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a) Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Sinn und Bedeutung
ОглавлениеSinn und Bedeutung
Freges primäres Interesse gilt einer klaren Darstellung wissenschaftlicher Gedanken. Aus diesem Grunde genügt es ihm nicht, bei Sätzen nur ihre Bedeutung, d.h. ihren Wahrheitswert zu unterscheiden, denn damit würden die Gedanken nur in zwei Klassen geteilt, die wahren und die falschen. Da die Wissenschaft jedoch den wahren Gedanken, dass die Erde eine Kugel ist, von dem ebenfalls wahren Gedanken, dass die Sonne ein großer Heliumkörper ist, unterscheiden können muss, ist es notwendig, neben der Bedeutung eine weitere Ebene einzuführen: den Sinn des Satzes. Mit dem Sinn eines Satzes soll der Inhalt des Satzes erfasst werden oder, in Freges Worten, der Gedanke. Der Sinn eines Satzes ist der durch ihn ausgedrückte Gedanke. Ein Satz hat somit als Sinn den ausgedrückten Gedanken und als Bedeutung seinen Wahrheitswert. Schauen wir uns dies nun genauer an:
Für die Bestandteile des Satzes – wir beschränken uns nach wie vor auf einfache Behauptungssätze – ist ebenfalls eine Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung erforderlich. Die Notwendigkeit wird ersichtlich, wenn wir informative und nichtinformative Identitätsaussagen einander gegenüberstellen. Eine Variante des klassischen Frege-Beispiels (Frege 1892) sind die folgenden Sätze:
(1) Der Morgenstern ist identisch mit dem Morgenstern.
(2) Der Abendstern ist identisch mit dem Morgenstern.
Da in Satz (2) im Vergleich zu Satz (1) nur ein Vorkommnis des Eigennamens „der Morgenstern“ durch den bedeutungsgleichen Eigennamen „der Abendstern“ ersetzt wurde, haben die beiden Sätze gemäß dem Substitutionsprinzip dieselbe Bedeutung. Ihre Bedeutung ist der Wahrheitswert „das Wahre“, denn es ist der Fall, dass der Planet Venus, auf den sich beide Eigennamen beziehen, in der Relation der Identität zu sich selbst steht. Bezüglich ihres Informationsgehalts unterscheiden sie sich jedoch: Der Satz (1) ist uninformativ (wer ihn versteht, weiß damit bereits, dass er wahr ist), der Satz (2) dagegen ist informativ. Daher drücken die beiden Sätze unterschiedliche Gedanken aus. Da der Unterschied der beiden Sätze jedoch allein durch die Substitution bedeutungsgleicher Eigennamen entstanden ist, muss die Ersetzung die Ursache für die Verschiedenheit der Gedanken sein. Die Eigennamen müssen also einen Beitrag zum Sinn des Satzes liefern, der über ihre Bedeutung hinausgeht, denn diese ist dieselbe. Die Eigennamen „der Morgenstern“ und „der Abendstern“ bezeichnen denselben Gegenstand, aber sie unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie den Gegenstand bezeichnen. Der Eigenname „der Morgenstern“ bezeichnet die Venus als den Planeten, der am Morgen als letzter untergeht, während der Eigenname „der Abendstern“ die Venus als den Planeten bezeichnet, der am Abend als erster aufgeht. Demgemäß erläutert Frege den Sinn eines Eigennamens allgemein als die Art des Gegebenseins eines Gegenstandes. Der Sinn eines Eigennamens kann durch eine entsprechende Kennzeichnung „der/die/das F“ ausgedrückt werden, wobei F eine beliebige Eigenschaft ist, die auf den Träger des Namens zutrifft. Betrachten wir ein anderes Beispiel: Wenn der Punkt z als Schnittpunkt der Geraden a, b und c festgelegt ist, so kann der Punkt z auf verschiedene Arten gegeben sein, z.B. als der Schnittpunkt der Geraden a und b, als der Schnittpunkt der Geraden a und c, als der Schnittpunkt der Geraden b und c.
Die Art des Gegebenseins
Indem Frege den Sinn eines Eigennamens als die Art des Gegebenseins des Gegenstandes festlegt, kann er erläutern, warum die Aussage (2) informativ ist; denn in dieser wird der Gedanke ausgedrückt, dass der Planet, der am Abendhimmel als erster erscheint, derselbe ist wie der Planet, der am Morgenhimmel als letzter verschwindet. Den Sinn führt Frege nicht nur für Eigennamen und Sätze, sondern auch für Begriffsworte ein, und zwar analog als Art des Gegebenseins von Begriffen. Dies erläutern wir hier jedoch nicht näher. In einer Übersicht wollen wir den gewöhnlichen Sinn und die gewöhnliche Bedeutung der verschiedenen Ausdrücke vor Augen führen, wobei das Merkmal „gewöhnlich“ hervorhebt, dass es nur um einfache Behauptungssätze geht:
Der Sinn eines komplexen Ausdrucks
Für die Ebene des Sinns gelten ebenso wie für die Ebene der Bedeutung analoge Prinzipien der Komposition und Substitution.
(1) Kompositionalitätsprinzip für Sinn: Der Sinn eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich aus den Sinnen seiner Bestandteile und deren Anordnung.
(2) Substitutionsprinzip für Sinn: Wenn in einem komplexen sprachlichen Ausdruck ein Bestandteil durch einen sinngleichen ersetzt wird, so bleibt der Sinn des komplexen sprachlichen Ausdrucks erhalten.
Da das dritte Prinzip, das Kriterium für Gedankenverschiedenheit, ohnehin für Gedanken – also die Ebene des Sinns – formuliert ist, erübrigt sich eine entsprechende Transformation. Bei der adäquaten Erfassung und Darstellung einer wissenschaftlichen Erkenntnis muss nicht nur der erfasste Gedanke, sondern auch sein Wahrheitswert ausgewiesen werden, denn eine wissenschaftliche Erkenntnis ist das Ergebnis eines Urteilens, welches nicht nur in dem Fassen eines Gedankens, sondern auch in dem Anerkennen der Wahrheit eines Gedankens besteht: „Es kann uns also niemals auf die Bedeutung eines Satzes allein ankommen; aber auch der bloße Gedanke gibt keine Erkenntnis, sondern erst der Gedanke zusammen mit seiner Bedeutung, d.h. seinem Wahrheitswert. Urteilen kann als das Fortschreiten von einem Gedanken zu seinem Wahrheitswert gefaßt werden.“ (Frege 1892, 50)