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Während sich der Bus durch die große Stadt quälte, blickte Ali aufmerksam nach draußen. Verwundert nahm er wahr, wie sehr sich die Fußgänger von den umherfahrenden Autos an den Rand drängen ließen. Vor allem aber erstaunte ihn, dass viele Frauen, darunter ausgesprochen schöne, ohne männliche Begleitung und ohne den Schutz des Schleiers unterwegs waren. Nicht nur in den Fahrzeugen, auch auf der Straße hielten sie sich alleine auf. Was hatten diese Frauen in der Öffentlichkeit zu suchen? Indessen kam der Kleinbus an einer Querstraße zum Stehen, die vor Fußgängern nur so wimmelte. ´Nanu`, dachte Ali. ´Auf einmal sind hier Massen von Menschen unterwegs. Unzählige Frauen gehen unverhüllt die Straße entlang, manche sind sogar halb nackt. Mann oh Mann, da bleibt kein Körperteil korrekt verhüllt! Mir wird ganz flau, wenn ich das sehe. Oh, das hätte ich nicht gedacht, auch einige islamisch gekleidete Frauen sind auf der Straße, fast alle in Begleitung mehrerer Kinder. Aber die unverschleierten Frauen sind viel schöner anzusehen. Warum lassen deren Väter und Brüder zu, dass sie sich so schamlos auf der Straße zeigen?` Schon setzte sich das Fahrzeug wieder in Bewegung. Ali drehte seinen Kopf ins Innere des Busses und fragte: „Ähm, hier sind ganz viele Frauen alleine unterwegs und zeigen völlig schamlos ihre Reize. Weshalb dürfen die das tun?“

„Wie bitte?“, sagte Lydie irritiert. „Ich verstehe nicht, was du meinst.“

Aufgeregt fuhr Ali fort: „Die aufreizenden Frauen dort draußen behalten ihre Jungfräulichkeit sicher nicht lange. Dadurch beschmutzen sie sich selbst und zerstören die Ehre ihrer Familien. Das können sich deren Väter und Brüder doch nicht so einfach bieten lassen!“

„Was hat der Kerl denn bloß mit seinen Jungfrauen?“ fragte Helga verwundert.

„Vielleicht war er zu recht in der Psychiatrie und er hat wirklich einen Dachschaden“, flüsterte Lydie Volker zu.

Dieser zuckte mit den Achseln und meinte: „Ja, vielleicht?“

„Ich ruf mal unseren Mittelsmann aus der Ausländerbehörde an, und frag ihn, ob er was Näheres weiß“, schlug Helga vor.

„Psscht“, machte Lydie, „nicht so laut!“

„Entschuldigung, ich habe soeben eine Frage gestellt“, warf Ali höflich ein. Darauf hätte ich gerne eine Antwort.“

Volker verzog das Gesicht und sagte gereizt: „Auf diese blöde Frage antworten wir nicht!“

Während Ali schmollend sein Gesicht an das Busfenster drückte, zog Helga ein Handy aus ihrer Jackentasche, tippte daran herum und hielt das Gerät ans Ohr. Leise fragte sie, was es mit dem von Abschiebung bedrohten Moslem auf sich hätte, der in der Psychiatrie gelandet wäre. „Ach so“, meinte sie, „das hättest du uns sagen müssen. Das ändert vieles. Tschau!“

Neugierig fragte Wolle: „Was ist?“

„Das kann ich jetzt nicht sagen“, flüsterte Helga zurück. Dann stupste sie Volker an und sagte mit lauter Stimme: „Halt mal an, ich muss auf die Toilette - ihr anderen doch sicher auch!“ Dabei zwinkerte sie Lydie und Wolle heimlich zu.

„Hier gib´s aber keine Toiletten“, gab Wolle zu bedenken, als der Kleinbus in einer Parkbucht anhielt.

„Mensch halt die Klappe du Idiot!“, zischte Helga. „Natürlich sind hier Toiletten, direkt hinter diesem Häuserblock. Ich denke, wir gehen alle Mal, auch du Wolle! Nur unser Schützling muss im Bus bleiben.“

„Unbedingt“, bestätigte Volker. „Ali, du bleibst sitzen, wir kommen gleich wieder! Die Gefahr ist zu groß, dass du auf der Straße überprüft und abgeschoben wirst.“

„Ja, mach ich“, antwortete dieser und fragte sich, weshalb seine Begleiter so seltsam reagierten.

Schon stiegen die vier Heilsfrontler aus dem Fahrzeug und eilten hinter das nächstliegende Gebäude. „Na, was ist, was hat unser Mittelsmann gesagt?“, wollte Volker sofort wissen.

„Unser Flüchtling tickt wirklich nicht richtig“, sagte Helga und schüttelte den Kopf. „Er lebt in der Wahnvorstellung, einen Anspruch auf zweiundsiebzig Jungfrauen zu besitzen. In einem Bierzelt ist er sogar handgreiflich geworden und hat eine Frau begrapscht. Deswegen wurde er in die Psychiatrie eingewiesen.

„Und wie sieht es mit seinem revolutionären Bewusstsein aus?“

„Davon ist überhaupt nichts bekannt!“

„Mensch Meier, das war aber ein Griff ins Klo! Mit so einem können wir nichts anfangen. Wie stehen wir denn in der Szene da, wenn wir einen Typen in unsere Gruppe aufnehmen, der ständig von Jungfrauen faselt?“

„Mit dem können wir uns auch nicht im Frauenhaus blicken lassen“, sagte Lydie.

Helga blickte nachdenklich in die Runde. „Aber was machen wir dann mit ihm?“

„Setzen wir ihn aus und fahren davon?“

„Du spinnst wohl, Wolle!“, schimpfte Volker. „Wenn die den schnappen, haben wir gleich die Bullen am Hals.“

„Also, verstecken müssen wir ihn irgendwo“, gab Helga zu bedenken.

„Nur wo?“, fragte Volker. „Das Frauenhaus wäre an sich ideal. Dort würde niemand nach ihm suchen.“

„Verkleiden wir ihn halt als Frau“, schlug Wolle vor.

Helga rollte mit den Augen. „Du glaubst wohl, die Frauen dort sind doof und merken das nicht?“

Lydie schnalzte mit den Fingern. „Mensch Helga, der Vorschlag ist gut! Dieser Ali kommt doch aus einem islamischen Land. Wenn wir ihn voll verschleiern, erkennt niemand, dass er ein Mann ist.“

„Da wird er aber nicht mitspielen?“, gab Volker zu bedenken.

„Ich weiß, wie wir´s hinbekommen“, sagte Lydie. „Wir brauchen ihm nur mitzuteilen, was ihm der deutsche Schweinestaat alles antut, falls er entdeckt wird. Und dass er nur so lange in Sicherheit ist, wie er im Frauenhaus für eine Frau gehalten wird.“

„Jawohl, so machen wir´s!“, sagte Volker.

Helga runzelte die Stirn. „Wenn die Sache auffliegt, stehen wir aber blöd da. In der Szene spricht sich das ganz schnell herum.“

„Ach was“, entgegnete Volker. „Wir tun dann einfach so, als hätten wir es selbst nicht gewusst.“

„Genau!“, meinte Lydie. „Niemand kann uns nachweisen, dass es anders war.“

Während die Leute der <Heilsfront> draußen diskutierten, schmiegte sich Ali in die Rückbank und ließ seine Erlebnisse an sich vorbeiziehen. Immer mehr Bilder tauchten vor ihm auf, Bilder aus dem sündigen Gebetszelt, den beiden Krankenhäusern, von der Straße. Überall hatten sich Frauen in schamloser Weise präsentiert und keinen Respekt gegenüber den Männern gezeigt. Helga und Lydie verhielten sich sogar so, als wären sie selbst Männer. Anscheinend stimmte doch, was ihm Dieter gesagt hatte und die Frauen in Deutschland waren ihr eigener Herr. Unter diesen Umständen müsste er seinen Jungfrauen von Anfang an mit äußerster Härte entgegentreten und sie auch schlagen, doch womit? Bevor er eine Lösung fand, kamen die <Revolutionäre> zurück und nahmen mit ernster Miene wieder Platz. Keiner gab einen Ton von sich. Auch machte Volker keine Anstalten, den Motor anzulassen. Ali spürte, wie angespannt die Stimmung war. Die Vier mussten irgendetwas Unangenehmes besprochen haben. Plötzlich räusperte sich Helga, legte die Hand auf seine Schulter und sagte: „Tut uns Leid, aber wir haben gerade eine schlechte Nachricht für dich bekommen.“

Ali zuckte zusammen. „Ja, welche denn?“

„Überall in der Stadt sucht man nach dir. Selbst die Frauenhäuser sind nicht sicher. Wenn du ...“

„Wer sucht nach mir?“, unterbrach Ali aufgeregt.

Helga blickte ihn mit ernster Mine an und sagte: „Die Polizei, der Grenzschutz, die Ausländerbehörde, Privatdetektive, Spitzel – alle sind hinter dir her. Die deutschen Schweinebehörden haben gemerkt, dass du geflohen bist, und setzen alles daran, dich aufzugreifen und abzuschieben.“

Volker drehte sich um und sagte mit erhobenem Zeigefinger: „Du musst dich deshalb am ganzen Körper verschleiern und als orientalische Frau ausgeben! Nur auf diese Weise kann dich niemand denunzieren.“

Ali riss entsetzt die Augen auf. „Was muss ich mich? Verschleiern? Das kann nicht wahr sein!“

„Doch“, sagte Lydie, „das ist die einzige Lösung.“

„Kommt überhaupt nicht in Frage!“, rief er aus und stampfte mit dem rechten Fuß auf, dass das Bodenblech des Busses schepperte. „Nie und nimmer werde ich mich als Frau verkleiden! Lieber lasse ich mich in meine Heimat abschieben!“

„Ach so!“, entgegnete Lydie. „Du wirst also lieber geknebelt? Und eingesperrt? Und geschlagen? Und gefoltert? Und nackt ausgezogen und gedemütigt? Das alles gehört nämlich zur Abschiebung aus diesem Schweinestaat!“

Alis Gesicht verfärbte sich blassbraun. „Oh, das wusste ich nicht.“

Dagegen sind ein paar Wochen als Burkafrau in einem Frauenhaus wie Urlaub“, setzte Lydie nach.

„Komm, trau dich rein ins Frauenhaus!“, ermunterte Wolle ihn. „Auch mit Burka bleibst du ein Mann. Und die Frauen bleiben Frauen.“

„Aber wenn sie glauben sollen, dass ich eine Frau bin, kann ich ihnen doch nichts befehlen!“ Alis Stimme glitt ins Weinerliche ab.

„Wie bitte?“, rüffelte Lydie. „Du hast keiner Frau Befehle zu erteilen! Im Frauenhaus nicht und außerhalb nicht!“

„Mensch Ali“, sagte Wolle und schlug ihm wohlwollend auf die linke Schulter. „Als Frau verkleidet, erlebst du Frauen, wie sie wirklich sind. Du erfährst Sachen, die ein Mann normalerweise nie erfährt. Diese Erfahrungen sind wertvoll.“

„Na, was ist?“, drängte Volker.

„Ist die Folter hier in Deutschland wirklich genauso schlimm, wie in meiner Heimat?“, fragte Ali zaghaft.

„Noch viel schlimmer“, antwortete Volker. Die haben viel mehr Möglichkeiten, dich zu quälen! Bei all der modernen Technik. Denk nur mal an Guantanamo oder Abu Graib. Die Schweinereien, die dort die Amerikaner anrichten, passieren mit euch Flüchtlingen auch hier in Deutschland.“

Ali wischte sich mit dem Hemdsärmel die Schweißtropfen aus der Stirn und sagte: „Dann bin ich halt für ein paar Wochen eine Frau in einem Frauenhaus.“

„Na also, jetzt ist der Groschen doch gefallen!“ Volkers Gesichtszüge entspannten sich.

„Aber du darfst im Frauenhaus nichts sagen, zu niemand!“, betonte Lydie. „An deiner Stimme würde man erkennen, dass du ein Mann bist!“

„Hast du gehört, kein Wort!“, unterstrich Volker. „Wir stellen dich als Frau vor, die keine Stimme mehr hat.“

„Auch das noch“, sagte Ali und dachte: ´Mir bleibt keine andere Wahl. Die Folter macht mir wirklich Angst. Außerdem komme ich nur so zu den schönen Jungfrauen des Frauenhauses. Und dieser Wolle hat schon recht. Als stumme Frau verschleiert, werde ich jede Einzelne erleben, wie sie wirklich ist. Dann spielt mir keine etwas vor, damit ich mich für sie entscheide.`

„Was ist, träumst du?“, drängte Volker. „Wir können uns doch darauf verlassen, dass du im Frauenhaus keinen Ton von dir gibst? Ansonsten brauchen wir erst gar nicht hinfahren!“

„Ja, ihr könnt sicher sein“, bestätigte Ali hastig. „Ich werde still sein, wie der Wüstenfuchs, wenn er auf die Jagd geht.“

Volker fasste sich ans Kinn. „Dann müssen wir jetzt eine Burka organisieren. Nur diese bedeckt den ganzen Körper einschließlich der Augen.“

„Wieso die Augen?“, fragte Wolle.

„Weil man auch an den Augen das Geschlecht erkennen kann!“

„Besonders wenn der Ali mit seinen Augen die Frauen des Frauenhauses anflirtet“, ergänzte Helga.

„An was ihr alles denkt!“

„Tja Wolle, wir Frauen sind eben sensibilisiert.“ Über Lydies Gesicht huschte ein geringschätziges Lächeln.

„Aber viele Frauen ziehen sich doch absichtlich aufreizend an, damit wir Männer hinschauen und sie bewundern.“

„Oder damit sie einen reichen Mann bekommen“, fügte Ali hastig hinzu.

Lydies Augen blitzten gefährlich auf. „Halt deinen gottverdammten Mund! Was weißt du schon davon!“

Ali verzog beleidigt das Gesicht und dachte: ´Wie tief bin ich gesunken, dass mich dieses ungläubige Weib so behandeln kann. Sobald ich alleine mit ihr bin, werde ich sie schlagen.`

„Hört auf zu streiten!“, sagte Volker genervt. „Überlegt lieber, wo wir so eine Klamotte mit einem Gesichtsgitter herkriegen.“

„Das mit dem Gesichtsgitter ist schon ein starkes Stück?“, sinnierte Lydie laut.

„Wahrscheinlich gibt es in den Burkaländern viele Fliegen, die sich ohne Gitter auf das Gesicht der Frauen setzen!“, meinte Wolle.

„So ein Blödsinn“, kommentierte Volker. „Frauen flirten gerne mit den Augen, das Gesichtsgitter soll dies unterbinden.“

„Da täuscht du dich, mein Lieber“, widersprach Helga. „Frauen werden von Männern – übrigens in allen Kulturen - ständig angeglotzt und regelrechten Kopulationsblicken ausgesetzt. Die Burkakultur will sozusagen vermeiden, dass Frauen belästigt werden.“

Lydie verzog missmutig das Gesicht. „Du findest es wohl richtig, dass die potenziellen Opfer bestraft werden, statt die Täter? Wo bleibt da dein Bewusstsein als Frau?“

Helga zögerte kurz. „Mein Problem ist, ich kann so etwas nicht verurteilen, ohne kulturrassistisch zu werden.“

Lydie verzog das Gesicht. „Irgendetwas gefällt mir nicht an diesem Begriff. Damit wird jeglicher Sexismus einer fremden Kultur vor Kritik immunisiert. Selbst die orientalische Geschlechterapartheid.“

„Du denkst zu kurz“, widersprach Helga. „Im antifaschistisch-sozialistischen Kampf kannst du nicht sagen, du hörst auf zu kämpfen, nur weil es an einer Stelle wehtut. Wenn weltweit die ungleiche Klassenlage aufgehoben ist und die neue materielle Basis den sozialistischen Überbau geformt hat, erledigt sich die Frage, was wir stärker verurteilen, einen angeblichen orientalischen Sexismus oder den real existierenden kulturellen Rassismus des Westens. Solange die Klassenfrage nicht gelöst ist, haben wir kein Recht, fremde Kulturen zu bewerten.“

„Wir Muslime haben keine Scheu vor Bewertungen“, mischte sich Ali ein. „Wir wissen, jede Kultur, die zum Haus des Islam gehört, ist allen anderen Kulturen überlegen. Und die Umma, die Gemeinschaft aller Gläubigen, ist die beste Gemeinschaft, die die Erde je hervorgebracht hat.“

„Siehst du, die Anderen bewerten, wie es ihnen passt, die kennen keine Skrupel“, sagte Lydie.

„Einer muss doch den Anfang machen und Vorleistungen bringen“, meinte Helga. „Dann werden die Anderen auch nachziehen und nicht mehr werten.“

„Das denkst du, aber ...“

„Ich hab´ eine Lösung, ohne Burka und ohne Frauenhaus“, unterbrach Wolle aufgeregt. „Wir könnten den Ali doch in einer Moschee abgeben. Wenn sie erfahren, dass es sich um einen Moslem handelt, werden sich bestimmt Leute finden, die ihn verstecken!“

„Endlich mal eine gute Idee von dir“, kommentierte Lydie. „Ali würde sich dann sicher sehr wohl fühlen, in der besten aller Gemeinschaften.“

„Nein, nein!“, rief dieser aus, nachdem er eine Schrecksekunde überwunden hatte. „In eine Moschee zu meinen Glaubensbrüdern will ich nicht! Ich habe keine Arbeit, kein Vermögen und meine Familie ist nicht hier, da wird mir keine muslimische Familie auch nur eine ihrer jungfräulichen Töchter zur Frau geben.“

„Der nervt langsam mit seinen Jungfrauen“, stöhnte Lydie. „Auf so einen blöden Tick sollten wir keine Rücksicht nehmen!“

„Nee, wirklich nicht“, stimmte Volker zu. „Wir fahren ihn jetzt in eine Moschee, basta!“

„Aber ich will nicht zu meinen muslimischen Mitbrüdern abgeschoben werden!“, protestierte Ali und dachte mit Schrecken daran, dass er kein Wort von der Sprache des Koran verstand.

„Halt Volker“, meinte Helga, „wenn er nicht will, dann lassen wir´s! Wir bekämpfen die Abschiebung, da können wir doch nicht selbst abschieben.“

„Hm, du hast recht“, meinte Lydie. „Wir – die wir Abschiebung für ein Verbrechen halten - können ihn nicht in eine Moschee bringen, wenn er das als Abschiebung ansieht.“

„Dass der Typ auch so fanatisch auf Jungfrauen aus ist“, murmelte Volker.

„Ja, ja, mit dem Sex verhält sich’s wie mit der Religion“, kommentierte Wolle. „Sich reinsteigern macht süchtig, pervers und fanatisch, aber ohne fehlt einem gehörig was. Man muss eben einen Mittelweg finden.“

„Ohne Religion fehlt einem was?“ Lydie verzog verächtlich das Gesicht. „Mensch Wolle, Religion ist Opium für´s Volk, ohne Ausnahme! Du hast deinen Marx anscheinend immer noch nicht verstanden!“

„Ich bin halt voll religiös erzogen worden. Das kann ich nie mehr ganz ablegen, das müsst ihr verstehen! Auch du Lydie.“

Lydie warf Wolle einen abschätzigen Blick zu. „Dass ihr ländlichen Urbayern selbst als Revolutionäre noch der Religion nachweint, werde ich nie kapieren. Bin ich froh, dass ich in Frankfurt aufgewachsen bin und dieses Opium wahrlich nicht benötige.“

„Stopp Themenwechsel!“, warf Volker ein. „Ich weiß, wie wir an eine Burka kommen! Die Anna aus der Untermenzing-WG war doch mal mit ´nem krassen Moslem liiert, der ihr so eine Klamotte aufgedrängt hat. Ich glaube, sie hat das Ding bei der Trennung behalten, auch wenn sie es nur widerwillig einige Male getragen hat. Wenn wir Glück haben, liegt es noch in ihrem Kleiderschrank herum. Helga, du kennst die Anna doch gut!“

„Ja, und?“

„Ruf du sie an, vielleicht überlässt sie uns das Teil?“

„Nee, das soll lieber die Lydie machen!“

„Wieso ich? Du warst doch mit ihr so dick befreundet!“

„Genau, warst! Sie ist sauer auf mich, weil ich sie Kulturrassistin genannt habe.“

„Ach so - und weshalb?“

„Nachdem Anna von ihrem Jamal genug hatte, hat sie behauptet, im Islam wäre die Unterdrückung der Frau angelegt. Auf diese bodenlose Unterstellung musste ich multikulturell dagegenhalten! Aber der Wolle kann doch anrufen, der hat schließlich schon mit ihr gepennt!“

„Kommt überhaupt nicht in Frage. Für die bin ich gestorben!“

Volker grinste. „Nach drei Wochen hat sie Schluss gemacht, weil du ihr zu schwanzgesteuert warst! Stimmt´s Wolle?!“

„Gib´s halt zu!“, setzte Lydie nach.

„Du brauchst gar nicht rot zu werden, wir wissen´s eh!“ setzte Helga nach.

„Dann hört auf, mich zu nerven, dass ich sie anrufen soll! Warum willst du eigentlich nicht anrufen, Lydie?“

„Weil wir uns auf den Tod nicht ausstehen können!“

„Wenn das so kompliziert ist, probier´s halt ich“, grummelte Volker. „Die Nummer von der WG hab ich gespeichert. Aber ich rede draußen mit ihr, allein.“

Während die drei im Bus gebliebenen <Revolutionäre> neugierig zusahen, wie Volker an der nahe gelegenen Häuserfassade auf und ab gehend telefonierte, fragte sich Ali, ob es nicht besser wäre, unter einem Vorwand den Bus zu verlassen und den seltsamen Begleitern davon zu laufen. Doch wo sollte er sich verstecken, um den Häschern des deutschen Staates zu entkommen? Und wie konnte er, völlig auf sich gestellt, Jungfrauen finden? Diese Unsicherheiten vor Augen, entschied er, bei den Verrückten zu bleiben und mit ihnen in das Frauenhaus zu fahren. Fliehen konnte er immer noch, wenn die Jungfrauen dort nicht schön genug wären.

Inzwischen hatte Volker das Telefonat beendet und öffnete die Fahrertür des Busses. „Wir haben Glück“, sagte er und setzte sich wieder hinter´s Lenkrad. „Die Anna war in der WG und es klappt. Aber es hat mich ´ne Menge Überzeugungsarbeit gekostet. Erst als ich gesagt habe, die Klamotte wäre für einen Orientalen, der, am ganzen Körper verhüllt, gegen die Unterdrückung der Frau im Islam demonstrieren möchte, hat sie eingelenkt. Wir können gleich vorbeikommen und das Teil abholen.“

„Fahren wir halt noch nach Untermenzing“, sagte Lydie. „Und von dort ins Frauenhaus Süd.“

„Genau, bringen wir´s rasch hinter uns“, stimmte Volker zu und startete den Bus.

´Islamische Frauen sind nicht unterdrückt`, dachte Ali indessen erzürnt. Sie haben nach den Gesetzen Allah´s zu leben, die Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Da es Frauen an Vernunft fehlt, stehen Ihnen nicht die gleichen Rechte zu, wie uns Männern. Diese Ungläubigen sind unfähig, das zu erkennen! Sicher verursacht ihr Unglaube auch die ständigen Zwistigkeiten. Ich sollte sie einladen, den Islam, die Religion des Friedens, anzunehmen. Wenn sie Muslime werden, brauchen sie sich nicht mehr streiten und verstehen, dass sich Frauen den Männern zu unterwerfen haben. Ja, ich lade sie dazu ein, der Gemeinschaft der Gläubigen beizutreten; als Muslim bin ich sowieso verpflichtet, für meinen Glauben zu werben.`

„Entschuldigung“, begann Ali etwas unsicher. „Ich hätte mal einen Vorschlag für euch. Was haltet ihr davon, Muslime zu werden? Dann seid auch ihr in der besten aller Gemeinschaften und braucht nicht immer streiten. Ihr werdet als Männer und Frauen in Harmonie leben, so wie es Allah vorgesehen hat.“

Lydie drehte sich um und starrte Ali an. „Wie bitte?“

Dieser blickte andächtig vor sich hin und meinte mit sanfter Stimme: „Der Islam ist die Religion der Hingabe und des Friedens. Sobald alle Menschen den Islam annehmen und gläubig leben, gibt es auf der Erde keine Kriege mehr. Wenn ihr alle Muslime werdet, wird auch Frieden unter euch sein. Ihr braucht dann nicht mehr streiten. Und den Sozialismus könnt ihr auch innerhalb des Islam verwirklichen.“

Während Lydie entgeistert das Gesicht verzog, schaltete sich Wolle ein. „Meinst du wirklich, wir alle, die Helga, die Lydie, der Volker, und ich, sollten zum Islam übertreten?“

„Ja sicher“, antwortete Ali mit nunmehr gefestigter Stimme. „Der Islam ist die Religion des Friedens.“

„Ich finde, an dem, was Ali sagt, ist was dran“, meinte Helga. „Ich habe schon öfter gehört, dass der Islam die Religion des Friedens ist. Wenn wir alle Muslime werden und die Muslime alle Muslime bleiben, sind wir alle Muslime und wir könnten einträchtig miteinander leben. Wir vier, alle Menschen in Deutschland und weltweit.“

Lydie macht eine abwertende Handbewegung. „Ach, das ist doch nur Propaganda!

Gerade die islamische Welt ist voller Gewalt.“

„Aber Lydie, du weißt doch selbst, die Menschen dort werden durch den Westen, vor allem durch die USA und Israel unterdrückt, aufgehetzt und gegeneinander ausgespielt.“

Lydie warf Helga einen kritischen Blick zu. „Moslems führen aber auch Kriege, wenn sie weder unterdrückt noch von Andersgläubigen aufgehetzt oder gegeneinander ausgespielt werden. Schau doch in den Sudan, nach Nigeria oder nach Pakistan. Da sieht man, wie kriegerisch sie sein können. Und das kommt nicht von ungefähr: Mohammed selbst hat viele Kriege, auch Angriffskriege, geführt und sogar massenhaft Gefangene töten lassen!“

Helga verzog missmutig das Gesicht. „Woher willst du das wissen?“

„Das weiß ich aus wissenschaftlichen Büchern über Mohammed und den Islam. Ich habe sogar eine Mohammed-Biografie zu Hause. Wenn du willst, leihe ich sie dir aus.“

„Nein, danke, kein Bedarf“, murmelte Helga. „Wer weiß, ob das alles stimmt.“

´Wie respektlos diese Lydie über meinen Glauben und den Propheten – Friede sei mit ihm – spricht´ dachte Ali. ´Allah wird sie dafür strafen.`

„Jesus hat keinen einzigen Krieg geführt“, schaltete sich Wolle wieder ein. „Müsste man da nicht sagen, das Christentum ist die Religion des Friedens?“

„Quatsch Wolle!“, widersprach Lydie. „Dafür haben die Kirchen unzählbare Kriege gesegnet und viele Kriege sogar angezettelt. Es existieren keine Friedensreligionen. Jede Religion stellt ein unermessliches Gewaltpotential dar.“

„Eben!“, betonte Volker und setzte den Blinker zum Überholen. „Und jetzt lasst den Blödsinn mit den Religionen! Wir holen die Burka, damit hat sich´s!“

Vom Himmel abgewiesen

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