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Ein Wunsch – ein Traum?

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Mit zunehmendem Alter entdeckt Werner das Lesen. Besonders mag er Bücher, die von anderen Ländern erzählen, Abenteuerromane von Karl May (die allerdings in der DDR verboten sind) und Lebensbeschreibungen von mutigen Menschen. Manchmal gelingt es Verwandten aus dem Westen, solche Bücher ins Land zu schmuggeln.

Diese Literatur wird auch unter Kindern getauscht, allerdings darf das nie in der Schule passieren. Wenn bei unangekündigten Ranzenkontrollen ein Buch aus der feindlichen BRD entdeckt wird, gibt es richtig Ärger. Man wird zum Direktor zitiert oder beim Montagsappell vor der gesamten Schulversammlung bloßgestellt. Auch die Eltern werden vorgeladen und verwarnt; schlimmstenfalls erfolgt sogar eine Meldung im Betrieb, wo die Eltern arbeiten. So gerät eine Familie schnell unter die Beobachtung der Staatssicherheit.

In einem dieser Bücher, die heimlich untereinander getauscht werden, liest Werner die Lebensgeschichte von Dr. Albert Schweitzer. Er staunt über das Engagement des Arztes im Urwald von Lambarene und seine Ehrfurcht vor allem Leben. Dass man das niedere, sogenannte unwerte Leben nicht einfach beseitigt, sondern sich für Schwaches und Hilfloses einsetzt – für Werner ist es eine faszinierende Vorstellung. In der Schule wird etwas ganz anderes gelehrt, da wird immer vom Hass gegen den Klassenfeind gesprochen. Mit den Imperialisten diskutiert man nicht, die sind zu vernichten, heißt es. Mitleid mit dem Andersdenkenden oder gar Verständnis ist völlig undenkbar!

Die Gedanken von Albert Schweitzer hinterlassen bei Werner ihre Spuren. Langsam wächst ein Wunsch in ihm heran, den er allerdings niemandem zu sagen wagt: Er möchte Missionsarzt werden wie sein großes Vorbild Schweitzer. Dabei ist ihm klar, dass dieser Wunsch völlig unsinnig ist. Wird er überhaupt zur Erweiterten Oberschule (EOS) zugelassen? Wird er Medizin studieren können? Und selbst wenn das gelingt – dem Dreizehnjährigen ist klar, dass er gar nicht aus der DDR ausreisen kann. Also ein Wunsch, der ein Traum bleiben wird! Deshalb spricht er auch mit niemandem darüber, denn alle würden ihn für übergeschnappt halten. In seiner Klasse gilt er sowieso schon als seltsamer Einzelgänger, der die Musik mehr liebt als Fußball, der zeichnet, statt Skat zu spielen …

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