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Die Zeichnung

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Der Regisseur sensibler Filme bewohnt eine geräumige Wohnung im obersten Stock. Wer zu einem der großen Fenster hinausblickt, glaubt, die Stadt sei eingesunken; die Häuser sind niedrig, und jenseits der Dächer, auf denen der Nebel hockt und die nassen Pfoten leckt, macht sich der Fluss da­von. Manchmal tritt ein Turm aus seinem Versteck hervor. Kein Mensch bewegt sich hinter den dunklen Fenstern der Häuser, kein Vogel fliegt vorbei.

Das Mädchen kniet am Boden und skizziert den Erker mit dem leeren Vogelkäfig, den beinah verdorrten Feigenbaum und den chinesischen Wandschirm; der Regisseur, der auf dem breiten Bett liegt, erscheint nicht auf dem Blatt. Auf dem Bettrand vor der leeren Wand sitzt der Freund des Regisseurs, ein junger Drehbuchautor; er raucht und beobachtet das Mädchen. Plötzlich erhebt sich der Regisseur und tritt neben die Zeichnende, die ein wenig in sich zusammensinkt. «Sie ist ganz gefühllos», sagt der Regisseur zum Freund, indem er den Mund, der von einer Hornhaut eingefasst scheint, nur wenig öffnet, so als fürchte er, ein unbedachtes Wort könne entweichen. «Ich hab sie endlich gefunden; sie passt genau. Schau ihre Zähne und den Halsansatz an.» – «Auch die Augen», bemerkt der Freund. Das Mädchen denkt, seine Stimme sei im dünnen, weißen Rohr gefangen, das zum Lichtschalter führt. Der Regisseur, der die nackte Wade der Knien­den mit seiner Schuhsohle leicht betupft, fährt fort: «Sie ist weder aufmerksam noch hat sie Phantasie; sie wird nie in unsere Welt vordringen. Sie kann unsere Melodie nicht wahrnehmen und unsern Rhythmus nicht spüren. Um mich zu ärgern, zeigt sie sich beleidigt, wenn ich ihr nicht die Namen aller Dinge ins Ohr hinein vorsage. Sie ist ahnungslos, kennt weder Erinnerungen noch Hoffnungen. Ich habe ihr verboten, mir je wieder eine Frage zu stellen, denn ihre Fragen sind …» Während er sich zur Tür begibt, wiederholt er: «Ihre Fragen sind … Schläge, mit denen sie mich töten will.» Der Freund zögert, deutet auf das barfüßige Mädchen im kurzen, gelben Kleid, schüttelt ein wenig fassungslos den Kopf und folgt dem immer noch Sprechenden zur Tür hinaus; sie wird abgeschlossen. Lautlos schwingt sich der Nebel aufs Sims.

Ein schwächer werdender, unsicherer Strich zeigt an, dass die Hand des Mädchens, die den Bleistift führte, leblos über das Papier zur Seite gerutscht und, sich langsam umdrehend, auf dem Steinboden gleich einer halboffenen Blüte liegen geblieben ist; der Kopf neigt sich tiefer, und die Haare bewe­gen sich wie helles, vom Wind gewelltes Gras. «Wenn er mich jetzt sähe», denkt das Mädchen nach einer Weile. Es richtet sich etwas auf, nimmt den Bleistift und zeichnet den Regisseur; er sitzt im Vogelkäfig, und von beiden Achseln hängen die Arme wie gebrochene Flügel herunter. Eulenhaft starrt er durch die Gitterstäbe, denn das Mädchen stellt ihn ohne die dunkle Brille dar, die am Tag und in den Nächten seinen Blick zusperrt.

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