Читать книгу Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi - Aino Trosell - Страница 14

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Der Personalspeisesaal war proppenvoll, die Küchenkräfte waren ununterbrochen in Bewegung, kamen angerannt mit Sauermilch und Aufschnitt, Brot und Eiern, Brei und Kaffee, das Stimmengewirr war intensiv wie auch das Klappern von Geschirr und Besteck. Hinter einer Glasscheibe saß eine lautlose Schar von Rauchern. Sie lachten wie verrückt, dichte Nebelschwaden hingen dort drinnen.

Während ich mich am Büfett bediente, schaute ich unruhig umher, um zu sehen, ob irgendwo ein Platz frei war. Sonst musste ich wohl im Stehen frühstücken. Mir knurrte der Magen, und es war nicht gesagt, dass es an diesem Tag noch viel mehr zu essen gab. Anscheinend waren die meisten zu demselben Schluss gelangt. Die Russinnen drängelten sich hinter mir, sie kakelten irritiert in ihrer eigenen Sprache. Ich fragte, wie es stehe, und es erwies sich, dass sie beunruhigt wegen des Wintergartens waren – wer würde Zeit haben, sich morgen Früh nach der Disco am Abend und in der Nacht darum zu kümmern?

Bevor ich darauf antworten konnte, klingelte das Handy, das der Hausdame, das man mir vorübergehend verehrt hatte. Es war Ingalill. Nach einem raschen Lagebericht von meiner Seite hörte ich sie seufzen oder aufatmen? Danke Siv, ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, und das ist ein Glück. Denn hier sieht es schlecht aus. Sowohl Linus als auch ich haben Fieber, aber vielleicht kann ich ja jemanden finden, der ihn eine Weile betreut ...?

Dazu besteht kein Grund, erwiderte ich schnell. Ich gab genau die Antwort, die sie, wie ich wusste, von mir haben wollte. Wozu solltest du herkommen? Um uns anzustecken? Nein, bleib du nur, wo du bist, und pflege dich, hier kannst du ja doch nichts tun, so krank, wie du bist.

Ja aber ... dann musst du ja doppelt arbeiten, Siv? Musst meine Arbeit machen und deine auch, schaffst du das denn? Wirst du trotzdem mit allem fertig?

Klar, antwortete ich stoisch, obwohl ich ein heftiges Flattern im Zwerchfell verspürte. Kein Problem, Ingalill. Ruf an, wenn du Entzugserscheinungen hast. Was mich angeht, ist die Lage völlig unter Kontrolle.

Unter gebührenden Dankbarkeitsbezeugungen beendete sie das Gespräch, und ich legte auf, nahm das Tablett und setzte mich zwischen zwei Reinigungskräfte von den Apartments. In der Wäschekammer fehlen Handtücher, sagte der eine. Am Putzwagen ist ein Rad abgegangen, sagte der andere. Was ihr nicht sagt, erwiderte ich.

Als sie einträchtig den Mund aufmachten, um mich zu beschimpfen oder dergleichen, tauchte die Antwort auf alle meine Gebete auf. Darf ich mich hier hinsetzen?

Es war Björn. Die beiden Putzkräfte kamen aus dem Konzept, als er sich direkt uns gegenüber hinter den Tisch klemmte. Ich habe einen meiner alten Offiziere auf dem Flur getroffen, begann er.

Okay, lieber Erinnerungen aus der Rekrutenzeit als quengelige Putzleute. Wie interessant, Björn, einer deiner alten Offiziere?

Genau, erwiderte er. Er kam mir direkt entgegen, es bestand kein Zweifel. Er hätte mich wiedererkennen müssen, aber er verzog keine Miene. Bergius ist sein Name.

Du bist unsichtbar, Björn, antwortete ich, das sind wir hier alle.

Er hat mich in ein Eisloch geschubst, fuhr er fort. Mit Knarre und allem, damals beim Abschlussmanöver, wirklich ein verdammter Grobian. Wintersoldat – er kann mich mal. Stockholmer waren sie, die ganze Bande, vom Winter hatten sie keine Ahnung. Sobald es kalt wird, kriege ich in dem Fuß immer noch Schmerzen, alles wegen diesem Manöver.

Bergius, das ist bestimmt der Mann, der für die Sicherheit bei der Konferenz verantwortlich ist. Ich finde, er wirkt nett, ich habe nämlich bei ihm sauber gemacht.

Nett! Björn verzog das Gesicht. Aber es würde mich nicht wundern, wenn er seine weitere Karriere beim Staatsschutz gemacht hat, denn er kommt ja von den Feldjägern.

Die Putzleute standen auf. Ich schaue nachher bei euch vorbei, sagte ich, fangt in der Zwischenzeit schon an. Sie verschwanden. Stattdessen nahmen Dunja und Hedy Platz. Die schöne Dunja aus Tensta und die freundliche Hedy aus Tschetschenien.

Björn wirkte befangen, vielleicht wollte er ja trotz allem nicht über Militärerinnerungen reden. Er warf einen scheuen Blick auf Dunja. Natürlich, sie war schön, sehr schön, diese intensiven dunklen Augen. Björn fixierte die Heringshappen auf seinem Teller. Magst du Saibling, Siv, fragte er.

Ja, gab ich zur Antwort. Ich wollte gehen, es gab so viel zu tun, und ich war mit dem Essen fertig. Saibling ist ein Gebirgsfisch, erklärte ich. Ich weiß, erwiderte Dunja, er schmeckt gut. Saibling?, wiederholte Hedy fragend.

Ich muss leider weitermachen, erklärte ich und stand auf.

Kannst du ihn denn zubereiten?, fragte er.

Was antwortet man wohl darauf? Natürlich konnte ich so ein bisschen Fisch zubereiten. Das kann doch wohl jeder, erwiderte ich und sah Dunja an. Sie blickte verwundert zurück.

Ich habe jetzt Ingalills Job zu machen, erklärte ich, außer meinem eigenen. Sie ist krank.

Ich habe mit dem vierten Stock angefangen, sagte Dunja, ist das okay?

Ich nickte, noch ungewohnt in meiner neuen Rolle. Du Ärmste, sagte Hedy. Wie willst du das alles schaffen, fragte Björn, dann geht das ja wohl bis spätabends?

Kannst du mir nicht helfen, Dunja?, fragte ich.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Nix, keine Chance. Gerade an diesen Abenden gedenke ich freizumachen und nur zu relaxen, es wird tagsüber stressig genug.

Wie wahr. Unsereiner kam wohl erst im Grab zum Relaxen. Aber ich hatte keinen Grund, Dunja Vorwürfe zu machen, sie brauchte sicher ihre Ruhe.

Am Ausgang stieß ich wieder auf die Russinnen. Ich hatte im Gespür, dass irgendwelche Demokratie oder Mitbestimmung nicht funktionieren würde, also packte ich den Stier bei den Hörnern und zeigte, wer hier das Sagen hatte. Also, da ihr selbst das Thema aufgegriffen habt, fing ich an. Ihr beide werdet euch morgen Früh als Erstes um den Wintergarten kümmern, dann kommt die Männersauna und die Frauensauna dran, und vergesst nicht die Solarien, das ist euch ja erst letztens passiert. Sollen wir nicht auch noch die Treppen und alle Toiletten übernehmen, erwiderte Jelena sarkastisch. Gern, antwortete ich, wenn ihr glaubt, ihr schafft das, bitte sehr.

Sie gingen ohne ein Wort. Was für eine großartige Chefin ich doch war, zwei Feinde, nein vier, im Handumdrehen. Bei diesem Tempo würde ich eine ganze Armee zu meiner eigenen Verteidigung brauchen, noch ehe der Tag zu Ende war.

Voller Selbstmitleid schlüpfte ich in den Umkleideraum. Dort war es menschenleer. Und unaufgeräumt. Jetzt war keine Zeit dafür. Die gab es eigentlich nie. Unter den Spinden drängten sich Schuhe im Verein mit ausgetrunkenen Plastikflaschen und großen Staubflusen, die Wäschekörbe quollen über, und fast überall an den Haken hielten fiktive Serviererinnen und Büffetkräfte Modenschau.

Und auf einem für mich ganz besonderen Bügel rief ein sehr schönes Kleid nach seiner richtigen Hausmutter. Oder Hausdame.

Wir hatten dieselbe Größe. Es saß einfach perfekt. Spieglein, Spieglein, was sagst du mir, wer ist die Hausdame im Schlosse hier. Das musste extra designt worden sein, es war aus strapazierfähigem Material und erinnerte an die Volkstracht und auch wieder nicht, an ein Abendkleid und auch wieder nicht. Der Rock reichte bis zur halben Wade, und das Oberteil war ein wenig nach unten verlängert. Ich sah gut darin aus. Es musste so gewollt sein, dass ich es eines Tages für immer trug. Bis dahin musste ich mich damit begnügen, es auszuleihen, wenn ich etwas repräsentativer wirken musste und nicht wie jetzt nur das Toilettenschrubben der beiden Putzkräfte begutachten sollte.

Ich schaute mich um, auch jetzt war noch keiner hier. Ich ließ den Rock vorsichtig schwingen und summte. Ich würde mit dieser Konferenz klarkommen, ganz allein.

Ingalill hielt immer, was sie versprach.

Es wurde ziemlich viel getrunken. Andererseits hatten die Leute ja Urlaub, es war also überhaupt nicht verwunderlich. Zum Putzen gehörte das Klirren von Flaschen und das Klappern von Büchsen. Wenn etwas verschüttet worden war, nahm einem der Alkoholgeruch zuweilen den Atem, aber Alkohol desinfiziert, in diesem Zusammenhang gab es schlimmere Dinge. Ich war selbst keine Abstinenzlerin und verurteilte niemanden.

Ein Gemisch aus Red Bull und Wodka war bei der Jugend noch immer ein beliebtes Getränk, obwohl die Kombination als lebensgefährlich galt. Die jungen Leute tranken auch viel hochprozentiges Bier. Die mittleren und älteren Jahrgänge bevorzugten meist Wein, Kognak und Sekt. Manchmal hatte etwas Romantisches stattgefunden, rote Rosen, Moët & Chandon und ein geöffnetes Schmucketui mit glänzendem Geschenkband drumherum. Dann war ich milde gestimmt und wischte mit besonderer Sorgfalt Staub.

Ein bewohntes Hotelzimmer zu betreten war wie ein Vertrauensbeweis. Ich fand, ich bekam eine Beziehung zu den Gästen, die dort nächtigten. Vielleicht empfand der Gast es ebenso? Ja, ganz bestimmt, ich erinnerte mich schließlich, wie es gewesen war, als Jan und ich in südlicheren Breiten Urlaub machten, natürlich bekam man eine Beziehung zu seinem Zimmermädchen. Für mich war sie überhaupt nicht unsichtbar, sondern sogar ziemlich wichtig, fürs Wohlgefühl.

Konferenzteilnehmer waren dennoch die besten, keinerlei Umstände. Nur ein ungemachtes Bett, weiter nichts. Sie benutzten die Gläser nicht, kochten keinen Kaffee, machten keinen Dreck. Sie schliefen nur, duschten und fuhren los, obendrein früh am Morgen. Perfekt.

Ich arbeitete auf der zweithöchsten Ebene, will sagen dem vierten Stock. Über mir, in der obersten vip- Etage, kämpften Muhammad – wenn er wenigstens einen netteren Namen gehabt hätte – und Nenad. Nenad mit der Schulter, ich hatte gesehen, dass sie ihm wehtat.

Als Dunja von meinem umfangreichen Tagesprogramm erfahren hatte, erbot sie sich, den Keller zu übernehmen. Ich war dankbar, ich hatte mich davor gegrault: all dieses Gerenne auf engen Treppen mit Blumen und anderem Zeug und dann der dunkle Kellergang mit dem vielen Gerümpel. Ich zog es vor, oben im Licht zu arbeiten, und ich hatte Routine, die Hotelzimmer erledigten sich hintereinanderweg, ich musste es schließlich schaffen, nach den Jungs zu sehen. Dunja holte für mich den ganzen Kram aus dem Keller und kümmerte sich darum, dass er an Ort und Stelle kam, also die Blumen und das ganze vip -Tamtam, ich war dankbar.

Nach fünf Zimmern machte ich eine Pause und stieg zur obersten Etage hinauf. Ich sah Nenad am Ende des Gangs Wäsche nach unten verfrachten, und vor einer offenen Tür stand der Putzwagen geparkt. Ich näherte mich und entdeckte Muhammad, der sich dort drinnen bewegte, er bemerkte mich nicht. Er machte die Betten, steckte die Decken in ihre Bezüge und schüttelte das Ganze auf.

Ich empfand einen Anflug von Mitleid und wurde auf mich selbst wütend. Alle wunden Punkte der Welt schienen sich in diesem Hotel versammelt zu haben – zum Putzen! Das Familiengefühl war bei Einwanderern im Allgemeinen stärker als bei Einheimischen, im Guten wie im Schlechten. Ich persönlich hätte den intensiven Kontakt zur Verwandtschaft nicht ausgehalten, mit dem die meisten meiner Kollegen aufgewachsen waren, aber der Behaglichkeitsfaktor war hoch, das gab ich zu. Ich tat ihnen allen leid, als sie verstanden, dass ich alleinstehend war und mit keinem einzigen Menschen zusammenwohnte. Allein zu sein hieß in ihren Augen, wirklich bedauernswert zu sein. Deshalb empfand ich so etwas wie Zärtlichkeit für den armen Afghanen dort drinnen, der jetzt dazu übergegangen war, Kissen zu beziehen und sie einzuknicken. Die ganze Familie weit weg, die Frau tot und keine Kinder. Seine Augen wirkten wie erloschen. War das Herkommen diesen Preis wirklich wert?

Wenn man nicht fragt, erhält man keine Antwort. War es den Preis wirklich wert?, erkundigte ich mich, als ich das Zimmer betrat. Hierher nach Schweden zu kommen, meine ich. Jetzt, wo du das Resultat kennst. Wäre es nicht besser gewesen, dort zu bleiben und zu kämpfen?

Aber genau das habe ich doch getan, antwortete er verwundert und ohne die geringste Aggressivität. Deshalb habe ich doch im Gefängnis gesessen. In einem richtigen Gefängnis. Nicht in solchen wie hier in Schweden. Genau deshalb musste ich doch fliehen. Ich hatte keine Wahl.

Aha, dachte ich. Hat all die anderen zurückgelassen. Und wie war die Frau gestorben? Aber da er es nicht selbst erzählte ... Was wenn er sie sogar umgebracht hatte, wenn sie ihm zum Beispiel untreu gewesen war, von so etwas hatte man schließlich gelesen. Wenn also das seine Flucht verursacht hatte.

Wie ist deine Frau gestorben, fragte ich. Sie ist ertrunken, gab er zur Antwort.

Aha. Klüger wurde ich daraus nicht. Er wollte nicht darüber reden, ganz klar, und ich hatte kein Recht, meine Nase noch tiefer in die Sache zu stecken.

Das Badezimmer wurde abgenickt, das Zimmer ebenfalls, nicht einmal Staub auf dem entlarvend blanken Deckel des Wasserkochers, bestens.

Hast du die Suite des Oberkommandierenden geputzt? Er nickte mit leichtem Lächeln.

Warum lächelte er? Ich ging hin, um es mir anzuschauen. Muhammad blieb bei seinem Wagen stehen und sah mir nach, das war mir scheißegal. In diesem Stockwerk durfte keinerlei Schlamperei Vorkommen.

Ich zog sogar das Sofa von der Wand und glaubte bestimmt, dass dahinter Schmutz lag, aber nichts. Er hatte gute Arbeit geleistet.

Plötzlich wurde mir klar, dass es ausgerechnet der Oberkommandierende war, der hier wohnen sollte. Und dass es ausgerechnet Muhammad war – wenn er doch bloß nicht diesen Namen gehabt hätte –, der hier geputzt hatte. Zwei Kraftfelder, die zusammentrafen. War das Schicksal? Was wusste man eigentlich über Muhammad? Oder überhaupt über irgendjemanden aus der unsichtbaren Putzkolonne? Vor ein paar Jahren war aufgedeckt worden, dass eine schwarz arbeitende Reinigungsfirma mit illegalen Arbeitskräften im Regierungsgebäude Rosenbad tätig war. Stand es denn hier so viel besser? Morgen würde man mit Bombenhunden alle vip -Etagen durchsuchen, aber Hass hatte schließlich keinen Geruch. Vielleicht verfugte eine Person wie Muhammad über Waffen, die kein Spürsinn der Welt entdecken konnte?

Die Verantwortung hatte mich hypernervös gemacht. Was ich da dachte, war völlig verrückt, ein Glück, dass niemand von meinen kranken Ideen wusste. Ich ging zurück zu Muhammad und lobte ihn, dann eilte ich zu Nenad weiter, der inzwischen die gesamte Wäsche durch den großen Schacht nach unten befördert hatte, ich hörte, wie der letzte Packen mit einem saugenden Dröhnen tief unten landete. Du schließt doch wohl ordentlich ab, sagte ich. Er klapperte mit den Schlüsseln zur Antwort. Der Wäscheschlucker war kein passender Spielplatz für angetrunkene Snowboarder, so viel Spaß wollten wir ihnen hier nicht gönnen.

Er sollte mit seinem ersten vip- Zimmer beginnen, es betraf eine Endreinigung. Ich ging vor ihm hinein und sah, dass dort eine Menge zu tun war. Du putzt das hier doch blitzsauber?, fragte ich beunruhigt. Es wird sauber, kein Problem, erwiderte er rasch. Er sprach lustig, ich hätte fast losgelacht, obwohl das, was er dann erzählte, absolut ernst war. Wieder war eine Lawine hinten beim Hundfjället abgegangen, und beinahe hätte sie einen ganzen Trupp junger Leute mitgerissen, vermutlich von ihnen selbst ausgelöst, weil sie abseits der Piste gefahren waren. Izzadin hatte ihm das alles vor einer Weile unten am Empfang erzählt. Das kommt von diesem Wetter, sagte ich, dieser ständige Wechsel, eine Schneeschicht legt sich auf die andere, und dann kommt das Ganze leicht ins Rutschen.

Das Badezimmer war ausgiebig benutzt. Man hätte eine schmale Bürste gebraucht, um beim Saubermachen in alle Ecken zu kommen, wenn ich erst Hausdame war, würde ich die Putzwagen damit ausstatten, die Schwämme waren wertlos. Mach es so gut du kannst, mahnte ich. Stell dir vor, dass die hier wohnen sollen, die dir in deinem Leben am meisten bedeuten.

Sie sind tot, erwiderte er.

Sie auch? Ich meine ...

So kam es, dass die nicht auf den Mund gefallene Siv zu stottern anfing. Entschuldige, sagte ich schließlich, aber du weißt, was ich meine – du sollst ganz einfach eine gute Arbeit machen. Er nickte.

Ich konnte nicht begreifen, was Dunja gegen diesen Mann hatte. Es ging wohl um irgendwelche ethnische Scheiße, ich hatte das nie verstanden und wollte es auch nicht verstehen.

Wieder unten auf meiner eigenen Etage fuhr ich mit den Endreinigungen fort. Das Putzmittel aus der Wäschekammer war effektiv, aber sehr stark, ich hustete und dachte, dass ich es schlimmstenfalls noch fünfzehn Jahre einatmen musste, bestimmt nicht sehr gesund. Wenn ich Hausdame wurde, wollte ich auch da etwas ändern. Außerdem würde ich dafür sorgen, dass es das Personal etwas netter hatte. Irgendwas organisieren, damit man die Kehrseiten des Jobs ertrug. Ja, das brauchte man, etwas Nettes. Warum nicht mit ein bisschen Respekt anfangen? Wir hatten ja fast ein genauso intimes Verhältnis zu unseren Gästen wie ein Arzt. Ich würde einen Ausflug mit Hundeschlitten und einem Grand Finale in der großen Lappenhütte veranstalten, dachte ich, etwas im Ganzen Gegrilltes über offenem Feuer und dazu irgendwelche einheizenden Getränke. Das wäre für meine ausländischen Arbeitskollegen ein äußerst exotisches Erlebnis und eine Art Prämie bei diesem undankbaren Job.

Meine Fantasien wurden unterbrochen, als ich das Zimmer von Bergius betrat. Alles stand gepackt. Stimmt ja, er würde in ein anderes Zimmer umziehen, und diese Suite hier musste für einen höheren Dienstgrad in Ordnung gebracht werden.

Im selben Moment kam Hedy mit dem Fahrstuhl angefahren. Warum gehst du nicht ran, rief sie vorwurfsvoll. Die vom Empfang suchen dich schon die ganze Zeit.

Das Telefon war abgestellt. Hatte ich das gemacht? Kein Wunder, dass der Empfang so ruhig geblieben war.

Der Fahrstuhl war besetzt, ich nahm die Treppe, ohne auf Hedy zu warten.

Die Rezeptionistin trieb mich zur Eile an. Die Verantwortlichen für die Konferenz hatten versucht mich zu erreichen, sie hatten keine Zeit, den Clüversaal herzurichten, da die Bestellung viel zu kurzfristig gekommen war. Seit Weihnachten herrschte dort drinnen ein heilloses Durcheinander, und in Kürze musste alles fix und fertig sein. Außerdem wurde Unterstützung bei den Erfrischungen, den technischen Hilfsmitteln und Ähnlichem gebraucht, Dingen, bei denen Ingalill gewöhnlich zur Hand gehen konnte. Sie selber waren völlig ausgelastet mit der Vorbereitung der Konferenzetage, die Teams von Rundfunk und Fernsehen brauchten Handreichungen beim Datenverkehr, beim schriftlichen Material et cetera, und außerdem klingelte das Telefon ununterbrochen.

Ich gab eine beruhigende Antwort und schichtete meine Truppe um, sodass Hedy meinen Platz im vierten Stock einnehmen und die Russinnen sich trennen mussten. Natürlich gefiel ihnen das nicht.

Eine Menge Spielzeug und Weihnachtsbastelkram, ach ja. Rasch verpackte ich alles zum weiteren Transport in den alten Swimmingpool, der unter der Tanzfläche im Wintergarten lag. Nur wenige wussten davon, und als Lagerraum war er deshalb unübertroffen, sagte Ingalill, mit der ich eine kurze Telefonkonferenz hielt. Ansonsten gehe es nur darum aufzuräumen, Tische und Stühle ordentlich hinzustellen und für Notizblöcke, Stifte und Mineralwasser zu sorgen. Obstschalen auf den Seitentisch. Vielleicht sei da noch etwas, was ihr jetzt nicht einfiele, aber das würde man mir schon noch sagen. Ginge das in Ordnung?

Das geht wie geschmiert, versicherte ich. Sie könne jetzt wieder aufs Kissen zurücksinken. Mit uns steht es wirklich nicht gut, erklärte sie. Ich hörte das Kind im Hintergrund jammern, also die Sache stimmte schon.

ksi , Sund, Säpo, fra , Must – Sicherheitsdienste auf höchstem Niveau – polizeiliche und militärische –, Bergius inspizierte seine Mannen. Mit seiner zuvor nahezu soften Erscheinung war eine sichtliche Veränderung geschehen, ich erkannte ihn nicht wieder. Und auch er erkannte mich nicht wieder, oder er tat nur so. Dass ich sein Zimmer sauber gemacht hatte, war ihm offensichtlich entfallen. Natürlich, ich war jetzt anders gekleidet. Das hier war ein Mann mit Schärfe und Autorität.

Er wirkte missgestimmt, vielleicht meinte er, der Kreis vor ihm sei zahlenmäßig zu gering oder von falscher Art, was wusste denn ich. Mich sah er überhaupt nicht, er hatte die Zusammenkunft eröffnet, ohne sich darum zu kümmern, dass ich noch immer anwesend war.

Alle Teilnehmer waren Männer, relativ junge, außer einer Frau in meinem Alter, die rechts von Bergius saß. Sie schien eine Art Sekretärin zu sein. Vor sich hatte sie einen aufgeklappten Laptop, dessen kaltes Licht ihr Gesicht dämonisch schräg von unten beleuchtete. Sie trug ein etwas unmodernes Kostüm, eine weiße Bluse und große Ohrringe. Das Haar schien nicht gefärbt, aber vermutlich hatte sie eine Dauerwelle. Von den Männern hatte nur Bergius einen Schlips umgebunden, die anderen waren mit Rollkragenpullovern und Sakkos bekleidet. Sie strahlten Selbstsicherheit aus, diese jungen, gut aussehenden Männer. Vermutlich waren sie bestens trainiert und kundig in verschiedenen Verteidigungs- und, warum nicht, Angriffstechniken. Dass diese Truppe während der Konferenz für die Sicherheit zuständig sein sollte, war nicht schwer zu begreifen.

Zunächst haben wir da die Landespolizeipräsidentin, tat Bergius kund. Drohbriefe kommen zwar unablässig und in üblicher Menge, trotzdem aber dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass hier keiner auf die Idee kommt, ihr ein Ding zu verpassen, wenn er erfährt, dass sie hier vorgeführt wird.

Was für eine Sprache! Die Flaschen mit dem Mineralwasser klirrten unter meinen Händen. Herrschte auf höchster Ebene ein solcher Ton?

Besonders eine Gruppe von Gefangenen müssen wir im Auge behalten, fuhr Bergius fort. Dann besteht ja wohl keine Gefahr, äußerte einer der jungen Männer am Tisch, Gefangene sitzen per definitionem doch hinter Schloss und Riegel. Du bist in Schweden, warf ein anderer ein, hier sitzen Gefangene per definitionem selten hinter Schloss und Riegel, dieweil sie aus Ersparnisgründen Fußfesseln tragen oder Hafturlaub haben.

Bergius kommentierte die Einwürfe nicht. Eine Geiselnahme ist vorstellbar, sagte er. Es ist unser Job, mit allem zu rechnen, wirklich mit allem. Wann kommen die Köter?

Heute Abend um zehn, erwiderte einer.

Du kümmerst dich um sie, fuhr Bergius fort. Und ihr beide dort kümmert euch um die Landespolizeipräsidentin, von dem Moment an, wenn sie morgen aus dem Auto steigt, von da an tragen wir die Verantwortung.

Aber die größte Bedrohung liegt meiner Meinung nach in Demonstrationen, ergänzte Bergius. Wir haben Hinweise darauf, dass es zu Problemen mit Aktivisten kommen kann, die noch fünf Minuten vor zwölf die Zwischenlagerung des Atommülls aus anderen Ländern stoppen wollen, obwohl das neue Gesetz auf demokratische Weise durchgesetzt wurde. Also seid darauf vorbereitet. Die örtliche Polizei wird aufgrund dieser Sache ebenfalls in erhöhte Bereitschaft versetzt.

Weshalb demonstrieren sie denn hier?, fragte einer.

Nach deren verquerer Logik ist es die Aufgabe des Verteidigungsministeriums, das Land gegen jegliche Form von Eindringen aus dem Ausland zu verteidigen, erklärte Bergius. Dass Volk und Verteidigung eine Landeskonferenz abhält, bei der ja gegebenermaßen eine große Anzahl von Organisationen vertreten ist, und diese Zusammenkunft vor allem als Kontaktmöglichkeit und Diskussionsforum dienen soll, erhöht nur das Risiko, dass sie auftauchen und sich Gott weiß was einfallen lassen. Ich hoffe, es wird kalt. Das kalte Wetter ist unser Verbündeter, falls es zu Krawallen kommen sollte.

Ich packte, so leise ich konnte, Clementinen und Bananen aus und arrangierte sie hübsch in ein paar Schalen. Ich hatte mir die Zeit genommen, das Hausdamenkleid überzuwerfen, und wirkte wohl in erster Linie wie ein behaglicher Bestandteil der Einrichtung. Ich blickte nervös hinter ein Pult, wo in der Eile ein Berg Spielzeug und Weihnachtskram gelandet war. Die vorhergehenden Stunden waren chaotisch gewesen. Meine Füße fühlten sich an wie gekochte Kohlrüben, und Schultern und Nacken schmerzten nach der vorgebeugten Arbeitshaltung über bestimmt zehn Kloschüsseln sowie dem Schütteln von doppelt so vielen Betten, auf die ich, so kurz geraten, wie ich nun mal war, die Bezüge nicht draufbekam, ohne sie von beiden Seiten durchzuschütteln. Dann hatte ich Jelena zu Hilfe gerufen, um im Clüversaal aufzuräumen, und wir hatten es mit größter Mühe geschafft, alles wegzubringen, Staub zu saugen und Tische und Stühle hinzustellen. Als Bergius aufgetaucht war, hatte ich Jelena weggeschickt, während ich ihm selbst etwas Theater vorspielte: Die Situation sei unter Kontrolle, was ich mit einem Lächeln und einer Begrüßungsgeste unterstrich. Im letzten Moment hatte ich noch ein paar Strichmännchen und alberne Kommentare von der weißen Tafel gewischt, und dann hatte Bergius angefangen. Es blieb nichts anderes übrig als weiterzumachen und so zu tun, als liefe die Sache immer so. Nervös stellte ich Gläser parat und legte Servietten aus.

Und die Verteidigungsministerin, fragte jemand. Die selbstverständlich auch, erwiderte Bergius, sie hat speziellen Schutz, doch ist sie nicht genauso wichtig wie beispielsweise einige ausländische Gäste. Und die Landespolizeipräsidentin.

Die Feminisierung des Politikerstandes verweist nur darauf, dass unsere nationalen Politiker immer mehr an Bedeutung verlieren, sagte jemand mit scharfer Stimme.

Stell dir vor, wenn der Oberkommandierende das nächste Mal eine Sie ist, sagte ein anderer lachend.

Dann begehe ich Harakiri, erwiderte der Erste. Alle lachten, außer der Sekretärin. Ich warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie tat, als wäre sie voll damit beschäftigt, auf ihrem Computer zu schreiben. Bergius schielte auch in ihre Richtung und beendete die Heiterkeit. An unserer Verteidigungsministerin ist nichts auszusetzen, meinte er. Aber was ihre Person angeht, gibt es keine spezielle Bedrohung. Obwohl die Bedrohung in der Luft liegt. Ihr wisst, was ich meine. Die World Trade Center-Katastrophe war der Wendepunkt. Die richtig große Überraschung wartet vielleicht noch irgendwo in den Kulissen. Wir wissen nicht, wie sie aussieht. Wir wissen nicht, was passieren wird. Und wir wissen nicht, wann es geschieht, ob es überhaupt dazu kommt. Oder wo das sein wird. Aber auch wenn es nicht passiert, so beeinträchtigt es unsere wichtigste Ressource, nämlich unsere Köpfe. Es erzeugt eine kollektive Neurose.

Die Frau sah zu ihm auf. Er schaute zurück. Seine Fingerspitzen streichelten wie zufällig ihren Monitor. Sein Blick war sanft, ja voller Zärtlichkeit.

Die Bereitschaft, gegen das unsichtbare Böse tätig zu werden, lässt wie nie zuvor das Private und Gesellschaftliche zu einer unschönen Mixtur verschmelzen, fuhr er nach dieser kurzen Pause fort, wobei die negative Erwartung selbst eine eigene Explosivität erzeugen kann. Wenn ihr versteht, was ich meine.

Es wurde still, vielleicht verstanden sie nicht, was er sagen wollte. Ich tat es jedenfalls nicht, aber dass hier Stifte fehlten, das verstand ich, wir wollten ihnen doch welche spendieren, auch wenn jeder seinen eigenen besaß. Ich musste mich leise entfernen, um herauszufinden, wo ich sie herbekam.

Ich meine Folgendes, fuhr er fort, dort, wo Männer versammelt sind und wo es außerdem Waffen gibt, kann geradezu ein Pulverfass entstehen, das jeder x-beliebige Funke, der mit Macht zu tun hat, anzünden könnte. Ohnmächtige Männer sind ein Sicherheitsrisiko an sich, das ist euch vielleicht noch nicht klar geworden?

Jetzt begriff ich. Er war erstaunlich klug. Seine Mitarbeiter schwiegen, vielleicht verstanden sie noch immer nicht. Die Sekretärin lächelte ihm zu. Er gab das Lächeln zurück. Oder nicht, Mossi, murmelte er leise.

Vor dem Fenster brachten die schräg fallenden Sonnenstrahlen das ganze Fjell zum Erröten. Liliputmenschen glitten mit weichen Schwüngen an seiner Flanke talwärts, und der Lift führte sie wieder nach oben, militärisch geordnet in Zweierreihen. Bald brach der Abend an, mein letzter freier Abend vor der Invasion.

Diskret und ohne das geringste Geräusch verließ ich den Konferenzraum.

Sieh ihnen nicht in die Augen - Ein Schweden-Krimi

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