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Zweiter Theil
Fünftes Capitel.
Der König

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Wenn wir anstatt einer Erzählung historischer Ereignisse, welchen die Wahrheit ein um so furchtbareres Gepräge aufdrückt und welche überdies einen unauslöschlichen Platz in den Annalen der Weltgeschichte eingenommen, blos einen Roman von zwei bis dreihundert Seiten in der Absicht schreiben wollten, einer frivolen Leserin oder einem blasierten Leser durch eine Reihenfolge mehr oder weniger malerischer Abenteuer oder aus unserer Phantasie hervorgegangener, mehr oder weniger dramatischer Ereignisse einige Zerstreuung zu bieten, so würden wir, dem Grundsatz des lateinischen Dichters folgend und der Entwicklung zueilend, unsern Leser oder unsere Leserin sofort den Berathungen jenes Cabinetsraths, zu welchem der König Ferdinand sich einfand, und bei welchem die Königin Caroline den Vorsitz führte, beiwohnen lassen, ohne uns erst die Mühe zu nehmen, sie genauer mit den beiden Souveränen bekannt zu machen, von welchen wir in unserem ersten Capitel einen flüchtigen Schattenriß angedeutet haben.

Wir sind aber überzeugt, daß unsere Erzählung dann allerdings an raschem Gang gewinnen, dagegen an Interesse verlieren würde, denn je besser man die Personen, welche man agieren sieht, kennt, desto größer ist nach unserer Ansicht das Interesse, welches man an ihren guten oder schlimmen Thaten nimmt.

Uebrigens haben die seltsamen Persönlichkeiten, welche wir in den beiden gekrönten Helden dieser Geschichte in den Vordergrund treten zu lassen haben, so viele bizarre Seiten, daß gewisse Stellen unserer Erzählung unglaublich oder unverständlich sein würden, wenn wir nicht hier einen Augenblick Halt machten, um unsere in großen Strichen hingeworfenen Skizzen in zwei sorgfältig ausgeführte Oelporträts zu verwandeln, welche, wie wir im Voraus versprechen, mit den offiziellen Abbildungen von Königen und Königinnen, welche die Minister des Innern an die Hauptorte der Departements und der Cantons schicken, damit man dort die Präfekturen und die Mairien damit verziere, durchaus nichts gemein haben werden.

Gehen wir daher in Bezug auf die Dinge oder vielmehr auf die Personen noch ein wenig weiter zurück.

Der im Jahre 1759 erfolgte Tod Ferdinands des Sechsten rief seinen jüngsten Bruder, welcher in Neapel regierte, auf den spanischen Thron, auf welchem er ihm unter dem Namen Carl der Dritte folgte.

Carl der Dritte hatte drei Söhne.

Der erste hieß Philipp und wäre bei der Thronbesteigung seines Vaters Prinz von Asturien und ein Erbe der spanischen Krone geworden, wenn nicht die schlechte Behandlung, die er von seiner Mutter erfuhr, ihn wahnsinnig oder vielmehr blödsinnig gemacht hatte.

Der zweite Namens Carl füllte die durch die Umverwendbarkeit seines ältesten Bruders entstandene Lücke aus und regierte unter dem Namen Carl der Vierte.

Der dritte endlich hieß Ferdinand und sein Vater hinterließ ihm die Krone von Neapel, welche er mit der Schärfe des Schwertes gewonnen und die er gleichwohl gezwungen war, wieder aufzugeben.

Der junge Prinz, welcher, als sein Vater nach Spanien abging, sieben Jahre zählte, ward unter eine doppelte Vormundschaft, eine politische und moralische, gestellt.

Sein politischer Vormund war Tanucci, Regent des Königreichs; ein moralischer Vormund war der Fürst von San Nicandro, sein Lehrer.

Tanucci war ein feiner, schlauer Florentiner, welcher den ausgezeichneten Platz, den er in der Geschichte einnimmt, nicht seinem eigenen großen persönlichen Verdienst, sondern dem geringen Verdienst der Minister, welche auf ihn folgten, verdankt. Groß an und für sich betrachtet, würde er doch zu einer sehr gewöhnlichen Erscheinung zusammenschrumpfen, wenn man ihn mit einem Colbert oder auch nur mit einem Louvois vergliche.

Was den Fürsten von Nicandro betraf, welcher, wie man versicherte, von der Mutter Ferdinands, der Königin Marie Amelie,4 derselben Fürstin, welche ihren ältesten Sohn durch schlechte Behandlung blödsinnig gemacht, das Recht gekauft hatte, aus ihrem dritten Sohn, wenn auch nicht einen Blödsinnigen, doch einen Ignoranten zu machen, und der, wie man versicherte, dieses Recht mit dreißigtausend Ducaten bezahlt hatte, so war er der reichste, der bornierteste und verderbteste der Höflinge, welche gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts den Thron der beiden Sicilien umschwärmten.

Man fragt sich, wie ein solcher Mann selbst mit Hilfe von Geld dazu gelangen konnte, Lehrer eines Fürsten zu werden, der einen so intelligenten Mann wie Tanucci zum Minister hatte.

Die Antwort hierauf ist sehr einfach. Taunucci, welcher Regent des Königreichs, das heißt, eigentlicher Regent beider Sicilien war, sah es gar nicht ungern, wenn diese Regentschaft auch über die Volljährigkeit eines vornehmen Mündels hinaus verlängert ward.

Als Florentiner hatte er das Beispiel der Florentinerin Katharina von Medicis vor Augen gehabt, welche nach der Reihe unter Franz dem Zweiten, Carl dem Neunten und Heinrich dem Dritten regiert hatte.

Nun konnte es ihm aber nicht fehlen, unter oder über Ferdinand, wie man will, zu regieren, wenn es dem Fürsten von San Nicandro gelang, aus seinem Zöglinge einen Fürsten zu machen, der eben so unwissend und eine eben so große Null war, wie sein Lehrer.

Wenn dies wirklich Tanuccis Wunsch war, so muß man sagen, daß der Fürst von San Nicandro ihm bereitwilligt entgegenarbeitete. Ein deutscher Jesuit war beauftragt, den König im Französischen zu unterrichten, was dieser aber niemals lernte, und da man es nicht angemessen fand, ihn italienisch zu lehren, so war die Folge davon die, daß er zur Zeit seiner Vermählung weiter nichts sprechen konnte als das Patoisde Lazzaroni, welches er von seiner Dienerschaft und den Kindern aus dem Volke gelernt, welche man zu seiner Zerstreuung zu ihm kommen ließ.

Marie Caroline brachte ihn so weit, daß er sich dieser Unwissenheit schämte, lehrte ihn lesen und schreiben, was er bis jetzt so gut wie nicht gekonnt, und ließ ihn ein wenig im reinen Italienisch unterrichten. In seinen gut gelaunten oder zärtlichen Augenblicken nannte er sie daher auch nicht anders als »meine liebe Schulmeisterin«, indem er auf diese Weise auf die Elemente seiner Erziehung anspielte, welche sie zu vervollständigen gesucht hatte.

Wünscht man ein Beispiel von der Beschränktheit des Fürsten von San Nicandro zu hören? Wir wollen eins erzählen.

Eines Tages fand der würdige Lehrer in Ferdinands Händen die »Memoiren Sullys, welche der junge Prinz zu entziffern suchte, weil er gehört, daß er von Heinrich dem Vierten abstamme und daß Sully Minister Heinrich des Vierten gewesen sei. Das Buch ward ihm sofort weggenommen und dem Unvorsichtigen, der ihm dieses schlechte Buch geliehen, ein scharfer Verweis ertheilt. Wir erwähnen diese erste Erziehung ganz besonders deshalb, damit man dem König Ferdinand für die tadelnswerthen Handlungen, die man ihn im Laufe dieser Erzählung begehen sehen wird, keine schwerere Verantwortlichkeit aufbürde, als die Gerechtigkeit gestattet.

Nachdem wir diesen ersten Punkt der historischen Unparteilichkeit festgestellt, wollen wir sehen, wie es eigentlich mit dieser Erziehung aussah.

Das Gewissen des Fürsten von San Nicandro begnügte sich nicht mit der tröstlichen Ueberzeugung, daß er, da er selbst nichts wußte, seinem Zöglinge auch nichts lehren konnte, sondern um ihn in einer ewigen Kindheit zu erhalten, während doch zugleich die physischen Eigenschaften, womit die Natur ihn begabt, durch tüchtige Leibesübungen entwickelt würden, entfernte er von ihm Alles – Mensch oder Buch – was in seinem Gemüthe das mindeste Licht über das Schöne, über das Gute und über das Wahre verbreiten konnte.

Der König Carl der Dritte war wie Nimrod ein großer Jäger vor dem Herrn. Der Fürst von San Nicandro that Alles, was in seinen Kräften stand, damit wenigstens in dieser Beziehung der Sohn in die Fußstapfen des Vaters träte. Deshalb setzte er alle tyrannischen Jagdgesetze, die selbst unter Carl dem Dritten außer Anwendung gekommen waren, wieder in Kraft. Die Wilddiebe wurden mit Gefängniß, Kettentragen und selbst mit der Wippe bestraft.

Man bevölkerte die königlichen Forsten wieder mit Hochwild. Man vervielfältigte die Aufseher, und damit die Jagd, dieses anstrengende Vergnügen, den jungen Fürsten nicht zu sehr ermüde und damit er während der dadurch nöthig gemachten Erholungszeit nicht auf den allerdings nicht wahrscheinlich, aber doch immer möglichen Gedanken verfiele, irgendeine Wissenschaft studieren zu wollen, brachten seine Lehrer ihm Geschmack am Fischfang, einem ruhigen bürgerlichen Vergnügen, bei, welches nach dem anstrengenden und königlichen Vergnügen der Jagd zur Erholung dienen konnte.

Eins von den Dingen, welche den Fürsten von San Nicandro in Bezug auf die Zukunft des Volkes, über welches sein Zögling zu regieren berufen war ganz besonders beunruhigten, war, daß dieser ein von Natur sanftes und gutes Gemüth besaß. Es war deshalb dringend nöthig, diese beiden Eigenschaften in dem Herzen eines jungen Königs nicht Wurzel fassen zu lassen.

Der Fürst von San Nicandro schlug zu diesem Zwecke folgenden Weg ein.

Er wußte, daß der älteste Bruder seines Zöglings, der, welcher Prinz von Asturien geworden und seinem Vater nach Spanien gefolgt war, während seines Aufenthaltes in Neapel es sich zum großen Vergnügen gemacht hatte, lebendigen Kaninchen die Haut abzuziehen.

Der Fürst suchte auch Ferdinand Geschmack an diesem Zeitvertreib beizubringen, der arme Knabe legte aber dagegen einen solchen Widerwillen an den Tag, daß San Nicandro beschloß, ihn die armen Thiere blos todtschlagen zu lassen.

Um diesem Vergnügen den Reiz der überwundenen Schwierigkeit zu geben, und da man aus Furcht, er werde sich selbst verletzen, einem acht- oder neunjährigen Knaben noch kein Schießgewehr in die Hand geben konnte, so trieb man vierzig bis fünfzig Stück im Netz gefangene Kaninchen in einem Hofe zusammen und jagte sie durch eine in einer Thür angebrachte Oeffnung, hinter welcher der junge König mit einem Stocke stand, und die an ihm vorbeirennenden Thiere erlegte oder fehlte.

Ein anderes Vergnügen, an welchem der Zögling des Fürsten von San Nicandro nicht weniger Geschmack fand, war das, daß er Thiere auf Tüchern prellen ließ. Leider kam er eines Tages auf die unglückliche Idee, einen der Jagdhunde des Königs, seines Vaters, prellen zu lassen, was einen strengen Verweis und das unbedingte Verbot zur Folge hatte, jemals wieder einen dieser edlen Vierfüßler zu behelligen.

Als König Carl der Dritte nach Spanien abgereist war, sah der Fürst von San Nicandro kein Hinderniß mehr, seinem Zögling die verlorene Freiheit zurückzugeben und dieselbe sogar von den Vierfüßlern auf die Zweifüßler zu erstrecken.

So sah er eines Tages, als Ferdinand Ball schlug, unter denen, welche ihm bei diesem edlen Spiel zusahen, einen magern, weißgepuderten und mit einem geistlichen Gewand bekleideten jungen Mann.

Ihn sehen und den unwiderstehlichen Wunsch, ihn prellen zu lassen, empfinden, war das Werk eines Augenblickes.

Ferdinand sagte einem der zum Empfang seiner Befehle bereit stehenden Lakai einige Worte ins Ohr. Der Lakai eilte nach dem Schlosse – der Vorfall ereignete sich in Portici – und kehrte mit einem großen Tuch zurück. Sobald dieses zur Stelle gebracht war, verließen der König und drei Spieler das Spiel, ließen den bezeichneten jungen Mann von dem Lakai packen, auf das Tuch, welches sie an den vier Zipfeln hielten legen, und prellten ihn unter dem Gelächter der Zuschauer und dem Beifallsgeschrei des gemeinen Volkes.

Der junge Mann, welchem diese Schmach zugefügt ward, war der jüngste Sohn einer edlen florentinischen Familie. Die Scham, die er darüber empfand, auf diese Weise dem Prinzen zum Spielwerk und dem Pöbel und Lakaientroß zum Gelächter gedient zu haben, war so groß, daß er Neapel noch denselben Tag verließ, nach Rom ging, hier gleich nach seiner Ankunft erkrankte und nach Verlauf von wenigen Tagen starb.

Der Hof von Toscana beschwerte sich bei den Cabineten von Neapel und Madrid, der Tod eines kleinen Abbé und jüngeren Sohnes war aber von zu geringer Bedeutung, als daß durch den Vater des Schuldigen oder den Schuldigen selbst irgendwelche Genugthuung gegeben worden wäre.

Man begreift, daß der König, als Kind gänzlich mit dergleichen Vergnügungen beschäftigt, sich in der Gesellschaft unterrichteter Leute langweilte und als junger Mann sich derselben schämte.

Er verbrachte deshalb seine ganze Zeit theils auf der Jagd, theils beim Fischfang oder damit, daß er Kinder seines Alters exercieren ließ, indem er sie im Hofe des Schlosses versammelte und mit Besenstielen bewaffnete, Sergeanten, Lieutenants und Capitäne ernannte und die, welche schlecht exercirten oder schlecht commandierten, mit seiner Peitsche durchhieb.

Trotz dieser mangelhaften Erziehung bewahrte der König doch einen gewissen gesunden Menschenverstand, welcher, wenn er nicht in entgegengesetzter Richtung beeinflußt ward, ihn zum Rechten und Wahren führte.

In der ersten Hälfte seines Lebens, nämlich vor der französischen Revolution und so lange er nicht das Eindringen dessen, was er die schlechten Grundsätze nannte, fürchtete, weigerte er sich niemals, Aemter oder Pensionen den Männern zu verleihen, welche ihm als verdienstvoll empfohlen wurden.

Obschon er selbst nur das Patois des Hafendammes sprach, so war er doch für eine erhabene und beredte Sprache durchaus nicht unempfindlich.

Eines Tages gelang es einem Barfüßermönch, Namens Pater Fosco, der von den Mönchen seines Klosters verfolgt ward, weil er gelehrter und ein besserer Prediger war als diese, bis vor den König zu kommen; er warf sich ihm zu Füßen und erzählte ihm, was er von der Eifersucht und Unwissenheit seiner Collegen zu leiden hatte.

Der König ließ, betroffen von der Eleganz seiner Worte und der Energie seiner Ausdrucksweise, ihn lange sprechen und antwortete dann endlich:

»Laßt mir euren Namen da und kehrt in euer Kloster zurück. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß Ihr das erste erledigte Bisthum erhalten sollt.«

Das erste Bisthum, welches zur Erledigung kam, war das von Monopoli in der Provinz Bari am adriatischen Meere.

Der Gewohnheit gemäß präsentierte der Großalmosenier dem König drei Candidaten, die sämmtlich aus vornehmen Familien bestanden.

Der König Ferdinand schüttelte jedoch den Kopf und sagte:

»Seitdem Ihr beauftragt seid, Candidaten zu präsentiren, habt Ihr mich veranlaßt, sehr viele Bischofsmützen an Esel zu verleihen, für welche ein Packsattel weit angemessener gewesen wäre. Heute beliebt es mir, einen Bischof nach meiner Façon zu machen. Ich hoffe, daß er besser sein wird als alle, welche Ihr mir aufs Gewissen geladen und wegen deren Ernennung ich Gott und den heiligen Januarius um Verzeihung bitte.«

Und die drei Namen durchstreichend, schrieb er den des Pater Fosco hin.

Pater Fosco ward auf diese Weise, wie Ferdinand vorausgesehen, einer der ausgezeichnetsten Bischöfe des Königreichs und als eines Tages Jemand, der ihn predigen gehört, gegen den König nicht blos die Beredsamkeit, sondern auch den musterhaften Lebenswandel des ehemaligen Barfüßermönchs lobte, antwortete Ferdinand:

»Ich würde immer auf diese Weise wählen, bis jetzt habe ich aber nur einen einzigen verdienstvollen Mann unter den Leuten der Kirche kennen gelernt. Der Großalmosemier bringt allemal nur Esel in Vorschlag. Freilich aber kennt der arme Mann Niemanden weiter als seine Stallgenossen.«

Ferdinand gab zuweilen Beweise von einer Gutmüthigkeit und Leutseligkeit, welche an die seines Ahns Heinrichs des Vierten erinnerte.

Eines Tages, als er in Uniform im Park von Caserta spazieren ging, näherte sich ihm eine Bäuerin und sagte zu ihm:

»Man hat mir versichert, mein Herr, daß der König oft in dieser Allee spazieren ginge. Wissen Sie vielleicht, ob ich Aussicht habe, ihm heute hier zu begegnen?«

»Gute Frau,« antwortete Ferdinand, »wann der König hier vorüberkommen wird, kann ich Euch nicht sagen, wenn Ihr aber etwas bei ihm anzubringen habt, so kann ich es ihm mittheilen, weil ich Dienst bei ihm habe.«

»Nun denn,« sagte die Frau, »die Sache ist die. Ich habe einen Prozeß und da ich als arme Witwe dem Berichterstatter beim Spruchgericht kein Geschenk machen kann, so hat dieser die Sache schon seit drei Jahren liegen lassen.«

»Habt Ihr darüber eine Bittschrift aufsetzen lassen?«

»Ja, mein Herr, hier ist sie.«

« »Gebt sie mir und kommt morgen zu derselben Stunde wieder. Ich werde sie Euch, mit der Randbemerkung des Königs versehen wieder zurückgeben.«

»Und ich,« sagte die Witwe, »ich habe blos drei fette Truthühner, wenn Sie aber dies für mich thun, so gehören die drei Truthühner Ihnen.«

»Nun dann kommt morgen mit euren drei Truthühnern wieder, gute Frau, und eure Bittschrift soll erledigt werden.«

Die Witwe fand sich pünktlich ein, aber nicht pünktlicher als der König selbst. Ferdinand hatte die Bittschrift in der Hand, die Frau die drei Truthühner. Er nahm die drei Hühner und die Frau die Bittschrift in Empfang.

Während der König die Hühner betastete, um zu sehen, ob sie wirklich so fett wären, wie die Frau gesagt, schlug die gute Frau die Bittschrift auseinander, um zu sehen, ob dieselbe wirklich mit der Randbemerkung des Königs versehen wäre.

Jedes hatte treulich Wort gehalten. Die Frau entfernte sich nach ihrer Richtung, der König nach der seinigen.

Der König trat in das Zimmer der Königin, während er seine drei Hühner an den Pfoten festhielt. Da Marie Caroline das sich in den Händen ihres Gemahls sträubende Geflügel mit verwundertem Blick betrachtete, sagte er:

»Nun, meine liebe Schulmeisterin, Sie sagen immer, ich taugte zu nichts und würde, wenn ich nicht König wäre, nicht wissen, womit ich mein Brod verdienen sollte. Hier aber bringe ich drei Hühner, welche man mir für eine Unterschrift geschenkt hat.«

Und er erzählte der Königin das ganze Abenteuer.

»Die arme Frau!« sagte die Königin, als er mit seiner Erzählung fertig war.

»Warum arme Frau?«

»Weil sie ein schlechtes Geschäft gemacht hat. Glauben Sie denn, daß der Berichterstatter sich an Ihre Signatur kehren werde?«

»Daran habe ich auch gedacht,« sagte Ferdinand mit schelmischem Lächeln, »aber ich habe meine Idee.«

Die Königin hatte wirklich Recht. Die Empfehlung ihres Gemahls äußerte auf den Berichterstatter nicht die mindeste Wirkung und der Prozeß hatte keinen schnelleren Fortgang als vorher. Die Witwe kam wieder nach Caserta und da sie den Namen des Officiers, der ihr jenen Dienst geleistet, nicht kannte, so fragte sie nach dem Manne, welchem sie drei Truthühner gegeben.

Das Abenteuer war in weiteren Kreisen bekannt geworden und man meldete dem König, daß die Klägerin da sei.

Der König ließ sie eintreten.

»Nun, gute Frau,« sagte er zu ihr, »Ihr kommt wohl, um mir zu melden, daß euer Prozeß entschieden ist?«

»Nein, damit ist es nichts!« sagte sie. »Der König muß in keinem großen Ansehen stehen, denn als ich dem Berichterstatter meine Bittschrift mit der Randbemerkung Seiner Majestät übergab, sagte er: »Schon gut, schon gut; wenn der König so große Eile hat, so wird er es machen wie die Andern, nämlich warten. Wenn Sie daher, setzte die Bäuerin hinzu, »ein gewissenhafter Mann sind, so werden Sie mir meine drei Hühner zurückgeben oder wenigstens bezahlen.«

Der König fing an zu lachen.

»Wiedergeben kann ich sie bei dem besten Willen von der Welt nicht, sagte er; »wohl aber kann ich sie Euch bezahlen.«

Mit diesen Worten nahm er sämmtliche Goldstücke, die er in der Tasche hatte, heraus und gab sie der Frau.

»Was euren Berichterstatter betrifft, setzte er hinzu, »so haben wir heute den 25. März, Ihr werdet aber sehen, daß euer Prozeß schon in der ersten Aprilsitzung entschieden wird.«

In der That, als der Berichterstatter am letzten Tage dieses Monats erschien, um sich seinen Gehalt auszahlen zu lassen, ward ihm im Namen des Königs von dem Schatzmeister gesagt: »Seine Majestät haben befohlen, daß Ihr Gehalt Ihnen nicht eher ausgezahlt werde, als bis der Prozeß, den er Ihnen die Ehre erzeigt, Ihnen zur Beschleunigung zu empfehlen, entschieden sein wird.«

Ganz wie der König vorausgesehen, ward der Prozeß auch wirklich in der ersten Gerichtssitzung entschieden.

So erzählte man von dem Könige in Neapel noch eine Menge derartige Anecdoten, von welchen wir uns begnügen werden, zwei oder drei mitzutheilen.

Eines Tages, als er in dem Walde von Persano jagte, wobei er dieselbe Uniform trug wie sein Gefolge, traf er eine alte Frau, welche schluchzend an einen Baum gelehnt stand.

Er redete sie an und fragte sie, was ihr fehle.

»Ich bin Witwe und habe sieben Kinder, antwortete sie. »Meine ganze Habe besteht in einem kleinen Ackerfeld, und dieses kleine Feld ist mir durch die Hunde und die Piqueurs des Königs verwüstet worden.«

Achselzuckend und mit erneuertem Schluchzen setzte sie dann hinzu:

»Es ist sehr hart, Unterthan eines Mannes zu sein, welcher um des Vergnügens einer Stunde willen kein Bedenken trägt, eine ganze Familie zu ruinieren. Ich frage Sie: Warum verwüstet dieser Tölpel mein Feld?«

»Was Ihr da sagt, ist sehr richtig, liebe Frau,« antwortete Ferdinand, »und da ich im Dienste des Königs stehe, so werde ich ihm eure Beschwerde vortragen, aber dabei natürlich die beleidigenden Ausdrücke verschweigen, deren Ihr Euch soeben bedient habt.«

»Meinetwegen sage ihm, was Du willst, fuhr die Frau immer erbitterter fort. »Von einem solchen Egoisten hab ich nichts Gutes zu erwarten und er kann mir nicht mehr Schaden zufügen, als er mir schon zugefügt hat.«

»Na, darauf kommt weiter nichts an,« sagte der König. »Jetzt zeigt mir wenigstens euer Feld, damit ich beurtheilen kann, ob es wirklich so sehr verwüstet ist, wie Ihr sagt.«

Die Witwe führte ihn nach ihrem Felde. Die Früchte desselben waren in der That von Menschen, Pferden und Hunden niedergetreten und zerstampft, so daß die ganze Ernte verloren war.

Der König sah einige Bauern in der Nähe, rief sie herbei und forderte sie auf, den Schaden, welchen die Witwe erlitten, gewissenhaft abzuschätzen.

Sie taxierten ihn auf zwanzig Ducaten. Der König suchte in seiner Tasche. Er fand darin sechzig.

»Hier,« sagte er zu den beiden Bauern, »hier sind zwanzig Ducaten, die ich Euch als Taxationsgebühren schenke. Was die übrigen vierzig betrifft, so gehören sie dieser armen Frau. Wenn die Könige Schaden anrichten, so können sie nicht weniger thun, als daß sie dafür doppelt so viel bezahlen, als ein einfacher Privatmann bezahlen würde.«

Ein andermal reist eine Frau, deren Mann zum Tode verurtheilt worden, auf den Rath des Advocaten, welcher den Verurtheilten vertheidigt hat, von Aversa ab und kommt zu Fuße nach Neapel, um die Begnadigung ihres Mannes zu erbitten. Es war durchaus nicht schwer in die Nähe des Königs zu gelangen, welcher fortwährend zu Fuß oder zu Pferde in der Toledostraße oder an der Chiaja herumpromenirte.

Diesmal aber war er zum Unglücke oder vielmehr zum Glücke für die Bittstellerin weder im Palaste, noch in Chiaja, noch in Toledo. Er befand sich vielmehr in Capodimonte. Es war gerade die Zeit der Feigendrosseln und sein Vater, Carl der Dritte, hatte das Schloß, welches über zwölf Millionen gekostet, einzig und allein zu dem Zwecke bauen lassen, einen gut gelegenen Ort zur Jagd auf dieses von den Feinschmeckern so geschätzte kleine Wild zu haben.

Die arme Frau war todtmüde, denn sie hatte in schnellem Laufe fünf Meilen zurückgelegt. Sie erschien an der Thür des königlichen Palastes und als sie erfuhr, daß Ferdinand in Capodimonte wäre, bat sie den Commandanten des Palastes um die Erlaubniß, die Rückkehr des Königs erwarten zu dürfen.

Der Commandant ward von Mitleid ergriffen, als er ihre Thränen sah und die Ursache derselben erfuhr. Er bewilligte ihr daher ihr Verlangen. Sie setzte sich auf die erste Stufe der Treppe, auf welcher der König in den Palast heraufkommen mußte.

Wie groß aber auch ihre Angst und Unruhe war, so war die Ermüdung doch noch stärker, und nachdem sie einige Stunden gegen den Schlaf gekämpft, sank sie endlich mit dem Kopfe an die Mauer, schloß die Augen und schlief ein.

Kaum hatte sie seit einer Viertelstunde geschlafen, als der König zurückkam. Er war ein bewunderungswürdiger Schütze, und war an diesem Tage noch geschickter gewesen, als gewöhnlich. Seine Stimmung war deshalb eine außergewöhnlich wohlwollende, als er die Frau erblickte, die auf ihn wartete.

Man wollte sie wecken, der König befahl jedoch durch einen Wink, daß man sie nicht störe. Er näherte sich ihr, betrachtete sie mit einem Gemische von Neugier und Theilnahme und als er die Ecke der Bittschrift sah, welche aus ihrem Brusttuche hervorragte, zog er dieselbe vorsichtig heraus, las sie, verlangte Tinte und Feder, schrieb darunter: »Fortuna e duorme,« was unserem: »Das Glück kommt im Schlafe« entspricht, und unterzeichnete: »Ferdinand B.«

Er befahl hierauf, daß man die Bäuerin unter keinem Vorwande wecke, verbot, daß man sie bei ihm vorlasse, ertheilte Anordnung wegen Aufschub der Hinrichtung und steckte die Bittschrift wieder dahin, wo er sie weggenommen.

Nach Verlauf einer halben Stunde schlug die Bittstellerin die Augen auf, fragte, ob der König zurückgekommen und hörte, daß er, während sie geschlafen, an ihr vorübergegangen sei.

Die arme Frau war außer sich. Sie hatte die Gelegenheit verfehlt, um welcher willen sie einen so weiten und anstrengenden Weg gemacht. Sie bat den Commandanten des Palastes, ihr zu erlauben, zu warten, bis der König wieder ausginge. Der Commandant antwortete, daß ihm dies streng verboten sei und die Bäuerin machte sich verzweiflungsvoll auf den Rückweg nach Aversa.

Ihr erster Besuch nach ihrer Wiederankunft hier war bei dem Advocaten, der ihr den Rath gegeben, die Gnade des Königs anzurufen. Sie erzählte ihm, was geschehen, und wie sie durch eigene Schuld eine nie wiederkehrende Gelegenheit versäumt.

Der Advocat hatte Freunde bei Hofe. Er forderte die Frau auf, ihm die Bittschrift zurückzugeben und sagte, er würde Mittel finden, sie auf anderem Wege an den König zu befördern.

Die Frau gab dem Advocaten die verlangte Bittschrift zurück.

Mechanisch schlug er dieselbe auseinander, hatte aber kaum die Augen darauf geworfen, so stieß er einen Freudenschrei aus. In der Situation, wo man sich befand, bedeutete das von der Hand des Königs geschriebene und unterzeichnete Sprichwort so viel als eine Begnadigung und in der That ward auf die Vorstellungen des Advocaten, auf die Vorzeigung der Marginalbemerkung des Königs und ganz besonders in Folge des von dem König direkt ertheilten Befehls acht Tage später der Gefangene der Freiheit zurückgegeben.

In der Wahl seiner Liebschaften war der König nichts weniger als schwer zu befriedigen. Im Allgemeinen fragte er wenig nach Rang und Bildung, dafern die Person nur jung und schön war. In allen Forsten, worin er dem Vergnügen der Jagd oblag, besaß er hübsche kleine Häuser, die aus vier bis fünf sehr einfach, aber sehr zweckmäßig möblierten Zimmern bestanden.

Hier machte er Halt, um zu frühstücken, oder zu dinieren oder auch um blos einige Stunden auszuruhen.

In jedem dieser kleinen Häuser befand sich eine Wirthin, welche stets aus der Zahl der jüngsten und schönsten Mädchen der benachbarten Dörfer gewählt ward.

Als er eines Tages zu dem Kammerdiener, zu dessen Function es gehörte, darauf zu sehen, daß sein Herr nicht zu oft immer dieselben Gesichter wiederfände, sagte: »Nimm Dich in Acht, daß die Königin nicht erfahre, was hier vorgeht,« antwortete der Kammerdiener, welcher sich sehr frei aussprechen durfte:

»Ach, machen Sie sich doch keine Sorge, Sire, Ihre Majestät die Königin treibt es noch viel toller und geht dabei nicht mit so viel Vorsicht zu Werke.«

»Schweig!« antwortete der König. »Es kann durchaus nichts schaden, wenn die Racen sich ein wenig kreuzen.«

Und in der That, als der König sah, daß die Königin sich so wenig genierte, fand er es angemessen, sich seinerseits ebensowenig zu genieren.

Zuletzt gründete er seine berühmte Colonie Leucio, an deren Spitze er, wie wir bereits früher erzählt, den Cardinal Fabricio Ruffo gestellt hatte.

Diese Colonie zählte fünf- bis sechshundert Einwohner, die unter der Bedingung, daß die Ehemänner und Väter den König niemals in ihr Haus kommen sehen und sich niemals unterstünden, eine Thür öffnen zu lassen, welche ihre Gründe hätte, geschlossen zu bleiben, eine Menge Vorrechte genossen.

So waren sie zum Beispiel frei vom Militärdienst, hatten ihr besonderes Gericht, durften sich verheiraten, ohne der Einwilligung der Eltern zu bedürfen, und wurden, wenn sie sich verheirateten, unmittelbar vom König selbst ausgestattet.

Die Folge hiervon war, daß die Bevölkerung dieses von diesem zweiten Idomeneus gegründeten zweiten Salenta eine Art Sammlung von unmittelbar durch den König geschlagenen Medaillen ward, wo die Alterthumsforscher noch dem bourbonischen Typus finden können, nachdem er von der ganzen übrigen Erde verschwunden sein wird.

Aus allen den Anekdoten, welche wir hier erzählt, ist leicht zu ersehen, daß der König Ferdinand, wie sein Lehrer, der Fürst von San Nicandro, sehr richtig entdeckt, von Natur keineswegs grausam war.

Sein Leben konnte zu der Zeit, bei welcher wir angelangt sind, das heißt beim Jahre 1798, jedoch schon in zwei Phasen getheilt werden.

Vor der französischen Revolution – nach der französischen Revolution.

Vor der französischen Revolution war er der Mann, den wir gesehen, nämlich naiv, witzig, lebhaft und mehr zum Guten als zum Bösen geneigt.

Nach der französischen Revolution ist er der Mann, den wir sehen werden, das heißt furchtsam, unversöhnlich, mißtrauisch und mehr zum Bösen als zum Guten geneigt.

Bei dem moralischen Porträt, welches wir vielleicht ein wenig allzu ausführlich, aber nur durch Thatsachen, nicht durch Worte gezeichnet, haben wir den Zweck gehabt, die seltsame Persönlichkeit des Königs Ferdinand kennen zu lernen. Von Natur gute Geistesanlagen, keine Erziehung, Gleichgültigkeit gegen allen Ruhm, Abscheu vor jeder Gefahr, wenig Gefühl und Herz, zum Princip gewordene Gewissenlosigkeit, die ebenso wie bei Ludwig dem Vierzehnten zu weit getriebene Vergötterung der königlichen Gewalt, der Cynismus des politischen und des Privatlebens, so wie er durch die tiefe Verachtung der vornehmen Cavaliere, welche ihn umgaben, zu Tage trat, eine Verachtung, die sich auch auf das Volk erstreckte, welches er mit Füßen trat, und in welchem er nur Sclaven sah; niedrige Triebe, welche ihn zu physischen Genüssen verlockten, die unaufhörlich den Körper auf Kosten des Geistes materialisieren – dies sind die Anhaltspunkte, nach welchen man den Mann beurtheilen muß, welcher den Thron fast eben jung bestieg wie Ludwig der Vierzehnte, der beinahe eben alt starb als dieser, und der von 1759 bis 1825, das heißt sechzig Jahre, mit Einschluß seiner Minderjährigkeit, regierte, vor dessen Augen, ohne daß er die Höhe der Ereignisse und die Tiefe der Katastrophen zu ermessen vermocht hätte, alles Große geschah, was in der ersten Hälfte des gegenwärtigen und in der letzten Hälfte des vergangen Jahrhunderts geschehen ist.

Napoleon ging in seiner gesamten Erscheinung während seiner Regierung vorüber. Er sah ihn geboren werd und heranwachsen; er sah ihn sinken und stürzen. Sechzig Jahre vor ihm geboren, sah er ihn fünf Jahre vorher sterben und war ohne jemals einen andern Werth gesehen zu haben, als den eines einfachen gekrönten Statisten, eines der Hauptpersonen jenes riesigen Dramas, welches von Wien bis Lissabon, vom Nil bis zur Moskowa die Welt aus den Fugen hob.

Gott nannte ihn Ferdinand den Vierten, Sicilien nannte ihn Ferdinand den Dritten, der Congreß von Wien nannte ihn Ferdinand den Ersten, die Lazzaroni nannten ihn den König Nasone.

Gott, Sicilien und der Congreß irrten sich. Ein einziger von diesen vier Namen ward wirklich populär und blieb ihm. Es war dies der, welcher ihm von den Lazzare gegeben ward.

Jedes Volk hat seinen König gehabt, welcher den Geist der Nation repräsentiert hat. Die Schotten hatten Robert Bruce, die Engländer hatten Heinrich den Achten, die Deutschen hatten Maximilian, die Russen hatten Iwan den Schrecklichen, die Polen hatten Johann Sobieski, die Spanier hatten Carl den Fünften, die Franzosen hatten Heinrich den Vierten, die Neapolitaner hatten Nasone.

4

Wir brauchen wohl nicht erst zu sagen, daß diese Königin Marie Amelie, obschon dieselben Vornamen tragend, mit der achtungswürdigen und geachteten Königin Marie Amelie, der Witwe des Königs Ludwig Philipp, nichts gemeinsam hat als die Verwandtschaft.

La San Felice

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