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Unter Verdacht

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Werner ist inzwischen selbstbewusster und mutiger geworden. Diese Entwicklung hat er den Jugendstunden in der Landeskirchlichen Gemeinschaft zu verdanken. Dort wird zwar nicht über politische Themen diskutiert, aber jeder spürt, dass er willkommen und akzeptiert ist. Man kann auch einmal anderer Meinung sein, ohne gleich abgestempelt zu werden. In den wöchentlichen Treffs besprechen sie manchmal sogar Bücher, die nicht in der DDR gedruckt wurden. Die lebendigen Bibelarbeiten festigen seinen Glauben und bestärken ihn in seiner kritischen Haltung zur Einheitsideologie der Schule.

Hier in der Gemeinde verbringt Werner viele Abendstunden: bei Proben für das Laienspiel, mit dem Posaunenchor, bei Arbeitseinsätzen oder Ausflügen mit Jugendlichen. Hin und wieder hält er selbst Bibelstunden in Außenstellen der Gemeinschaft. Er organisiert sogar eine Jugendfreizeit in Warin. Sie schlafen in kleinen Zelten, gehen im See schwimmen, spielen Volleyball und musizieren. Abends am Lagerfeuer diskutiert er mit den Teilnehmern und liest mit ihnen in der Bibel. Auch Jugendliche, die sonst nicht in die Gemeinde gehen, werden dazu eingeladen. Werner fühlt sich wie ein Apostel, der den Jugendlichen eine wichtige – unerlaubte! – Botschaft vermittelt. Wenn die in der Schule das wüssten …

Allerdings sucht Werner auch einen Gesprächspartner für seine eigenen ideologischen Fragen. Aber da spürt er eine gewisse Zurückhaltung. Man spricht nicht negativ über den Staat und politische Ereignisse werden nicht kommentiert. Ist es die Angst vor der Macht des Staates? Befürchten die Leiter, dass sie – wie seinerzeit Prediger Rassmussen – verhaftet werden könnten? Dieser wurde 1948 abgeholt und ist nie wieder aufgetaucht.

Wie auch immer, die Gemeinschaft bedeutet Werner viel. Sie prägt nicht nur seinen Glauben – hier erlebt er so etwas wie eine Ersatzfamilie. Nicht nur mit Johannes, dem Prediger, auch mit vielen älteren Christen kann er über persönlichste Dinge reden. Johannes organisiert jedes Jahr eine Reise mit der Jugendgruppe. Mal geht es ins Erzgebirge, mal nach Thüringen, ins Riesengebirge oder in die ČSSR. Durch diese Reisen weitet sich Werners Horizont in einer Weise, die ihm seine Eltern nie hätten bieten können. Wenn von Landeskirchlicher Gemeinschaft gesprochen wird, dann ist das seine Gruppe. Auf die lässt er nichts kommen.

Doch nach einer Gemeinschaftsstunde trifft es ihn wie ein Hammer. Als sie gerade ihre Jacken anziehen, poltert die Tochter des Predigers los: „Werner, ich kann deine frommen Reden nicht mehr hören. Wir wissen es doch, dass du für die Stasi hier bist, nur um uns auszuspionieren. Du bist doch nur deshalb auf die EOS gekommen, weil du für die Stasi unter uns Christen herumschnüffelst.“ Alle sind wie erstarrt, dann herrscht peinliches Schweigen.

Werner kann nur stammeln: „Aber wieso, woher hast du diese Lüge?“ Doch die umstehenden Leute drehen sich weg und gehen wortlos nach Hause. Werner steht in der Garderobe und muss sich an einem Kleiderhaken festhalten. Alles um ihn dreht sich. Wie können die so etwas vermuten? Hat er etwas gesagt, was missverständlich war? Will ihn jemand vernichten? Ist da vielleicht Neid im Spiel, weil er die EOS besuchen darf?

Noch am selben Abend geht er zu Johannes. Aber diesmal gibt es keinen herzlichen Empfang. „Was willst du?“

„Deine Tochter hat behauptet, ich wäre Zuträger für die Stasi. Wie kommt sie darauf?“

„Werner, du weißt genau, dass man nicht über die Stasi sprechen kann. Es tut mir leid, wir können nicht darüber sprechen, ohne die ganze Gemeinschaft zu gefährden.“

„Aber ich bin nicht bei der Stasi und habe auch nichts mit denen zu tun!“

„Werner, das musst du mit deinem Gott abmachen – und nun gute Nacht, es ist schon spät.“

Werner kann es nicht glauben, dass ihn „seine Gemeinschaft“ so abserviert. Er geht in den folgenden Tagen noch zu zwei Ältesten vom Gemeinderat, aber auch dort stößt er auf Misstrauen und Ablehnung. Jeder, der mit der Stasi Kontakt hat, ist eine Gefahr für die Gemeinde. Das Gegenteil lässt sich nicht beweisen – auch auf diese Weise übt die Stasi ihre zerstörerische Macht aus. Später stellt sich heraus, dass eine treue Mitarbeiterin im Vorstand der Gemeinschaft IM (Informeller Mitarbeiter) der Stasi gewesen ist. Ihr wird der Verdacht gegen Werner geholfen haben, in der Deckung zu bleiben. Vielleicht hat sie die Verdächtigung sogar selbst angestoßen.

Für Werner ist dieses Erlebnis eine bittere Erfahrung. Er hat etwas ganz Wertvolles verloren. Seine Mutter steht plötzlich in einer schweren Zerreißprobe. Die Gemeinschaft ist ihr ganzer Halt in ihrem schweren Leben. Dass ihr Sohn jetzt nicht mehr dort verankert ist, trifft sie schwer.

Werner engagiert sich daraufhin in der Jugendarbeit der örtlichen Kirchengemeinde. Sie haben im Neubaugebiet Wendorf, welches neben dem russischen Truppenübungsplatz entstanden ist, keine Kirche mit Turm und Glocken. Ihre Kirche ist ein ehemaliger Zirkuswagen, der im Hinterhof einer Gastwirtschaft steht. In dieser schlichten Hütte wird Gottesdienst gefeiert. Hier trifft sich die Jugend und für Kinder findet die Christenlehre, ein kirchlich verantworteter Religionsunterricht, statt. Viele Stunden hat Werner investiert, um den Wagen neu zu streichen, zu reparieren und wohnlich zu gestalten.

Später kann die Gemeinde ein Gelände im Neubaugebiet erwerben und ein Gemeindehaus bauen. Natürlich gibt es auch hier keinen Turm und keine Glocken; selbst für ein schlichtes Kreuz an der Giebelwand muss bis nach Berlin gestritten werden. Beim Bau dieses Gemeindezentrums ist Werner wieder aktiv beteiligt.

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