„Islami, Ali Ben Islami.“
„Du bist Muslim nehm ich an.“
„Ja, Muslim, gläubiger Muslim“, bestätigte der junge Mann mit stolzem Unterton. „Und habe im Dschihad mein Leben für den Islam gegeben, somit steht mir das Paradies mit seinen Jungfrauen zu. Wissen Sie, das war so: Vor zwei Wochen kamen Glaubensbrüder aus der Fremde in unsere Oase und meinten, wenn ich mich in der Provinzhauptstadt mit einem Sprengstoffgürtel ...“
„Mooooment, das interessiert mich nicht! Ich brauche Ort und Datum deiner Geburt. Ich bin nur die Vertretung und muss in einem Verzeichnis prüfen, ob ich dich reinlassen darf.“
„Bestimmt, ganz bestimmt, Herr Engel!“
Der Pfortenengel verzog entnervt sein Gesicht. „Das stellt sich noch heraus! Also wann und wo bist du geboren?“
„Aber die Glaubensbrüder haben mir doch versprochen ...“
„Entweder du beantwortest jetzt meine Frage, oder ich stecke dich in die Vorhölle - als Ehemann einer westlichen Feministin. Also, was ist?“
„Herr Engel, ich bin geboren am 16. 12. 1981 in der Oase El Aoutsch, am östlichen Rand des mittleren Tschabalatales.“
„Na also, geht doch“, sagte der Himmelspförtner und schlug ein durchsichtiges Buch auf. Während er mit dem rechten Zeigefinger auf den Seiten entlangfuhr, murmelte er: „Islami, Ali Ben Islami - El Aoutsch, El Aoutsch.“ Schließlich klappte er das Buch wieder zu und meinte: „Ich kann dich nicht finden, also kommst du nicht ins Paradies!“
„Doch, doch mit Sicherheit!“ Die Stimme des Neuankömmlings überschlug sich fast. „Im Paradies warten schon zweiundsiebzig unberührte Frauen auf mich. Frauen mit Mandelaugen, Pfirsichhaut und Brüsten, geformt wie reife Früchte. Sie alle sprechen stets mit sanfter Stimme und sind immer für mich bereit. Das Schönste an ihnen ist, dass sich jedes Mal ihre Jungfräulichkeit erneuert.“
„Klingt ziemlich abgefahren – aber bei den Moslems ist vieles möglich“, murmelte der Engel. „Machen wir es so: Du kehrst noch mal auf die Erde zurück. Sobald die Pforte hier regulär besetzt ist, beamen wir dich wieder hoch.“
„Aber in meine Heimat will ich nicht mehr! Dort werden die Jungfrauen so streng bewacht.“
„Na ja, du könntest vorübergehend nach Deutschland in die Sektion Bayern. Dort feiert man gerade ein großes Fest; da sollen sogar spröde Jungfrauen recht zugänglich werden.“
Der junge moslemische Mann nickte. „Einverstanden es ist ja nur vorübergehend.“
„Okay, du nimmst Gang drei, gleich nebenan. Am Ende des Ganges kommt eine Riesenröhre, die zur Erde führt. Du schwebst in die Röhre hinein und lässt dich nach unten treiben. Wo sie sich verzweigt, wählst du nacheinander die Unterröhren Europa, Deutschland, Bayern. Zuletzt wählst du die Unterröhre München. Verstanden?“
„Ja, ich denke schon.“
„Wiederhole es!“
„Also, ähm - Gang drei entlang, rein in die Riesenröhre, dann in die Europa- und die Dötschlandabzweigung ...“
„Das heißt Deutschland, nicht Dötschland!“
„Na gut, Deutschland - und von da ...? Äh, wohin? Jetzt bin ich ganz durcheinander gekommen!“
„Über Bayern nach München. Dieses Bayern ist ein Teil von Deutschland, etwas eigenartig, aber lebenswert. Und München ist die Hauptstadt, wo das große Fest stattfindet, auf dem viele Frauen sich einen Mann erhoffen.“
„Hm, klingt gut. Aber eine Frage habe ich noch, Herr Engel. Wie gefährlich ist es auf diesem Fest Jungfrauen anzusprechen? Ich möchte keinen Ärger mit deren Vätern und Brüder bekommen.“
„Ach, da soll es ziemlich ausgelassen zugehen. Aber es kann schon mal vorkommen, dass sich ein junger Mann Schwierigkeiten wegen einer Frau einhandelt. - Also, was ist? Ich muss weiter machen! Hier staut sich schon alles.“
„Gut, ich probier` s. Ist ja nur vorübergehend. Wenn Ihr Kollege wieder da ist, komme ich sowieso ins Paradies zu meinen zweiundsiebzig Jungfrauen, die mir stets ...“
„Weiter gehen und keine Volksreden halten!“, unterbrach ihn der Engel und rief mit lauter Stimme in die Warteschlange: „Der Nächste bitte!“
Zügig schwebte Ali den Gang entlang und dachte: ´Vertreibe ich mir halt die Zeit mit deutschen Jungfrauen. Aber Ärger mit ihren Beschützern gehe ich aus dem Weg.` Schon kam er an die Riesenröhre, die zur Erde führte. Gespannt schwebte er hinein. Sanft, aber zügig, zog es ihn nach unten. Wie vom Pfortenengel aufgetragen, setzte er seinen Weg in die abzweigenden Röhren fort. Kaum war er in die Unterröhre München eingebogen, drangen sonderbare Geräusche an sein Ohr. Je weiter er sich auf den Ausgang zubewegte, desto deutlicher vernahm er die Geräusche als ein sich wiederholendes „Hum data, hum data, töterötetö“. Auch menschliche Laute, wie „Prooooossit und Olaradiji“ mischten sich darunter. Plötzlich wurde es hell um ihn. Gleichzeitig spürte er, dass sich sein Astralleib wieder mit einem Körper aus Fleisch und Blut vereinigt hatte. Verdutzt rieb er sich die Augen. Er sah sich mitten in einem riesigen Zelt angekommen, in dem Tausende von deutschen Nomaden zum Freitagsgebet versammelt waren. Am Rande des Zelts entdeckte er ein großes Podest, auf dem sich mehrere merkwürdig gekleidete Männer mit sonderbaren Instrumenten aufhielten und eine ohrenbetäubende Musik machten. Auch ein Vorbeter stand dabei und versuchte mit lautem Gesang die lärmende Musik zu übertönen.
Neugierig ließ Ali den Blick umherschweifen. Anstatt auf Knien am Boden zu beten, saßen die Gläubigen ganz blass auf Bänken an Tischen aus Holz. Fast jeder hatte einen großen, durchsichtigen Krug, gefüllt mit hellbraunem Wasser und einer Schaumkrone vor sich stehen. Erstaunt nahm Ali wahr, dass ein Teil der Gläubigen grölend den Vorbeter nachäffte und viele, verhakt mit ihren Nachbarn, sichtlich vergnügt hin und her schunkelten. Andere Gläubige hüpften sogar auf den Bänken herum. Entgegen der islamischen Geschlechterordnung hatte sich eine große Anzahl Frauen unter die Männer gemischt; augenscheinlich handelte es sich dabei um Jungfrauen, die einen Mann für sich erhofften. Noch befremdender war allerdings, dass sich diese Jungfrauen völlig unverschleiert in aufreizender Weise präsentierten.
´Anscheinend herrscht in diesem Deutschland ein sehr hoher Jungfrauenüberschuss`, dachte Ali. ´Der Heiratsmarkt dauert bestimmt schon Stunden, trotzdem sind viele Jungfrauen noch nicht vergeben! Selbst Frauen, die so alt sind, dass sie keine Söhne mehr gebären können, sind darunter. Wie verzweifelt müssen deutsche Eltern sein, dass sie die Schande auf sich nehmen, ihre Töchter ohne den Schutz des Schleiers zum Freitagsgebet anzubieten. Aber Moment mal! Vielleicht ist das gar kein Freitagsgebet! Bin ich hier etwa auf dem Fest, von dem der Pfortenengel gesprochen hat?`
Auf einmal spürte er einen heftigen Rempler an der Schulter. Eine groß gewachsene Frau blickte ihn böse an und blaffte: „Steh nett so ausgschamt rum, du blockierst den ganzen Gang!“ Unsanft schob sie sich in ihrem bunten Gewand an ihm vorbei, ein knappes Dutzend gefüllte Krüge vor sich herstemmend. Die hellbraune Brühe schwappte so stark umher, dass der Schaum bei einigen Krügen über den Rand trat.
´Wie unverschämt diese Wasserträgerin doch ist`, ärgerte sich Ali. ´Als Frau hat sie nicht das Recht, mich zu berühren, geschweige denn zu schimpfen.` Irritiert blickte er ihr hinterher. Dabei entdeckte er einen Tisch voller aufreizender <Jungfrauen> ganz ohne männliche Begleitung. Sollte er riskieren, die Schönen anzusprechen? ´Ich tu´s`, entschied er. ´Zur Sicherheit frage ich sie als Erstes, wie sehr sie von ihren Vätern und Brüdern überwacht werden.`
Herz klopfend ging Ali auf die <Jungfrauen> zu. Plötzlich verstummte die Musik. Misstrauisch blieb er stehen und drehte sich zur Plattform hin. Mit feierlicher Miene hielt dort der Vorbeter einen halb gefüllten Krug in die Höhe rief in die Menge: „Auf geht´s, trink mer noch amoi, alle miteinand!“
Für einen Moment setzte die Musik wieder ein und der Vorbeter sang voller Inbrunst: „Ein Prooosit, ein Prooosit der Gemütlichkeit.“
Auch die Leute an den Tischen stimmten grölend mit ein. Gemeinsam mit dem Vorbeter brüllten sie: „An die Titte an den Sack, zack zack zack! Prooost! Oans zwoa, gsuffa.“ Dabei stießen sie ihre Krüge so heftig zusammen, dass das ganze Zelt von einem gläsernen Klirren erfüllt war. Anschließend setzten sie sich die Krüge an den Mund und begannen in vollen Zügen daraus zu trinken.
´Mann oh Mann`, wunderte sich Ali, ´machen die ein Aufsehen um das Trinken! Müssen die einen Durst haben! Anscheinend ist in diesem Deutschland das Wasser noch knapper als in der Wüste. Ja, die Wasserfärbung zeigt, dass die Brunnen so gut wie ausgetrocknet sind und bereits der Bodensatz herausgepumpt wird. Auch die Qualität ist miserabel, wenn ich den Schaum in den Krügen sehe. Vielleicht sind deshalb alle so blass? - Nur, warum sind dann die Krüge so groß und zahlreich? Überhaupt sehen die Menschen hier nicht aus, als ob sie zu wenig Wasser hätten. Ach was soll´s? Ich kümmere mich lieber um die Jungfrauen.`
Schon fiel sein Blick auf eine äußerst attraktive <Jungfrau>. Nur notdürftig durch ein weiß-blau gefärbtes Kleid umhüllt, kam die blond gelockte Schönheit direkt auf ihn zu. Lüstern taxierte Ali die Blondine, wobei sein Blick in ihrem tiefen Ausschnitt haften blieb. ´Mann, diese Jungfrau ist der Hammer!`, dachte er und fasste sich in den Schritt. ´Sicher hat sie mich entdeckt und will, dass ich sie will! Deshalb zeigt sie mir auch ganz unverblümt ihre wohlgeformten Brüste. Jetzt hat sie mich sogar angeschaut. Aber ist die Jungfrau Wirklichkeit oder ist sie nur eine Fata Morgana? Am Besten überprüfe ich es gleich.`
„Entschuldigen Sie, jungfräuliche Jungfrau“, sprach Ali zu der betörenden Blondine und stellte sich ihr in den Weg. „Ich muss mich vergewissern, dass Sie auch echt sind.“ Schon umfasste er mit beiden Händen prüfend ihre Brüste.
<Patsch!> machte es. Die Blondine hatte kräftig zugeschlagen.
„Au!”, rief Ali entsetzt und hielt sich die Wange. Seine freudige Erregung war wie weggeblasen. Bevor er reagieren konnte, schnauzte ihn die Schöne auch noch an: „Du Wichser, du elendiger, lass deine Griffel von mir! Das geht dich einen feuchten Kehricht an, ob meine Titten echt sind!“
„A, a, aber i ihre Brüste waren ganz deutlich auf mich gerichtet“, stammelte Ali.
„Na und, dann schau halt weg, wenn sie dich stören!“
„Das geht nicht, ich bin doch wegen der Jungfrauen hier.“
„Jungfrauen?“, wiederholte die Frau und rollte mit den Augen.
„Ja, Jungfrauen“, sagte Ali und nickte. „Mir stehen sogar zweiundsiebzig zu! Aber wunderschön müssen sie sein.“
„So einer gehört vors Zelt gesetzt“, schimpfte die begrapschte Schönheit vor sich hin. „Fummelt einfach an einem herum und meint, er bekäme zweiundsiebzig Jungfrauen.“ Wütend ging sie weiter, vorbei an einer Traube Neugieriger, die sich inzwischen gebildet hatte.
„So, so, zweiundsiebzig Jungfrauen willst du? – Hicks“, tönte eine weibliche Stimme von der Seite. Direkt neben Ali stand eine üppige Brünette. Ihre superengen Jeans erweckten den Eindruck, als würden sie gleich beim nächsten Schritt aufplatzen. Völlig perplex starrte er die Brünette an.
„Du bist ein Witzbold“, stammelte diese und richtete unverfroren ihre glasigen Augen auf ihn. „Die Jungfrauen sind hier schon vor langer, langer Zeit ausgestorben.“
„Wieso denn?“, fragte Ali erstaunt.
„Weil, äh weil, ja weil solche Typen wie du sich drum kümmern, dass wir´s nicht mehr sind! Hicks! Aber komm mal her, Süßer, das funktioniert auch noch, wenn ich keine Jungfrau bin.“ Schon packte die Brünette ihn am Kopf und steckte ihre Zunge in seinen vor Schreck geöffneten Mund.
So eine Schamlosigkeit und Degradierung seines Mannseins konnte Ali nicht hinnehmen. Er, der als gläubiger Muslim einer beschmutzten Frau nicht einmal die Hand reichen würde, wandte sich vor Ekel und Abscheu, als er die Zunge dieser Hure im Mund spürte. „Umpf, ah“, brachte er noch heraus, dann verlor er das Bewusstsein.
„Na dann eben nicht“, lallte die forsche Brünette und ließ Ali los, worauf dieser auf den Holzboden plumpste. Im Nu hatte sich eine noch größere Traube gaffender Menschen um ihn herumgebildet.
“Was ist denn da los?”, brummelte ein älterer Mann, der einen grünen Hut mit grauer Feder auf dem Kopf trug. Fragend sah er die füllige, bunt kostümierte Frau an, die sich zur Menschentraube gesellte, nachdem sie ihre leeren Krüge auf einem Tisch abgestellt hatte.
„Ach, da liegt einer am Boden, der hat einer Blondine an die Brüste g´ langt“, sagte sie. „Wissen´s, die Blondine hat ihm eine gescheuert, und eine kräftige Brünette ist ihr zu Hilfe geeilt. Sie hat sich auf den Busengrapscher gestürzt und ihn gewürgt. Ich hab´ das zufällig beim Abräumen gesehen.“
„Weil´s auch immer ihre Titten so weit ausfahren müssen“, grummelte der Mann und entfernte sich. Mit kräftigen Bewegungen schob sich die füllige Krugträgerin ins Innere der Menge. Dort stand ein breitschultriger Lederhosenträger neben dem am Boden liegenden Ali und blickte - einen Glaskrug in der Hand haltend - unschlüssig auf ihn herab. „Jo mai, der hat Wahnvorstellungen über Jungfrauen!“, sagte er ganz ruhig mit tiefer Stimme.
„Er kommt sicher aus einem armen Land und findet hier bei uns keine Frau“, warf ein umstehender Sozialpädagogentyp mitleidig ein.
„Kein Wunder bei dieser permanenten Fremdenfeindlichkeit von uns Deutschen“, ergänzte schnatternd seine rotlockige Begleiterin.
„Quatsch, der wollte mich doch gar nicht, ich hätt ihn ja genommen“, protestierte die stürmische Brünette, die zuvor ihre Zunge in Alis Mund gesteckt hatte.
„Gebt´s ihm halt a Manna, damit er wieder wird,“ sagte die füllige Krugträgerin und sah den Mann mit der Lederhose auffordernd an. Dieser nickte und bückte sich mit seinem gut gefüllten Krug zu Ali herunter. Auch die Krugträgerin bückte sich, nahm Alis Kopf in die Hände und presste dessen Kiefer auseinander. Breit grinsend goss der Lederhosenmann einen Schwall des hellbraunen Saftes in Ali´s Mund. Ein ungewohnt bitterer Geschmack am Gaumen ließ diesen aus der Bewusstlosigkeit erwachen. Erschrocken öffnete er die Augen und blickte in ein grinsendes Männergesicht. Schon ergoss sich ein zweiter Schub der bitteren Flüssigkeit in seinen Mund.
„Hört´s auf damit!“, vernahm er eine aufgeregte Stimme von den Umstehenden. „Einem Betrunkenen noch Alkohol einzuflößen, ist das Verkehrteste überhaupt! Damit kommt er nicht wieder auf die Beine!“
Entsetzt drehte Ali seinen Kopf zur Seite. „Oh nein, nicht, keinen Alkohol!“, rief er gurgelnd aus. Dann bäumte sich sein Körper heftig auf, sackte in sich zusammen und blieb regungslos am Boden liegen.
„Holt´s die Sanis, der ist ganz weg“, rief die Krugträgerin zwei Security-Männern zu, die an das Geschehen herantraten. Vergeblich versuchten die rasch herbeigeeilten Sanitäter samt Notarzt, Ali aus der Bewusstlosigkeit zu befreien. Nachdem dieser noch schwer zu röcheln begann, legten sie eine Infusion und schlossen ihn an ein Beatmungsgerät an. In Windeseile verfrachteten sie ihn in ihren Sanka und fuhren mit Blaulicht in das nächstgelegene Krankenhaus.