Читать книгу Das Netz ist politisch – Teil I - Adrienne Fichter - Страница 35
Was zum Teufel sollte diese Werbung?
ОглавлениеDie Methode funktioniert. Dehaye macht die Probe aufs Exempel und kommt damit dem Datenhandel des Leave.EU-Lagers[11] auf die Schliche.
Dehaye registrierte sich für den Newsletter von Leave.EU. Es vergingen einige Tage, bis die erste Ausgabe in seinem Postfach landete. Weit unten in der E-Mail sah er eine Werbeanzeige von GoSkippy, einem Unternehmen der Eldon-Versicherungsgruppe. Dehaye wurde stutzig. Wieso zum Teufel zeigen die Brexit-Anhänger ihm – der in der Schweiz wohnhaft ist – Anzeigen für eine britische Autoversicherung?
Dehaye hatte einen Verdacht. Er wusste, dass die Eldon-Gruppe Arron Banks gehört. Und Banks ist kein Unbekannter. Er ist der Christoph Blocher von Grossbritannien. Ein schwerreicher, konservativer Millionär und Mitgründer der Kampagne Leave.EU.
Dehayes Vermutung war also: Das Brexit-Lager verwendet denselben Datensatz wie die Versicherung. Mit anderen Worten: Die Brexit-Befürworter betreiben illegalen Datenaustausch.
Um seine These zu untermauern, spannte Dehaye mit der renommierten Journalistin Carole Cadwalladr zusammen. Er unterstützte sie bei der korrekten Ausformulierung eines subject access request, eines umfassenden Auskunftsbegehrens. Sein Verdacht bestätigte sich: Die Brexit-Kampagne bediente sich der Daten von Eldon-Versicherten. Wer versichert war, erhielt Brexit-Werbung zu Gesicht. Auf allen Plattformen.
Mit diesem Wissen[12] wurde Paul-Olivier Dehaye neben dem pinkhaarigen Whistleblower Christopher Wylie zur wichtigsten Informationsquelle für das britische Parlament. Weil Facebook sich weigerte, auf die fünfzehn Fragen des Brexit-Untersuchungskomitees im Detail[13] zu antworten, griff das Komitee auf die Expertise des unabhängigen Datenschutzexperten zurück.
Der Labour-Abgeordnete Ian Lucas, einer der leitenden Köpfe bei der Untersuchung zum Brexit, sagt: «Das Wissen und die Dienste von Paul-Olivier Dehaye sind für uns von unschätzbarem Wert.»
Doch nicht nur Grossbritannien erhielt dank Dehayes Hartnäckigkeit Klarheit darüber, was da eigentlich während des Brexit-Referendums in der digitalen Sphäre passierte.
Auch die zwei Milliarden Facebook-Nutzerinnen erhielten seinetwegen mehr Transparenz. Weil das soziale Netzwerk nachgegeben hat. Und eine der sensibelsten Informationen für alle sichtbar machte: Mit ein paar wenigen Klicks in Ihren Profileinstellungen[14] erfahren Sie, ob Spotify oder Netflix Ihre persönlichen Daten an Facebook weiterverschenkt haben.
Ein Sieg für Paul-Olivier Dehaye, den man in Wissenschaftskreisen den «Indiana Jones des Datenschutzes»[15] nennt. Aber nur ein Etappensieg.