Читать книгу Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi - Aino Trosell - Страница 4

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Jemanden zu begraben ist einfach. Jemanden wieder auszugraben ist schlimmer. Wo ist der Arm? Es fehlt ein Stück vom Hals. Wo kommt dieser zusätzliche Fuß her? Und wenn der Kopf nie wieder gefunden wird, kann man dann überhaupt davon sprechen, dass man die sterblichen Überreste dieser Person vor sich hat? Also wenn ausgerechnet der Kopf fehlt?

Was ist eigentlich ein toter Mensch? Knochenreste, Stoffreste und ein Stück erdiger Haarsode?

Oder nur die große Lücke, der Verlust? Die Leere, vollgepfropft mit Gefühlen und Erinnerungen, die den Hinterbliebenen zerreißen? Weil da niemand mehr ist.

Doch vielleicht lügen sie, vielleicht hält man ihn nur gefangen, nutzt ihn irgendwo als Sklavenarbeiter, oder vielleicht versteckt er sich, verstecken sie sich und hatten keine Möglichkeit, eine Nachricht zu senden, und wohin hätten sie die auch senden sollen in dieser chaotischen Zeit? Man kann niemandem trauen auf der ganzen weiten Welt.

Jemanden zu begraben ist einfach. Falls man eine Leiche hat, die man begraben kann, eine, die man wiedererkannt hat. Die man insofern wiedererkannt hat, als es da ein unwiderlegbares Zeichen gibt, einen Beweis.

Das Grab war nicht besonders tief, als sie anfingen. Aber es wurde immer tiefer und tiefer. Würde das denn nie aufhören, würde man nie den Boden erreichen? Reichte dieses Grab bis in die Hölle hinunter?

Diese Hölle wurde sichtbar, als der Himmel sich öffnete und es nass und glitschig wurde und die Gerüche freikamen und alles nur noch ein einziger Morast war.

Er war nur einer von vielen. Er lag mit der Nase in jemandes Schritt und mit auf dem Rücken gebundenen Händen, wie all die anderen auch. Der Lehm war kompakt, jetzt aufgeweicht. Mit einem obszönen Laut bekam man den Körper schließlich frei und steckte ihn in einen weißen Sack. Die Grabwände waren spiegelglatt, aber schließlich gelang es, den Sack auf die Ladefläche eines LKW zu schwingen, und die erste Etappe begann.

Den anderen fand man ein paar Tage später. Der Zusammenhang zwischen beiden war noch unbekannt. Der Letztere war von Granatsplittern durchlöchert, und einer davon war unmittelbar tödlich gewesen, direkt ins Herz und durch die Hauptschlagader gegangen, ganz unverkennbar.

Es war nichts Perverses an diesen Menschen, die hier die bereits Toten ausgruben. Nein, vielleicht waren gerade sie besonders edel, weil sie sich hier abseilen ließen zu den glitschigen Rändern der Hölle und dort am Abgrund Fragen stellten und Antworten suchten für all jene, die es nicht konnten, die es nicht vermochten, aber gern getan hätten, wenn sie nur das Wissen und die Kraft besessen hätten.

Einst war dieser Mann schön anzusehen gewesen, aber das blieb diesen stillen Helden verborgen, denn er war hässlich wie all die anderen, und er stank entsetzlich. Sie hatten aufgehört, sich zu erbrechen. Sie arbeiteten mit verbissenem Trotz.

Und das Grab reichte jetzt bis in die Tiefe, wo das Wasser gegen die Seitenwände drückte, und die Erde kam ins Rutschen und drohte, sie den gleichen Weg gehen zu lassen, jedoch bei lebendigem Leibe, sie zu begraben unter der Last der Lehmmassen.

Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi

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