Читать книгу Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi - Aino Trosell - Страница 13

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Es hätte merkwürdig ausgesehen, wenn er dort hinunter zu all den Frauen gegangen wäre. Und es war eng da unten, das hatte er begriffen, die Luft war bestimmt stickig. Die Notdurft musste in einer entlegenen Ecke in einen Eimer verrichtet und dann über Bord gekippt werden. Genau wie an Deck, wo er sich mit all den Männern befand. Aber es handelte sich ja nur um ein paar Tage. Sie hatten sich vorgenommen, die Strapaze durchzustehen.

Sie befanden sich vor Australiens Küste, als es geschah. Sie hielt sich zusammen mit der Tochter unter Deck auf. Er war dort oben. Es gab keine Möglichkeit für sie beide, zusammenzukommen und zu reden. Aber sie würden hinterher reden können, wenn sie in Sicherheit waren. Im Augenblick war es das Beste, wenn sie zusammen mit den anderen Frauen war. Außerdem stillte sie noch. Dort unten, wo es windgeschützt war, fiel es Frauen und Kindern leichter, ein paar Stunden Schlaf zu finden, als auf dem windigen Deck. Sie hatten auch ein paar Lebensmittel bei sich, es musste gehen. Sie mussten es nur durchstehen, bald war es vorbei, und sie hätten alle Gefahr hinter sich.

Er hatte so unglaublich viel bezahlt, es konnte nicht schiefgehen bei einem solchen Preis. Sie befanden sich auf der Fahrt in ein neues, menschenwürdiges Leben, er und seine kleine Familie. Die Wunden auf seinem Rücken waren noch nicht verheilt, und er war noch immer ausgezehrt von der mangelnden Ernährung während der Gefängniszeit. An Deck war es auch zu eng, es wäre nicht richtig gewesen, die Frauen und Kinder nach oben kommen zu lassen. Er hatte keinen Fehler gemacht. Die Frage zermarterte ihm stets aufs Neue das Gehirn. Er hatte keinen Fehler gemacht, er hatte nur getan, was er für richtig hielt.

Als der Seegang stärker wurde, fegte es einige von denen, die ganz außen saßen, beinahe über Bord. Anderen wurde übel, und so mancher schaffte es nicht bis zur Reling.

Sie hatten Pech. Der Seegang wurde heftiger. Er begriff, dass das Chaos unter Deck mit all den Kleinkindern schlimmer war, aber in dieser Situation gab es nichts, was er tun konnte. Er wagte es nicht einmal, sich von der Stelle zu rühren, er hätte riskiert, im Erbrochenen zwischen den Männern auszurutschen und vielleicht über Bord gespült zu werden.

Der Wind nahm immer mehr zu. Er begann zu beten. Er hörte es auch die anderen tun. Sie beteten zusammen, immer lauter. Sie legten ihr Leben in Gottes Hände und gelobten IHM ewigen Gehorsam, was immer ER auch mit ihnen zu tun gedachte.

Und Gott antwortete. Eine Riesenwelle spülte mit rasender Kraft übers Deck und riss mindestens zwei Männer mit sich, grässliche Schreie. All die anderen waren durchtränkt und zusammengefegt wie Späne, brutal gegen die Reling gedrückt, die sich weitete, als wäre sie aus Gummi, aber jetzt legte sich das Schiff auf die andere Seite, und alle schrien, nur wenige hatten etwas Festes zu fassen bekommen, sie wurden in die andere Richtung gewischt.

Dann kam eine weitere Welle. Er dachte in dem Augenblick, dass eine Menge Wasser unter Deck geströmt sein musste, und er dachte auch, dass er trotz allem versuchen musste, dort hinzugelangen.

Aber er schaffte es nicht. Das Schiff hatte von Anfang an tief im Wasser gelegen, und jetzt knackte und ächzte es, und plötzlich verstand er, dass es im Todeskampf lag, dass es im Begriff war zu sinken. Panik erfasste ihn.

Gerade als ihn diese in ein wildes Tier verwandelt hatte, hob ihn eine Welle hoch und warf ihn mit gewaltiger Kraft direkt ins Meer.

Er sank und glaubte zu sterben, denn er atmete Wasser ein, Wasser, Wasser wurde in seine Lungen gesogen, und er begriff, das war das Ende.

Aber er kam dennoch wieder an die Oberfläche und sog Luft in die Lungen, hustete, und dann war wieder Wasser über ihm, er schwamm in Panik aufwärts, immer aufwärts, ohne zu atmen, und er kam erneut über die Wasserfläche und atmete, wurde erstickt und sah die riesigen Wellen, deren weißgeifernde Rachen sich hoch über ihm öffneten. Er sank. Und kam wieder nach oben.

Es war dunkel geworden und er sah das Schiff nicht.

Er sah es nie wieder.

Eine ganze Nacht kämpfte er um sein Leben.

In der Dämmerung schlug er sich den Hinterkopf an einer Palette blutig. Die wurde sein Schwimmgerät.

Er wurde gerettet. Seine Frau und seine winzige Tochter hingegen wurden unter Deck wie Katzenjunge ertränkt. Er überlebte. Sie starben.

Die stummen Blicke der rettenden Besatzung, als sie verstanden, was geschehen war. Niemand sprach sein Beileid aus.

Er bereute es, sich so fest ans Leben geklammert zu haben, er hätte ebenfalls sterben sollen, aber im Nachhinein hatte er kein Recht, diesen Schnitzer zu korrigieren. Nur Gott bestimmte über Leben und Tod. Und einige andere mit scharf geladenen Waffen in den Händen.

Eines Tages wird er an der Reihe sein, eines Tages, wenn Gott es so bestimmt. Sein eigener Wille hat dabei keine Bedeutung, aber er sehnt diesen Tag herbei. Bis dahin wird er durchhalten und seine Pflicht tun.

Sein Leben ist jetzt ganz und gar ein Instrument, er wird den Gesetzen des Herrn gehorchen und seine Pflicht gegenüber Eltern und Geschwistern tun.

An dem Tag, wenn er mit den Toten vereint wird, ist er endlich wieder daheim angekommen. Dann wird er endlich Verzeihung erlangen, hofft er.

Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi

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