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<Piep piep – piep, piep ...>. Verdutzt schlug Ali die Augen auf und blickte auf eine weiß getünchte Zimmerdecke. <Piep piep – piep, piep …> - ununterbrochen fuhr das nervige Piepsen fort, das aus einem blinkenden Apparat kam, der sich seitlich hinter seinem Bett befand. Verbunden war der Apparat mit einem Bildschirm, auf dem sich mehrere Linien in Aufs und Abs schlängelten. Vergeblich versuchte Ali, seinen Blick auf die Quelle dieses Piepsens zu richten.

„Guten Tag, junger Mann – hallo!“, klang eine weibliche Stimme an sein Ohr. Mühsam drehte er den Kopf und nahm zwei weiß gekleidete Frauen wahr, die direkt neben seinem Bett standen. Eine der beiden trug eine Brille und sagte: „Können Sie mich verstehen?“

„Wo bin ich?“, fragte Ali mit schwacher Stimme. „Was ist los?“

„Sie befinden sich hier auf der Intensivstation des Resikrankenhauses. Ich bin Stationsärztin Zellner, neben mir steht Schwester Lisa. Wir haben Sie aus einem lebensbedrohlichen Koma zurückgeholt. Bleiben Sie ganz ruhig, das Schlimmste haben Sie überstanden! Der Oberarzt kommt gleich und sieht nach Ihnen.“

Ali nickte matt und musterte die zwei Frauen. Stationsärztin Zellner steckte in einem weißen Anzug, der ihre Reize bis zum Hals verdeckte. Ihre Haare waren allesamt nach oben zu einem Knäuel zusammengesteckt, allerdings ohne sittsam durch ein Kopftuch verhüllt zu sein. Die andere, etwa zehn Jahre jünger, trug ihr rötlichblondes Haar offen. Der Reißverschluss ihrer Jacke war im oberen Bereich geöffnet und ließ die Ansätze zweier wohlgeformter Brüste erkennen.

„Kollege Bengel, der Patient ist aus dem Koma erwacht, aber noch nicht bei vollem Bewusstsein“, ertönte die Stimme von Stationsärztin Zellner. Neben den beiden Frauen stand auf einmal ein hagerer, hellgrün gekleideter Mann mittleren Alters.

„Wir werden sehen, ob er noch Wahnvorstellungen über Jungfrauen hat“, sagte Doktor Bengel leise. In diesem Fall verlegen wir ihn in die Psychiatrische nach Moorbach.“

Ganz nah trat er nun an Ali heran. „Möchten Sie etwas sagen?“, fragte er und blickte ihm tief in die Augen. Verlegen drehte Ali seinen Kopf zur Seite, ohne einen Laut von sich zu geben.

„Vorhin, als ich allein nach ihm sah, lag er schweißgebadet da und fantasierte schon wieder von zweiundsiebzig Jungfrauen“, bemerkte die Stationsärztin. „Bald darauf allerdings nur noch von zweiundfünfzig, dann von sechsunddreißig, fünfundzwanzig, zwölf, zum Schluss murmelte er sogar nur noch etwas von drei klitzekleinen Jungfrauen. Seine Psychose scheint abzuklingen.“

„Gut zu wissen“, antwortete der Oberarzt, „Schwester Lisa, beobachten Sie den Patienten. Jede Besonderheit melden Sie umgehend. Fürs Erste ist die Visite beendet.“

Die Schwester nickte, setzte sich auf einen Stuhl und richtete den Blick auf Ali, der eingehend ihre weiblichen Reize betrachtete. Indessen verließen die beiden Ärzte den Raum.

„Hallo, Friede sei mit Ihnen“, brachte Ali nach wenigen Augenblicken mühsam hervor.

Sofort stand Schwester Lisa auf und beugte sich ganz nah zu ihm hin. Freundlich lächelte sie ihn an. Verwirrt von diesem ungewohnten Ereignis senkte Ali seinen Blick und starrte auf zwei mangoförmige Brüste, die sich fast bis zu den Warzen aus der weißen Jacke herausgeschoben hatten. Mit zitternden Händen griff er der bildhübschen Mittzwanzigerin an die Wangen und sagte: „Sie sind eine wunderschöne Jungfrau, wie für mich geschaffen. Nur verschleiern müssen sie sich noch.“

Geschickt drehte sich Schwester Lisa zur Seite und drückte auf den Notfallknopf. Binnen zwei Minuten standen Oberarzt Bengel und Stationsärztin Zellner erneut vor seinem Bett.

„Der hat mich am Kopf gestreichelt und zu mir Jungfrau gesagt“, gab Schwester Lisa kund.

Über Bengels Gesicht huschte ein vielsagendes Grinsen. Fragend sah Stationsärztin Zellner Schwester Lisa an, deren Gesicht sich rot verfärbte.

„Der Fall ist klar“, flüsterte Bengel. „Heute und morgen kann er noch bleiben, übermorgen kommt er nach Moorbach in die Offene. Der junge Mann braucht dringend eine Therapie.“

Liegend wurde Ali in die psychiatrische Klinik Moorbach verlegt. Zur Begründung sagte man ihm nur, er benötige psychische Unterstützung, die er dort erhalten würde. Bereits am Eingang nahm ihn ein Pfleger in Empfang und schob ihn in ein weiß getünchtes Zimmer mit zwei Betten. In einem der Betten lag ein etwa vierzigjähriger, hellblonder Mann auf dem Rücken und stierte regungslos vor sich hin.

´Dem geht es aber schlecht`, dachte Ali und betrachtete neugierig den Mann. ´Was der wohl hat?` Auf einmal spürte er zwei Hände an seiner Schulter. „Na, seien Sie doch nicht so unbeweglich, ein bisschen mitmachen können Sie schon!“

„Äh, wie bitte?“ Ali warf dem Pfleger einen fragenden Blick zu. Dieser deutete auf das leere Bett neben ihm. „Rein mit Ihnen, das ist frisch bezogen.“ Gehorsam rutschte Ali auf das Bett hinüber.

„Na also geht doch“, meinte der Pfleger und nickte. „Machen Sie sich bequem, in neunzig Minuten gibt´s Mittagessen. Für Sie als Moslem selbstverständlich ohne Schweinefleisch.“ Schon schob er die Liege mit dem Gestell aus dem Zimmer. Indessen legte sich Ali auf den Rücken, starrte an die Decke und fragte sich, was er hier in diesem Krankenhaus verloren hätte. Soviel er auch überlegte, ihm blieb völlig schleierhaft, welch psychische Unterstützung er benötigte. Ergebnislos setzte er sich auf die Bettkante und blickte auf seinen Zimmergenossen, der immer noch vor sich hinstierte. Vorsichtig fragte er: „Mein Herr, können Sie mich verstehen?“

„Der blonde Mann drehte den Kopf und meinte mit schwerer Stimme: „Ja, was gibt´s denn!“

„Sie sehen aber nicht gut aus, fehlt Ihnen was?“

„Das kann man wohl sagen. Mir fehlt die Lebenslust.“

„Lebenslust?“

„Ja, ich wollte meinem Leben ein Ende setzen und habe eine Schachtel Schlaftabletten geschluckt.“

„Und hat das funktioniert?“

„Dumme Frage, natürlich nicht, wäre ich sonst hier?“

„Entschuldigen Sie die Frage,“ antwortete Ali verlegen. „Aber was hat denn Ihr Leben gerettet?“

„Ich hatte nicht bedacht, dass mein Freund Werner mich zu einer Party abholen wollte und wusste, dass ich zu Hause war. So wurde ich gewaltsam aus dem Todesschlaf gerissen und hierher gebracht. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, zu sterben.“

„Aber weshalb? Wollten Sie sich etwa opfern, und für was?“

„Nein, nicht opfern! Ich bin in eine Depression gefallen. Meine Frau hat mich hintergangen und mir meinen Sohn genommen.“

„Wie konnte Ihnen so etwas passieren mein Herr?“

„Ach das wird dich gar nicht interessieren!“

„Doch erzählen Sie, ich höre Ihnen gerne zu! Übrigens ich heiße Ali bin gläubiger Muslim und kann Ihnen vielleicht helfen.“ Ali beugte sich nach vorne und lächelte dem blonden Mann freundlich zu.

Dieser lächelte gequält zurück. „Ich heiße Dieter und wurde von meiner Frau nur geheiratet, weil ich erfolgreicher Zahnarzt bin. Dabei habe ich sie so sehr geliebt.“

„Wir Männer sollen die Frauen nicht lieben, sondern beherrschen“, sagte Ali mit ernster Miene. „Sie bestimmen sonst über unsere Gefühle, werden selbstsüchtig und vernachlässigen ihre Pflichten.“

Dieter verrieb sich eine Träne am Backen und blickte sehnsüchtig zum Fenster. „Aber die Liebe zu einer Frau ist doch das Wunderbarste im Leben eines Mannes!“

„Sie irren sich, mein Herr! Das Wichtigste im Leben ist, Muslim zu sein und sich Allah, dem einen Gott zu unterwerfen.“

„So ein Blödsinn! Soll ich den ganzen Tag nur beten und Allah, Allauahh , Lallaaa rufen?“

„Nein, das nicht! Muslim sein heißt, ein Leben nach den Lehren des Koran und des Propheten – Friede sei mit ihm – zu führen und in der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen aufzugehen.“

Dieter machte eine herablassende Handbewegung. „Junge, ich bin aus der Kirche ausgetreten und kann mit keinem Gott was anfangen.“

Ali erbleichte. „Heißt das, Sie haben sich von ihrem christlichen Glauben abgewandt und leugnen die Existenz Gottes?“

„So ist es. Gott ist tot. Die Popen bekommen von mir keinen müden Euro mehr. Das habe ich denen auch geschrieben.“

„Haben Sie keine Angst um Ihr Leben?“

„Angst um mein Leben?“

„Na ja, aufrechte Christen werden doch sicher versuchen, Sie zu töten, wenn sie den christlichen Glauben verraten.“

„Wie kommst du denn darauf?

Ali blickte Dieter eindringlich an. „Wer im Islam erkennbar vom Glauben abfällt, begeht eine Todsünde und hat sein Leben verwirkt; zumindest wenn er sich weigert, wieder gläubig zu werden. Das ist bei den Christen doch genauso - oder etwa nicht?“

„Bei uns ist das Mittelalter schon lange vorbei“, grummelte Dieter.

„Aber das Christentum ist doch die Religion der Deutschen!?“

„Nur auf dem Papier. Die meisten Deutschen machen sich hierzu keinen Kopf. Die Zahl der aus den Kirchen Ausgetretenen wird immer größer.“

„Wieso verbieten die Kirchen nicht, dass Christen von ihrem Glauben abfallen und Gott leugnen? Wenn man diese Leute am Leben lässt, müsste man sie zumindest ins Gefängnis werfen, damit sie ihren Unglauben nicht weiter verbreiten.“

„Mann, das Mittelalter ist bei uns vorbei. Übrigens habe ich keinen Bock über Religion zu diskutieren, vor allem nicht mit jemand, der mich in den Knast stecken will.“ Verärgert drehte sich Dieter wieder auf den Rücken und blickte stur zur Decke.

„Entschuldigen Sie, mein Herr, ich war wohl etwas vorlaut“, meinte Ali und kreuzte verlegen die Beine. In seinem religiösen Eifer hatte er nicht bedacht, dass Dieter selbst ein Gottesleugner war. „Erzählen Sie weiter, was Ihnen mit Ihrer Frau passiert ist.“

„Weshalb denn? Anscheinend interessiert dich das nicht!“

„Doch, doch, sicher, mein Herr! Erzählen Sie! Ich bin ganz gespannt!“

„Okay ich versuch es“, sagte Dieter und wandte sich wieder Ali zu, der ihn mit großen Augen ansah. „Meine Frau Janine habe ich auf einer Party kennengelernt. Von der ersten Sekunde an zog sie mich in ihren Bann. Sie strahlte eine unbändige Erotik aus und wirkte auf eine natürliche Art fröhlich. Zu meinem Bedauern war sie in Begleitung eines renommierten Professors für Zahnheilkunde. Dieser, mindestens zwanzig Jahre älter, passte überhaupt nicht zu ihr, sodass ich den Partygeber bat, mich Janine als einen der erfolgreichsten Zahnärzte Münchens vorzustellen. Als ihr Begleiter für kurze Zeit den Raum verließ, wurde ich ihr vorgestellt. Lächelnd reichte sie mir daraufhin die Hand. Während ihr Jasminduft in meine Nase stieg beherrschte mich nur noch ein Gedanke: ´Ich will diese Frau, ich werde alles tun, um sie zu bekommen`.“

„Ja mein Herr“, kommentierte Ali. „Wir Männer sind den Verführungskünsten schöner Frauen hilflos ausgeliefert. Im Islam haben sich Frauen deshalb in der Öffentlichkeit zu verschleiern und müssen sich von allen familienfremden Männern fernhalten. Auf diese Weise geraten wir nicht in Unordnung.“

Gedanken verloren blickte Dieter über Ali hinweg. „Ja, letztendlich war ich Janine und ihren Reizen ausgeliefert. Sie hat das sicher sofort gemerkt und mich auch deshalb ausgewählt.“

„Aber wie sollte das gehen? Sie war doch mit einem Mann da. Und als Frau kann sie sowieso nicht über sich selbst bestimmen!“

„Lass mich erzählen! Wir hatten keine fünf Minuten Small Talk geführt, da kam auch schon ihr Begleiter, Professor Trumpf zurück und führte Janine von mir weg. ´Bis später, Dieter`, flüsterte sie mir noch zu. Dabei bohrten sich ihre Rehaugen tief in mein Herz. Aufgewühlt ging ich nach oben auf den Balkon des oberen Wohnzimmers der Villa. Die Arme auf das Geländer gestützt, schaute ich verträumt in die Umrisse der Gartenanlage und stellte mir vor, dort mit ihr zu sein. Etwa zehn Minuten mussten so vergangen sein, als mich der Duft nach Jasmin aus meinen Gedanken riss. Im Halbdunkel nahm ich wahr, dass Janine mich erwartungsvoll von der Seite anlächelte. ´Hey Dieter`, hauchte sie mit ihrer sanften Stimme, ´auch romantisch veranlagt?` ´Oh ja, vor allem jetzt, da Sie vor mir stehen`, gab ich zurück. ´Stoßen Sie mit mir doch auf die Zukunft der Liebe an`, säuselte sie und reichte mir ein Sektglas. Beim Zuprosten kam sie ganz nah an mich heran. So nah, dass unsere Lippen nur noch eine Handbreit auseinander waren. Dann trat sie einen Schritt zurück, strich sich verführerisch mit der Hand durchs Haar und flötete: ´Gefällt Ihnen mein Abendkleid? Das habe ich heute das erste Mal an.` Und wie mir das Abendkleid gefiel. Der edle Stoff des Kleides betonte auf eine raffinierte Weise ihre Formen. ´Ich bin völlig hingerissen von Ihnen und ihrem zauberhaften Kleid`, bemerkte ich. ´Nur schade, dass Sie schon in festen Händen sind. Oder täusche ich mich etwa?` Janine nickte andeutungsweise und säuselte: ´Stimmt, Sie täuschen sich. Der Trumpf ist nur ein väterlicher Freund, zumindest sehe ich es so. Ich begleite ihn hin und wieder, dafür unterstützt er mich, wenn nötig.`

„Väterlicher Freund, so etwas gibt es nicht“, warf Ali ein. „Sie hätten gleich wissen müssen, dass diese Frau eine unmoralische Person ist.“

„Ja, ja, hinterher ist man immer schlauer“, sagte Dieter mürrisch. „Nun, Janines Antwort ließ mich hoffen. Charmant erklärte ich, ihr liebend gerne alle Wünsche von den Augen abzulesen. Daraufhin blickte sie mich herzzerreißend an und meinte: ´Dieter, solche Männer sind heute äußerst selten. Wenn Sie halten, was Sie versprechen, könnte der heutige Tag unser erster, gemeinsamer Glückstag sein.`“

Dieter machte eine kurze Pause und blickte mit verklärtem Gesichtsausdruck aus dem Fenster. „Bereits zwei Tage später“, fuhr er fort, „saßen wir verträumt beim Candle-Light-Dinner - und kamen uns rasch näher. Es war wie im Märchen: Ich, der erfolgreiche Zahnarzt, Anfang vierzig, mit meiner Traumfrau, zwölf Jahre jünger, superattraktiv, gebildet, lebensfroh. Dass sie als freiberufliche Theaterwissenschaftlerin nur ein geringes Einkommen hatte, gefiel mir sogar. Schließlich wurde sie dadurch finanziell von mir abhängig.“

„Mein Herr“, warf Ali ein, „es genügt nicht, wenn der Mann die Frau versorgt, er muss sie auch kontrollieren und bestrafen, wenn sie nicht folgen will.“

„Lass mich doch erzählen und red nicht so unqualifiziert dazwischen!“ grantelte Dieter und warf Ali einen vorwurfsvollen Blick zu. „Wo war ich? Verdammt, jetzt habe ich es vergessen. Na ja, auf alle Fälle verbrachten wir fantastische Liebesnächte, fuhren gemeinsam in den Urlaub, schmiedeten Pläne für die Zukunft und wünschten uns schließlich ein Kind. Unsere Hochzeit feierten wir mit einem rauschenden Fest, die Geburt unseres Sohnes erfüllte mich mit höchstem Glück. Dass Janine damit einen teuflischen Plan hegte, konnte ich nicht ahnen.“

Indessen war Ali um einige Zentimeter in die Bettmitte zurückgerückt und sah Dieter schweigend an.

„Verstehst du: einen teuflischen Plan?“, wiederholte Dieter nach einer kurzen Pause.

„Ja“, antwortete Ali wortkarg.

„Willst du nicht wissen, welchen Plan?“

„Ja, doch!“

„Und warum fragst du dann nicht?“

„Ich soll doch nicht dazwischen reden.“

Dieter rollte mit den Augen und sagte dann. „Gegen gehaltvolle Äußerungen habe ich überhaupt nichts.“

Ali sah ihn verunsichert an. „Darf ich dann fragen, was an dem Plan teuflisch war?“

„Ja du darfst“, antwortete Dieter und nickte bedächtig. „Also, das war so: Janine entpuppte sich als ein äußerst raffiniertes Biest. Noch vor unserer Hochzeit hatte sie ihre Wohnung aufgelöst und war mit mir in eine Vorortvilla gezogen. Dort spielte sie ein doppeltes Spiel: Nach außen hin tat sie schmelzend verliebt und las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Insgeheim plante sie jedoch schon den Absprung. Als sie im sechsten Monat schwanger war, kam sie zu mir und meinte, sie müsse noch alte Schulden begleichen. Nichts Böses ahnend gab ich ihr einen höheren Betrag. Und was glaubst du, was sie mit dem Geld gemacht hat?“

„Vielleicht hat sie sich teuren Schmuck gekauft?“

„Schön wär´ s gewesen. Kurz vor ihrer Entbindung hat sie sich eine eigene Wohnung angemietet – ohne mein Wissen, aber mit meinem Geld.“

„Oh!“ Ali riss ungläubig die Augen auf.

„Drei Monate nach der Geburt unseres Sohnes fand ich nach Feierabend einen Zettel auf dem Küchentisch. <Hi Diddi>, stand darauf per Hand geschrieben, <der Maurice und ich, wir sind ausgeflogen in unsere eigene Wohnung in der City und kommen nicht mehr zurück. Unser Anwalt setzt sich mit dir in Verbindung zwecks der Finanzen, tschau!> Mir wurde auf der Stelle schlecht. Panisch durchsuchte ich die Villa in der Hoffnung, das wäre nur ein übler Scherz. Vergeblich – mein Sohn und meine Frau waren weg, samt ihrer Sachen. Janine hatte alles in ihren Audi gepackt und war mit Maurice in ihre geheime Wohnung gefahren. Nicht einmal die Adresse wusste ich.“

„Das ist ja ungeheuerlich!“

„Ja, ungeheuerlich“, wiederholte Dieter. „Eine Woche später hat Janine bei mir angerufen und mir eingestanden, dass sie alles kaltblütig geplant habe. Sie wollte schon länger ein Kind haben und finanziell unabhängig sein, ohne sich an einen Mann zu binden. Als sie mich auf der Party kennenlernte, hätte sie sofort gemerkt, dass ich der Richtige dafür sei. Mein ganzes Bitten und Betteln, selbst das Drohen mit dem Gericht, half nichts: Nach diesem Gespräch brach sie den Kontakt zu mir ab, von da an sprach sie nicht mehr mit mir. Ich habe dann ausführlich mit ihrer Mutter telefoniert, und erfahren, dass Janine sehr negativ über Männer denkt. Männer seien für sie das Letzte: oberflächlich, sexbesessen, nur an der äußeren Attraktivität einer Frau interessiert. In ihrer Sexbesessenheit reagierten Männer auf Frauenreize gleichermaßen mechanisch wie ein laufender Motor auf Benzinzufuhr. Deshalb würde sich ihre Tochter im Umgang mit Männern auch keinerlei moralische Gedanken machen. Männer seien für sie einfach dazu da, um rücksichtslos die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Von dieser Überzeugung sei sie nicht abzubringen, auch von mir nicht. Denn gerade ich hätte dieses Männerbild bestätigt. Da konnte ich nur halbherzig widersprechen.“

Zitternd wischte sich Dieter mit einem Papiertaschentuch die Schweißtropfen von der Stirn. Dann nahm er sein Wasserglas vom Nachtkästchen und setzte zum Trinken an. Währenddessen dachte Ali mit Befriedigung daran, dass in seiner Heimat Frauen keine Möglichkeit hatten, ihre Reize zu missbrauchen, um Männer zu verführen. Auch das Recht, gegen den Willen ihres Mannes in eine andere Wohnung zu ziehen und gar noch die Kinder mitzunehmen, wurde ihnen von vornherein verwehrt. Dieter stellte das Glas wieder zurück und sagte wehleidig: „Sie war so attraktiv, wieso sollte ich sie nicht begehren?“

„Ja Herr Dieter“, antwortete Ali und streckte sich. „Für uns Männer ist die Schönheit der Frauen sehr wichtig. Damit sie keine Macht über uns bekommen, müssen sie im Islam ihre Reize unter einem Schleier verbergen und dürfen auch sonst nicht machen, was sie wollen. Erst in der Hochzeitsnacht nehmen sie den Schleier für ihren Ehemann ab.“

„Ach so, ihr kauft die Katze wohl im Sack!“ Dieter lachte höhnisch auf. „Nein danke, das wäre nichts für mich. Ich muss mir eine Frau schon vorher ansehen, ob sie mir gefällt!“

„Und ich muss sicher sein, dass meine Frauen noch jungfräulich sind“, entgegnete Ali wie aus der Pistole geschossen. „Die islamische Geschlechterordnung sorgt dafür auf eine gute Weise. War Janine denn noch Jungfrau?“

Dieter schüttelte den Kopf. „I wo, wo denkst du hin. Janine hatte schon etliche Männer vor mir gehabt.“

„Sehen sie, mein Herr,“ meinte Ali beflissen, „darin liegt der Fehler! Mit einer Frau, die jungfräulich in die Ehe geht und nach den Gesetzen des Islam lebt, wäre ihnen nichts Schlechtes passiert.“

Dieter winkte unwirsch ab. „Na ja, in einem weiteren Gespräch bat ich Janines Mutter, sich bei ihrer Tochter für mich einzusetzen und sie zu überzeugen, wieder zu mir zurückzukommen. Ich sagte ihr, dass ich sie immer noch liebe, genauso wie meinen Sohn, den ich so sehr vermisse. Sie halte sich da raus, gab mir ihre Mutter zur Antwort. Denn – und jetzt kommt der große Hammer – sie könne ihre Tochter verstehen! Janines eigener Vater sei ein großes Männerschwein gewesen. Er hätte sich nie um sie gekümmert, ja anfangs sogar geleugnet, dass sie seine Tochter sei. Selbst vor den Unterhaltszahlungen wollte er sich drücken, obwohl er ein sehr hohes Einkommen hatte. Dann fügte sie hinzu, ich solle mir keine Hoffnungen machen, Janine hätte jetzt einen anderen Mann, einen der nicht so sexfixiert sei wie ich. Das erste Mal in ihrem Leben sei sie wirklich verliebt. Da wurde mir manches klar. Janine hat in mir das Symbol ihres biologischen Vaters gesucht und gefunden. Ob bewusst oder unbewusst – sie benutzte mich, um ihre Gefühle, die sie für ihren Vater hegte, abzureagieren. Ich wurde von ihr regelrecht als therapeutisches Racheobjekt missbraucht.“

Bestürzt nahm Ali wahr, wie sich die Verzweiflung in Dieters Gesicht abzeichnete. „So ein Satansweib!“, entfuhr es ihm. „Ist diese teuflische Person schon im Gefängnis und verbüßt ihre verdiente Haftstrafe? Oder ist sie noch auf der Flucht?“

Dieter blickte Ali mit zusammengekniffenen Augen an. „Wie bitte? Ich verstehe nicht recht! Wieso soll sie im Gefängnis sein? Vor wem soll sie fliehen? Sie sitzt in ihrer Citywohnung, lebt mit meinem Sohn von meinem Geld! Und der Andere spielt den Vater.“

„Hören Sie, mein Herr, diese Frau hat Ihre Ehre, ja die Ehre zweier Familien zerstört. Dafür muss sie bestraft werden! Das islamische Recht ist da sehr konsequent: Es sieht für solch einen Fall die Steinigung vor.“

„Kein Gericht in unserem Land wird meine Frau zu einer Geldstrafe verurteilen und du sprichst von Steinigung?“

Ali sah Dieter verblüfft an und rutschte an die Bettkante vor. „Sprechen die Gerichte in eurem Land nicht recht? Eine Ehefrau kann doch nicht einfach ihren Mann alleine lassen und sein Kind mitnehmen? Und dann noch Ehebruch begehen!?“

„Hast du eine Ahnung! In unserem Land kann jede Frau ihren Mann verlassen, wann sie will, sie kann sexuelle Beziehungen eingehen, soviel sie will, und zusammenwohnen, mit wem sie will.“

Ali riss entsetzt die Augen auf. „Das ist ja ungeheuerlich! In diesem Deutschland scheint der Satan zu herrschen und die Gesetze zu machen.“

„Nicht der Satan, sondern frauenbewegte Männer! In allen deutschen Parlamenten stellen Männer die Mehrheit!“

„Männer, die vom Satan beherrscht werden.“

„Nicht vom Satan, vom Feminismus.“

„Aber, auch deutsche Familien werden es sich doch nicht gefallen lassen, dass eine Frau ihre Ehre auf so abscheuliche Weise beschmutzt, wie diese Janine! Wenn schon die Gesetze und Gerichte versagen, und Sie, Herr Dieter, im Krankenhaus sind, müssten die Väter oder Brüder dieses Teufelsweib bestrafen und dafür sorgen, dass Sie Ihr Kind zurückbekommen. Falls niemand Ihre untreue Frau töten will, sollte man sie zumindest im Haus ihrer Eltern wegsperren und ihr die niedrigsten Tätigkeiten auftragen.“

Dieter machte eine abwehrende Handbewegung. „Vergiss´ es. So etwas wird bei uns als Freiheitsberaubung definiert und hart bestraft. Frauen müssen sich in Deutschland von ihren Männern heute nichts mehr sagen lassen. Das war einmal und ist vorbei!“

Ali rollte die Augen nach oben und kratzte sich am Kopf. „Bei so vielen Ungerechtigkeiten in Ihrem Land macht den Männern das Leben aber keine Freude!“

„Nein, in meinem Fall wirklich nicht“, sagte Dieter nachdenklich. „Noch dazu, da Janine erfolgreich auf Sorgerecht und Unterhalt geklagt hat. Dabei wurde mir ein kleiner Vorfall zum Verhängnis. Drei Wochen nach Janines Auszug habe ich herausbekommen, wo sich ihre Wohnung befindet. Eines Tages gelang es mir dann auch, sie abzupassen. Als ich sie zur Rede stellen wollte, ging sie einfach weiter und ließ mich stehen. Da bin ich durchgedreht und habe auf sie eingeprügelt. Das hat mir das Gericht schwer angekreidet.“

„Wie gibt es denn so etwas!“, rief Ali erstaunt aus. „Mein Glaube schreibt sogar vor, dass der Ehemann seine Frau zu schlagen hat, wenn Ermahnungen nichts nutzen. Zwar nicht unbedingt krankenhausreif, dafür aber so, dass sie wieder zur Besinnung kommt.“

„Das mag bei euch im Orient so sein“, antwortete Dieter mürrisch. „Bei uns im Westen ticken die Uhren aber anders. Hierzulande ist eine Frau von Rechts wegen der absolute Herrscher über sich. Auch wenn sich viele Frauen alles Mögliche von ihren Männern vorschreiben lassen, du hast kein Recht darauf.“

„Das könnte man doch sicher ändern. Wenn alle Männer zusammenhalten und gemeinsam ...“

„Ach hör doch auf mit solchen Sprüchen!“

Ali zuckte zusammen: „Entschuldigung, ich wollte nur eine Lösung vorschlagen.“

„Wo war ich? Ja, ich wollte sagen, ich muss jetzt nicht nur Unterhalt für meinen Sohn bezahlen, sondern vorerst auch für Janine: für ihre Wohnung, für ihre Kleider, für ihre Nahrung und für sonst was. Vor Gericht hat sie behauptet, ich sei gewalttätig und der Kontakt mit mir würde Maurice schaden. So ein frauenbewegter psychologischer Gutachter hat den Schmarrn noch bestätigt! Deshalb hat das Gericht entschieden, dass sie das alleinige Sorgerecht erhält. Vorerst darf ich meinen Sohn nicht und später nur unter strengen Auflagen zwei Mal einen halben Tag pro Monat sehen.“

„Das ist doch der reine Wahnsinn, mein Herr! Wie kann eine Frau über das Kind ihres Mannes bestimmen? Sie ist nicht einmal fähig, für sich alleine zu entscheiden!“

Dieter lachte gequält auf. „Mann bist du krass drauf!“

Ali schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht krass drauf, ich vertrete nur, was die Scharia, das islamische Recht, vorgibt. Wissen Sie, mein Herr, im Islam sind Frauen den Männern unterstellt. Sie haben unsere sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen und möglichst viele Söhne zu gebären! Dabei stehen die Kinder immer unter der Vormundschaft des Ehemannes oder seiner männlichen Angehörigen; auch wenn die Frau von ihrem Mann verstoßen wird, entscheidet er, ob und wie lange sie die Kinder aufziehen darf.“

„Wow, das sind ja traumhafte Verhältnisse!“

Ali lächelte verklärt. „Ja, die Gemeinschaft der Gläubigen ist die beste Gemeinschaft auf der Erde. Auch Sie sind eingeladen, zu dieser Gemeinschaft zu gehören. Sie müssen nur aufrichtigen Herzens die Glaubensformel sprechen und die Grundpflichten beherzigen. So zum ...“

Dieter hob abwehrend die Hand. „Stopp, aufhören! Ich halte nichts von Religion – weder von der christlichen, noch von der islamischen noch von irgendeiner anderen.“

„Sie sollten den Islam kennenlernen, mein Herr, dann würden Sie Ihre Meinung sicher ändern.“

„Danke kein Bedarf! So nun brauche ich meine Ruhe, mich strengt das alles ziemlich an.“

„Ja, ich hab´s verstanden“, sagte Ali, legte sich wieder auf den Rücken und starrte beleidigt zur Decke. Bald ging ihm jedoch durch den Kopf, was Dieter über das Verhältnis der Geschlechter in Deutschland erzählt hatte. ´Die spinnen, die Ungläubigen` sinnierte er. ´Wie kann man den Frauen nur so viele Rechte geben? Zusehen, wie sie ihre Männer ausnutzen und betrügen, ja die eigene Familie zerstören! – Moment mal, Mann, oh Mann, das betrifft auch mich! Wenn es stimmt, was Dieter behauptet, wird es mir sehr schwer fallen, meine zweiundsiebzig Jungfrauen zu disziplinieren. Aber können die Männer hier wirklich so unterwürfig sein und Frauen machen lassen, was sie wollen? – Nein, mit Sicherheit nicht! Wahrscheinlich schwindelt Dieter. Er wird seine Frau verstoßen haben, woraufhin sie mit dem Kind zu ihren Eltern geflüchtet ist. Und dieser Unmann hat darauf verzichtet, seinen Sohn zurückzufordern. Um sein Gesicht zu wahren und eine Erklärung für seine Krankheit zu liefern, hat er das Geschehen verdreht! Jedes Recht, nicht nur islamisches Recht, wird doch bestimmen, dass der Mann über seine Kinder verfügt.`

Umständlich drehte sich Ali auf die Seite und schaute an die Wand. ´Nein`, dachte er erneut, ´kein Volk, keine Gemeinschaft ist so verrückt, Frauen alle nur denkbaren Rechte einzuräumen. Aber weshalb ist Dieter dann krank geworden, wenn die Geschichte mit dieser Janine nicht stimmt?- Ich hab´s, Allah hat ihm die Krankheit als Strafe geschickt, weil er von seinem Glauben abgefallen ist und an keinen Gott mehr glaubt.`

In diesem Moment ging die Zimmertür auf und zwei Pfleger traten ein. Mit ernstem Gesichtsausdruck näherten sie sich Ali, der sich ängstlich in sein Bett kauerte.

„Guten Tag Herr Islami“, meinte derjenige, der einen Vollbart trug. „Wir tun Ihnen nichts! Strecken Sie bitte Ihren rechten Arm aus, wir kontrollieren Puls und Blutdruck.“

„Sie müssen körperlich stabil sein, bevor die Fachdienste Ihre psychischen Probleme angehen“, ergänzte der andere Pfleger, ein bulliger Typ mit Halbglatze.

´Ob der mit dem Bart wohl Muslim ist?`, fragte sich Ali und streckte den Pflegern gehorsam seinen rechten Arm entgegen. Im Nu wickelte der mit der Halbglatze ein breites Plastikband, das mit einem kleinen Apparat verbunden war, um seinen Oberarm. Dann drückte er auf einen Knopf, woraufhin sich das Plastikband aufblähte und den Oberarm zusammenschnürte.

„Blutdruck und Puls sind in Ordnung“, meinte der Kollege, während die Luft wieder aus dem Band entwich.

Der Bärtige nickte zufrieden und sah Ali tief in die Augen. „Wie geht´s sonst?“

Dieser schüttelte den Kopf. „Nicht besonders. Mir fehlen die Jungfrauen, die mir versprochen wurden.“

„Pffff“, ich krieg sie nicht mehr“, erklang Dieters Stimme von nebenan.

„Ruhe!“ Der halbglatzige Pfleger warf ihm einen strengen Blick zu.

„Herr Islami“, sagte der bärtige Kollege, „ihr Problem geht der psychiatrische Fachdienst im Gespräch mit Ihnen an. Sie bekommen bald Bescheid.“

„Werden etwa Jungfrauen für mich besorgt?“ Alis Stimme klang hoffnungsfroh.

„Warten Sie es einfach ab! In jedem Fall hilft man Ihnen weiter. Noch Fragen? - Nein! So, und jetzt beenden wir Ihre Visite, wir haben wie immer viel zu tun.“ Schon drehten sich die beiden Pfleger von ihm weg und verließen das Zimmer.

´Psychische Probleme, psychiatrischer Fachdienst?`, ging Ali durch den Kopf. ´Nun, der Vorfall in dem seltsamen Nomadenzelt hat mich schon verunsichert! Aber psychisch krank bin ich dadurch nicht geworden. Wie dem auch sei: Ich muss so bald wie möglich dieses Krankenhaus verlassen, schließlich bin ich wegen der Jungfrauen nach Deutschland gekommen.`

Vom Himmel abgewiesen

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