Читать книгу Baphomet - Akron Frey - Страница 14

Das geschlossene Buch

Оглавление

Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,

ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,

das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht

den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,

und doch gelingt‘s ihm nicht, da es, so viel es strebt,

verhaftet an den Körpern klebt.

Mephisto in Faust I – Erster Teil, Studierzimmer

Dieses Buch ist kein Tarot-Buch im üblichen Sinn. Es behandelt die Tarot-Karten nicht aus der traditionellen esoterischen Sicht, die den Schatten des Lebens und der Seele relativiert, indem dieser auf seinen bloßen Symbolgehalt reduziert wird. Es räumt auch mit dem Aberglauben auf, dass allein schon positive Gedanken oder gut gemeinte Heilungsrituale die Seele des Menschen und das Leben auf der Erde retten können, denn nur bereits die bloße Absicht, die Erde – oder wenigstens die Seele – retten zu wollen, zeugt von ungeheurer schattenhafter Arroganz, solange die Ursache aller polarisierenden und zerstörerischen Handlungen in uns selbst sitzt. Als „Schattentarot“ schlechthin präsentieren Karten und Buch das Panorama einer seelischen und geistigen Unterwelt, die den wahren Schatten im Verdrängen des Schattens – nämlich im „Streben nach Licht“ – erkennbar werden lässt.

Alle Kultivierung der Selbsterfahrung, auf die heute so viel Wert gelegt wird, ist im Grunde überhaupt nicht geeignet, unsere Seelen zu retten. Dadurch können wir allenfalls erkennen, warum wir in die Situation gekommen sind, in der wir uns befinden. Denn der Schatten ist niemals da, wo man ihn erkennt (dort ist ja Licht!), sondern er ist da, wo man ihn verdrängt, ihn in Licht verwandelt und wo man in seinem Zeichen Gutes tut. Deshalb ist dieses Buch nicht für Menschen geschrieben, die nach Wahrheit suchen, ohne sich selbst in Frage zu stellen, oder die sich hinter der Maske des Positiven verbergen. Es ist auch nicht für jene da, die sich wie Süchtige auf die Suche nach Licht begeben, indem sie den bei sich selbst längst überwunden geglaubten Schatten ausschließlich beim anderen suchen – und finden. Die Suche nach dem Licht ist in der Tat wie eine Sucht: Die Droge, die einem dabei im Nacken sitzt, ist der Schatten selbst! Demzufolge richtet sich dieses Buch an Menschen, die zuerst herausfinden wollen, warum man überhaupt die Wahrheit suchen soll, bevor sie die Wahrheit selbst zu finden versuchen.

Was ist das überhaupt: die Wahrheit? Nehmen wir einmal an, die Wahrheit sei das anerzogene Ziel im Menschen, das diesem von seinem sozialen Umfeld aufoktroyiert worden ist. Was macht er nun mit dieser Wahrheit? Er wird sie im außen zu verwirklichen trachten, damit er eine Grundlage hat, auf der er seine Ziele rechtfertigen kann. Im Allgemeinen wird er seiner eigenen Projektion in der Außenwelt so begegnen wollen, dass er daraus seinen Lebenssinn schöpfen kann. Um aber seiner Projektion – einem sehr menschlichen Gebilde – den Rang höherer Erkenntnis einräumen zu können, braucht er schlicht und ergreifend einen guten Aufhänger oder – etwas schmeichelhafter ausgedrückt – ein passendes Modell. Dieses Modell macht er dann zu seiner eigenen Wahrheit. Daher bindet sich der Gläubige an Gott, der Suchende an seinen Meister oder wenigstens an das Credo einer erkannten Wahrheit, der Mathematiker an seine Axiome, der Astrologe an die Schicksalsmacht der Sterne, der Tarot-Experte an die göttliche Vorsehung in seinen Karten, der Atheist an seinen gesunden Zweifel, der Wissende an seine hervorragenden Informationen und der Weise an sein eigenes, untrügliches Erkennen.

Dagegen wäre im Grunde überhaupt nichts einzuwenden, wenn es nur im Bewusstsein der eigenen Projektionen geschähe. Doch sobald sich der Mensch an seine selbst geschaffenen Bilder klammert, anstatt sie zum Ausgangspunkt eines Weges zu machen, der ihn am Ende zu seinen eigenen Ursprüngen zurückführt, beißt sich die Schlange selber in den Schwanz. Deshalb nämlich, weil er nicht merkt, dass alle Lehren doch nur zu einer Selbsterkenntnis führen können: dass niemand einen Schlüssel zum Wissen oder zur höheren Erkenntnis über die kollektiven Prägungen hinaus hat und jeder die Verantwortung für seine Fragen ganz alleine übernehmen muss. Was also ist die Wahrheit über die menschliche Erkenntnis? Die Notwendigkeit, unsere Ziele in unserem eigenen Suchen zu definieren, und nicht die Wahrheit dadurch zu erfahren, indem wir dem Sinn, der Erleuchtung oder wie auch immer das Ziel definiert sein mag, wirklich dort draußen begegnen.

Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, dass wir für die Freiheit, die wir der Natur mit unserem menschlichen Verhalten abgerungen haben, endlich die Verantwortung übernehmen. Versuchen wir die Früchte unserer Taten, wenn wir sie schon nicht lieben können, wenigstens zu akzeptieren, bevor sie uns eines Tages vergiften. Auch den natürlichen Tod wollten wir nicht haben. Wir haben ihn davongejagt aus den Katakomben unserer Vorstellung. Wir haben die Zyklen der Natur aus unserer Nähe verbannt wie einen räudigen Hund, weil wir beständig versuchen, unserer eigenen Wirklichkeit zu entgehen. Mitten ins Herz der Wirklichkeit haben wir ein System gepflanzt, das uns von eben dieser Wirklichkeit jetzt trennt: ein System, das Krankheit mit Versicherungsprämien verdrängt, Schicksale als sozialen Marktwert verplant und den harmonischen Gang der Natur absichtsvoll verhindert. Damit haben wir die Katastrophe selbst vorprogrammiert.

Lernen wir ihr zu begegnen, und lernen wir es auch, zu entdecken, dass niemand wirklich weiß. Weder wissen wir, was das Leben ist, noch was wir selbst sind. Diese Erkenntnis stellt kein Scheitern dar, sondern vielmehr eine geistige Erfüllung. Deshalb brauchen wir keinen Gott, der uns belohnt und bestraft. Wir brauchen keine Gralshüter und auch kein Dogma. Nur jenes lebendige Selbst, das uns entgegenblickt, wenn wir in den Spiegel schauen und welches „Gott“ fühlt. Und gleichzeitig jene Auflösung und Hingabe an das ganze All, wenn wir „Ich“ spüren, jenes Quäntchen Etwas, das sich jedem Zugriff entzieht, uns aber aus den Augen eines jeden Menschen ansieht. Das tragen wir nämlich in uns selbst: die Freiheit der Verantwortung zu uns selbst. Nur die Freiheit – nicht den Weg! Diesen müssen wir uns erst erschließen.

Baphomet

Подняться наверх