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a) Zerlegung und Komposition von Sätzen

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Während diese Annahme zum ontologischen Status von Gedanken für Frege spezifisch ist, ist die nachfolgend erläuterte Zerlegung von Sätzen paradigmatisch für die gesamte Philosophie der idealen Sprache und der Ausgangspunkt der modernen Semantik. Ein Satz kann genauso wie eine mathematische Angabe in Argument- und Funktionsausdruck bzw. bei einfachen Aussagen in Eigenname und Begriffswort zerlegt werden.

Funktionsausdruck und Argumentausdruck

In der Mathematik ist es üblich, den Zahlausdruck „32“ in den Funktionsausdruck „( )2“ und den Argumentausdruck „3“ zu zerlegen. Der Funktionsausdruck bezeichnet die Funktion des Quadrierens, und der Argumentausdruck bezeichnet ein Argument, nämlich die Zahl 3. Diese Funktion hat als Funktionswert die Zahl 9. Das wesentliche Merkmal eines Funktionsausdrucks ist seine Unvollständigkeit bzw. Ergänzungsbedürftigkeit, welche durch die Klammer in dem Ausdruck symbolisiert wird. Ein Funktionsausdruck bildet erst zusammen mit einem Argumentausdruck ein vollständiges Ganzes. Im Gegensatz dazu benötigt ein Argumentausdruck keine Ergänzung. Frege nennt deshalb einen Funktionsausdruck sowie die von ihm bezeichnete Funktion „ungesättigt“ und einen Argumentausdruck sowie das von ihm bezeichnete Argument „gesättigt“ (Frege 1891/1986). Betrachten wir nun nicht nur einen mathematischen Ausdruck, sondern insbesondere eine mathematische Behauptung, nämlich „22 = 1“, um dann deren Struktur auf natürlichsprachliche Behauptungen zu übertragen. Eine (von mehreren) Möglichkeiten, diesen Satz zu zerlegen, ist die folgende: Der Ausdruck „22 = 1“ besteht aus dem Funktionsausdruck „( )2 = 1“ und dem Argumentausdruck „2“. (Dabei ist dies nur eine vorläufige Zerlegung). Bei Einsetzung der Argumente -1, 0, 1 und 2 ergibt diese Funktion die folgenden Gleichungen: –12 = 1; 02 = 1; 12 = 1 und 22 = 1. Jeder durch die Einsetzung eines Arguments gewonnenen Gleichung wird ein Wahrheitswert zugeordnet. Die erste und die dritte Gleichung sind wahr, die zweite und die vierte falsch. Mathematisch ergibt sich also das folgende Bild: Jeder Funktionsausdruck liefert, wenn er mit einem Argumentausdruck gesättigt wird, einen Wert. Wenn eine Gleichung diesen Wert korrekt angibt, dann wird der Gleichung selbst der Wert „das Wahre“ zugeordnet, wenn nicht, „das Falsche“. Übertragen auf die Sprache nennt Frege einen Funktionsausdruck eines Behauptungssatzes „Begriffswort“ und einen Argumentausdruck, sofern er ein Einzelding bezeichnet, einen „Eigennamen“. In der systematischen Sprachphilosophie sprechen wir von Prädikaten einerseits und von Gegenstandsbezeichnung bzw. singulären Termen andererseits. Betrachten wir nun einen Satz der natürlichen Sprache. Der Satz „Brutus tötete Caesar“ kann in den Eigennamen „Brutus“ und das Begriffswort „( ) tötete Caesar“, in den Eigennamen „Caesar“ und das Begriffswort „Brutus tötete ( )“ oder in die Eigennamen „Brutus“ und „Caesar“ sowie das zweistellige Begriffswort „( ) tötete ( )“ zerlegt werden. Die Zerlegung eines Satzes ist abhängig von unserer Wahl des variablen, ersetzbaren Satzbestandteils und damit nicht eindeutig. Dabei ist die Bedeutung eines Eigennamens der bezeichnete Gegenstand und die eines Begriffswortes der bezeichnete Begriff. Es bleibt bei Frege systematisch unklar, was genau ein Begriff ist. Erst Carnap entwickelt einen klaren Vorschlag für ein Verständnis von Begriffen als Bedeutungen von Begriffswörtern (siehe Kapitel 1.2). Doch für die Zwecke der Darstellung der Grundideen von Freges Theorie genügt das intuitive Erfassen der Idee, dass ein Begriff das ist, was wir üblicherweise als die Bedeutung eines Prädikats auffassen. Es stellt sich dann die Frage, was die Bedeutung eines ganzen Satzes ist. Dafür gibt es zwei Kandidaten, nämlich den vom Satz ausgedrückten Gedanken und den Wahrheitswert des Satzes. Die Entscheidung für einen der beiden Kandidaten fällt Frege auf der Basis von drei allgemeinen Prinzipien, die in der einen oder anderen Form in jede Sprachphilosophie Eingang gefunden haben.

Kompositionalitäts- und Substitutionsprinzip

(1) Das erste ist das Kompositionalitätsprinzip für Bedeutung: Die Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich aus den Bedeutungen seiner Bestandteile und der Art der Zusammensetzung. Dieses Prinzip wird allgemein vorausgesetzt, um die Satzbildungsmöglichkeiten in der Sprache zu erklären, nämlich die Möglichkeit, unendlich viele Sätze aus einem endlichen Vokabular und damit auch neue Sätze bilden und verstehen zu können.

(2) Das zweite ist das Substitutionsprinzip für Bedeutung: Wenn in einem komplexen sprachlichen Ausdruck ein Bestandteil durch einen bedeutungsgleichen ersetzt wird, so bleibt die Bedeutung des komplexen sprachlichen Ausdrucks erhalten. Dies ist kein neues Prinzip, sondern nur eine Anwendung des Kompositionalitätsprinzips; denn da die Bedeutung eines Satzes durch die Bedeutungen der Satzbestandteile festgelegt wird und diese durch die Substitution eines bedeutungsgleichen Ausdrucks nicht verändert wird, so ist klar, dass die Bedeutung des Satzes erhalten bleiben muss.

Gedankenverschiedenheit

(3) Das dritte Prinzip ist ein (hinreichendes) Kriterium für Gedankenverschiedenheit: Zwei Sätze s1 und s2 drücken verschiedene Gedanken G1 und G2 aus, wenn eine vernünftige und sprachkompetente Person zugleich G1 für wahr und G2 für falsch halten kann bzw. umgekehrt.

Wenn diese Prinzipien nicht verletzt werden sollen, dann muss die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert und nicht der durch ihn ausgedrückte Gedanke sein. Dies wird deutlich, wenn man unter der Annahme, dass die Bedeutung eines Satzes der ausgedrückte Gedanke ist, eine Substitution zweier bedeutungsgleicher Ausdrücke durchführt. Da „Mark Twain“ und „Samuel Clemens“ dieselbe Person bezeichnen, sind dies bedeutungsgleiche Eigennamen. Wenn wir in dem Satz „Mark Twain ist ein berühmter Schriftsteller“ eine Substitution des Eigennamens vornehmen, so ergibt sich der Satz „Samuel Clemens ist ein berühmter Schriftsteller“. Gemäß Substitutionsprinzip müssen die beiden Sätze dieselbe Bedeutung haben. Aber sie drücken gemäß des Kriteriums für Gedankenverschiedenheit nicht denselben Gedanken aus, denn jemand könnte den Gedanken, dass Mark Twain ein berühmter Schriftsteller ist, für wahr und zugleich den Gedanken, dass Samuel Clemens ein berühmter Schriftsteller ist, für falsch halten; z.B. deshalb, weil er den bürgerlichen Namen des bekannten Autors Mark Twain noch nie gehört hat. Da die von den beiden Sätzen ausgedrückten Gedanken verschieden sind, die Bedeutung aber gemäß Substitutionsprinzip dieselbe ist, kann der Gedanke nicht die Bedeutung eines Satzes sein. Es bleibt also der Wahrheitswert als Kandidat für die Bedeutung eines Satzes. Dieser Kandidat bewährt sich mit Blick auf das obige Beispiel, denn die beiden Sätze haben denselben Wahrheitswert: Weil die Eigennamen denselben Gegenstand bzw. dieselbe Person bezeichnen, sind es dieselben Umstände, die die beiden Sätze wahr bzw. falsch machen.

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