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a) Sinn und Bedeutung in gerader und ungerader Rede

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Gerade Rede bzw. Anführungen

Die Theorie von Sinn und Bedeutung hat Frege nicht nur für einfache, sondern auch für komplexere Behauptungssätze ausgebaut. Als komplex werden dabei nicht besonders lange Behauptungssätze bezeichnet, sondern solche in besonderen Verwendungsweisen. Frege unterscheidet die „gerade“ und die „ungerade“ Rede als zwei spezielle Verwendungskontexte. Ein Satz wird in gerader Rede verwendet, wenn man ihn erwähnt und nicht gebraucht. Dies machen wir in der Schriftsprache durch Anführungszeichen kenntlich. Was ist die Bedeutung eines Satzes, der erwähnt und nicht gebraucht wird? Wenn die Bedeutung eines eingebetteten Satzes in Anführungszeichen wie in der gewöhnlichen Rede der Wahrheitswert des Satzes wäre, so müsste der eingebettete Satz gemäß dem Substitutionsprinzip durch einen beliebigen Satz mit demselben Wahrheitswert ersetzbar sein, ohne dass sich der Wahrheitswert des Gesamtsatzes ändern dürfte. Diese Annahme wird jedoch durch das nachfolgende Beispiel als falsch erwiesen:

(1) „Die Erde ist rund“ besteht aus vierzehn Buchstaben. (wahr)

(2) „Der Mond ist kleiner als die Erde“ besteht aus vierzehn Buchstaben. (falsch)

Der Satz (2) geht aus dem Satz (1) durch die Substitution eines bedeutungsgleichen Ausdrucks hervor, denn die beiden erwähnten Sätze sind wahr. Trotzdem sind die Wahrheitswerte der Gesamtsätze verschieden, denn Satz (1) ist wahr, Satz (2) dagegen falsch. Da das Substitutionsprinzip verletzt wird, kann die Bedeutung eines erwähnten Satzes nicht sein Wahrheitswert sein. Prüfen wir nun, ob als Bedeutung eines erwähnten Satzes der ausgedrückte Gedanke in Frage kommt. Dazu ersetzen wir den erwähnten Satz durch einen sinngleichen, der denselben Gedanken ausdrückt, z.B. „Die Erde ist kugelförmig“.

(3) „Die Erde ist kugelförmig“ besteht aus vierzehn Buchstaben. (falsch)

Da der Satz (3) aus dem Satz (1) durch eine Substitution sinngleicher Ausdrücke hervorgeht, müssten beide Sätze gemäß Substitutionsprinzip für Sinn denselben Sinn haben. Doch sie drücken nicht denselben Gedanken aus, denn sie haben nicht einmal denselben Wahrheitswert. Da Satz (1) wahr und Satz (3) falsch ist, erfüllen die von den beiden Sätzen ausgedrückten Gedanken das Kriterium für Gedankenverschiedenheit. Das Substitutionsprinzip ist somit verletzt und die Annahme, die Bedeutung eines erwähnten Satzes sei der ausgedrückte Gedanke, muss aufgegeben werden.

Als Bedeutung eines erwähnten Satzes bleibt daher nur noch der in Anführungsstrichen stehende Satz selbst, denn dessen Buchstaben zählen wir, wenn wir den Wahrheitswert der Sätze (1)–(3) ermitteln. Allgemein erhält man die Bedeutung eines erwähnten Ausdrucks, indem man die Anführungsstriche weglässt und nur den darin eingeschlossenen Ausdruck, d.h. die Kette von Buchstaben, beibehält.

Ungerade Rede bzw. indirekte Rede

Der zweite spezielle Kontext ist die ungerade oder indirekte Rede. Ein Behauptungssatz „p“ wird in ungerader Rede verwendet, wenn er Teil eines Satzes ist, der die Form „A glaubt/wünscht/hofft …, dass p“ hat, wobei „A“ eine Person bezeichnet. Ein Beispiel für einen Satz in ungerader Rede ist der dass-Satz als Teil in (4).

(4) Kopernikus glaubt, dass die Erde rund ist.

In moderner Redeweise spricht man bei solchen Sätzen von Einstellungsberichten oder von Zuschreibungen propositionaler Einstellungen, weil mit diesem Satz der Person Kopernikus die Einstellung des Glaubens mit dem (propositionalen) Inhalt, dass die Erde rund ist, zugeschrieben wird. Als Einstellung werden die kognitiven Zustände bezeichnet, in denen sich eine Person befinden kann, sofern der Zustand durch einen Gedanken in indirekter Rede spezifiziert werden kann. Weitere Einstellungen sind die des Wünschens, Fürchtens, Hoffens, Bedauerns etc. Für einen Einstellungsbericht ist es charakteristisch, dass der dass-Satz einen vollständigen Behauptungssatz enthält wie in dem Beispiel den Satz „Die Erde ist rund“. In gewöhnlicher Rede ist seine Bedeutung das Wahre und sein Sinn der Gedanke, dass die Erde rund ist. Was ist die Bedeutung des Satzes in Einstellungsberichten? Hier wiederholen wir den bereits bekanntenTest. Wenn die Bedeutung des dass-Satzes „dass die Erde rund ist“ sein Wahrheitswert wäre, so dürften wir gemäß Substitutionsprinzip für Bedeutung diesen Satz durch einen beliebigen wahren Satz ersetzen, ohne dass sich der Wahrheitswert des Einstellungsberichts ändern dürfte. Das ist jedoch nicht der Fall. Wenn der wahre dass-Satz in (4) durch den wahren dass-Satz „dass Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat ist“ ersetzt wird, so ergibt sich der Bericht (5):

(5) Kopernikus glaubt, dass Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat ist.

Dieser Bericht ist offensichtlich falsch, denn Kopernikus kannte die Einsteinsche Formel nicht und konnte ihren Gehalt deswegen auch nicht glauben. Die Bedeutung eines dass-Satzes in einem Einstellungsbericht ist somit nicht sein Wahrheitswert. Der zweite Kandidat für die Bedeutung eines dass-Satzes in Einstellungsberichten ist der Sinn des Satzes, d.h. der ausgedrückte Gedanke. Dieser bewährt sich mit Blick auf die Substitutionsprinzipien für Sinn und Bedeutung. Wenn die Bedeutung eines dass-Satzes in Einstellungsberichten der ausgedrückte Gedanke ist, so kann der dass-Satz „dass die Erde rund ist“ durch einen sinngleichen dass-Satz, z.B. „dass die Erde kugelförmig ist“, ersetzt werden; da die beiden dass-Sätze in gewöhnlicher Rede denselben Gedanken ausdrücken, haben sie in dem Einstellungsbericht dieselbe Bedeutung. Dieser Austausch von sinngleichen dass-Sätzen in einem Einstellungsbericht ist eine Substitution bedeutungsgleicher Ausdrücke, so dass die Bedeutung des Gesamtsatzes, d.h. der Wahrheitswert des Einstellungsberichtes, unverändert bleiben müsste. Unsere Annahme kann durch die folgenden Beispielsätze bestätigt werden:

(4’) Kopernikus glaubt, dass die Erde (in drei Dimensionen) rund ist.

(6) Kopernikus glaubt, dass die Erde kugelförmig ist.

Die beiden dass-Sätze in (4’) und (6) sind so gewählt, dass sie denselben Gedanken ausdrücken. Es kann gemäß dem Kriterium für Gedankenverschiedenheit nicht der Fall sein, dass Kopernikus den einen Gedanken für wahr und den anderen für falsch hält, d.h. Kopernikus muss stets beide von den dass-Sätzen ausgedrückte Gedanken oder keinen von beiden glauben. Das bedeutet aber für die Gesamtsätze in (4’) und (6), dass sie stets beide wahr oder beide falsch sind. Somit verändert die Substitution sinngleicher Teilsätze den Wahrheitswert des Gesamtsatzes nicht. Das soll uns hier genügen, um Freges Prinzip einzuführen: Die Bedeutung eines dass-Satzes in Einstellungsberichten, d.h. die Bedeutung eines Satzes in ungerader Rede, ist der von dem Satz ausgedrückte Gedanke. Allgemein gilt: Die Bedeutung eines Ausdrucks in ungerader Rede ist der Sinn dieses Ausdrucks in gewöhnlicher Rede (Frege 1892, 43). Da wir den Sinn der Ausdrücke in gewöhnlicher Rede bereits kennen, können wir diesen als Bedeutung der Ausdrücke in ungerader Rede übernehmen.

Auch für die Ausdrücke in ungerader Rede muss neben der Bedeutung ein Sinn festgelegt werden, denn ein Einstellungsbericht drückt einen Gedanken aus, der sich aus dem Sinn der Teile, und damit auch dem Sinn des dass-Satzes ergibt. Die ungerade Bedeutung des Satzes „f(a)“ wurde bereits als der Gedanke, dass f(a), festgelegt. Der ungerade Sinn desselben Satzes ist – in konsequenter Fortführung der Idee von Sinn und Bedeutung – der Sinn von „der Gedanke, dass f(a)“ (Frege 1892, 51). Eine vollständige Theorie von Sinn und Bedeutung fordert wegen der Kompositionalität für Sinn auch eine Bestimmung des ungeraden Sinns für Eigennamen und Begriffswörter. Dazu finden wir bei Frege jedoch keine Ausführungen, so dass sich die folgende Tabelle für Sinn und Bedeutung in ungerader Rede ergibt.


Grenzen von Freges Theorie

Mit der dargestellten systematischen Theorie ist es auch möglich, Sinn und Bedeutung im Falle von Mehrfachanwendungen von Anführungszeichen sowie bei verschachtelten Einstellungsberichten zu beschreiben, z.B. „Thomas fürchtet, dass Lucia glaubt, dass Peter gelangweilt ist.“ Da sowohl Anführungsstriche als auch Einstellungsberichte in der Sprache prinzipiell beliebig iterierbar sind, ergibt sich in Freges Theorie die Notwendigkeit einer unendlichen Hierarchie von Sinnen. Die Frage, ob dies harmlos ist oder für Freges Theorie ein Problem darstellt, wird in der Literatur nach wie vor diskutiert. Eine prinzipielle Grenze für Freges Theorie von Sinn und Bedeutung stellen kontextabhängige Ausdrücke – sogenannte Indikatoren – wie „ich“, „hier“, „jetzt“, „dies“, etc. dar. Dies ist eine Folge seiner eigenwilligen These, dass Gedanken kontextunabhängig sind und Worte jeweils ihren stabilen Sinn als Teil zu diesem Gedanken beisteuern. Kontextabhängige Worte haben jedoch gemäß allgemeiner Intuition einen kontextabhängigen Sinn. Da Sätze der natürlichen Sprache oft kontextabhängige Elemente enthalten, Gedanken wegen ihrer Vollständigkeit und Unveränderlichkeit jedoch nie, ist es für Frege prinzipiell unmöglich, den Sinn von kontextabhängigen Ausdrücken adäquat zu bestimmen. Um kontextabhängigen Ausdrücken Rechnung tragen zu können, bedarf es auch einer prinzipiellen Erweiterung der realistischen Semantik.

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