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Zweiter Theil
Viertes Capitel.
Ein Probejahr

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Die Trauer war groß in Palermo. Das Leichenbegängniß, welches, wie gewöhnlich, während der Nacht stattfand, war prachtvoll. Die ganze Stadt folgte dem Zuge. Die ihrem ganzen Umfange nach in eine brennende Capelle verwandelte Kathedrale konnte die Menge nicht fassen. Diese Menge füllte noch den Platz vor der Kirche und, so groß derselbe auch war, bis in die Toledostraße hinein.

Hinter dem mit einem großen mit silbernen Thränen besäeten und mit den ersten Orden Europas geschmückten Tuche von schwarzem Sammet bedeckten Sarg kam, von zwei Pagen geführt, das Reitpferd des Fürsten.

Das arme Thier keuchte stolz unter seinem goldenen Geschirr, denn es kannte ebensowenig den Verlust, den es erlitten, als das Schicksal, welches seiner harrte.

Als man die Kirche verließ, nahm es wieder seinen Platz hinter dem Leichenwagen ein. In demselben Augenblick aber näherte sich der erste Stallmeister des Fürsten mit einer Lanzette in der Hand, und während das edle Roß ihn erkannte und freudig wieherte, öffnete er ihm die Drosselader.

Das Thier stieß einen schwachen Klageton aus, denn obschon der Schmerz nicht groß war, so mußte die Wunde doch tödtlich sein. Es schüttelte seinen mit Federbüschen von den Farben des Fürsten – das heißt weiß und grün – geschmückten Kopf und setzte seinen Weg weiter fort.

Ein dünner, aber ununterbrochener Blutfaden rann ihm vom Halse über die Brust herab und ließ seine Spur auf dem Pflaster zurück.

Nach Verlauf einer Viertelstunde taumelte es zum ersten Male und richtete sich wiehernd, aber nicht mehr vor Freude, sondern vor Schmerz, wieder auf.

Der Zug bewegte sich unter dem Gesange der Priester, dem Scheine der Kerzen und dem Dampf des Weihrauches durch die schwarz ausgeschlagenen Straßen, unter den Trauerbogen von Cypressen hindurch.

Auf dem Campo santo oder Begräbnißplatz der Capuziner hatte man eine einstweilige Gruft für den Fürsten bereitet, denn seine Leiche sollte später in die Capelle seiner Familie nach Neapel gebracht werden.

Am Thore der Stadt taumelte das Pferd, von dem Blutverlust immer schwächer werdend, zum zweiten Mal. Es wieherte vor Angst und sein Auge ward starr.

Zwei Fremde, zwei Unbekannte, ein Mann und eine junge Dame, führten diesen beinahe königlichen Leichenzug, welchem sich die höchsten Classen der Gesellschaft ebenso angeschlossen hatten wie die tiefsten.

Es war der Chevalier und Luisa, welche ihre Thränen mischten, und das Eine murmelte: »Mein Vater!« das Andere: »Mein Freund!«

an langte bei der Gruft an, die blos durch eine große Steinplatte bezeichnet ward, auf welcher das Wappen und der Name des Fürsten eingegraben war.

Diese Steinplatte ward aufgehoben, um den Sarg einsenken zu lassen und ein unermeßliches, von hunderttausend Stimmen gesungenes De profundis stieg zum Himmel empor.

Das mit dem Tode ringende Pferd, welches bis hierher die Hälfte seines Blutes verloren, war auf die beiden Knie niedergesunken. Es war, als ob das arme Thier ebenfalls für seinen Herrn betete. Als aber der letzte Ton des Gesanges der Priester verhallte, sank es auf der wieder geschlossenen Steinplatte völlig zusammen, streckte sich darauf aus, wie um den Zugang zu bewachen und hauchte den letzten Seufzer aus.

Es war dies ein Ueberbleibsel der kriegerischen und poetischen Gebräuche des Mittelalters. Das Roß durfte den Reiter nicht überleben.

Noch zweiundvierzig andere Pferde, welche die Ställe des Fürsten ausmachten, wurden auf der Leiche des ersten geopfert.

Man löschte die Wachskerzen aus und der ganze unendliche Zug kehrte schweigend wie eine Prozession von Gespenstern in die düstere Stadt zurück, wo kein Licht weder in den Straßen noch an den Fenstern zu sehen war.

Es war, als beleuchtete eine einzige Fackel die ungeheure Todtenstadt und als wäre, nachdem der Tod die Fackel ausgeblasen, Alles wieder in Nacht versunken.

Am nächstfolgenden Tage beim ersten Morgengrauen schifften San Felice und Luisa sich wieder ein und reisten nach Neapel zurück. Drei Monate wurden diesem aufrichtigen Schmerz gewidmet, drei Monate, während welcher man dasselbe Leben führte, wie in der Vergangenheit, nur trauriger.

Als diese drei Monate um waren, verlangte San Felice, daß das Probejahr begönne, das heißt daß Luisa die Welt sähe.

Er kaufte einen Wagen und Pferde, den elegantesten Wagen, die besten Pferde, die er finden konnte. Er vermehrte seinen Haushalt um einen Kutscher, einen Kammerdiener und eine Zofe, und begann sich mit Luisa unter die täglichen Spazierfahrer in Toledo und Chiaja zu mischen.

Die Herzogin von Fusco, ihre Nachbarin, eine dreißigjährige Witwe und Besitzerin eines großen Vermögens, empfing viel Besuch aus der besten Gesellschaft von Neapel. Sie hatte, durch jene in den Italienerinnen so mächtige Sympathie bewogen, ihre junge Freundin oft eingeladen, ihren Abendgesellschaften beizuwohnen, aber Luisa hatte sich stets geweigert, denselben zu folgen und sich dabei auf das zurückgezogene Leben berufen, welches ihr Vormund führte.

Jetzt war es der Chevalier selbst, welcher zu der Herzogin Fusco ging und sie bat, ihre Einladungen an seine Mündel zu wiederholen, was die Herzogin auch mit großem Vergnügen that.

Der Winter von 1796 war daher für die arme Waise gleichzeitig eine Zeit der Feste und der Trauer. Bei jeder neuen Gelegenheit, welche ihr Vormund ihr verschaffte, damit sie sich zeigen und folglich glänzen könne, setzte sie lebhaften Widerstand und aufrichtigen Schmerz entgegen, aber San Felice antwortete mit dem allerliebsten Wahlspruch ihren Kindheit:

»Geh' fort, Kummer! Papa will es.«

Der Kummer ging aber nicht fort, sondern verschwand blos von der Oberfläche. Luisa verschloß ihn in die Tiefe ihres Herzens, aber er leuchtete aus ihrem Auge und malte sich auf ihrem Gesicht, und diese sanfte Melancholie, welche sie einhüllte wie eine Wolke, machte sie nur um so schöner.

Uebrigens wußte man, daß sie, wenn auch nicht eine reiche Erbin, doch wenigstens das war, was man, wenn vom Heiraten die Rede ist, eine gute Partie nennt.

Sie besaß in Folge der von ihrem Vater gebrauchten Vorsicht und der ihrem kleinen Vermögen von dem Chevalier gewidmeten Fürsorge einhundertundzwanzigtausend Ducaten Aussteuer, das heißt eine halbe Million Francs, welche bei dem besten Hause in Neapel, nämlich bei Simon André, Backer und Comp., den königlichen Bankiers, angelegt war.

Uebrigens wußte man nicht, daß San Felice, für dessen natürliche Tochter man sie hielt, irgend eine andere Erbin hätte, und der Chevalier mußte, wenn er auch gerade kein großer Capitalist war, doch ebenfalls ein ganz anständiges Vermögen besitzen.

Wer in dergleichen Angelegenheiten einmal berechnet, der berechnet Alles.

Luisa hatte bei der Herzogin Fusco einen Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren kennen gelernt, welcher einen der schönsten Namen von Neapel trug und sich in dem Kriege von 1793 bei Toulon rühmlicht hervorgethan hatte. Er hatte eben mit dem Titel eines Brigadiers das Commando eines Cavalleriecorps erhalten, welches bestimmt war, als Hilfstruppen in der österreichischen Armee während des Feldzugs zu dienen, welcher im Jahre 1796 in Italien eröffnet werden sollte. Dieser Mann hieß der Fürst von Moliterno.

Er hatte damals noch nicht jenen Säbelhieb über das Gesicht bekommen, welcher, indem er ihn eines Auges beraubte, ihm den Stempel eines Muthes aufdrückte, welchen übrigens es Niemanden eingefallen wäre, ihm streitig zu machen.

Er besaß einen großen Namen, ein ziemliches Vermögen und einen Palast in Chiaja. Er sah Luisa, verliebte sich in sie, bat die Herzogin Fusco, seine Vermittlerin bei ihrer jungen Freundin zu sein und – trug einen Korb davon.

Luisa war ferner oft in Toledo und in Chiaja, wenn sie mit ihrer schönen Equipage, welche ihr Vormund ihr gekauft, spazieren fuhr, einem liebenswürdigen Cavalier von kaum fünf- bis sechsundzwanzig Jahren begegnet, welcher gleichzeitig der Richelieu und der Saint-Georges von Neapel war.

Es war dies der älteste Bruder von Nicolino Caracciolo, mit welchem wir in dem Palast der Königin Johanna Bekanntschaft gemacht, der Herzog von Rocca Romana.

Viele Gerüchte, welche vielleicht in unsern Hauptstädten des Nordens für einen Edelmann eben nicht sehr ehrenhaft sein würden, die aber in Neapel, dem Lande der lockeren Sitten und der schmiegsamen Moral, nur dazu dienten, sein Ansehen zu erhöhen, waren in Bezug auf ihn in Umlauf und machten ihn für die goldene Jugend von Neapel zu einem Gegenstand des Neides.

Man sagte nämlich, er sei einer der ephemeren Liebhaber, welche der Favoritminister Acton der Königin gestattete, wie Potemkin der Kaiserin Katharina, nämlich unter der Bedingung, daß er selbst der unabsetzbare Liebhaber bliebe.

Eben so behauptete man auch, daß die Königin den Aufwand für die schönen Pferde und die zahlreiche Dienerschaft des Herzogs bestritte, dessen Vermögen nicht bedeutend genug war, um ihm solche Ausgaben möglich zu machen, und daß der Herzog sich einer Gunst erfreue, welche ihm den Weg überallhin bahne.

Eines Tages erschien der Herzog von Rocca Romana, welcher nicht wußte, wie er sich bei San Felice einführen sollte, im Namen des Erbprinzen Francesco, dessen Ober-Stallmeister er war. Er überbrachte dem Chevalier die Ernennung zum Bibliothekar Seiner königlichen Hoheit, einer Art Sinecure, welche der Prinz dem anerkannten Verdienste des Chevaliers anbot.

San Felice lehnte das Anerbieten ab und erklärte sich unfähig, nicht, Bibliothekar zu sein, sondern sich in die tausend kleinen Pflichten zu fügen, welche die Etikette jedem auferlegt, der ein Amt bei Hofe bekleidet.

Am nächstfolgenden Tage fuhr der Wagen des Prinzen an dem Thore des Palmbaumhauses vor und der Prinz erschien selbst, um bei dem Chevalier das Anerbieten seines Oberstallmeisters zu erneuern.

Von der Ablehnung einer solchen Ehre, die von dem künftigen Erben eines Königreiches angeboten ward, konnte natürlich keine Rede sein. San Felice schützte blos eine momentane Schwierigkeit vor und verlangte, daß Seine königliche Hoheit die Aeußerung ihres Wohlwollens noch um sechs Monate vertagen möge.

Nach Ablauf dieser sechs Monate war Luisa entweder die Gattin eines Andern oder die seinige. War sie die Gattin eines Andern, so bedurfte er der Zerstreuung, um sich zu trösten, war sie die einige, so war seine Ernennung ein Mittel, welches ihm die Pforte des Hofes öffnete und für Luisa selbst Zerstreuung gewähren mußte.

Der Prinz Francesco, ein sehr intelligenter Mann, welcher die Wissenschaft aufrichtig liebte, ging auf dieses Verlangen ein, sagte San Felice einige Schmeicheleien in Bezug auf die Schönheit seiner Mündel und entfernte sich.

Rocca Romana hatte aber nun freien Zutritt in dem Hause des Chevaliers und verschwendete an Luisa die Schätze seiner Beredsamkeit und die Wunder seiner Koketterie drei Monate lang, wiewohl vergeblich.

Die Zeit, welche Luisas Schicksal entscheiden sollte, nahte heran und Luisa beharrte trotz aller Verführung, von der sie umringt war, auf ihrem Entschluß, das ihrem Vater gegebene Versprechen zu halten.

San Felice wollte ihr nun genaue Rechnung über ihr ganzes Vermögen ablegen, um es von dem einigen zu trennen und damit Luisa, obschon seine Gattin, vollständig Herrin desselben wäre.

Er bat deshalb die Bankiers Backer, bei welchen die ursprüngliche Summe von fünfzigtausend Ducaten vor fünfzehn Jahren angelegt worden, ihm, wie die Bankiers es nennen, ein Situations-Conto aufzustellen.

André Backer, ältester Sohn von Simon Backer, erschien demgemäß bei San Felice mit allen Papieren, welche diese Capitalanlage betrafen.

Obschon Luisa an allen diesen geschäftlichen Einzelheiten kein großes Interesse nahm, so wollte San Felice doch, daß sie dieser Unterredung beiwohne.

André Backer hatte sie niemals in der Nähe gesehen und ward jetzt von ihrer wunderbaren Schönheit mächtig ergriffen.

Unter dem Vorwand, daß ihm noch mehrere Papiere fehlten, erneuete er seinen Besuch und erklärte endlich seinem Clienten, daß er sich sterblich in seine Mündel verliebt habe.

Er könne, sagte er, wenn er sich verheiratete, aus dem Hause seines Vaters eine Million entnehmen und die fünfhunderttausend Francs Luisa's, wenn sie einwillige seine Gattin zu werden, in Zukunft selbst verwalten. Binnen einigen Jahren werde er dieses Vermögen verdoppelt, vervierfacht, versechsfacht haben. Luisa würde dann eine der reichsten Frauen von Neapel sein. Sie könne dann am Eleganz mit der höchsten Aristokratie wetteifern und die vornehmsten Damen durch ihren Luxus verdunkeln, wie sie dieselben jetzt schon durch ihre Schönheit in den Schatten stelle.

Luisa ließ sich aber durch diese glänzende Perspective durchaus nicht blenden und San Felice, der stolz darauf war zu sehen, wie Luisa um seinetwillen in Moliterno auf Glanz des Namens, in Rocca Romana auf Geist und Eleganz und in André Backer auf Reichthum und Luxus verzichtet hatte, lud den Sohn des reichen Bankiers ein, sein Haus zu besuchen, so oft es ihm beliebe, aber nur unter der Bedingung, daß er gänzlich darauf verzichte, es wieder als Bewerber um Luisa's Hand zu betreten.

Endlich, nachdem die von San Felice selbst festgesetzte Frist am 14. November 1795, dem Jahrestage des von ihm dem sterbenden Fürsten Caramanico gegebenen Versprechens, abgelaufen war, wurden San Felice und Luisa Molina einfach, ohne allen Pomp, nur in Gegenwart des Prinzen Francesco, welcher seinem künftigen Bibliothekar als Zeuge dienen wollte, in der Kirche von Pie di Grotta vermählt.

Unmittelbar nachdem die Vermählung vollzogen war, bat Luisa ihren Gatten, sein Haus wieder ganz auf den Fuß zurückzuversetzen, auf welchem es vorher gestanden, denn sie wünschte mit ihm ganz in derselben einfachen Weise zu leben, in welcher sie mit ihm schon vierzehn Jahre lang gelebt.

Der Kutscher und der Kammerdiener wurden deshalb verabschiedet, der Wagen und die Pferde verkauft.

Man behielt blos noch das Kammermädchen Nina, welches seiner Herrin mit aufrichtiger Anhänglichkeit ergeben zu sein schien.

Die alte Wärterin, welche sich fortwährend nach ihrem Portici gesehnt, ward pensioniert und kehrte erfreut dahin zurück, wie ein Verbannter, der in sein Vaterland zurückgekehrt.

Von allen Bekannten, welche Luisa während der neun Monate erworben, welche sie sich in der Welt bewegte, behielt sie nur eine einzige Freundin.

Diese war die Herzogin Fusco, eine reiche Wittwe, die, wie wir schon bemerkt, höchstens zehn Jahre älter war als Luisa und welcher selbst die geübteste Schmähsucht nichts nachzusagen wußte, ausgenommen, daß sie sich vielleicht ein wenig zu laut und zu frei über die politischen Maßnahmen der Regierung und das Privatleben der Königin aussprach.

Es dauerte nicht lange, so waren die beiden Freundinnen unzertrennlich.

Die beiden Häuser waren früher ein einziges gewesen und blos in Folge einer Erbschaftsrücksicht getheilt worden. Man kam überein, daß, damit man sich ungehindert zu jeder Stunde des Tages und der Nacht sehen könnte, die alte Verbindungsthür, welche seit jener Erbschaftstheilung verschlossen gewesen, wieder geöffnet würde.

Man setzte den Chevalier San Felice von diesem Vorhaben in Kenntniß und dieser ließ, weit entfernt, in die Wiedereröffnung einen Uebelstand zu sehen, vielmehr sofort die deshalb nöthigen Arbeiten bewirken. Nichts konnte ihn für seine junge Frau erwünschter sein, als eine Freundin von dem Range, dem Alter und dem Rufe der Herzogin Fusco.

Von nun an waren die beiden Frauen unzertrennlich.

Ein ganzes Jahr verging in dem vollkommensten Erdenglücke. Luisa war nun einundzwanzig Jahre alt und vielleicht wäre ihr Leben in dieser heiteren, beseligenden Ruhe verflossen, wenn nicht einige unkluge Worte, welche die Herzogin Fusco über Emma Lyonna fallen gelassen, der Königin hinterbracht worden wären.

In Bezug auf ihre Favoritin aber verstand Caroline keinen Scherz und die Herzogin Fusco ward von Seiten des Polizeiministers aufgefordert, einige Zeit auf ihren Gütern zuzubringen.

Sie hatte eine ihrer Freundinnen mitgenommen, welche ebenfalls compromittiert war und Eleonora Fonseca Pimentel hieß. Diese war angeklagt, nicht blos gesprochen, sondern auch geschrieben zu haben.

Die Zeit, welche die Herzogin Fusco in der Verbannung zubringen sollte, war unbestimmt. Eine von demselben Minister ausgehende Notiz sollte ihr melden, daß es ihr erlaubt sei, nach Neapel zurückzukommen.

Sie reiste nach der Basilicata, wo ihre Güter lagen, und übergab Luisa sämmtliche Schlüssel ihres Hauses, damit in ihrer Abwesenheit ihre Freundin jene tausenderlei Verrichtungen bewirken lassen könne, welche die Instandhaltung eines kostbaren und eleganten Mobiliars nöthig macht.

Luisa war nun allein.

Der Prinz Francesco hatte große Freundschaft zu seinem Bibliothekar gefaßt und da er in ihm unter der Hülle eines Weltmannes eine ebenso umfangreiche als tiefe Gelehrsamkeit fand, so konnte er seiner Gesellschaft, welcher er vor der feiner Höflinge den Vorzug gab, nicht mehr entbehren.

Der Prinz Francesco besaß einen sanften, schüchternen Charakter, dem die Furcht später eine außerordentliche Verstellungsgabe lieh.

Erschreckt durch die politischen Gewaltthätigkeiten seiner Mutter, welche er immer unpopulärer werden sah, während er zugleich den Thron unter seinen Füßen wanken fühlte, wollte er die Popularität, deren die Königin verlustig ging, dadurch für sich gewinnen, daß er der von der neapolitanischen Regierung befolgten Politik völlig fremd, ja selbst feindlich erschiene.

Die Wissenschaft bot ihm eine Zuflucht. Er machte sich aus seinem Bibliothekar einen Schild und schien vollständig in eine archäologischen, philologischen und geologischen Studien versenkt, ohne jedoch deshalb den Gang der täglichen Ereignisse, welche nach seiner Meinung einer Katastrophe entgegendrängten, aus den Augen zu verlieren.

Er machte daher jene geschickte, versteckte und freisinnige Opposition, welche unter despotischen Regierungen die Erben der Krone in der Regel zu machen pflegen.

Während dies Alles geschah, hatte der Prinz sich ebenfalls vermählt und mit großem Pomp jene junge Erzherzogin Marie Clementine nach Neapel heimgeführt, deren Melancholie und Blässe an diesem Hofe dieselbe Wirkung äußerten wie in einem Garten eine Nachtblume, welche stets bereit ist, sich den Strahlen der Sonne zu verschließen.

Der Prinz hatte San Felice dringend aufgefordert, seine Gattin mit zu den Festen zu bringen, welche bei Gelegenheit seiner Vermählung stattgefunden. Luisa aber, die von ihrer Freundin, der Herzogin Fusco, über die Sittenverderbniß dieses Hofes sehr genau unterrichtet war, hatte ihren Gatten gebeten, sie von jedem Erscheinen im Palast zu entheben.

Ihr Gatte, der nichts inniger wünschte als seine Gattin ihr keusches Gynäceum allen andern Orten vorziehen zu sehen, hatte sie entschuldigt, so gut er konnte.

War die Entschuldigung als triftig betrachtet worden? Dies wußte man nicht, wenigstens aber hatte man sich damit begnügt.

Seit beinahe einem Jahre aber war, wie wir schon gesagt, die Herzogin Fusco abgereist und Luisa sah sich allein. Die Einsamkeit ist die Mutter der Träume und während Luisa so allein, ihr Gatte im Palast beschäftigt und ihre Freundin in die Verbannung geschickt war, hatte sie begonnen zu träumen.

Worüber, das wußte sie selbst nicht. Ihre Träume hatten keinen Kern und wurden von keinem Phantom bevölkert. Es war ein süßes, berauschendes Streben nach dem Unbekannten. Es mangelte ihr nichts, sie wünschte nichts und dennoch fühlte sie eine seltsame Leere, deren Sitz wenn nicht in ihrem Herzen, doch wenigstens schon in der Nähe desselben war.

Sie sagte bei sich selbst, daß ihr Gatte, der ja Alles wußte, ihr ganz gewiß eine Erklärung dieses für sie so neuen Zustandes geben könne.

Aber sie wußte nicht, warum sie lieber gestorben wäre, als sich an ihn gewendet hätte, um sich über diesen Punkt Aufklärung zu verschaffen.

In dieser Gemüthstimmung befand sie sich eines Tages, als ihr Milchbruder Michele kam und ihr von der albanesischen Wahrsagerin erzählte.

Nach einigem Zögern befahl sie ihm, ihr diese Frau den nächsten Tag Abends zuzuführen, weil ihr Gatte wahrscheinlich bis spät in die Nacht hinein am Hofe durch die Festlichkeiten zurückgehalten werden würde, welche man dort zu Ehren Nelsons und des Sieges gab, den er über die Franzosen erfochten.

Wir haben gesehen, was während dieses Abends auf drei verschiedenen Punkten – in dem englischen Gesandtschaftshotel, in dem Palast der Königin Johanna und im Palmbaumhaus – vorging und wie die Wahrsagerin, durch Michele in dieses Haus eingeführt, sei es nun aus Zufall oder aus Scharfsinn, oder aus wirklicher Kenntniß der geheimmißvollen Wissenschaft, welche unter dem Namen der Kabbala aus dem Mittelalter bis auf unsere Tage gelangt ist, in dem Herzen der jungen Frau gelesen und ihr die Veränderung vorhergesagt hatte, welche das nahe Erwachen der Leidenschaften in diesem noch so keuschen und makellosen Herzen hervorrufen sollte.

Das Ereigniß war, sei es Zufall, sei es Verhängniß, der Vorhersagung dicht auf dem Fuße gefolgt.

Durch ein unwiderstehliches Gefühl zu dem Manne hingetrieben, dem ihr schnelles Erscheinen wahrscheinlich das Leben gerettet, floh sie, wie wir gesehen haben, weil sie zum ersten Male ein Geheimniß für sich allein hatte, die Nähe ihres Gatten, stellte sich schlafend, empfing auf ihre jetzt von so unruhigen Gedanken erfüllte Stirn den ruhigen Gattenkuß, und erhob sich, sobald San Felice das Zimmer verlassen hatte, verstohlen mit nackten Füßen, um mit angstvollem Herzen und unruhigem Blick den über dem Bett des Verwundeten schwebenden Tod zu befragen.

Lassen wir sie mit den Zuckungen einer keimenden Liebe im Herzen am Bett des tödtlich Verwundeten wachen, und sehen wir, was am Tage nach dem, wo der Gesandte Frankreichs den Gästen Sir Willam Hamiltons jenes furchtbare Lebewohl zugerufen, im Cabinetsrath des Königs Ferdinand vorging.

La San Felice

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