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Die San Felice
Sechstes Capitel.
Der Abgesandte von Rom

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Sehen wir denn, wer eigentlich jene fünf Männer waren, von welchen Nicolino in seiner spöttischen Aeußerung, ohne sich selbst zu schonen, drei dem Galgen und zwei der Guillotine geweiht hatte, eine Prophezeiung, die übrigens bis auf Einen für Alle wörtlich in Erfüllung gehen sollte.

Der, welcher allein gedankenvoll und in Betrachtungen versunken mit dem Ellbogen auf den steinernen Tisch gestützt saß, und, wie wir schon bemerkt, Domenico Cirillo hieß, war ein Mann des Plutarch, einer der gewaltigsten Repräsentanten des Alterthums, die jemals auf dem Boden von Neapel erschienen sind.

Er gehörte weder dem Lande noch der Zeit an, worin er lebte, und er besaß so ziemlich alle Eigenschaften, von welchen eine einzige hingereicht haben würde, um einen großen Mann zu machen.

Geboren war er im Jahre 1734, in demselben Jahre, wo Carl der Dritte den Thron bestieg, zu Grumo, einem kleinen Dorfe.

Seine Familie ist von jeher eine Pflanzschule berühmter Aerzte, gelehrter Naturforscher und unbestechlicher Magistratspersonen gewesen.

Als er zwanzig Jahre alt war, bewarb er sich um den Lehrstuhl der Botanik und erhielt denselben auch.

Dann machte er eine Reise durch Frankreich, lernte Nollet, Buffon, d'Alembert, Diderot und Franklin kennen und würde ohne eine große Liebe zu seiner Mutter – dies sagte er selbst – einem eigentlichen Vaterlande entsagend, gern in dem Vaterlande seines Herzens geblieben sein.

Nach Neapel zurückgekehrt, setzte er seine Studien fort, und ward einer der ersten Aerzte seiner Zeit.

Ganz besonders war er als der Arzt der Armen bekannt.

Er erklärte, die Wissenschaft dürfe, wenn man ein wahrer Christ sein wolle, keine Quelle des Reichthums, sondern müsse vielmehr ein Mittel sein, um dem Elende zu Hilfe zu kommen.

Wenn er daher gleichzeitig zu einem reichen Bürger und einem armen Lazzarone gerufen ward, so ging er vorzugsweise zu dem Armen, dem er, so lange er in Gefahr schwebte, mit seiner Kunst beistand, und ihn später, wenn er sich auf dem Wege der Genesung befand, mit seinem Gelde unterstützte.

Trotzdem, oder richtiger gesagt, eben deswegen war er am Hofe nicht gern gesehen, namentlich im Jahre 1791, einer Zeit, wo die Furcht vor den revolutionären Ideen und der Haß gegen die Franzosen den König Ferdinand und seine Gemahlin Caroline gegen Alles erbitterten, was Neapel an edlen Herzen und intelligenten Köpfen besaß.

Seit dieser Zeit lebte er in halber Ungnade und da er für ein unglückliches Land keine andere Hoffnung sah, als in einer mit Hilfe derselben Franzosen, die er so sehr geliebt, daß er zwischen ihnen und seiner eigenen Mutter und seinem eigenen Vaterlande geschwankt, zu Stande gebrachten Revolution, so trat er mit der philosophischen Entschlossenheit seiner Seele und der ruhig sanften Zähigkeit seines Charakters einem Complott bei, welches den Zweck hatte, die Autorität Frankreichs an die Stelle der Tyrannei der Bourbons zu setzen.

Er verhehlte sich nicht, daß er dabei seinen Kopf aufs Spiel setzte; aber ruhig, ohne falschen Enthusiasmus beharrte er bei seinem Project, so gefährlich dasselbe auch war, ebenso wie er auf dem gefährlichen Vorsatz beharrt haben würde, eine an der Cholera oder am Typhus erkrankte Bevölkerung mit Gefahr seines eigenen Lebens zu pflegen.

Seine Genossen, die jünger und heißblütiger waren als er, fügten sich in allen Dingen seinen Rathschlägen.

Er war der Faden, der sie in dem Labyrinth leitete, das Licht, welchem sie in der Finsterniß folgten, und das melancholische Lächeln, womit er die Gefahr kommen sah, die milde Salbung, womit er von den Auserwählten sprach, welche das Glück haben, für das Wohl des Menschengeschlechts zu sterben, äußerten auf ihr Gemüth einen gewissen Grad jenes Einflusses, den Virgil dem Gestirn zuschreibt, welches bestimmt ist, die Finsterniß der Nacht zu zerstreuen und an ihre Stelle das schützende, wohlwollende Schweigen der Nacht zu setzen.

Hector Caraffa, Graf von Ruvo, Herzog von Andria, derselbe, welcher sich in das Gespräch gemischt, um für die hartnäckige Willenskraft und den kaltblütigen Muth des Mannes zu bürgen, den man erwartete, war einer jener Athleten, welche Gott für die politischen Kämpfe schafft, das heißt eine Art aristokratischer Danton, mit einem unerschrockenen Herzen, einem unversöhnlichen Gemüth und einem schrankenlosen Ehrgeiz.

Er liebte die schwierigen Unternehmungen instinctartig und ging der Gefahr mit demselben Schritt entgegen, womit ein Anderer geflohen wäre. In der Wahl der Mittel war er unbedenklich, dafern er nur das Ziel erreichte.

In seinem Leben energisch, war er, was man nicht für möglich gehalten hätte, in seinem Tode noch energischer. Er war mit einem Wort einer jener gewaltigen Hebel, welche die Vorsehung, die über den Völkern wacht, den zu ihrer Befreiung bestimmten Revolutionen in die Hand gibt.

Er stammte aus der berühmten Familie der Herzöge von Andria und trug den Titel eines Grafen von Ruvo. Er verschmähte jedoch einen Titel und alle diejenigen seiner Ahnen, welche sich keinen Anspruch auf den Dank der Geschichte erworben, und sagte unaufhörlich, unter einem Sclavenvolke könne es keinen wahren Adel geben.

Gleich der erste Hauch der republikanischen Ideen, welche mit Latouche Tréville nach Neapel gekommen, hatte ihn entzündet. Mit seiner gewohnten Kühnheit hatte er sich in die gefährliche Sphäre der Revolutionen geworfen und obschon durch seine Stellung gezwungen, bei Hofe zu erscheinen, war er der eifrigste Apostel und thätigste Verbreiter der neuen Grundsätze geworden.

Ueberall, wo man von Freiheit sprach, sah man wie auf einen Zauberspruch in demselben Augenblick Hector Caraffa erscheinen.

Schon im Jahre 1795 war er deshalb festgenommen und mit den von der Staatsjunta bezeichneten ersten Patrioten nach dem Castel Sam Elmo gebracht worden.

Hier war er zu einer großen Anzahl junger Officiere von der Garnison des Castells in nähere Beziehung getreten. Seine feurigen Worte erweckten auch in diesen die Liebe zur Republik.

Es dauerte nicht lange, so hatten sie sich so innig befreundet, daß er, da er von einem Todesurtheil bedroht ward, nicht zögerte, sie um ihren Beistand zur Flucht zu bitten.

Ein schwerer Kampf fand nun in den edlen Herzen statt.

Die einen sagten, daß man selbst um der Freiheit willen seiner Pflicht nicht untreu werden dürfe, und daß sie, mit der Bewachung des Castells beauftragt, sich eines Verbrechens schuldig machen würden, wenn sie einem Gefangenen zur Flucht behilflich wären, sollte dieser Gefangene selbst ihr Freund, ihr Bruder sein.

Andere dagegen sagten, daß ein Patriot für die Freiheit und für das Wohl ihrer Vertheidiger Alles, selbst die Ehre, opfern müsse.

Ein junger Lieutenant von Castelgirone in Sicilien, der ein eifrigerer Patriot war als alle übrigen, verstand sich endlich dazu, nicht blos der Mitschuldige, sondern auch der Gefährte seiner Flucht zu sein.

Beide wurden bei Ausführung dieser Flucht durch die Tochter eines Officiers der Garnison unterstützt, welche sich in Hector verliebt und ihm ein Seil verschaffte, woran er sich an der Mauer des Castells hinabließ, während der junge Sicilianer ihm unten erwartete.

Die Flucht ward glücklich ausgeführt, leider hatte von den beiden Flüchtlingen der eine nicht dasselbe Glück wie der andere. Der Sicilianer ward ergriffen, zum Tode verurtheilt und sah durch besondere Gunst des Königs Ferdinand seine Strafe in ewige Gefangenschaft in dem entsetzlichen Kerker von Favignana verwandelt.

Hector fand ein Asyl im Hause eines Freundes zu Portici. Von hier aus verließ er auf Pfaden, die nur den Gebirgsbewohnern bekannt waren, das Königreich, begab sich nach Mailand, fand hier die Franzosen und ward sehr bald ihr Freund, wie er der ihrer Grundsätze schon längst war.

Die Franzosen ihrerseits erkannten ebenfalls den Werth dieser Feuerseele, dieser eisernen Willenskraft.

Championnet gab den Flüchtling, ohne ihm besondere Functionen anzuweisen, seinem Generalstabe bei, und als nach dem Sturze Pius des Sechsten und der Proclamation der römischen Republik der französische General nach Rom ging, begleitete Hector ihn dahin.

Auf diese Weise Neapel so nahe und in der Hoffnung, daselbst eine revolutionäre Bewegung zu Stande zu bringen, schlug er, um in das Königreich zurückzugelangen, denselben Weg ein, auf welchem er es verlassen, und nahm, nicht mehr als Geächteter, sondern als Verschwörer die Gastfreundschaft desselben Freundes in Anspruch, bei welchem er schon einmal Zuflucht gefunden und der kein anderer war als Gabriel Manthonnet, den wir bereits genannt.

Von hier aus schrieb Hector an Championnet, er halte Neapel für reif zu einer Erhebung, und forderte ihn auf, ihm einen sichern, ruhigen und kaltblütigen Mann zu schicken, welcher selbst über die Stimmung der Gemüther und den Stand der Dinge urtheilen könne.

Dieser Abgesandte war es, den man erwartete.

Gabriel Manthonnet, bei welchem Hector Caraffa ein Asyl gefunden und welchen es ihm nicht schwer ward, für die Sache der Freiheit zu gewinnen, war, eben so wie er selbst, ein Mann von vier bis fünfunddreißig Jahren und stammte, wie schon sein Name verräth, aus Savoyen.

Seine Körperkraft war herkulisch und sein Wille hielt damit gleichen Schritt.

Dabei besaß er jene Beredsamkeit des Muthes, die der Seele jene erhabenen Worte entlockt, welche die Geschichte mit Flammenschrift aufzeichnet.

Dies hielt ihn jedoch nicht ab, unter gewöhnlichen Umständen sich in jenen witzigen, spöttischen Aeußerungen zu ergehen, welche, ohne bis auf die Nachwelt zu gelangen, bei den Zeitgenossen Glück machen.

Im Jahre 1784 in die neapolitanische Artillerie ein- getreten, war er 1787 Unterlieutenant geworden, 1789 als Lieutenant zu dem Artillerieregiment der Königin versetzt, 1794 zum Hauptmann und endlich zu Anfang des Jahres 1798 zum Commandanten seines Regiments und Adjutanten des Generals Fonseca ernannt worden.

Derjenige von den vier Verschwörern, welchen wir mit dem Namen Schipani bezeichnet haben, war ein geborener Calabrese. Redlichkeit und Tapferkeit waren seine beiden vorherrschenden Eigenschaften. Sicher und zuverlässig, so lange er unter dem Commando zweier genialen Anführer wie Manthonnet und Hector Caraffa stand, ward er, sich selbst überlassen, durch seine Tollkühnheit und durch das Uebermaß eines Patriotismus geradezu gefährlich.

Er war gleichsam eine Kriegsmaschine, ein Mauerbrecher, welcher furchtbare und sichere Stöße führte, aber nur unter der Bedingung, daß er von geschickten Maschinisten in Bewegung gesetzt ward.

Was Nicolini betraf, der an dem auf die Spitze des Pausilippo führenden Fenster des alten Schlosses als Wache zurückgeblieben, so war dieser ein schöner junger Mann von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, Neffe jenes selben Franz Caracciolo, den wir die Galeere der Königin commandieren und für sich die Einladung zum Bankett und für seine Nichte eine Einladung zum Ball bei dem Gesandten oder vielmehr bei der Gesandtin von England ablehnen gesehen.

Ueberdies war er Bruder des Herzogs Rocca Romana, des elegantesten, kühnsten und ritterlichsten der dienenden Cavaliere der Königin und welcher noch jetzt in Neapel der südliche Typus unseres Herzogs von Richelieu, des Geliebten der Valois und Siegers von Mahon, ist.

Nur war Nicolini als Kind einer zweiten Ehe, Sohn einer Französin. Von seiner Mutter in der Liebe zu Frankreich erzogen, besaß er jenen leichten Sinn und jene Sorglosigkeit gegen Gefahren, welche im Nothfall aus dem Helden einen liebenswürdigen Mann und aus dem liebenswürdigen Mann einen Helden machen.

Während die vier andern Verschworenen mit leiser Stimme und die Hand mechanisch nach ihren Waffen ausstreckend, jene hoffnungsvollen Worte wechselten, wie die Verschwörer deren zu sprechen pflegen, und durch welche hindurch, wie hoffnungsvoll sie auch sein mögen, von Zeit zu Zeit gleichsam der Blitz des Richtschwertes oder des Dolches hindurchleuchtet, sah Nicolini sorglos, wie man es mit zwanzig Jahren ist, von seinen Liebschaften träumend, deren Gegenstand in diesem Augenblick eine der Ehrendamen der Königin war, und darüber die Freiheit von Neapel fast vergessend, ohne die Spitze von Pausilippo aus den Augen zu verlieren, am Himmel sich jenes Ungewitter emporthürmen, welches sein Onkel der Königin und er selbst seinen Genossen prophezeit hatte.

In der That grollte von Zeit zu Zeit ein ferner Donner, welchem Blitze vorangingen, die von Süden nach Norden die dunkle Wolkenmassen spalteten und abwechselnd mit phantastischem Schein den schwarzen Felsen von Capri erleuchteten, der, sobald der Blitz erlosch, wieder in Nacht versank und mit der dunklen Wolkenmasse verschmolz, deren Basis er zu bilden schien.

Von Zeit zu Zeit fuhren Stöße jenes schweren austrocknenden Windes, welcher den der libyschen Wüste geraubten Sand bis nach Neapel trägt, über die Fläche des Meeres, welches phosphorescirend sich sodann auf einen Augenblick in einen Feuersee verwandelte, um beinahe ebenso schnell wieder seinem Dunkel anheimzufallen.

Beim Hauch dieses von den Fischern gefürchteten Windes beeilten eine Menge kleiner Barken sich, den Hafen zu gewinnen. Die einen wurden durch ihre dreieckigen Segel fortgetragen und zogen eine feurige Furche hinter sich her; die andern schwammen aus Leibeskräften und glichen jenen großen Spinnen, die auf dem Wasser laufen, und kratzten das Meer mit ihren Rudern, die bei jedem Schlage eine Garbe flüssiger Funken emporsprühen ließen.

Allmälig verschwanden diese Barken, indem sie sich eiligst dem Lande näherten, hinter der schwerfälligen, unbeweglichen Masse des Castells d'Uovo und dem Leuchtthurm des Molo, dessen gelbliches Licht sich im Mittelpunkte eines Dunstkreises zeigte, welcher dem glich, welcher den Mond bei bevorstehender schlechter Witterung umgibt.

Endlich war das Meer gänzlich vereinsamt, wie um dem Kampf, den die vier Winde des Himmels einander zu liefern im Begriffe standen, freies Feld zu lassen.

In diesem Augenblick erschien an der Spitze des Pausilippo, wie ein Punkt im Raume, eine röthliche Flamme, welche gegen den glühenden Schwefelhauch des Ungewitters und die phosphoreseirenden Ausströmungen des Meeres deutlich abstach.

Diese Flamme bewegte sich in gerader Linie auf den Palast der Königin Johanna zu.

Plötzlich und als ob das Erscheinen dieser Flamme ein Signal wäre, krachte ein Donnerschlag, welcher von dem Cap Campanello bis zu dem Cap Milena rollte, während in derselben Richtung der sich öffnende Himmel dem erschrockenen Auge die unergründlichen Tiefen des Aethers zeigte.

Von direct entgegengesetzten Punkten kommende Windstöße höhlten die Fläche des Meeres mit der Schnelligkeit und dem Getöse einer Wasserhose.

Die Wellen stiegen wie von unterseeischem Sieden emporgetrieben, der Sturm sprengte eine Kette und durch lief den flüssigen Kreis wie ein wüthender Löwe.

Nicolino stieß bei dem furchtbaren Anblick, welchen das Meer und der Himmel auf einmal darboten, einen Ruf aus, welcher die Verschworenen in den Tiefen des alten Palastes bewog, die Treppe hinauf und an das Fenster zu eilen, um zu sehen, um was es sich handelte.

Die Barke, welche, wie nicht zu bezweifeln stand, den erwarteten Abgesandten an Bord hatte, war auf der Hälfte des Weges vom Pausilippo bis zum Palast der Königin Johanna von dem Sturm ergriffen worden. Sofort hatte sie ihr kleines viereckiges Segel gerefft und hüpfte nun scheu auf den Wogen hin, in welche die Ruder zweier kräftiger Männer einzugreifen suchten.

Ganz wie Hector Caraffa gedacht, hatte den jungen Mann mit dem ehernen Herzen, welchen sie erwarteten, nichts aufzuhalten vermocht.

Der im Voraus entworfenen Marschroute gemäß – und noch mehr aus Vorsicht für die neapolitanischen Verschwörer als für den Abgesandten, den eine französische Uniform und sein Titel als Championnets Adjutant in der Stadt eines verbündeten Königreichs, in einer befreundeten Hauptstadt schützen mußten – hatte er die Straße von Rom bei Santa Maria verlassen, um so bald als möglich den Meeresstrand zu gewinnen. Sein Pferd hatte er unter dem Vorwand, daß es zu ermüdet sei, um ihn noch weiter zu tragen, in Pozzuolo zurückgelassen, und hier halb durch Drohungen, halb durch das Versprechen einer reichlichen Belohnung zwei Fischer bewogen, trotz des drohenden Sturmes die Fahrt zu unternehmen, die sie unter dem Weinen und Klagen ihrer Frauen und Kinder begannen, von welchen sie bis auf die feuchten Steinplatten des Hafens begleitet wurden.

Ihre Befürchtung hatte sich als gegründet erwiesen, und in Nisida angelangt, wollten sie ihren Passagier ans Land setzen und sich hinter dem Hafendamme bergen. Der junge Mann aber zog, ohne zornig zu werden, oder vergebliche Worte zu machen, seine Pistolen aus dem Gürtel, und richtete die Mündung derselben auf die widerstrebenden Ruderer, welche, als sie an diesem ruhigen, aber entschlossenen Gesichte sahen, daß es um sie geschehen wäre, wenn sie den Gehorsam verweigerten, sich schweigend in die unerbittliche Nothwendigkeit gefügt hatten.

Sie kamen aus dem kleinen Golf von Pozzuolo in den Golf von Neapel heraus und hatten nun mit dem Sturme zu kämpfen, welcher, als er auf der ganzen, weiten, unermeßlichen Fläche blos diese einzige Barke zu vernichten sah, seine ganze Wuth auf diese concentriert zu haben schien.

Die fünf Verschworenen standen einen Augenblick stumm und unbeweglich da. Der erste Anblick einer großen Gefahr, in welcher ein Mitmensch schwebt, ist anfangs allemal betäubend, dann empfinden wir wie einen gebieterischen und unwiderstehlichen Instinct der Natur, das Bedürfniß, ihm Beistand zu leisten.

Hector Caraffa war der Erste, der das Schweigen brach.

»Seile! Seile!« rief er, indem er sich den Schweiß trocknete, der plötzlich auf seiner Stirn perlte.

Nicolino verstand, legte das Brett über den Abgrund, sprang von dem Fenstersims auf das Brett, von dem Brett auf den Felsen bis an das Thor der Straße und kam zehn Minuten später wieder mit einem Seile zum Vorschein, welches er von einem öffentlichen Brunnen abgerissen.

Während dieser Zeit, so kurz dieselbe auch war, hatte die Wuth des Sturmes sich verdoppelt.

Eben so aber hatte auch die Barke, von dem Sturme getrieben, sich genähert, so daß sie nur noch einige Kabellängen von dem Palaste entfernt war.

Da die Wellen sich aber mit schäumender Wuth an der Klippe brachen, auf welcher der Palast erbaut war, so war die Annäherung an dieselbe, anstatt eine Hoffnung zu bieten, nur neue Gefahr, und der Schaum spritzte den Verschworenen ins Gesicht, während sie sich zu dem Fenster des ersten Stockwerkes herausneigten, das heißt in eine Höhe von zwanzig bis fünfundzwanzig Fuß über dem Wasser.

Bei dem Scheine des an dem Bug der Barke hängenden Lichtes, welches jede überschlagende Welle auszulöschen drohte, sah man die beiden Ruderer mit angstvoll verstörter Miene sich über ihre Ruder neigend, während aufrecht stehend, als ob er an den Boden der Barke festgenietet wäre, das Haar vom Orkan gepeitscht, aber mit lächelnder Lippe und mit verächtlichem Blicke die Wogen betrachtend, welche gleich der Meute der Scylla ihn bellend umsprangen, der junge Mann einem dem Sturme gebietenden Gotte oder, was noch erhabener ist, einem für die Furcht unzugänglichen Menschen glich.

An der Art und Weise, auf welche er die Hand über die Augen hielt und seinen Blick auf die riesige Ruine richtete, sah man, daß er in der Hoffnung, erwartet zu werden, durch die Dunkelheit hindurch die Anwesenheit derer zu erspähen suchte, welche ihn erwarteten.

Ein Blitz kam ihm zu Hilfe, indem er die rissige, düstere Facade des alten Gebäudes erleuchtete, und er erblickte nun die fünf Männer, welche mit unruhigen Geberden und Mienen wie aus Einem Munde ihm zuriefen:

»Muth! Muth!«

In demselben Augenblicke schlug eine an der Felsenbasis des Palastes sich brechende ungeheure Woge über das Vordertheil der Barke hinweg, löschte das Licht derselben aus und schien sie mit Mann und Maus verschlungen zu haben.

Den Verschworenen stockte der Athem in der Brust. Mit verzweifelter Gebärde zerraufte Hector Caraffa sich das Haar, aber gleich darauf hörte man eine starke ruhige Stimme, welche das Getöse des Sturmes übertäubend, rief:

»Eine Fackel!«

Diesmal war es Hector Caraffa, welcher forteilte. In einer Mauervertiefung lagen für finstere Nächte in Bereitschaft gehaltene Fackeln. Er ergriff eine derselben und entzündete sie an der Lampe, welche auf dem steinernen Tisch stand, und erschien dann sofort auf der äußeren Plattform des Felsens, wo er sich über das Meer hinabneigte und mitten in einer Schaumwolke die harzige, nicht so leicht verlöschende Fackel gegen die Barke hinstreckte.

Wie aus der Tiefe des Meeres auftauchend erschien diese, nur noch einige Fuß von der Felsenbasis des Palastes entfernt, wieder. Die beiden Ruderer hatten ihre Ruder fahren lassen, und riefen auf den Knieen liegend und die Hände gen Himmel streckend die Madonna und den heiligen Januarius um Beistand an.

Nicolino stieg auf den Sims des Fensters, zielte, während der herkulische Manthonnet ihn um den Leib herum festhielt, und schleuderte ein Ende des Seiles, dessen anderes Schipani und Cirillo gefaßt hatten, in das Boot.

Kaum aber hatte man das Seil an das Holz der Barke anschlagen hören, als eine diesmal vom Meere herkommende ungeheure Welle das Boot mit unwiderstehlicher Gewalt an die Klippe schleuderte.

Man hörte ein unheilverkündendes Krachen, auf welches ein Angst- und Nothschrei folgte, dann war die Barke mit Passagier und Ruderern versunken und verschwunden.

Dennoch aber entrang sich Schipani und Cirillo gleichzeitig der Ruf: »Er hat es! er hat es!« und sie begannen das Seil an sich zu ziehen.

In der That sah man nach Verlauf einer Secunde das Meer am Fuße der Klippe sich spalten und beim Scheine der Fackel, welche Hector Caraffa über den Abgrund ausgestreckt hielt, tauchte der junge Adjutant auf, welcher, durch das Anziehen des Seiles unterstützt, den Felsen erkletterte, die Hand ergriff, welche der Graf von Ruvo ihm entgegenstreckte, auf die Plattform sprang und, nachdem sein Freund ihn, trotzdem er vom Wasser troff, an die Brust gedrückt, mit seinem ruhig heitern Blick und in einem Tone, worin es unmöglich war, auch nur die mindeste Veränderung zu erkennen, indem er den Kopf nach seinen Rettern emporhob, nur zwei Worte sprach:

»Ich danke.«

In diesem Augenblicke krachte ein Donnerschlag, welcher den Palast einem Granitfundament entreißen zu wollen schien, ein Blitz schleuderte seine Feuerpfeile durch alle Oeffnungen der Ruine herein und das Meer stieg mit furchtbarem Geheul den beiden jungen Männern bis an die Knie.

Hector Caraffa aber hob mit jenem südlichen Enthusiasmus, der durch die sonstige Ruhe seines Gemüths noch mehr hervorgehoben ward, eine Fackel, wie um dem Ungewitter Trotz zu bieten.

»Rolle Donner! Zucke Blitz! Brülle Sturm!« rief er; »wir stammen von dem Geschlechte jener Griechen, welche Troja verbrannten, und dieser hier, setzte er hinzu, indem er die Hand auf die Schulter seines Freundes legte, »dieser stammt von Ajax, dem Sohne des Oileus. Er wird trotz den Göttern entrinnen.«

La San Felice

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