Читать книгу Fern von hier - Adelheid Duvanel - Страница 51

Sommer

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Was soll der Vater mit seiner Selbstfindung machen, zu der ihm der Psychiater in jahrelangen Therapiesitzungen nach dem allzu frühen Tod seiner Frau verholfen hat? Soll er sein entkleidetes Bildnis einrahmen und an die Wand hängen? Soll er es unterentwickelten Völkern schenken? Der junge Psychiater, der hinter einem netten Gesicht ruht, das, so findet der Vater, dem Buchstaben E gleicht, hat den Vater nicht vom Zwang erlöst, sich einmal umbringen zu müssen. Der Vater fürchtet sich davor, als unerlöste Seele dann mitten auf einem Platz zu stehen, als helles Licht, Sommer für Sommer, eine Ewigkeit lang. Alle Häuser wären weit zurückgetreten, winzig klein und knallgelb, und der Lärm und die Autoabgase würden die unsichtbaren Ohren und die große, unsichtbare Nase des Vaters füllen. Der Psychiater, älter und noch perfekter geworden, würde seinen ehemaligen Patienten nicht grüßen, da er ihn nicht erkennen könnte.

Aus diesem Grauen heraus küsst der Vater Rebekka, eilt nach der ungeliebten Arbeit als Versicherungsagent jeden Abend durch farblose Unterführungen (oben fahren Autos und Straßenbahnen), um seine einzige Tochter zu erreichen und in die Arme zu schließen; da er als ehemaliger Pfadfinder wichtige Wege nie verfehlt, kommt er stets sehr schnell zum Ziel, auch wenn er sich in fremden Außenquartieren befindet.

Rebekka hat ihr Nachthemd über den halboffenen Balkonflügel ihres Zimmers gehängt und tanzt mit gotischen Füßen auf dem roten Teppich. («Sie hat gotische Füße», stellte vor einiger Zeit die Nachbarsfrau schrill fest, die Vaters Haushalt führt und nebenbei Rebekka zu erziehen versucht. Sie erinnert sich noch an den Tag, als der Vater Rebekkas Mutter geheiratet hatte; er rannte an der Seite seines Schwiegervaters an einem Maisfeld entlang und redete atemlos über Mais, während die schwangere, sehr junge Frau weit hinten lächelnd ging und ein weißes Täschchen in der Hand trug. Ihr Ehering glänzte. Sie starb nach Rebekkas Geburt und hörte im Sarg nicht auf zu lächeln.)

In einer Ecke des kleinen, viereckigen Rasenstücks hinter dem Haus stöhnt eine gefangene Taube; sie hockt neben ihrem lahmen Flügel in einem runden Drahtverhau unter einem Busch mit unordentlichen Blüten. Der Busch wagt sich vor dem Himmel auszustrecken wie vor einer steilen, hohen Wand. Rebekka wartet, ob die Taube nicht endlich schreie. Einmal sah Rebekka eine Taube, die von einem Auto überfahren wurde; sie zerplatzte mit einem lauten Knall. Rebekka glaubt, Tante Clara zu sein, die ein Bild gemalt hat, oder sie denkt an die Großmutter, deren Augen hinter den Brillengläsern wie riesenblaue Blumen glänzen und die sich die dürren Lippen schminkt; sie sieht aus, als hätte sie Blut geschlürft. Rebekka übermalt Tante Claras Bild mit dicker Acrylfarbe. Einmal erblickt Rebekka auf der Hecke, über die der Junge, den sie liebt und mit dem sie nicht sprechen darf, Steine auf den Rasen wirft, einen Falter, der aussieht, als ob er in einem tiefen Keller gewachsen wäre. Rebekka glaubt, Bienen sängen in ihrem langen Haar, das sie kurz schneiden will, um dem Vater weh zu tun, und das die Farbe blasser Rüben hat, die nicht saftig sind. Sie liegt in den Nächten auf ihrem Bett an die kalte Wand gepresst, aber die linke Seite ihres Körpers glüht. Heute träumt sie von Häusern mit unterschiedlich gefärbten Dächern, kleinen Balkonen, neun Kaminen und drei Fernsehantennen; auf einem der Balkone sitzt ein gefangener Alkoholiker und komponiert, ohne einen Ton von sich zu geben, und seine Frau füttert ihn mit Erdnüsschen. Rebekka will ihm winken, um ihn zu trösten, da spürt sie plötzlich die Lippen des Vaters auf den ihren: Sie sind warm und trocken wie ein junger Vogel, der noch immer, schon lange, in seinem Nest sitzt.

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