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Die San Felice
Achtes Capitel.
Das Asylrecht

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Der erste Theil der Geschichte, welche der junge Mann so eben erzählt, war seinen Zuhörern so seltsam erschienen, daß sie aufmerksam, stumm und ohne ihn zu unterbrechen zugehört hatten. Ueberdies konnte er aus dem Schweigen, welches sie während der augenblicklichen Pause, die er machte, zu beobachten fortfuhren, das Interesse, welches sie an seiner Erzählung fanden, und den Wunsch abnehmen, das Ende oder vielmehr den Anfang derselben zu hören.

Er zögerte auch nicht seine Erzählung wieder aufzunehmen.

»Unsere Familie,« fuhr er fort, »bewohnte seit undenklichen Zeiten die Stadt Larino in der Provinz Molisa. Ihr Name war Maggio Palmieri. Mein Vater Giuseppe Maggio Palmieri oder vielmehr Giuseppe Palmieri, wie man ihn gewöhnlicher nannte, beendete gegen das Jahr 1778 eine Studien auf der chirurgischen Schule zu Neapel.«

»Ich habe ihn gekannt,« bemerkte Domenico Cirillo. »Er war ein wackerer und redlicher junger Mann und einige Jahr jünger als ich. Gegen 1771 kehrte er in seine Provinz zurück. Es war dies um dieselbe Zeit, wo ich zum Professor ernannt ward. Nach Verlauf einiger Zeit hörten wir, er habe sich in Folge eines Zwistes mit seinem Gutsherrn, eines Zwistes, bei welchem Blut geflossen, genöthigt gesehen, das Land zu verlassen.«

»Seien Sie gesegnet und geehrt,« sagte Salvato, sich verneigend, »Sie, der Sie meinen Vater gekannt und ihm vor seinem Sohn Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Erzählen Sie weiter, erzählen Sie weiter, sagte Cirillo. »Wir hören Sie.«

»Ja, erzählen Sie weiter!« wiederholten die andern Geschworenen wie aus einem Munde.

»Also gegen das Jahr 1771, wie so eben gesagt worden, verließ Giuseppe Palmieri, mit dem Doctordiplom versehen, Neapel. Er stand bereits im Rufe großer Geschicklichkeit, welche mehrere schwierige, von ihm mit großem Glück ausgeführte Curen außer allen Zweifel stellten.

»Er liebte ein junges Mädchen in Larino. Dieselbe hieß Louisa Angiolina Ferri. Schon vor ihrer zeitweiligen Trennung verlobt, hatten die Liebenden einander drei Jahre lang unverbrüchliche Treue bewahrt und ihre Vermählung sollte das Hauptfest der Rückkehr sein.

»Während der Abwesenheit meines Vaters war jedoch ein Ereigniß geschehen, welches ein Unglück zu nennen war. Der Graf von Molisa hatte sich in Angiolina Ferri verliebt. Sie, die Sie dieses Land bewohnen, wissen besser als ich, was für Menschen unsere Edelleute in der Provinz sind und wie es mit den Rechten steht, welche sie von ihrer Feudalgewalt herleiten. Eines dieser Rechte war auch das, daß sie ihren Gutsumterthanen die Erlaubniß, sich zu verheiraten, je nach ihrem Gutdünken gewähren oder versagen konnten.

»Weder Giuseppe Palmieri noch Angiolina Ferri waren aber Unterthanen des Grafen von Molisa. Beide waren frei geboren und unabhängig, ja noch mehr, mein Vater konnte sich in Folge seines Vermögens fast als dem Grafen ebenbürtig betrachten.

»Dieser hatte Alles – Drohungen eben so wie Versprechungen – aufgeboten, um von Angiolina auch nur einen Blick zu erlangen. Alles war an einer Keuschheit gescheitert, deren Symbol der Name des jungen Mädchens zu sein schien.

»Der Graf gab ein großes Fest und lud sie mit zu demselben ein. Während dieses Festes, welches nicht blos in dem Schloß, sondern auch in den Gärten des Grafen statt finden sollte, wollte sein Bruder, der Baron Bongano, Angiolina entführen und fiel auf das andere Ufer des Tortore in das Schloß Tragonara bringen.

»Angiolina, die wie alle Damen von Larino eingeladen worden, schützte eine Unpäßlichkeit vor, um dem Feste nicht beiwohnen zu müssen, am nächstfolgenden Tage schickte der Graf von Molisa, der nun alle Selbstbeherrschung verlor, seine Campieri ab, um die junge Dame mit Gewalt entführen zu lassen.

»Angiolina hatte, während die Leute des Grafen die Hausthür aufsprengten, nur eben noch Zeit, durch die Gartenthür in den bischöflichen Palast zu fliehen, einen Ort, der an und für sich schon und durch die Nähe der Kathedrale doppelt geheiligt war.

»Aus diesem Grunde genoß er das Asylrecht.

»Auf diesem Punkte waren die Dinge angelangt, als Giuseppe Palmieri nach Larino zurückkam.

»Der bischöfliche Stuhl war damals zufällig erledigt. Ein Vicar vertrat die Stelle des Bischofs. Giuseppe Palmieri begab sich zu diesem Vicar, einem alten Freunde seiner Familie, und die Vermählung ward heimlich in der Capelle des bischöflichen Palastes vollzogen.

»Der Graf von Molisa erfuhr, was geschehen war, trotz seiner Wuth aber respektierte er die Vorrechte des Ortes. Dabei aber umstellte er den ganzen Palast mit Bewaffneten, welche beauftragt waren, alle Einpassirenden, ganz besonders aber alle Auspassierenden genau zu überwachen.

»Mein Vater wußte recht wohl, daß diese Bewaffneten ganz besonders seinetwegen dastanden, und daß für seine Gattin die Ehre, für ihn aber das Leben auf dem Spiele stand.

»Auf ein Verbrechen kommt es unseren Edelleuten nicht an. Der Straflosigkeit sicher, hatte der Graf von Molisa schon seit langer Zeit aufgehört, ein Register über die Meuchelmorde zu führen, welche er selbst verübt, oder durch seine Sbirren hatte verüben lassen.

»Die Leute des Grafen hielten gut Wache. Man sagte, daß Angiolina lebend mit zehntausend und mein Vater todt mit fünftausend Ducaten bezahlt werden würde.

»Mein Vater blieb eine Zeit lang in dem bischöflichen Palast versteckt; unglücklicherweise aber war er nicht der Mann, der einen solchen Zwang lange ertragen konnte. Seiner Gefangenschaft überdrüssig, beschloß er eines Tages seinem Verfolger den Garaus zu machen.

»Nun hatte der Graf von Molisa die Gewohnheit, alle Tage eine oder zwei Stunden vor dem Ave Maria seinen Palast zu Wagen zu verlassen und eine Spazierfahrt bis an das Capuzinerkloster zu machen, welches ungefähr zwei Meilen von der Stadt entfernt war. Hier angelangt, befahl der Graf seinem Kutscher allemal, wieder nach dem Palast zurückzufahren; der Kutscher lenkte um und es ging dann in kurzem Trabe, beinahe im Schritt, nach der Stadt zurück.

»Auf der Mitte des Weges von Larino nach dem Kloster befindet sich der Brunnen des heiligen Pardo, des Schutzpatrones dieser Gegend, und hie und da um den Brunnen herum gibt es Strauchwerk und Hecken.

»Giuseppe Palmieri verließ den bischöflichen Palast in Mönchskleidung und täuschte die Wachsamkeit aller ihm auflauernden Verfolger.

»Unter seiner Kutte hielt er ein paar Degen und ein paar Pistolen verborgen.

»An dem Brunnen des heiligen Pardo angelangt, fand er den Ort günstig gelegen. Er machte Halt und versteckte sich hinter einer Hecke.

»Der Wagen des Grafen kam vorüber. Er ließ ihn fahren. Es war noch eine Stunde Tag.

»Eine halbe Stunde später hörte er das Rollen des zurückkommenden Wagens. Nun warf er sein Mönchsgewand ab und stand in seinen gewöhnlichen Kleidern da.

»Der Wagen näherte sich. Mit der einen Hand faßte Giuseppe Palmieri die entblößten Degen, mit der andern die gespannten Pistolen und stellte sich mitten auf die Straße.

»Als der Kutscher diesen Mann, von dem er schlimme Absichten vermuthete, erblickte, lenkte er die Pferde ein wenig seitwärts, mein Vater aber brauchte nur eine kleine Bewegung zu machen, um sich den Pferden gegenüber zu befinden.

»Wer bist Du und was willst Du?« fragte der Graf indem er sich in seinem Wagen erhob.

»Ich bin Giuseppe Maggio Palmieri,« antwortete ihm mein Vater, »ich will dein Leben.«

»Versetze diesem Schurken einen Peitschenhieb über das Gesicht und fahr zu!« sagte der Graf zu einem Kutscher.

Dann warf er sich wieder in seinen Wagen zurück.

»Der Kutscher hob die Peitsche, ehe dieselbe aber niederfallen konnte, drückte mein Vater eines seiner Pistolen auf ihn ab. Der Kutscher stürzte von seinem Sitz zur Erde herab.

»Die Pferde blieben unbeweglich stehen. Mein Vater trat an den Wagen und öffnete den Schlag.

»Ich komme nicht hierher, um Dich zu ermorden, obschon ich das Recht dazu hätte, weil ich mich im Fall gerechter Nothwehr befinde, sondern um mich ehrlich mit Dir zu schlagen, sagte er zu dem Grafen. »Wähle!! hier sind zwei Degen von gleicher Länge, hier sind auch zwei Pistolen. Von diesen beiden Pistolen ist blos noch eine geladen. Es wäre dies ein wahrhaftes Gottesurtheil.«

»Und mit einer Hand bot er ihm die beiden Degengriffe, mit der andern die beiden Pistolenholftern.

»Mit einem Untergebenen schlägt man sich nicht, sagte der Graf. »Man prügelt ihn einfach durch.«

»Und einen Stock hebend, schlug er meinen Vater ins Gesicht. Mein Vater ergriff die noch geladene Pistole und schoß dem Grafen die Kugel durchs Herz.

»Der Graf zuckte kein Glied und stieß keinen Laut aus. Er war todt.

»Mein Vater legte ein Mönchsgewand wieder an, steckte seine Degen in die Scheide, lud seine Pistolen wieder und kehrte ebenso unbemerkt in den bischöflichen Palast zurück, als wie er denselben verlassen.

»Was die Pferde betraf, so setzten sie sich, als sie sich frei fühlten, von selbst wieder in Bewegung, und da sie den Weg, den sie täglich zweimal zurücklegten, ganz genau kannten, so kehrten sie nach dem Palast des Grafen zurück. Seltsamerweise aber setzten sie, anstatt vor der hölzernen Brücke stehen zu bleiben, welche nach dem Thor des Schlosses führte, als ob sie gewußt hätten, daß jetzt nicht mehr ein Lebender, sondern ein Todter im Wagen saß, ihren Weg weiter fort und blieben erst an der Schwelle einer kleinen Kirche stehen, die unter dem Schutze des heiligen Franciscus stand und in welcher der Graf, wie er wiederholt gesagt, begraben zu sein wünschte.

»In der That ließ auch die Familie des Grafen, welche diesen Wunsch kannte, seine Leiche in dieser Kirche bestatten und errichtete ihm ein Grabmal.

»Dieser Vorfall machte großes Aufsehen. Der zwischen meinem Vater und dem Grafen bestandene Zwist war allgemein bekannt, und es versteht sich von selbst, daß mein Vater alle Sympathien für sich hatte. Niemand zweifelte, daß er der Urheber des Mordes sei, und als ob er selbst wünschte, daß man nicht daran zweifle, hatte er der Witwe des Kutschers eine Summe von zehntausend Francs zustellen lassen.

»Der jüngere Bruder des Grafen erbte das ganze Vermögen, erklärte sich aber auch gleichzeitig zum Erben seiner Rache. Er war es, welcher Angiolina entführen helfen gewollt. Er war ein Elender, der mit einundzwanzig Jahren schon drei oder vier Mordthaten begangen. Was die von ihm außerdem verübten Gewaltthaten betraf, so waren dieselben gar nicht zu zählen.

»Er schwur, daß dieser Schuldige ihm nicht entrinnen solle, verdoppelte die Zahl der Wächter, welche den bischöflichen Palast umringt hielten, und übernahm selbst das Commando derselben.

»Maggio Palmieri fuhr fort sich in dem bischöflichen Palast verborgen zu halten. Seine Familie und die seiner Gattin brachten ihnen Alles, was sie an Lebensmitteln und Kleidungsstücken brauchten.

»Angiolina war im fünften Monat schwanger. Die beiden jungen Ehegatten lebten nur sich und ihrer Liebe und waren so glücklich, als man es ohne die Freiheit sein kann.

»So vergingen zwei Monate. Der 26. Mai war da, der Tag, wo man in Larino das Fest des heiligen Pardo feiert, welcher, wie ich schon bemerkt habe, der Schutzpatron dieser Stadt ist.

»An diesem Tage findet eine große Prozession statt. Die Besitzer von Meiereien schmücken ihre Wagen mit Draperien, Guirlanden, Kränzen und Fähnchen von allen Farben, und bespannen sie mit Stieren, deren Hörner vergoldet und die mit Blumen und Bändern bedeckt sind.

»Diesen Wagen folgt die Prozession, welche, von der ganzen Bevölkerung von Larino und den umliegenden Dörfern begleitet und das Lob des Heiligen singend, die Büste desselben durch die Straßen trägt.

»Nun mußte diese Prozession, um in die Kathedrale zu gelangen, oder um dieselbe zu verlassen, an dem bischöflichen Palast vorbei, welcher den beiden jungen Leuten zur Freistätte diente.

»In dem Augenblick, wo die Prozession und das Volk, auf dem großen Platze der Stadt Halt machend, singend den Wagen umtanzte, näherte Angiolina, an den Gottesfrieden glaubend, sich dem Fenster – eine Unklugheit, vor welcher ihr Gatte sie doch wohlmeinend gewarnt hatte.

»Das Unglück wollte, daß der Bruder des Grafen diesem Fenster gerade gegenüber auf dem Marktplatze stand. Er erkannte Angiolina durch die Fensterscheibe hindurch, entriß einem Soldaten das Gewehr, legte an und gab Feuer.

»Angiolina stieß nur einen Schrei aus und sprach nur zwei Worte: »Mein Kind!«

»Bei dem Knall des Schusses, bei dem Klirren des zersplitterten Fensters, bei dem durch seine Gattin ausgestoßenen Ruf eilte Giuseppe Palmieri eben noch früh genug herbei, um sie in seinen Armen aufzufangen.

»Die Kugel hatte Angiolina gerade mitten in die Stirn getroffen.

»Außer sich vor Schmerz faßte ihr Gatte sie in seine Arme, trug sie auf ihr Bett, neigte sich über sie, und bedeckte sie mit Küssen. Alles aber war umsonst. Sie war todt.

»Bei dieser schmerzlichen letzten Umarmung aber fühlte er plötzlich das Kind, welches im Schoße der Todten zuckte.

»Er stieß einen Schrei aus, ein Blitz durchzuckte ein Gehirn und er ließ seinerseits seinem Herzen die beiden Worte entschlüpfen:

»Mein Kind!«

»Die Mutter war todt, aber das Kind lebte. Das Kind konnte gerettet werden.

»Mit gewaltiger Selbstbeherrschung trocknete er sich den Schweiß, der auf seiner Stirn perlte, und die Thränen, welche seinen Augen entrannen. Dann murmelte er mit sich selbst sprechend: »Sei ein Mann!« Hierauf nahm er sein Besteck, öffnete es, wählte das schärfte seiner Instrumente und entriß, das Leben aus dem Schooße des Todes ziehend, das Kind den zerrissenen Eingeweiden der Mutter.

»Dann legte er es noch mit Blut bedeckt in ein Tuch, welches er mit den vier Zipfeln zusammenknüpfte, nahm das Tuch zwischen die Zähne, eine Pistole in jede Faust, und sprang, selbst mit Blutüberströmt, mit bis an die Ellbogen gerötheten Armen und mit dem Blick den Platz messend, den er zu überschreiten, und die Zahl der Feinde berechnend, die er zu bekämpfen hatte, die Stufen hinab, öffnete das Thor des bischöflichen Palastes und stürzte sich mit gesenktem Haupte mitten unter das Menschengewimmel, indem er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurchschrie:

»Platz für den Sohn der Todten!«

»Zwei Bewaffnete wollten ihn aufhalten; er schoß sie beide nieder. Ein dritter versuchte ihm den Weg zu versperren; er streckte ihn durch einen Schlag mit der Kolbe seiner Pistole zu seinen Füßen nieder. Er rannte über den Platz trotz des Feuers der Wächter und ohne daß eine ihrer Kugeln ihn getroffen hätte, erreichte einen Wald, durchschwamm den Biferno, sah auf einer Wiese ein ohne Aufsicht weidendes Pferd, schwang sich auf den Rücken desselben, erreichte Manfredonia, ging an Bord eines dalmatischen Fahrzeuges, welches eben den Anker lichtete, und erreichte Triest.

»Das Kind war ich. Das Uebrige des Abenteuers kennen Sie bereits. Sie wissen, wie fünfzehn Jahre später der Sohn der Todten seine Mutter rächte.

»Und nun,« setzte der junge Mann hinzu, »nun, wo ich Ihnen meine Geschichte erzählt habe, nun, wo Sie mich kennen, beschäftigen wir uns mit dem, was ich zu thun gekommen bin. Es bleibt mir noch eine zweite Mutter zu rächen – das Vaterland!«

La San Felice

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