Читать книгу Wildnis ist ein weibliches Wort - Abi Andrews - Страница 22

Ich fand es schade, Umik zurückzulassen, der auf die Hunde und Schlitten aufpassen sollte. Zum Abschied umarmten wir uns alle unbeholfen, was ihm sichtlich unangenehm war. Wieder zu Fuß zu gehen, den dichten Schnee zu verlassen, war ein seltsames Gefühl. Ich dachte, Permafrostboden wäre dauerhaft gefrorener Erdboden, aber wie Amos mir erklärt hat, befindet er sich unterhalb der Erde und hält das Wasser oben, wodurch alles feucht und matschig ist. Auf dem schmatzenden Schlamm zu laufen, war schwierig, mit dem Gewicht unserer Rucksäcke auf den Schultern. Trotz des Winds wurde es etwas wärmer, sodass wir unsere Mäntel ausziehen mussten, aber die Feuchtigkeit lockte alle Insekten hervor, und einige davon stachen uns durch die Ärmel hindurch.

Ich hielt den Blick auf meine Füße und die Insekten gerichtet, die ich auf meiner Haut zerklatschte, daher bemerkte ich erst, als wir ins Auto stiegen, dass das Eis verschwunden war. Amos war so aus dem Häuschen darüber, in einem Auto zu sitzen, dass er die ganze Fahrt über das Fenster aufließ und den Arm auf der Tür abstützte, sodass es hinten kalt wurde, aber keine von uns wollte etwas sagen. Sein Bruder hatte uns in seinem Geländewagen abgeholt, und Amos unterhielt sich angeregt mit ihm, was mir recht war, weil ich gern abschalte, wenn sich Leute in einer Sprache unterhalten, die ich nicht verstehe.

Dann blickte ich aus dem Fenster und bemerkte erstaunt, wie intensiv die Farben waren. Nicht wirklich objektiv betrachtet, aber der Kontrast tat mir fast in den Augen weh. Die ganze Fläche bloß Moosgrün mit etwas Rosa dazwischen, und so ging es immer, immer weiter. Die gesamte Fahrt über veränderte sich kaum etwas, die gedeckten Farben flimmerten, und die Straße vor und hinter uns war ein dünner Strich, der mittendurch lief. Die einzige Form, die sich veränderte, war der gewundene Bergrücken.

Wildnis, weite offene Flächen, unberührt und naturbelassen. Kein abgetrenntes Gelände, das man zur Erholung aufsuchen soll. Ich musste an Alaska denken und daran, wie viel ich noch sehen würde, hier draußen war es leicht, mir vorzustellen, wie ich dort allein und glücklich sein würde.

Während ich die Landschaft beim Auftauen beobachtete, hatte ich das Gefühl, dass meine Stimmung mit ihr auftaute. Als gäbe es tief in mir etwas, was gefroren gewesen war, vielleicht schon immer, und was wie ein nordamerikanischer Waldfrosch, der den Winter über einfriert, jetzt bei Frühlingsanfang wieder in der Welt erwachte.

Ein wiederkehrendes Gefühl: aufkeimende innere Unruhe, als hätte ich etwas vergessen, bis mir wieder einfällt, dass ich es schon getan habe, so wie ich die ganze Zeit darauf gewartet habe, dass mich Mum anruft und fragt: Was zum Teufel tust du da, junges Fräulein, komm sofort nach Hause, aber dann wurde mir klar, nein, sie würde nicht anrufen.

Amos hat sich wortreich dafür entschuldigt, dass er uns in einem Hostel absetzen musste, und wirkte ernsthaft bekümmert, dass er nicht genug Platz hat, um uns bei sich unterzubringen, was wirklich süß war. Wir gaben ihm Geld, und er tat, als nähme er es nur widerstrebend an; »reizende Mädchen, reizende Mädchen«, wiederholte er mehrmals.

Kangerlussuaq ist erst vor relativ kurzer Zeit um einen US-Armeeflughafen herum entstanden. Das Hostel sieht aus, als wäre es aus Hartschaumplatten und Trennwänden zusammengezimmert. Als würde das Haus in sich zusammenfallen, sobald man es anstupst. Die gesamte Einrichtung scheint bei Staples gekauft worden zu sein, und die Matratzen sind aus Schaumstoff.

Es gibt einen Fernseher mit amerikanischem Kabelfernsehen und Discovery Channel. Ich schaue Bear Grylls und mache mir Notizen für den Dokumentarfilm, zum einen, um nützliche Tipps zu erhalten, zum anderen, um ein Persönlichkeitsprofil des Konzepts »männlich und wild« zu erstellen, von dem ich ständig rede. Feminismus ist heute allgegenwärtiger denn je (zumindest kommt es mir so vor, aber vielleicht geht das jeder neuen Generation so), und es scheint, als wäre als Gegenreaktion darauf das Bedürfnis nach Hyper-Männlichkeit mit erneutem Fanatismus wieder aufgeflammt. Kompensation; eine bewährte männliche Strategie.