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Marianna im Zelt

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Im Hinaufsteigen sieht Bruno auf dem Hügel Figuren wie Schaufensterpuppen vor dem blauweiß gestreiften Himmel. Plötzlich erkennt er, dass es Menschen sind, die, die Arme erhoben, in den Himmel blicken; er weiß nicht, was sie dort sehen, und kehrt wieder um. Mit seiner rechten Hand befühlt er in der Jackentasche den Fahrplan, den seine Mutter ihm jedes halbe Jahr schickt: eine Aufforderung, sie zu besuchen. In seiner linken Jackentasche steckt die Agenda mit den Telefonnummern, die er nie einstellt.

Weit unten stehen die Bäume starr in Achtungstellung: ein ganzes Heer, das vor Urzeiten herangestampft ist. Zwischen den Bäumen lebt Marianna, Brunos Freundin, in einem Zelt; nur die Grasmilben stören sie. (Sie brät vor ihrem Zelt jeden Tag ein Lamm und lädt alle Leute ein, die vorbeigehen.)

Marianna lebte leise am Rand. Jeweils am Abend saßen sie auf dem roten Kanapee, das an der Wand des roten Zimmers steht, und sahen durch die geöffnete Flügeltür ins grüne Zimmer und, durch eine dort offene Tür, ins gelbe Zimmer. (Mitten im grünen, leeren Zimmer steht seit langem ein Kessel mit Farbe und eine Leiter; Brunos zweite Frau wollte das Zimmer neu, schneeweiß, streichen, doch sie wurde plötzlich verhaftet. Bruno besucht sie einmal im Monat und spricht mit ihr durch eine Glaswand in Anwesenheit eines Wärters. An der Wand ist ein Schild angebracht: «Abschiedsszenen nicht gestattet.») Im roten Zimmer steht links der zerbro­chene Kachelofen, rechts das mit einem dünnen Teppich zugedeckte Klavier. (Brunos erste Frau, Hildegard, spielte Klavier.) An der hintern Wand des gelben und kleinsten Zimmers hängt ein Spiegel, in dem sich die Wand des roten Zimmers, vor der sie saßen, spiegelt; zwei Drittel eines ovalen Bildes – eines Aquarells aus dem letzten Jahrhundert – und der untere Teil des vierarmigen Leuchters mit den Glastränen sind von jenem Platz aus im Spiegel zu sehen. An den Wänden hängen Brunos Bilder; er malte Frauen wie seltsame Blumen, doch seit Hildegards Tod malt er nicht mehr. Die Räume sind kühl; nur im Korridor brennt im Winter ein Ölofen, der die drei beschriebenen sowie ein viertes, blaues Zimmer heizt, das von ihrem Platz aus nicht zu sehen war. In jenem Zimmer liebten sie sich, schliefen sie. Sie redeten nicht, wenn sie vorher im roten Zimmer saßen, aber tranken roten Wein. Marianna gebrauchte modische Wörter wie irgendwie und total, was Bruno nicht leiden konnte und weshalb er ihr am Abend das Reden verbot. Er findet solche Wörter, die in Hildegards Wortschatz und im Wortschatz seiner zweiten Frau nicht zu finden waren, wenig delikat. Einmal sagte Marianna in einer kalten Winternacht flüsternd trotzdem: «Irgendwie kann ich mich dir nicht total ausliefern», worauf Bruno sie aus dem Haus wies. Sie kehrte am Morgen blaugefroren zurück; erst als es Frühling wurde, zog sie ins Zelt.

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