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DER MENSCHHEIT ERHABENSTES ZIEL: DIE SUCHE NACH WAHRHEIT UND ERKENNTNIS

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Klas hat Urla, Naaja und mich von Nuuk aus zwanzig Meilen in die Tundra gefahren, mit einem Zelt, ein paar Robbenfelldecken von Kalistiina, einem Campingkocher, unseren Rucksäcken, Konservendosen und zahlreichen Flaschen Wasser. In vier Tagen holt er uns wieder ab. Ein paar dänische Wanderer haben Naaja bereits mitten in der Tundra aufgelesen. Sie war auf eigene Faust losgezogen, so wie sie es anscheinend gern tut. Sie hatte ihr Handy mitgenommen, falls sie sich den Knöchel verstaucht oder Ähnliches. Nachmittags rief sie an und sagte, sie sei in Begleitung zweier Männer. Sie bat Urla, mit ihnen zu sprechen und ihnen zu sagen, dass sie mit zwei älteren Freundinnen hier draußen zeltet und in Sicherheit ist, weil die Männer ihr sonst nicht glaubten.

Die Dänen begleiteten Naaja zurück zum Zelt, obwohl es ein Fußmarsch von einer knappen Stunde war. Sie schienen von ihrem Nachmittag dramatischer Entbehrungen bereits so gelangweilt zu sein, dass sie bereit waren, ihn zu durchbrechen, um uns zu erläutern, wie wir mit diesen Entbehrungen umzugehen hätten (wozu Mountain Men einen Hang haben). Als wir aus dem Zelt kamen, um sie zu begrüßen, raunten sie sich aus den Mundwinkeln auffällig etwas zu und teilten uns dann mit, wir wären zu jung, um hier draußen allein zu zelten. Sie sagten, es sei sehr gefährlich, weil in der Gegend ein Eisbär gesichtet worden sei, das habe ihnen der Ranger auf dem Weg hierher erzählt. Als ob sie die Wildnis bereits bezwungen hätten, indem sie dieser abstrakten und höchstwahrscheinlich nicht existenten Gefahr ausgewichen waren, und als wären sie jetzt Experten auf diesem Gebiet.

Naaja glaubte ihnen kein Wort und fragte, warum sie ohne Gewehre und Leuchtsignale unterwegs seien, wenn sie wüssten, dass sich in der Gegend ein Bär herumtreibt. Naaja hat ihr ganzes junges Leben damit zugebracht, die Tundra zu erkunden, aber diese Kerle auf Wanderurlaub brüsteten sich natürlich mit überlegenem Wissen, einfach weil sie älter und Männer waren.

Sie forderten uns auf, unsere Sachen zusammenzupacken und mit ihnen zurückzugehen, und wir lehnten so höflich wie möglich ab. Sie wurden stinksauer und sagten, sie würden dem Ranger erzählen, dass wir uns hier draußen rumtreiben, und der Ranger würde wütend werden, dass er seine Zeit damit verschwenden müsse, sich Sorgen um uns zu machen. Wir versicherten ihnen, dass wir die Telefonnummer des Rangers in unseren Handys gespeichert hätten und ihn anrufen würden, falls wir gerettet werden müssten. Ich habe das alles unbemerkt gefilmt. Sie trotteten davon, enttäuscht, dass die hilflosen Maiden sie zurückgewiesen hatten.

Nachdem sie verschwunden waren, versicherte Naaja uns, dass Eisbären so gut wie nie so weit nach Süden kommen, außerdem wären wir zu weit landeinwärts. Die Wanderer waren entweder zu dämlich, um zu merken, dass ihre Lüge jeglicher Grundlage entbehrte, oder sie wussten selbst nicht, wovon sie sprachen. Vermutlich glaubten sie einfach alles, was ihnen ein Grönlander aus der Tundra mit Sinn für Humor unterwegs erzählte.

HEUTE BEI MORGENDÄMMERUNG: Ich bin aus dem Zelt gekrochen und habe mich draußen hingesetzt, weil ich ein bisschen ruhelos war. Es ist etwa zwei Uhr morgens, aber zu schlafen fällt mir hier schwer. Das Licht scheint wie eine rote Lampe durch die Zeltwand und verursacht mir Kopfschmerzen, überzieht alles im Innern mit seltsamen Farben. Die Tundra erwacht mit all den zart hoffnungsvollen Farben eines neuen Tags: dem Rostrot und Rosa der winzigen rauen Blumen, die den Boden bedecken, noch schattenlos; die Sonne verbirgt sich immer noch direkt unter dem Horizont, kein Abdruck eines Wolkenschattens, keine Verlängerung der kleinen, einsamen Bäume. Es steht alles einfach da, leuchtend und aufgereiht wie eine eindimensionale Kinderzeichnung. Ich sitze ein Stück von unserem Lager entfernt auf einem Hügel, weiter unten steht das Zelt, burgunderrot im Zwielicht. Mein Zuhause, das sich in jeden neuen Ort, an dem ich übernachten werde, einfügen wird. Eine kompakte und portable Vorstellung von Zuhause. Es ist so schön, dass ich ein paar Tränen vergieße.

Wildnis ist ein weibliches Wort

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