Читать книгу Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi - Aino Trosell - Страница 12

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Über Nacht hatte ich die Frontscheibe des Wagens mit einer Steppdecke geschützt. Ich hörte die Standheizung im Inneren surren, während ich die Abdeckung ausschüttelte und sie auf den Rücksitz legte. Dann nahm ich den Besen und fegte den Schnee von der Heckscheibe und den Scheinwerfern. Diesmal vergaß ich nicht, das Kabel des Motorwärmers herauszuziehen und es sorgfältig an der Schuppenwand neben der Schaltuhr aufzuwickeln, bevor ich mich auf den Weg machte.

Die Temperatur war gesunken und lag jetzt bei zweiundzwanzig Grad minus. Es war halb fünf Uhr morgens.

Statt des nächtlichen Schneefalls gab es jetzt einen sternenübersäten Himmel mit Vollmond, in einer Welt, die vollkommen mir gehörte, keine Spuren im Schnee, bevor ich die Hauptstraße erreichte. Dort war kein Auto zu sehen, aber der Schneepflug war bereits nordwärts gefahren, ich ließ den Wagen durch den Wall bumsen, bog nach rechts ab und legte einen höheren Gang ein.

Das Schlimmste war jetzt vorbei, der Motor war angesprungen, und ich war nirgendwo stecken geblieben, nun brauchte ich nur mit gleichmäßigem Tempo zu fahren und mich vor entgegenkommenden Autos in Acht zu nehmen, zu dieser Morgenstunde konnten Betrunkene hinterm Steuer sitzen, jetzt während der Touristensaison übrigens zu jeder Tages- und Nachtzeit, ich hatte gelesen, dass dann jeder fünfundzwanzigste Fahrer angetrunken war.

Die Moderatorin vom Nachtradio spielte Dudelrock, und inzwischen war das Auto auch warm geworden, in fünfundvierzig Minuten würde ich auf meiner Arbeitsstelle sein. Ich wünschte meine nächtlichen Dämonen und Ängste zum Teufel, mir ging es schließlich gut, warum in aller Welt diese völlig sinnlose Unruhe?

Das Waldgebiet Limaskogen, alias unser Limskojin, zog sich ermüdend lang hin, aber als die zweite Elchwarnung kam, riss ich mich zusammen, die Schilder hatte man erst kürzlich aufgestellt, es gab wohl Grund zur Vorsicht. Statt eines Elches kam ein Fuchs angeprescht, aber der drehte in letzter Sekunde ab und flitzte wieder hoch auf den Schneepflugwall. Das Fell glitzerte wunderschön. Die Seuche war vorüber, ich hatte diesen Winter mehrmals Füchse gesehen.

Bald tauchten die ersten Straßenlaternen von Tandö auf. Die Häuser waren dunkel, die meisten Leute schliefen noch, nur in einem einzigen Fenster brannte Licht. Voller Neid dachte ich, dass die wache Person vielleicht nur den Skooteroverall überzog und zur Straße hinunterging, um die Zeitung zu holen, dann kroch sie wieder zurück in die Bettwärme neben dem Ehemann, mit einer Kanne heißen Kaffees in bequemer Reichweite.

Das waren noch Zeiten gewesen. Aber so würde es nie mehr werden. Verdammte Scheiße. Ich hatte nicht mal mehr eine Zeitung, die war zu teuer.

Die Rundfunksprecherin vertrieb diese Gedanken, sie berichtete von einem in den Graben gefahrenen Fernlaster und über Matschstreifen auf den befahreneren Straßen, und dann kamen die Nachrichten. Der Vollmond begleitete meine Fahrt genau wie der zugefrorene Fluss, mal versteckte er sich hinter Hügeln und Tannen, dann wieder schmiegte er sich dicht an die Straße, das Mondlicht glitzerte in dem gefrorenen Flitter. Das kalte Bild war kitschig schön, so ganz ohne Leben und in einer begrenzten Farbskala, und ich genoss es ganz allein, wie es typisch für mich war, wenn es um intensive Naturerlebnisse ging.

Die Nachrichten, ja. Wieder diese Zwischenlagerung, erneute Proteste, aber der Beschluss war gefasst, und die Anlagen waren fertig, zum Empfang bereit.

Das war ja wohl nicht so gefährlich. Schlimmer stand es um all die armen Kinder, die auf richtigen Mülldeponien wohnten, wie man aus dem Fernsehen wusste. Hier bei uns übertrieb man bestimmt, und es war wirklich geschmacklos, das schwedische Volk mit diesen armen Teufeln zu vergleichen. Wenn das Zeug herauszusickern begann, falls das überhaupt je passierte, existierte die Erde vielleicht nicht mal mehr. So weit in der Zukunft lag die Sache, hatte jemand gesagt.

In der Bäckerei Renhall herrschte Leben und Treiben, Autos auf dem Parkplatz, und alle Leuchtstoffröhren dort drinnen eingeschaltet, wo die Bleche in hohen Stapeln thronten, die ersten Brote hatte man vielleicht schon weggefahren. Und bei Sixten Jernberg leuchtete eine grüne Lampe, aber das war eine Blumenlampe, also schlief er vielleicht trotzdem noch, der alte Meister, wie alt konnte er jetzt sein? Die Nachrichten waren zum Glück vorbei, und der Nachtsender spielte Peggy Sue, ja danke, es war wohl ungefähr damals, als Jernberg in unscharfen, schwarzweißen Wochenschaufilmen Erfolge in der Loipe feierte.

Nach Limedsforsen flimmerte die Abzweigung nach Norra Löten vorbei, und ein paar Kilometer weiter durchquerte ich Lima mit Kirche, Läden, Behandlungszentrum und Fleischfabrik. Nach Torgås folgte die westliche Abzweigung in Richtung Östby in Norwegen, wohin es nur fünfzig Kilometer waren, und dann kamen Limas Schanzen.

Die Sprecherin hatte jetzt einen gurrenden Ton angelegt, umschmeichelte die Zuhörer halbflüsternd und fast unanständig, aber dann spielte sie Jerry Lee Lewis, der Rhythmus war mitreißend, als ich dem Schneepflug direkt vor der Abzweigung zu den Sennhütten von Matsåsen begegnete.

Ja, mir ging es gut. Fünfundsiebzig Kronen die Stunde war kein Jackpot, aber seht doch, was für eine Karriere ich bereits in Reichweite hatte, dank meines Fleißes und meiner Ausdauer. Und meiner weißen Haut, dachte ich beschämt, es bestand kein Zweifel, dass meine total schwedische Erscheinung mir nicht direkt zum Nachteil gereichte, wenn Ingalill über eine Nachfolgerin nachdachte. Aber scheiß drauf, jetzt war es nun mal wie es war. Wenn ich meinerseits die Sache satt haben sollte, konnte ich ja immer noch Bea aus Somalia empfehlen, sie war flink und ordentlich und hatte Sinn für Details, nur Schwedisch musste sie ein bisschen besser lernen. Und vor allem konnte ich Dunja empfehlen, aber sie würde an dem Tag wohl nicht mehr hier sein. Wenn er überhaupt je kommen sollte.

Nordwärts in einiger Entfernung war Licht wie leuchtender Rauch am Himmel zu sehen. Der Fluss schlängelte sich getreu neben der Straße durch ein Waldstück, und dann erschien Kläppen im schönsten Festgewand, eine Flut von Licht über der Einfahrt und oben an den Hängen. Die Scheinwerfer liefen auf Hochtouren, obwohl die Lifte schliefen und kein Mensch zu dieser Tageszeit draußen war. Alle Bungalows lagen dunkel, aber auf den Pisten war es taghell, und die Stromrechnung bereitete in diesem Etablissement offenbar niemandem Kopfzerbrechen.

Ich würde meinen Arbeitskollegen erzählen müssen, dass man mich gebeten hatte, Ingalill während der Konferenz zu assistieren, sie würden sich sonst wundern. Darüber, dass ich in einem Augenblick bis über die Ohren in den Kloschüsseln steckte und mich im nächsten in adrettem Hostessenkostüm zur Kongresshalle und dem Frühstücksraum begab. Aber das war wohl okay, jemand musste Ingalill schließlich helfen, das verstanden sie bestimmt.

Die Kirche von Transtrand tauchte jenseits des Flusses auf, und kurz darauf konnte ich die ersten Gebirgsrücken mit ihren weißen Hauben erkennen. Das Licht der Bergweiten wurde von den zarten Wolken am Himmel reflektiert, sodass ein weißes, strahlendes Feld gewissermaßen frei im Raum schwebte. Ein Harfenton wurde in mir angeschlagen – ich fühlte, wie die Berge lockten, begriff, warum alle dort hinaufwollten.

Das Display am Startplatz des Wasalaufes verkündete, dass wir dreiundzwanzig Grad minus hatten, es fünf Uhr fünfzehn war und noch dreiundvierzig Tage bis zum Beginn des Laufes verblieben. Der Mond war golden und sehr groß, wie er dort auf dem Gebirgskamm ruhte, als ich den Kreisverkehr in Sälen nahm und die Fahrt hinauf zum eigentlichen Fjell begann.

Man hätte an der Stelle Ampeln haben können, aber noch immer gab es den Kreisverkehr, und die Botschaft war einfach: Bieg hier ab, und iss einen Hamburger bei McDonald’s. Natur erleben und Fast Food, der Gedanke geriet ins Stocken.

Wie ein glitzerndes Diadem leuchteten Lindvalls Höhenbungalows auf dem Hemfjället, die Sprecherin vom Nachtradio hatte sich in einen Morgenplauderer verwandelt, der völlig inkonsequent Leonhard Cohen spielte. McDonald’s war seit Langem in diesem Winterparadies etabliert. Ich spürte, dass Skiausleihe, Après Ski, Take Away und Happy Hour mir wie ein fernes Sonnensystem erschienen, es war nicht meine Kultur. Aber jetzt arbeitete ich da mitten drin, und je höher ich ins Fjell hinaufkam, desto mehr spürte ich das Geld, das in den Taschen brannte und ausgegeben werden wollte, das verdient werden wollte, ja Geld ganz einfach, merkte, dass es viel von diesem Stoff gab und dass nur fünfundvierzig Minuten von meiner unansehnlichen und ziemlich menschenleeren Gegend entfernt eine dröhnende Großstadtkultur existierte, verkleidet als Naturerlebnis.

Alles veränderte seinen Charakter, sobald man ins Fjell hinaufkam, Waffelhäuschen und Bungalows und Skootersafari, nicht ein toter Punkt, nicht ein freies Stück Wildnis. Jedenfalls nicht entlang der Bergstraße.

Der Storfjället lag groß, dominierend und weiß wie ein Sahnebackwerk, eine leuchtende Kuppel vor mir, als ich an der Bergkirche vorbeifuhr, die Scheinwerfer strahlten ihn wie immer an, ich fand es schön.

Ja, das Perlenband der Lichter war wie eine Huldigung. Ich mochte das Fjell. Ich verstand, warum es die Menschen dorthin zog. Es war nicht nur wegen des Vergnügungsbetriebs und vielleicht auch nicht nur wegen des Skilaufens. Es war die Luft und dieses Gewaltige, dass die Berge so groß und so rund waren, dass sie so alt und irgendwie so menschenfreundlich waren.

Ich parkte, bettete die Steppdecke über die Frontscheibe und steckte den Motorwärmer in die Dose.

Ich hörte sie nicht, sie waren völlig lautlos. Sie kamen von hinten angeprescht und jagten dicht an mir vorbei, ohne das geringste Kläffen, obwohl es sicher zehn an der Zahl waren, zwei und zwei im Gespann. Und dazu ein Mann auf den Kufen des Schlittens, ordentlich eingemummt, ich sah sein Gesicht nicht, und er hielt nicht an oder drehte sich um, nachdem er vorbeigefahren war, obwohl er mich gesehen und begriffen haben musste, dass sie mich vielleicht erschreckt hatten.

Ein Hundegespann, so früh am Morgen? Zwei Fackeln waren am Schlitten angebracht, und Funken sprühten rückwärts, als das Gefährt geräuschlos über die Straße glitt und hinter einem Apartmenthaus verschwand.

Hunde – sie gaben zu viel. Man bekam alles, bedingungslos, ob man nun böse war oder gut, ob man sich um sie kümmerte oder nicht. Sie gehorchten auch dem, der sie misshandelte und ihnen nicht genug zu fressen gab. Ein Hund war seinem Herrchen oder Frauchen stets ergeben und freute sich über deren bloße Anwesenheit. Mir taten Hunde leid. So ausgeliefert wie sie waren, so voller Sehnsucht, ihrem Halter zu dienen, in seiner Nähe sein zu dürfen und auch dem kleinsten Wink zu gehorchen. Ich bevorzugte Katzen, deren Zuneigung musste man sich verdienen, und manchmal genügte auch das nicht. Katzen besaßen Intuition und wählten selber. Hunde waren emotional und loyal ohne den geringsten Vorbehalt. Sie taten mir wirklich leid.

Was für Disziplin, was für Zucht, sie waren nicht eine Sekunde langsamer geworden, hatten nicht die geringsten Anstalten gemacht zu schnuppern oder den Störfaktor zu untersuchen. Sie waren nur weitergetrabt, schnell und lautlos und in perfektem Einklang, gelenkt von dem Fahrer, ihrem Führer. Ich hatte keine Peitsche gesehen, nur diese Fackeln mit ihrem Funkenschweif vor dem taubengrauen Schnee.

Sobald mich der Nachtportier zu Gesicht bekam, zog er einen Zettel vor und wedelte damit.

Die Nachricht war von Ingalill, sie hatte gestern spätabends bei der Rezeption angerufen, weil sie mich nicht zu Hause stören wollte. Auf dem Zettel stand, dass sie und auch der kleine Linus krank geworden waren. Sie bat mich, die morgendliche Zusammenkunft zu übernehmen, sie würde mich später am Tag anrufen.

Jetzt ging es los, das, was ich im Gefühl gehabt hatte. Schon seit Ingalill mich in ihre Pläne eingeweiht hatte, ahnte ich, dass in den nächsten Tagen mehr als genug auf mich zukommen würde, deshalb war sie so genau gewesen, als sie mich mit ihren Arbeitsaufgaben vertraut gemacht hatte.

Ich bezweifelte nicht, dass sie und der Junge krank waren, das war es nicht. Aber sie verließ sich auf mich, sie spürte, dass sie die Sache locker angehen konnte, ich würde mich eher verrenken, als die Arbeit zu vernachlässigen, das wusste sie, darauf konnte sie absolut vertrauen.

Der enge Gang, in dem wir uns versammelten, war schwarz vor Menschen, als der Zeiger auf der Sechs stand. Es war viel zu tun am Tag vor Konferenzbeginn, und ich erklärte, dass Ingalill krank war und ich ihre Vertretung übernommen hatte.

Kein Einziger hob auch nur die Augenbrauen. Ich hatte es mir ja schon gedacht, dass sie mich als ihren Boss akzeptieren würden.

Vor dem Frühstück mussten die öffentlichen Räumlichkeiten geschafft werden, da es noch zu früh war, sich in die Zimmer hinaufzubegeben. Mit Tempo und Schwung teilte ich die Putzbereiche ein und tat so, als würde ich keine verstimmten oder beleidigten Mienen sehen. Die Männer hatten beispielsweise bis zu diesem Tag noch nie eine Herrentoilette geputzt. Meine erste Maßnahme als Chefin der Reinigungscrew war daher, das zu ändern. Ich kann nicht, protestierte Muhammad. Was, du kannst nicht?, rief ich verwundert zurück, und dabei hast du doch denselben Lohn wie wir alle.

Etliche andere hatten ihre festen Arbeitsaufgaben, aber da nahm ich auf eigene Faust ein paar Umdisponierungen vor. Zwei unserer Herren sollten zum Beispiel schon heute von mir persönlich eine Weiterbildung im Putzen erhalten. In den folgenden Tagen wurden kompetente Leute gebraucht, und ich hatte es satt, dass die Kerle immer mit der weniger peniblen Apartmentreinigung betraut wurden. Kompetenzverbesserung, dachte ich und übergab Muhammad die Putzliste für die fünfte Etage, der blickte verwundert um sich, war das nicht irgendwie falsch? Ich komme dann hoch und schaue mir die Sache an, versprach ich lächelnd. Dann blickte ich mich nach dem nächsten Opfer um und bekam den Balkanflüchtling zu Gesicht, von dem Ingalill erzählt hatte, er habe sich an der Schulter verletzt, wie hieß er nun gleich? Er selbst hatte sich offenbar einen Morgen im Wintergarten vorgestellt, denn er war bereits dabei, den großen Staubsauger aus der Kammer zu ziehen, doch das wurde abgewehrt. Nicht mit dieser Schulter, ermahnte ich ihn. Auf meine Frage antwortete er lakonisch, er könne es sich nicht leisten, krank zu machen. Na dann würde er also Muhammads Kompagnon werden, und er hieß jetzt wie? Nenad. Vorname oder Familienname? Vorname, antwortete er kleinlaut. Okay. Mir selbst teilte ich die vierte Etage zusammen mit Dunja zu. Sie war sorgfältig und flink, und das bedeutete, ich würde es schaffen, auch nach dem fünften Stock zu sehen.

Der unberechenbare Schleppkahn, den die Putzkolonne in diesem Hotel darstellte, setzte sich langsam in Bewegung, schwerfällig und nicht leicht zu lenken.

Seid heute ganz besonders gründlich, bat ich, dann wird es morgen nicht so hart. Bestimmt aber wird es das trotzdem, rief ich ihnen aufmunternd zu. Ihr müsst euch nicht einbilden, es würde mit mir besser werden, falls Ingalill weiter krank bleibt – es wird noch schlimmer! Blasses Lächeln zur Antwort, ihnen gefiel mein derber Humor, wie gut.

Ich kniete auf einer Treppe, als die höchste Chefin angerauscht kam, obwohl es erst sieben war. Sie hatte es eilig, blieb aber trotzdem stehen und wechselte ein paar Worte mit mir. Ihr kam es darauf an, dass am nächsten Tag alles so gut wie möglich lief, und sie war ein wenig bekümmert, als sie hörte, dass Ingalill krank war, doch versicherte ich, alles sei unter Kontrolle. Ich würde mit Ingalill tagsüber am Telefon konferieren und mich darum kümmern, dass Blumenarrangements, vip -Geschenke und alles Übrige an Ort und Stelle kamen, die Direktorin konnte ganz beruhigt sein.

Als Antwort erhielt ich ein dankbares Lächeln, und dann eilte sie weiter zu ihrem Büro, der Parfümduft hing noch eine Weile in der Luft. Das Prestige stand auf dem Spiel, selbstverständlich, sie hatte dem Hotel erst ein Jahr lang vorgestanden, und auf ihrer Ebene war es offenbar notwendig, besser als nur gut zu sein, wenn man Frau war. Doch das war nicht mein Problem. Als Reinigungskraft war ich vertrauenswürdig, und zwar weitaus mehr als ein Mann.

Du bist eine miese Putzchefin. Verbindlichsten Dank, wer kam da mit einer solch entzückenden Meinung? Klar doch, Dunja, die mich arme Wehrlose in den Hintern trat, als ich so dahockte und die Gummieinfassungen scheuerte.

Wie kannst du diesen Nenad mit der vip -Etage betrauen, bist du nicht ganz dicht?

Ich stand auf, die Knie taten mir weh. Entschuldige, sagte ich, stammt ihr beide nicht aus demselben Land, wenn es sich hier um irgendeinen politischen Scheiß handelt, dann zieh mich da bitte nicht rein. Nenad hat noch einiges zu lernen, und ich gedachte mich der Sache anzunehmen. Hältst du das für falsch, meine beste Dunja?

Absolut, erklärte sie aufgebracht. Du müsstest nur sehen ... Ich habe es gesehen, unterbrach ich sie. All die Fingerabdrücke auf Türfüllungen und Rahmen, die ihnen entgangen sind, ja. Das Geschmiere auf der Toilettenbrille. Die vergessenen Strümpfe vom letzten Gast unterm Bett. Und die Dusche voller Haare. Ich weiß das alles, aber gerade deshalb hat er den Intensivkurs nötig, den er heute bekommen soll. Wir werden mehr Leute als nur euch Mädels brauchen, die richtig gut putzen können. Ich versuche lediglich, eine eventuelle Katastrophe in den kommenden Tagen zu vermeiden.

Du bist die Katastrophe, schnaubte sie verärgert, aber kniff mich gleichzeitig in die Nase. Wir stammen zwar aus demselben Land, doch Nenad ist nicht der, für den er sich ausgibt.

Keine Politik! Ich hob warnend den Finger, und Dunja senkte den Kopf und ging weiter zur Piano-Bar. Bewundere den Fußboden vor den Toiletten, rief ich ihr nach, das habe ich geschafft – ich meine geschabt – mit meinen eigenen Händen!

Das Putz-Gen war nicht weiblicher Natur, dafür hatte ich den Beweis. Eine Mexikanerin, aufgewachsen mit Steinfußböden, hatte in einem anderen Hotel sämtliche Parkettböden saubergeschwemmt. Tag für Tag hatte sie ihr Ritual immer verzweifelter ausgeführt, weil sie zu recht fand, dass der Fußboden immer schlimmer aussah. Erst als es zu spät war, entdeckte man, was da passierte. Niemand hatte ihr erklärt, wie verschiedene Arten von Böden behandelt wurden. Dass unsere Professionalität einfach so wenig wert war, obwohl es doch so viel kosten konnte, wenn wir einen Fehler machten.

Sollte ich den Job bekommen, ja dann ... Tägliche Überprüfung und gegebenenfalls Behandlung der Möbel war weniger aufreibend, als wenn die Flecken erst festsaßen und vielleicht der ganze Stoffbezug gewechselt werden musste. Überhaupt war die Reinigung entscheidend dafür, wie lange die Dinge hielten, sowohl feste als auch bewegliche, davon aber wurde nie gesprochen.

Unter einem Vorwand begab ich mich zu jener Herrentoilette, die ich Muhammad zugeteilt hatte. Stolz führte er mich herum, und ich musste kapitulieren, es sah gut aus, sogar die Seife war nachgefüllt, die Papierhandtücher lagen richtig rum, und es roch sauber. Prima, sagte ich, hast du so was schon früher gemacht, in Afghanistan? Zur Antwort verdrehte er nur die Augen, und ich lachte. Also nicht. Bist du demnach ein weiterer Doktor der Journalistik oder der Medizin, bist du in deiner Heimat als Hochschullehrer ausgebildet, als Physiker oder Filmregisseur?

Er wich mir aus und gab keine Antwort. Was hatte er? Warum waren es übrigens nur Männer, die hierherkamen, soviel ich wusste, waren Frauen doch weitaus gefährdeter? Aber seine Frau war ja tot, jetzt erinnerte ich mich. Heute darfst du die Suite des Oberkommandierenden putzen, sagte ich, um ihn zu überraschen. Des schwedischen Oberkommandierenden?, fragte er ungläubig. Viele hohe Militärs kommen hierher, sagte ich und nickte bestätigend, es ist eine wichtige Konferenz. Hast du Kinder? fragte ich dann neugierig. Wenn man nicht fragt, bekommt man nichts zu wissen, dachte ich zugleich beschämt.

Er zuckte zusammen und schaute weg. Nein, sagte er.

Was für ein Glück, dachte ich, wo doch seine Frau tot war. Aber seine Eltern lebten, er schickte ihnen schließlich Geld. In ein paar Jahren hatte er vielleicht die Mittel, sie herkommen zu lassen. So schlimm stand es wohl nicht. Dass Asylanten ein bisschen bedrückt waren, gehörte irgendwie dazu. Du wirst sehen, das regelt sich schon, sagte ich munter, aber verzichtete darauf, ihm auf die Schulter zu klopfen. Nach dieser erstklassigen Toilettenreinigung hast du die Kompetenz, für das ganze Militärhauptquartier zu putzen, wird doch wohl Spaß machen oder?

Dieser Bursche hatte keinen Humor, ich sah es jetzt, als er sich umdrehte und mich nur böse anstarrte.

Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi

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