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HINTERGRUND – 1991/2008 Vom „Crowley-Tarot“ zum „Schöpfervirus“ 1991-92

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Nach Beendigung des Crowley-Tarots (© 1991 bei Hugendubel, München) fühlte ich mich erleichtert und frustriert: Erleichtert, ein so umfangreiches und gut recherchiertes Werk abgeschlossen zu haben, und unzufrieden, weil es sich, um ein gut verkaufbares Buch bleiben zu können, aus verlegerischen Gründen heraus nicht tief genug mit den Mechanismen der seelischen Abgründe auseinandersetzen durfte. Die ganze esoterisch vermarktete Selbsterkennungs-Schiene erschien mir plötzlich als ein Weg, der weniger zur Auseinandersetzung mit sich selbst als zu einer mehr oder weniger starken Identifikation mit kommerziellen Selbsterkennungs-Modellen führte. Das Schema blieb sich immer gleich: Böses wird verdrängt und auf andere projiziert, der eigene Schatten vor sich selbst versteckt und wo wir nicht dumm genug sind, das Dunkle, Schattenhafte in uns vollkommen zu leugnen, geben wir ihm wenigstens andere Namen. Andererseits konnte es auch kaum im kollektiven Interesse liegen, die letzten Fragen wirklich beantwortet zu bekommen und die Seele zu erlösen, denn ein erlöster Mensch würde kaum „Sinnfindungs-Modelle“ finanzieren, die ihn an sich binden, und damit wäre zumindest die wirtschaftliche Grundlage menschlicher Entwicklung in Frage gestellt.

Irgendwie wurde mir während der Arbeit am Crowley-Tarot auch klar, dass diese ganze Bindung an Modelle (in diesem Fall die Bindung an das Tarot-Modell) im Grunde nichts anderes als ein spirituelles Traumkino war, das sich in seinen eigenen Spiegelbildern bis zur Langeweile erschöpft. Da der Mensch sein Leben immer nur im Guten nachvollziehen will, entspricht das Streben nach Wahrheit dem kindlichen Wunsch, in allem, was er sieht, stets nur die eigenen Wünsche zu erkennen – und das ist nicht Wahrheit, sondern infantiles Wunschdenken. Deshalb fragte ich mich unverblümt, ob es nicht an der Zeit wäre, meinen eigenen Glaubensansatz zu hinterfragen. Mein „Strukturieren von Wissenshäppchen“, spürte ich, entsprach weniger dem Wunsch, Wissen zu erreichen, als vielmehr dem eigenen Unterfangen, das Leben in den Griff zu bekommen und der Flut der Bucherscheinungen meine „eigene Beschreibung“ hinzuzufügen und damit ein bisschen Geld zu verdienen. Irgendwie sagte mir eine innere Stimme, dies sei genau die Position eines jener lächerlichen Autoren, die nur darauf erpicht sind, ihr eigenes Nicht-Verstehen dank der Anerkennung der Leser vor sich selbst auf Distanz zu halten.

Deshalb begann ich mir 1991 Gedanken über einen Tarot zu machen, der ein bisschen tiefer in die Mechanismen der menschlichen Erwartungen eindringt und den Menschen einen Spiegel ihrer unbewussten Bilder und Vorstellungen vorhält. Tarot ist, das war mir klar, eine Landkarte, um die tieferen Seelenlandschaften in uns mit Hilfe von Symbolen von außen zu betrachten. Solange wir uns diesen Modellen nicht ausliefern, also die Landkarte nicht zur Wirklichkeit machen, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Wenn wir aber das Modell zur erkannten Wahrheit machen, liefern wir uns der Gewalt unserer Erwartungen aus; denn da wir die Welt nur so sehen, wie wir sie im Denken erleben, benutzen wir Modelle, die uns von unseren Erwartungen überzeugen. Dieser Mechanismus wiederum zwingt die Autoren, sich innerhalb dieser von den Lesern erwarteten Einschätzungen zu profilieren, damit ein Tarot-Buch erfolgreich sein kann. Alles muss aus der esoterischen Perspektive geschildert werden, die selbst im Negativsten noch „spirituelle“ Ansätze zu erkennen glaubt und schöngefärbte Kommentare zum Besten gibt. Nicht, dass dieses Verhalten ungeschickt wäre, nur die Voraussetzung, diesen im Prinzip kreativen Kunstgriff letztlich dazu zu benutzen, die dunkleren Sphären unserer Instinktwerte, die Teil des Ganzen und damit Teil der menschlichen Entwicklung sind, einfach auszublenden, fiel mir negativ auf. Obwohl wir wissen, dass das kollektive Ungleichgewicht eine Voraussetzung der dynamischen Entwicklung ist, die sich, damit sie sich ständig ausbalancieren kann, stets in einem fluktuierenden „Unruhe-Zustand“ verbleiben muss, damit sich Entwicklung überhaupt vollziehen kann, wehren wir uns ständig gegen diesen „unerlösten“ Zustand, ohne zu merken, dass dieses Wehren ja gerade die Grundlage und damit unser schöpferischer Beitrag zur Weiterentwicklung ist, der, auch wenn wir daran „leiden“, nicht als negativ betrachtet werden darf. Solange wir solche Einsichten aber nicht in die von uns benutzten Modelle einfließen lassen, dürfen wir von ihnen nicht nur keine Wahrheit erwarten, sondern geradezu ein Verdrängen dieser Wahrheit. Denn wenn wir die Erwartungen, die sich selbst nicht durchschauen, in die Modelle mit einbeziehen, dann führen uns die Modelle von der Wahrheit weg. Mit einem Wort: In unseren Modellen spiegeln sich immer nur die blinden Erwartungen ... – diese aber vermitteln uns wiederum die Modelle!

Von solchen kritischen Impulsen durchdrungen, nahm ich meine Gedanken über ein Tarot wieder auf. Wenn sich das Denken, das sich erkennt, in das Modell miteinbezieht, so überlegte ich mir, dann könnte ich das Modell dazu benutzen, um den inneren Sinn zu ertasten, der die Menschen generell zur Errichtung ihrer Sinnfindungsmodelle einlädt. Nicht indem ich die Wahrheit im Buch finde, sondern – ganz im Gegenteil – indem ich sie in mir entdecke, wenn ich mich frage, warum ich sie überhaupt im Buch suchen muss. Wenn ein kritisches Buch solche Überlegungen „ins Licht rücken“ würde, dann müsste doch – so dachte ich mir – der Funke der Inspiration auf den Leser überspringen, so dass er seine eigenen Denk- und Vorstellungsmuster erkennen kann. Die entscheidende Frage, die sich mir stellte, war, wie sich dieses Konzept eines „Schattentarots“ bildlich verwirklichen ließe. Welcher Künstler wäre überhaupt bereit und in der Lage, ein so anspruchsvolles Projekt zu realisieren?

Genau in dieser Zeit fiel mir H. R. Gigers großer Bildband Necronomicon in die Hände, dessen Titelbild ein faszinierendes Monster zeigte: Baphomet, das Symbol der Verbindung von rationaler und irrationaler Welt. Beim Betrachten von Gigers Gesamtwerk fiel mir auf, dass es kaum den Schimmer einer seelischen Aufhellung zu zeigen schien. Jedes Bild verkapselte in sich Verzahnungen menschlichen Leidens in einer geradezu grotesk-selbstquälerischen Perfektion. Diese eruptiven, filigran gestalteten und sehr verschachtelten Visionen verdichteten und überlagerten sich zu einem bizarren Panoptikum von Eros und Thanatos, Traum und Realität, und ich fragte mich, ob er mit seiner Kunst nicht etwas sehr Wichtiges mitzuteilen hatte? Enthüllten all die monströsen und zerfressenen, verkrüppelten und verstümmelten Gestalten angesichts des alltäglichen Grauens nicht Ängste, die sehr real sind? Ängste, die wir nicht zulassen wollen und die deshalb nicht ihre natürliche Aufgabe erfüllen können, nämlich uns mit den Auswirkungen unseres eigenen Handelns zu konfrontieren? Auch wenn viele meinten, Gigers Seele wäre in der Faszination seiner von ihm selbst evozierten Dämonen gefangen, schien er mir alles andere als ein skurriler Anbeter dunkler Kräfte zu sein, der kein Empfinden mehr für die Harmonie, Schönheit und Vollkommenheit der Schöpfung hat. Eher ein Wanderer in den Grenzbereichen menschlicher Erfahrungswelten, der eine direkte Verbindung zum Unbewussten hat und dessen künstlerisches Können es ihm ermöglicht, aus seinen inneren Visionen in Form von Bildern, Skulpturen und Design äußere Realitäten zu schaffen. Mit anderen Worten: ein moderner Aufklärer, der den Finger auf die wunden Stellen unserer Lebensweise legt. Wenn er dies nicht auf klassisch-aufklärerische Art und Weise tat – nämlich mit Hilfe der Logik, der kritischen Vernunft und des rationalen Arguments –, sondern in irrationalen, mystischen Visionen, dann deshalb, weil auch die Bedrohung unserer Welt in ihrem innersten Kern zutiefst irrationale Züge aufweist. Damit reiht er sich nahtlos ein in die Galerie großer Künstler, denen es nicht möglich scheint, sich mit der öffentlich sanktionierten Konstruktion der Wirklichkeit in einem faulen Kompromiss zu arrangieren – denken wir nur an Poe, Baudelaire, Böcklin, Rimbaud, Wilde, Meyrink, Kubin, Lovecraft, Dali, Fellini, Pasolini und viele andere. Diese Menschen sind es, die in inspirierten Augenblicken jene innere Form des Geistes erspüren, dem sich unsere kollektiven Vorstellungen nachbilden. Sie fühlen einen unwiderstehlichen Schöpfungsimpuls in sich, der sie aus den alltäglichen Empfindungsmustern herausreißt und sie in jenes Panorama innerer Bilder versetzt, aus dem heraus sie dank ihrer besonderen Fähigkeiten das schaffen, was wir große Kunst nennen.

Von diesem Moment an war es mir klar: Giger – und kein anderer musste der Schöpfer dieses Werkes sein. An Auswahlmöglichkeiten für einen künstlerischen und esoterisch gleichermaßen gehaltvollen Tarotzyklus bestand wahrhaftig kein Mangel. Viele seiner Gemälde erschienen in ihrer archetypischen, symbolreichen Bildsprache geradezu prädestiniert dafür. Wir kamen ins Gespräch miteinander, und nach einem ersten gegenseitigen Beschnuppern fassten wir den Entschluss, aus seinem Gesamtwerk 22 Bilder auszuwählen und diese im Sinne einer Unterweltreise gedanklich miteinander zu vernetzen. Nur das Bild für die Karte VIII Die Kraft gestaltete er neu. So wuchs in den nächsten beiden Jahren dann so etwas wie eine gedankliche Symbiose meines alle gesellschaftlichen Werte hinterfragenden Konzepts und seiner Kunst heran. Da es sich bei seinen Bildern um eigenständige Zeitdokumente handelt, eine Hommage an den Tarot als eine Quelle seiner eigener spirituellen Inspiration, bestand eine andere Beziehung zwischen Karten und Philosophie als sonst üblich. Die Karten wurden nicht im üblichen Sinne „erklärt“, sondern ihre Bedeutung kristallisierte sich in einer Art „Modern Talk“ zwischen dem philosophischen Infragestellen kollektiver Inhalte und der schöpferischen Bebilderung kreativer Tiefenängste heraus. Die Erklärungen wurden also gleichsam in das ausgewählte Bildmaterial „hineinmythologisiert“, um die alchimistische Symbiose zwischen beidem zu ermöglichen. Darüber hinaus schuf er auf meinen Wunsch noch eigens 22 Zeichnungen, die als lllustrationszyklus zum Orakel der Unterwelt erstmals veröffentlicht wurden, denn ich wollte seiner Kunst am Ende jeder Karte ein „literarisches“ Gegenstück zur Seite stellen, das die Motiv- und Symbolverschachtelungen der Bilder mit sprachlichen Mitteln nachvollzieht. Um die orakelnde Wirkung zu steigern und einen alttestamentarisch-prophetischen, hymnusartigen Ton zu erreichen, hielt ich es für eine gute Idee, eine große Anzahl von betonten Silben pro Zeile zu verwenden, um einen schwingenden, schreitenden Rhythmus, eine Art gesteigerter Prosa zu erzielen, die jedem Wort erhabene Bedeutung beimaß. Im assoziativen Empfinden des Lesers sollte sich eine „kombinatorische Inspiration“ entzünden, die jenseits der semantischen Ebene aus der Sprache ihr Feuer empfing – ein Vorgang, der mir aus späterer Sicht weit weniger gefiel. Das Werk wurde unter dem Titel Baphomet – Tarot der Unterwelt als Set mit 500seitigem Buch, Karten und Poster 1992 bei Urania publiziert.

Baphomet

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