Читать книгу Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi - Aino Trosell - Страница 11

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Wir froren ständig, als wir uns vorwärts kämpften, Etappe um Etappe, Kilometer um Kilometer, Meter um Meter, es wurde immer schlimmer, je weiter wir kamen, der innere Brennstoff reichte nicht aus, wir bewegten uns immer langsamer, und die Müdigkeit führte zu einem Flimmern vor den Augen. Und überall dieses Weiß, all dieser Schnee.

Niemand, der nicht dort gewesen ist, kann sich die Kältehölle vorstellen, wie es ist, dorthin verbannt zu sein. Dem absoluten Nullpunkt, wo jedes Atom aufgehört hat zu schwingen. Diese Kälte war die reine Bosheit, sie war hart und fraß sich nach innen, man erstarrte unausweichlich. Wir waren dem Kollaps nahe, denn wir litten Mangel an allem: Schlaf, Nahrung und Wärme. Wir hatten Essen, aber es war gefroren, wir leckten Schnee, um unseren Durst zu stillen. Nur eine Sache funktionierte: unser Gehorsam.

Aber am Ende drohte auch dieser schöne Mechanismus seine Funktion aufzugeben. Als es ums Leben ging. Als jeder Einzelne sich selbst am nächsten stand. Soweit er nicht überredet wurde, für ein höheres Ziel zu kämpfen.

Die Methode war, die Persönlichkeit noch weiter zu zerstören, sich über den Teil herzumachen, den der Mangel an Schlaf, an Nahrung, Wärme und Fürsorge nicht hatte vernichten können.

Das Ziel war, sie zu veranlassen, sich an sich selbst zu vergehen. Befehlen zu gehorchen, um jeden Preis. Das Ziel war, sie zu fragmentarisieren, zu erreichen, dass sie ihren eigenen Instinkten zuwiderhandelten, Instinkten, die forderten, sie sollten am Feuer bleiben, sich wärmen, ihre Kleider trocknen, die Essensrationen auftauen, sie verspeisen und sich ausruhen, ausruhen, ausruhen. In dieser Lage würden sie einen Befehl entgegennehmen, den ultimativen Auftrag, der sie sofort wieder auf die Füße und in die noch nassen Sachen jagte. Und sie zogen los, direkt hinaus in die Wildnis bei zwanzig Grad Kälte, dieweil gerade sie ausersehen waren, diesen Spezialauftrag auszuführen – an offer you can’t resist unless you’re willing to die.

Das waren sie nicht.

Nun befanden sie sich schon außer Sichtweite. Und als sie zurückkamen, waren sie nicht mehr dieselben, ihre Blicke waren erloschen, und manchmal waren sie weniger als beim Aufbruch.

Der nächste Schritt bei dieser Drechselung tauglicher Soldaten bestand darin, den Haufen zusammenzutreiben, die Stimme zu erheben und das Kommando zu übernehmen. Letzteres geschah, indem man etwas opferte.

Oder jemanden. Denn der Haufen sehnte sich nach einem Anführer, und der musste stark sein, das war wichtiger, als dass er gut war. Güte gehörte an einen ganz anderen Ort, nicht in den Krieg. Der Anführer konnte sehr wohl ein Dreckskerl sein, der sich einen aus der Gruppe herauspickte und stichelte, er sei ein Schwuler. Das trieb die Herde effektiver zusammen als irgendein Stromzaun. Bald hatten wir eine kampffähige kleine Armee mitten in der Schneehölle. Wintersoldat, ja sicher, aber bitte zuerst eine ordentliche Schwulenjagd, und wir machen doch nur Spaß, irgendwas muss man schließlich tun, wenn es so verdammt kalt ist.

Der dritte Akt in diesem Meisterstück, loyale Krieger zu schaffen, bestand darin, dass man scheinbar die Wahl hatte, wodurch mit einer ebenso einfachen wie unlogischen Gleichung Untergebene zu Mitschuldigen gemacht wurden, sodass der Frevel gegenüber der eigenen Persönlichkeit noch überboten wurde durch Frevel am Feind, egal, wer das auch sein mochte: ein älterer Mann, eine Frau oder ein Kind. Ein Terrorist konnte sich heutzutage in einem Kind verbergen. Nicht die Verpackung war entscheidend, sondern der Inhalt. Jetzt wurden die Soldaten zurechtgeschliffen, ja wahrhaftig. Hoch oben in den Bergen, wo der Schnee über Tage und Nächte gefallen war und die Häuser eng beieinander an der schmalen Bergstraße lagen, bekamen wir endlich Verwendung für unser Wissen über den Kampf in dicht bebautem Gebiet. Wir arbeiteten uns systematisch vorwärts, von Haus zu Haus bei einer Säuberungsaktion der guten alten Schule. Hier wurden Soldaten zurechtgeschliffen.

Wenn der Feind dalag, keuchend mit glänzenden Augen, niedergepresst auf den eisbedeckten Fußboden, die Waffe an der Schläfe, dann sollten wir in militärischen Termini denken, uns erinnern, dass das hier unser Feind war, so konnte er aussehen. Wir sollten vermeiden, ihm in die Augen zu blicken, und ihn stattdessen unschädlich machen, genau wie wir es gelernt hatten, und wenn jemand von Zweifel gepackt wurde, so galt es nur zu wählen, wer geopfert werden sollte, der hier oder wir. Dieser hübsche Junge konnte dir nämlich im nächsten Atemzug einen Schraubenzieher oder eine Ahle ins Genick jagen, der kleinste Riss im Haus konnte eine Waffe verbergen, achte auf die im Tod noch tastenden Finger, zu glauben, man sei sicher, war dasselbe, als erkläre man sich zum Idioten.

Wenn wir fertig waren, sangen wir und sehnten uns nach Frauen, wir waren allmächtig. Denn der Nachgeschmack war zunächst nicht bitter, sondern berauschend wie Champagner – yes! Kommt heraus, wir werden euch nichts tun, wir wollen nur trinken und tanzen und Spaß haben! Das erste Gefühl danach war euphorisches Glück, und das musste ausgelebt werden, Wand an Wand mit dem Wahnsinn. Die Offiziere ließen es geschehen. Hinterher erzählten wir niemandem davon.

Wirst du gefangen genommen, musst du von eigener Hand sterben oder genau wissen, dass du die Sache durchstehst, egal was sie tun. Es ist eine Legende, dass ein Lügner mit dem Blick ausweicht, es ist genau umgekehrt. Der Stärkste zu sein ist nicht dasselbe wie die Wahrheit zu sagen. Schau deinem Feind ins Gesicht. Du brauchst nicht die Wahrheit zu sagen, du darfst sie nicht sagen. Halte es aus, ihn anzusehen, und du hast bereits gewonnen.

Hinterher, wir, die nach Hause kamen. Ist es verwunderlich, wenn einige die Augen ihrer Frauen verdeckten, Tücher davorhängten? Man kann sie jetzt fürchten, diese Augen. Wir brachten Gitter vor den Augen der Frauen an, um nicht unsere eigene Verletzbarkeit und Empfindsamkeit darin zu finden. Empfindsamkeit ist der größte Feind, wenn man ergebene Krieger behalten will.

Wir schlossen sie ein und befahlen den Blumen, mit dem Duften aufzuhören, denn wir kamen direkt aus dem Krieg. Und wir waren böse erfroren.

Wir sind keine Frauenhasser, das ist eine Legende. Unsere Beziehung zu Frauen ist überhaupt nicht so stark, Frauen überschätzen ihre Bedeutung.

Wir legten den Gefühlen Handschellen an, weil sie uns störten, weil sie auf die Idee kommen konnten, nach Belieben zu wachsen, und wir hörten den Frauen nicht zu. Auch in den so genannten zivilisierten Kulturen hörten wir den Frauen nicht zu, denn ihre Stimmen waren so kraftlos, wir hatten gelernt, nur den zu respektieren, der mit Macht sprach und Macht hatte, über uns.

Aber wenn sich zeigte, dass sie dennoch Macht hatten, also Macht über uns. Dann holten wir uns dieselbe zurück. Wir brachten Gitter vor ihren Augen an, und in den so genannten zivilisierten Kulturen rissen wir ihnen mehr und mehr die Kleider vom Leib, sodass man zum Schluss nur noch einen Torso sah, Kopf und Augen verschwanden, wie auch Hände und Füße. Es steckte eine Art Wut in diesem Ausstellen, die Dosis wurde unablässig erhöht, mit Waffen und Phallussen vermischt, ständig härter und härter.

Wir verweigern es ihnen, Macht zu haben.

Ihre Körper, das ist so kompliziert. Sie stören.

Doch das Schlimmste sind die Augen.

Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi

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