Читать книгу Einführung in die Sprachphilosophie - Albert Newen - Страница 9
Einleitung
ОглавлениеÜberblick
In dieser Einleitung finden Sie eine Übersicht über die Grundlinien sowie den Aufbau des Buches, welches aus drei Teilen besteht: In Teil 1 werden die grundlegenden Ansätze für Bedeutungstheorien ausgehend von der Dichotomonie von Philosophie der idealen Sprache und Philosophie der normalen Sprache vorgestellt. In Teil 2 werden dann die Bedeutungstheorien singulärer Terme ausführlich diskutiert, die lange im Fokus der Sprachphilosophie standen. Schließlich werden in Teil 3 die wichtigsten Anwendungsfelder der Sprachphilosophie präsentiert. Dazu gehören die Verbindung von Bedeutungstheorien mit der Theorie des Geistes, der Erkenntnistheorie, der Ontologie sowie der Ethik. Abschließend werden wichtige Verzweigungen der Sprachphilosophie skizziert.
Die Leitfrage der Sprachphilosophie lautet: „Was ist die Bedeutung von akustischen Zeichen oder Schriftzeichen?“ Aus systematischer Sicht lassen sich vier Grundströmungen zur Beantwortung der Frage unterscheiden, nämlich subjektivistische, realistische, konventionalistische und interpretative Bedeutungstheorien.
Subjektivistische Bedeutungstheorien sehen die Bedeutung von Zeichen in mentalen Zuständen eines Subjekts. Z.B. lautet die Standardantwort des neuzeitlichen Empirismus im Anschluss an John Locke (1632–1704), dass die Bedeutung eines Zeichens die Vorstellung eines Menschen ist, die dieser damit verbindet. In einer neueren Entwicklung sind wichtige subjektivistische Theorien solche, die Absichten des Sprechers (Sprecherintentionen) als konstitutiv für die Bedeutung eines Zeichens betrachten. Zu einer zweiten Entwicklung gehören kognitive Theorien der Bedeutung mit der Grundidee, dass alle von einem Subjekt mit einem Ausdruck assoziierten Erfahrungen zur Bedeutung des Ausdrucks gehören. Subjektivistische Theorien können allerdings dem Phänomen, dass alle sprachkompetenten Hörer dieselbe Bedeutung erfassen, wenn sie einen Satz hören, nur schwer Rechnung tragen, und erfolgreiche Kommunikation stützt sich wesentlich auf die gemeinsam erfassten Bedeutungen von Zeichen. Was aber konstituiert die gemeinsamen Bedeutungen, wenn die Bedeutungen wesentlich subjektive Zustände einer Person sind, die demgemäß von Person zu Person stark variieren können? Wie kommt überhaupt eine stabile, geteilte Bedeutung eines Zeichens zustande? Wie kann es einen ernst zu nehmenden Streit um objektive Wahrheiten geben, wenn jede Satzäußerung als Bedeutung einen subjektiven Gehalt hat?
Diese und ähnliche Herausforderungen sind ein zentrales Motiv den subjektivistischen Theorien realistische Bedeutungstheorien entgegen zu setzen. In den frühen Ansätzen behaupten diese Bedeutungstheorien, dass die Bedeutung sprachlicher Zeichen Objekte, Eigenschaften oder Sachverhalte in der Welt sind. Die realistischen Bedeutungstheorien haben sich dann vor allem zu einer Semantik der Wahrheitsbedingungen entwickelt, der gemäß die Bedeutung eines Satzes durch die Bedingungen angegeben werden kann, unter denen der Satz wahr ist. Schwierigkeiten realistischer Ansätze sind Phänomene wie leere Namen, also Namen für nichtexistierende Objekte wie „Sherlock Holmes“, „Pegasus“, „Zeus“ etc. Allgemein kann man sagen, dass das Problem der realistischen Bedeutungstheorien darin besteht, dass wir über Vieles reden, das nicht real ist und auch nicht als eine Menge von realen Objekten betrachtet werden kann. Vielmehr scheint hier wieder die Intuition stark zu werden, dass wir doch oft bloß über unsere Vorstellungswelt sprechen und dass auch einfache Zeichen die Rolle übernehmen können, Nicht-Existierendes klar vor Augen zu führen. Als eine weitere Kernposition haben sich konventionalistische Bedeutungstheorien entwickelt mit der These, dass die Bedeutung sprachlicher Zeichen durch die Gebrauchsweisen, d.h. durch die Konventionen angegeben werden kann, die mit den Zeichen verknüpft sind. Da Konventionen der Zeichenverwendung und -verknüpfung notorisch unscharf und zudem für viele originäre Zeichenverknüpfungen gar nicht vorliegen, besteht eine wesentliche Herausforderung für konventionalistische Theorien in den Beobachtungen, dass viele Worte scharfe Bedeutungen haben und dass originäre und spontan gebildete Wortverknüpfungen, für die keine Konvention etabliert ist, ebenfalls eine stabile Bedeutung haben.
Schließlich lassen sich als ein eigenständiger Zweig noch die interpretativen Bedeutungstheorien auszeichnen. Die Bedeutung von Zeichen wird demgemäß durch den wohlwollenden Interpretationsprozess eines Zuhörers festgelegt. Dieser Ansatz hat Schwierigkeiten mit dem Phänomen, dass Zeichen auch in nichtkommunikativen Verwendungssituationen eine Bedeutung haben, insbesondere auch dann, wenn es keinen vom Sprecher verschiedenen Interpreten gibt. In solchen Fällen wird die Intuition stark, dass es doch die Sprecherintention oder aber eine etablierte Konvention sei, die die Bedeutung bestimmt.
In Teil 1 des Buches werden wir diese systematischen Ansätze nacheinander diskutieren. Der historischen Entwicklung der Sprachphilosophie wird dabei Rechnung getragen. Außerdem werden sich manche Ansätze als Mischformen erweisen. Wir beginnen zunächst mit der Philosophie der idealen Sprache als einer Grundströmung von realistischen Bedeutungstheorien, bevor die Gegenbewegung der Philosophie der normalen Sprache zum Zug kommt, mit der die konventionalistische Theorie in den Vordergrund rückt. Beide Richtungen in der Bedeutungstheorie sind unterschiedliche Antworten auf den unbefriedigenden Subjektivismus, der seit Locke die weithin akzeptierte Bedeutungstheorie darstellte. Trotz aller Gegensätzlichkeit sind sie sich darin einig, dass es ein Fehlgriff von Locke war, dem mentalen Zustand eines Individuums eine zentrale Rolle für die Bedeutung von Äußerungen beizumessen: Der semantische Realismus, getragen von Gottlob Frege (1848–1925), Bertrand Russell (1872–1970), dem frühen Ludwig Wittgenstein (1889–1951) und Rudolf Carnap (1891–1970), wendete sich von dem Lockeschen Subjektivismus ab, um Bedeutungsinhalte, die mehrere Personen erfassen, erläutern zu können, und zwar mittels geteilter objektiver Entitäten, seien es Gedanken, Sachverhalte oder Wahrheitsbedingungen (Kapitel 1). Die konventionalistischen Bedeutungstheorien grenzten ebenfalls die mentalen Zustände eines Individuums aus den Bedeutungstheorien aus, allerdings wurden nun die Gepflogenheiten einer Sprachgemeinschaft an deren Stelle gesetzt. Sie entwickelten sich ausgehend vom späten Wittgenstein und mündeten über: John L. Austin (1911–1960) und John Searle (*1932) in eine systematische Sprechakttheorie sowie in eine Theorie der rationalen Verständigung bei Herbert Paul Grice (1913–1988) (Kapitel 2). Eine den konventionalistischen Theorien nah verwandte Strömung ist der Inferentialismus Robert Brandoms (*1950), der zu den jüngsten Entwicklungen in der Sprachphilosophie zählt. Wir stellen Brandom erst im Rahmen der neueren Entwicklungen vor (siehe Teil 3, Kapitel 13.2).
Die Bedeutungstheorie Donald Davidsons (1917–2003) ist ein typisches Beispiel für eine Mischform hinsichtlich der vier Grundformen: Zum einen greift er von Alfred Tarski (1901–1983) die Idee einer Definition des Wahrheitsbegriffs für formale Sprachen auf, um darauf aufbauend die realistische Bedeutungstheorie der Wahrheitsbedingungen weiter zu entwickeln. Zum anderen ist es Davidson wichtig, dass eine Äußerung nur dadurch eine Bedeutung hat, dass ein Interpret diese Äußerung auf eine bestimmte Weise deutet. Dadurch wird Davidson zugleich ein Vertreter einer realistischen und einer interpretativen Bedeutungstheorie (Kapitel 3).
Schließlich untersuchen wir eine Grundfrage der allgemeinen Bedeutungstheorie, die für alle vorgestellten Bedeutungstheorien gestellt werden kann, nämlich ob Bedeutungen von Äußerungen natürliche oder nichtnatürliche Eigenschaften (bzw. Entitäten) sind: Lassen sich Bedeutungen von Äußerungen auf natürliche Entitäten reduzieren (Kapitel 4)? Willard Van Orman Quine (1908–2000) entwickelte ein systematisches Projekt der Naturalisierung von Bedeutung. Er war der Meinung, dass sich die Bedeutung auf sensorische Reizzustände sowie damit einhergehende Verhaltensdispositionen eines Subjekts zurückführen lässt. Zugleich vertrat er jedoch auch eine interpretative Bedeutungstheorie, die die Interpretation von Äußerungen durch einen „radikalen Interpreten“ betont. Quine vertritt somit ebenfalls eine Mischtheorie.
Eine ganz andere Version einer rückführenden Bedeutungstheorie findet sich bei Grice, der eine neue Variante einer subjektivistischen Bedeutungstheorie – gegen die realistischen und konventionalistischen Theorien – entwickelte: Grice vertritt die These, dass mehrere Sprecherabsichten teils von hoher Komplexität bei einer sinnvollen sprachlichen Äußerung vorausgesetzt werden dürfen und müssen. Zugleich vertrat er als Hintergrundtheorie die Annahme, dass diese Sprecherintentionen als mentale Zustände des Sprechers letztlich natürliche Zustände seien und damit die Bedeutung aller sprachlichen Äußerungen adäquat charakterisiert werden kann.
Nachdem wir im ersten Teil die Grundansätze in der Bedeutungstheorie sowie konkrete Mischformen vorgestellt haben, wenden wir uns in Teil 2 einfachen Sätze wie z.B. „Sokrates ist ein Philosoph“ zu, und zwar genauer den kleinsten Bedeutungseinheiten solcher Sätze, in diesem Fall dem singulären Term „Sokrates“ und dem Prädikat „ist ein Philosoph“. Die Linguistik beschäftigt sich zwar mit noch kleineren Einheiten (Morphemen), die wir philosophisch jedoch nicht in den Blick nehmen. Im Rahmen dieser Einführung haben wir zudem die Entscheidung gefällt, die Diskussion von Prädikaten auszulagern und nur kurz einzuführen (siehe Teil 3, Kapitel 13.1), um so die Theorien zu singulären Termen ausführlich vorstellen zu können. Singuläre Terme sind Gegenstandsbezeichnungen. Dazu zählen Eigennamen wie „Aristoteles“, Kennzeichnungen wie „die Königin von England“ (d.h. Gegenstandsbezeichnungen mit der allgemeinen Form der/die/das F, wobei ‚F‘ ein Prädikat ist) sowie Indikatoren wie „ich“, „dies“, „heute“, „er“ (d.h. Pronomina aller Art sowie weitere kontextabhängige Ausdrücke). Der zweite Teil ist so aufgebaut, dass zunächst ganz allgemein Adäquatheitsbedingungen für eine Bedeutungstheorie singulärer Terme aufgezeigt werden, die sich daraus ergeben, dass eine Äußerung auf unterschiedliche Weise benutzt werden kann:
Beachte
1. Eine Äußerung kann mitteilen, welcher Sachverhalt in der Welt besteht, wenn die Äußerung wahr ist.
2. Eine Äußerung kann uns auch bloß den Inhalt vermitteln, den jeder kompetente Sprecher allein aufgrund von Sprachkompetenz und unabhängig von jeder weiteren Berücksichtigung des konkreten Äußerungskontextes erfasst.
3. Schließlich kann eine Äußerung verwendet werden, um einen mentalen Zustand des Sprechers auszudrücken (Kapitel 5).
Aus diesen Verwendungsweisen ergeben sich drei Adäquatheitsbedingungen (Sachverhalts-, Wissens- und kognitive Adäquatheit), die die Hintergrundbedingungen für die Diskussion von Kennzeichnungen (Kapitel 6), Namen (Kapitel 7) und Indikatoren (Kapitel 8) bilden. Dabei zeigt sich, dass die Adäquatheitsbedingungen in ein Dilemma führen, weil sie manchmal inkompatible Anforderungen stellen.
Die Diskussion der Bedeutungstheorien singulärer Terme im zweiten Teil wird neben den Adäquatheitsbedingungen durch eine klare Abgrenzung von zwei Leitfragen strukturiert:
Beachte
1. Wie wird das Referenzobjekt eines Vorkommnisses eines singulären Terms festgelegt?
2. Was ist die Standardbedeutung eines singulären Terms? Damit ist gemeint: Was ist der inhaltliche Beitrag eines singulären Terms zum Gedankeninhalt, der mit einem Satz ausgedrückt wird, in dem der Term vorkommt?
Die beiden Fragen bekommen bei neueren Theorien unterschiedliche Antworten.
In Teil 3 der Einführung stellen wir verschiedene Anwendungsfelder oder Verzweigungen der Sprachphilosophie vor. Beim Zusammenhang von Sprache und Geist geht es um die These in der Philosophie des Geistes, dass mentale Zustände eines Menschen von der Umwelt und von der Sprachgemeinschaft abhängig sind (Kapitel 9). Diese These bildet auch den Hintergrund für die erkenntnistheoretische Diskussion des Gedankenexperiments „Gehirne im Tank“, das von Hilary Putnam (1926–2016) verwendet wird, um zu zeigen, dass wir vielleicht einem radikalen Skeptizismus trotzen können, wenn die These von der Umweltabhängigkeit von Gedankeninhalten richtig ist (Kapitel 10). Die Sprachphilosophie bildet zudem eine wesentliche Schnittmenge mit der Ontologie, das ist die Disziplin, die die Frage beantworten soll, was es gibt und was nicht existiert. Hier wird Quines Diktum „Sein heißt Wert einer Variablen sein“ erläutert und zugleich in den Kontext seiner Thesen von einer ontologischen Relativität gestellt (Kapitel 11). Ein letztes großes Anwendungsfeld stellt der Bereich der Moralphilosophie dar. Dabei geht es um die Frage, was die Bedeutung moralischer Aussagen ist. Die Bedeutungsfrage ist eine metaethische Frage, über die man Klarheit braucht, ehe man sinnvoll fragen kann, ob eine moralische Aussage gerechtfertigt ist oder nicht (Kapitel 12).
Abschließend werden einige Weiterentwicklungen oder Verzweigungen vorgestellt, die ausführlich zu besprechen den Rahmen der Einführung sprengen würde (Kapitel 13). Dazu gehören 1. die Diskussion der Bedeutung von Prädikaten als einem zentralen Zweig der modernen Sprachphilosophie sowie 2. Brandoms Inferentialismus als eine neuere grundlegende Bedeutungstheorie, die in den groben Rahmen konventionalistischer Bedeutungstheorien gehört, weil sie inferentielle Beziehungen zwischen Sätzen als etablierte Konventionen betrachtet. 3. Außerdem diskutieren wir kurz die neue Entwicklung der kognitiven Theorien der Bedeutung. 4. Abschließend weisen wir auf die Beziehung zwischen Sprachphilosophie und Linguistik hin, die für die wahrheitsfunktionale Semantik sehr eng ist.
Unser Ziel ist es, Ihnen einen raschen Einstieg in die Sprachphilosophie sowie einen ersten Überblick über ihre modernen Diskussionsstränge zu geben. Wir hoffen, dass dies nicht nur in einer fachgerechten, sondern zugleich in einer ansprechenden Weise gelungen ist.