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Erster Theil
XI.
Odoardo Maraviglia
ОглавлениеIm Fortgehen warf Emanuel Philibert noch einen Blick auf den Gefangenen und dieser Blick bestärkte ihn in seinem ersten Gedanken, nemlich, daß er einen Adeligen vor sich habe.
Er winkte einen der vier wachhaltenden Soldaten zu sich.
»Freund,« sagte er, »auf Befehl des Kaisers wirst Du nach fünf Minuten den Gefangenen in mein Zelt bringen.«
Emanuel hätte nicht nöthig gehabt den Namen des Kaisers anzurufen; man wußte, daß dieser alle Macht auf ihn übertragen hatte, und die Soldaten, die ihn liebten, gehorchten ihm, wie sie dem Kaiser selbst gehorcht haben würden.
»Euer Befehl wird vollzogen werden,« antwortete der Mann.
Der Herzog setzte seinen Weg fort nach seinem Zelte.
Dies war nicht wie das des Kaisers prächtig und in vier Gemächer abgetheilt, sondern ein Soldatenzelt, durch Leinwand in zwei Hälften geschieden.
Scianca-Ferro saß vor dem Eingange.
»Bleibe wo Du bist,« sagte Emanuel zu ihm, »aber nimm irgend eine Waffe zur Hand.«
»Warum?« fragte Scianca-Ferro.
»Man wird einen Menschen hierher bringen, welcher den Kaiser zu ermorden versuchte. Ich gedenke ihn unter vier Augen zu verhören; sieh ihn an, wenn er eintritt und wenn er das Wort bricht, das er mir vielleicht gibt, und zu entfliehen versucht, so halte ihn fest, aber lebendig, hörst Du? Es ist von Wichtigkeit, daß er am Leben bleibe.«
»Dann brauche ich keine Waffen und meine Arme genügen.«
»Wie Du willst. Du kennst die Sache.«
» Sey unbesorgt,« antwortete Scianca-Ferro.
Er nannte den Milchbruder noch immer Du oder dieser hatte vielmehr in Erinnerung an die Jugendzeit verlangt, daß ihn Scianca-Ferro Du nenne wie sonst.
Der Fürst trat in sein Zelt und fand da Leone oder vielmehr Leona, die auf ihn wartete.
Da er allein eintrat und die Zeltthür hinter ihm zurücksank, kam Leona ihm mit offenen Armen entgegen.
»Da bist Du endlich! Ach, welchen schrecklichen Anblick hatten wir! Du hattest wohl Recht als Du sagtest, man hätte mich nach meiner Angst und meiner Blässe für ein Mädchen halten können.«
»Leona, solche Auftritte kommen in dem Leben eines Soldaten oft vor, und Du solltest nun daran gewöhnt seyn. Siehe Scianca-Ferro an,« setzte er lächelnd hinzu, »und nimm Dir an ihm ein Beispiel.«
»Wie Du das sagst, und lächelnd, Emanuel! Scianca-Ferro ist ein Mann und liebt Dich wie ein Mann einen anderen lieben kann, ich weiß es wohl; ich aber Emanuel, ich liebe Dich, wie ich es nicht sagen kann, wie etwas, ohne was man nicht leben kann, wie die Blume den Thau, wie der Vogel den Wald, wie die Morgenröthe die Sonne. Mit Dir bin ich, lebe ich, liebe ich; ohne Dich bin ich nicht mehr.«
»Du Liebe,« antwortete Emanuel, »ja, ich weiß es, Du bist die Anmuth, die Hingebung und die Liebe; ich weiß, daß Du neben mir gehest, aber eigentlich in mir lebst, und deshalb habe ich vor Dir keine Geheimnisse.«
»Warum sagst Du das?«
»Weil man einen Mann hierher bringen wird, weil dieser Mann ein großer Verbrecher ist, den ich verhören will und weil er vielleicht wichtige Angaben macht, die möglicherweise hochgestellte Personen compromittiren. Gehe nebenan und höre zu, wenn Du willst; ich weiß doch, daß ich das, was ich gehört, allein gehört habe.«
Leona zuckte leicht die Achseln.
» Was ist mir außer Dir die ganze Welt?« sagte sie.
Das Mädchen warf dem Geliebten einen Kuß zu und verschwand hinter dem Vorhange.
Es war die höchste Zeit. Die fünf Minuten waren vergangen und der Feldwebel brachte mit militärischer Pünktlichkeit den Gefangenen.
Emanuel empfing ihn sitzend, halb im Dunkel von wo aus er zum dritten Male den Mann mustern konnte.
Er war dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt, groß von Gestalt und von so vornehmen Gesicht, daß selbst seine Verkleidung Emanuel Philibert nicht gehindert hatte, einen Edelmann in ihm zu erkennen.
»Lasset den Herrn allein mit mir,« sagte der Fürst zu den Soldaten.
Der Feldwebel gehorchte und ging mit seinen drei Mann hinaus.
Der Gefangene sah Emanuel Philibert mit seinen lebhaften, scharfen Augen an.
Dieser stand auf und ging auf ihn zu.
»Die Leute wußten nicht, mit wem sie es zu thun hatten,« sagte er, »und haben Euch gebunden; Ihr werdet mir euer Ehrenwort als Edelmann geben, keinen Fluchtversuch zu machen, dann löse ich Euch die Hände.«
»Ich bin ein Bauer und kein Edelmann,« sagte der Mörder, »ich kann Euch also auch nicht mein Ehrenwort als Edelmann geben.«
»Wenn Ihr ein Bauer seyd, so verpflichtet Euch ein solcher Schwur nicht; gebt ihn also immerhin, da er das einzige Pfand ist, das ich von Euch verlange.»
Der Gefangene antwortete nicht.
»So werde ich Euch die Hände frei machen ohne Ehrenwort; ich fürchte mich nicht einem Manne gegenüber zu stehen, wenn dieser Mann auch kein Ehrenwort zu geben, keine Ehre zu verpfänden hat.«
Der Fürst begann die Hände des Unbekannten loszubinden.
Dieser trat einen Schritt zurück.
»Wartet,« sagte er, »ich gebe Euch mein Ehrenwort als Edelmann, daß ich nicht versuchen werde zu entfliehen.«
»Seht Ihr,« entgegnete Emanuel Philibert lächelnd. »Ja, man versteht sich auf Hunde, Pferde und Menschen.«
Er machte dem Gefangenen die Hände vollends los.
»So. Jetzt seyd Ihr frei,« sagte er, »nun lasset uns miteinander reden.«
Der Gefangene betrachtete kaltblütig seine Hände und ließ sie dann sinken.
»Reden?« wiederholte er ironisch, »von was?«
»Nun,« antwortete Emanuel Philibert, »von dem was Euch veranlaßte, das Verbrechen zu begehen.«
»Ich habe bisher nichts gesagt, habe also nichts zu sagen.«
»Ihr sagtet dem Kaiser nichts, den Ihr zu ermorden versuchtet, das begreift sich; Ihr wolltet den Soldaten nichts sagen, die Euch festnahmen, auch das begreift sich. Mir aber, dem Edelmanne, der Euch nicht als gemeinen Mörder, sondern als Edelmann behandelt, werdet Ihr alles sagen.«
»Wozu?«
»Wozu? das will ich Euch sagen. Damit ich Euch nicht für einen Mann halte, welcher von einem Feigen bezahlt wurde und sich eures Armes bediente, weil er den seinigen nicht zu gebrauchen wagte. Wozu? Damit Ihr nicht als Strauchdieb und Wegelagerer gehangen, sondern als ein Edelmann enthauptet werdet.«
»Man hat mir mit der Folter gedroht, um mich zum Reden zu bringen,« sagte der Gefangene, »man bringe mich dahin.«
»Die Folter würde eine unnöthige Grausamkeit seyn; Ihr würdet sie ertragen und nicht sprechen; Ihr würdet verstümmelt, aber nicht besiegt werden; Ihr würdet euer Geheimniß bewahren und die Schande euern Peinigern lassen. Nein, das will ich nicht, ich will Vertrauen und Wahrheit; Ihr sollet mir, dem Edelmanne, dem General und Fürsten, sagen, was Ihr einem Priester sagen würdet, und wenn Ihr mich für unwürdig haltet, Euch anzuhören, so seyd Ihr unwürdig, mit mir zu sprechen, so seyd ihr einer der Elenden, unter die ich Euch nicht rechnen wollte, so habt Ihr unter dem Einflusse einer niedrigen Leidenschaft gehandelt, die Ihr nicht eingestanden so…«
Der Gefangene richtete sich auf und unterbrach den Fürsten mit den Worten:
»Ich heiße Odoardo Maraviglia; erinnert Euch und hört auf mich zu beleidigen.«
Bei dem Namen Odoardo Maraviglia glaubte Emanuel einen nicht völlig erstickten Aufschrei in dem andern Theile des Zeltes zu vernehmen, gewiß aber bewegte sich die Zeltwand.
Auch in Emanuel hatte dieser Name Erinnerungen aufgerufen.
Dieser Name hatte dem Kriege, welcher ihm seine Staaten gekostet, als Vorwand gedient.
»Odoardo Maraviglia,« sagte er, »wäret Ihr der Sohn des französischen Gesandten in Mailand, Franceseo Maraviglia?«
»Ich bin dessen Sohn.«
Emanuel blickte in die Ferne seiner Jugend zurück; er fand da jenen Namen, aber derselbe klärte die jetzige Lage nicht auf.
»Euer Name,« sagte Emanuel, »ist allerdings der eines Edelmannes, aber er erinnert mich an nichts, das mit dem Verbrechen in Verbindung stünde, dessen Ihr beschuldigt seyd.«
Odoardo lächelte verächtlich.
»Fragt den Kaiser,« sagte er, »ob er in seinen Erinnerungen so wenig findet als Ihr.«
»Zur Zeit,« entgegnete Emanuel, »als der Graf Francesco Maraviglia verschwand, war ich noch ein Kind, ich war kaum acht Jahre alt; es ist also kein Wunder, daß ich über das Verschwinden nicht genau unterrichtet bin, das, wie ich glaube, für Jedermann ein Geheimniß geblieben ist.«
»Dieses Geheimniß will ich Euch aufklären… Ihr wisset, welch erbärmlicher Fürst der letzte Sforza war, der unaufhörlich zwischen Franz I. und Carl V. hin und her schwankte, nachdem der Sieg den Einen oder den Andern begünstigte. Mein Vater, Francesco Maraviglia, wurde von dem Könige Franz l. zu ihm gesandt. Es war im Jahre 1534. Der Kaiser war in Afrika beschäftigt; der Churfürst von Sachsen hatte Friede mit dem Könige von Rom geschlossen; Clemens VII. hatte Heinrich VIII. von England in den Bann gethan, und alles wendete sich also in Italien zum Nachtheile des Kaisers, Sforza wandte sich wie alle, verließ Carl V., dem er noch vierhunderttausend Ducaten zu zahlen hatte, und überließ sich ganz dem außerordentlichen Gesandten des Königs Franz I.. Das war ein großer Triumph; Francesco Maraviglia beging die Unvorsichtigkeit, sich dessen zu rühmen; die Worte, die er gebraucht hatte, drangen über das Meer und gelangten zu Carl V. vor Tunis. Das Glück ist wankelmüthig, zwei Monate darauf starb Clemens VII., welcher die Stütze der Franzosen in Italien war; Tunis fiel in die Hände Carls V. und der Kaiser gelangte mit seinem siegreichen Heere nach Italien. Ein Opfer zur Sühne mußte fallen und das Schicksal bezeichnete als solches Francesco Maraviglia. In Folge eines Streites mit gemeinen Leuten wurden zwei Mailänder von den Dienern des Grafen Maraviglia getödtet. Der Herzog wartete nur auf einen Vorwand, um sein Wort zu lösen, das er dem Kaiser gegeben hatte. Der Mann, welcher in Mailand seit einem Jahre mehr galt als der Herzog selbst, wurde wie ein gemeiner Uebelthäter verhaftet und in die Citadelle gebracht. Meine Mutter war da und sie hatte meine Schwester bei sich, ein Kind von vier Jahren; ich war in Paris im Louvre unter den Pagen des Königs Franz I. Man riß den Grafen aus den Armen meiner Mutter und schleppte ihn fort, ohne der armen Frau zu sagen, was man mit ihrem Gatten vornehmen wolle oder wohin man ihn führe. Es vergingen acht Tage, in welchen die Gräfin trotz allen ihren Bemühungen nichts von dem Schicksale ihres Gatten erfahren konnte. Maraviglia war unermeßlich reich, wußte man, seine Frau konnte seine Freiheit mit großen Summen erkaufen. In einer Nacht klopfte ein Mann an die Thür des Palastes meiner Mutter man öffnete ihm und er verlangte, ohne Zeugen mit der Gräfin zu sprechen. Unter den Umständen, in welchen sie sich befand, war alles wichtig. Meine Mutter hatte durch ihre Freunde, die Franzosen, in der Stadt bekannt machen lassen, sie werde dem fünfhundert Ducaten zahlen, welcher ihr mit Bestimmtheit sage, wo ihr Gatte sey. Wahrscheinlich kam also der Mann, der ohne Zeugen mit ihr sprechen wollte, um ihr Nachricht von dem Grafen zu geben, und wollte vor Verrath sicher seyn. Sie irrte sich auch nicht. Der Mann war einer der Gefängnißwärter der Citadelle von Mailand, und er sagte ihr nicht nur, wo mein Vater war, sondern brachte ihr sogar einen Brief von ihm. Als meine Mutter die Handschrift erkannte, zahlte sie dem Manne die fünfhundert Dukaten aus. Der Brief meines Vaters meldete seine Verhaftung, äußerte aber keine besonderen Besorgnisse. Meine Mutter antwortete, mein Vater möge über sie verfügen, ihr Leben und Vermögen stünden bereit. Es vergingen wieder fünf Tage. Da klopfte in der Nacht derselbe Mann; man öffnete ihm und er wurde sogleich zu meiner Mutter, geführt. Die Lage des Gefangenen hatte sich verschlimmert: er war in ein anderes Gefängniß gebracht worden; sein Leben stand in Gefahr, wie der Mann sagte. Wollte er der Gräfin eine hohe Summe ablocken oder sagte er die Wahrheit? Nur Eines von Beiden konnte wahr seyn. Die Furcht siegte in dem Herzen meiner Mutter und der Mann sprach so ehrlich. Sie gab ihm noch einmal die Summe wie das erste Mal und sagte ihm, er möge darüber nachdenken, wie der Graf entfliehen könne. Der Fluchtplan wurde entworfen, der Mann erhielt fünftausend Ducaten baar und sobald der Graf frei sey, sollte er noch zwanzigtausend erhalten. Der Mann versprach über Alles reiflich nachzudenken. Die Gräfin erkundigte sich selbst wie die Sache stünde; sie hatte Freunde in der Umgebung des Herzogs und so erfuhr sie, daß die Umstände noch schlimmer wären, als der Kerkermeister gesagt hatte. Es sollte dem Grafen der Prozeß als Spion gemacht werden. So wartete sie denn ungeduldig auf den Besuch des Mannes aus dem Gefängnisse; sie kannte dessen Namen nicht einmal und würde sie nicht den Mann und sich selbst ins Unglück gestürzt haben, wenn sie seinen Namen gekannt und ihn zu sich beschieden hätte? Etwas beruhigte sie einigermaßen, der Prozeß nemlich, von dem die Rede war. Wessen konnte man meinen Vater anklagend. Des Todes der beiden Mailänder? Das war eine Sache zwischen den Dienern und den Bauern, mit welcher ein Edelmann, ein Gesandter nichts zu schaffen hatte. Einige Stimmen sagten freilich leise, es würde gar nicht zu einem Prozesse kommen und das waren gewiß die beunruhigendsten, denn sie gaben zugleich zu verstehen, daß der Graf trotzdem verurtheilt werden würde. In einer Nacht endlich hörte meine Mutter an die Thür pochen; sie kannte bereits die Art wie der nächtliche Besucher klopfte, und sie erwartete ihn an der Schwelle ihres Schlafzimmers. Er redete sie noch geheimnißvoller als gewöhnlich an; er hatte, wie er sagte, ein Mittel zur Flucht gefunden und schlug es der Gräfin vor. Das Mittel bestand in Folgendem: der Kerker des Gefangenen wurde von der Wohnung des Schließers durch einen andern Kerker getrennt, welcher auf eine eiserne Thür stieß. Der Schließer hatte den Schlüssel zu diesem zweiten Kerker wie zu dem ersten. Er schlug also vor, die Mauer seiner Stube hinter dem Bette zu durchbrechen und zwar an einer Stelle, welche allen Blicken verborgen bleiben könnte. Aus dieser Oeffnung gelange man in den leeren Kerker und aus diesem zu den des Grafen. Nachdem dem Grafen die Ketten abgenommen worden, gehe er aus seinem Kerker in den leeren und aus diesem in die Stube des Schließers. Hier würde er eine Strickleiter finden und auf derselben in den Graben, an der dunkelsten und einsamsten Stelle hinuntersteigen; hundert Schritte von der Mauer erwarte den Grafen ein Wagen und bringe ihn so rasch als möglich aus den Staaten des Herzogs. Der Plan war gut: die Gräfin nahm ihn an, nur fürchtete sie, daß man sich in Bezug auf den Grafen täusche, daß man ihr sage, er sey gerettet und doch in der Gefangenschaft bleibe; sie verlangte deshalb bei der Flucht zugegen seyn zu dürfen. Der Schließer hielt ihr entgegen wie schwierig es sey, sie in die Feste hineinzubringen, aber die Gräfin hob diese Schwierigkeit mit einem Worte. Sie hatte für sich und ihre Tochter die Erlaubniß erlangt, ihren Mann zu besuchen und von derselben noch keinen Gebrauch gemacht. An dem für die Flucht bestimmten Tage also wollte sie gegen Abend in die Feste gehen und den Grafen sehen, dann aber nicht die Feste verlassen, sondern in die Stube des Schließers gehen, hier auf den Augenblick der Flucht warten und dem Schließer, der mit dem Grafen fliehen sollte, den Rest der verabredeten Summe übergeben. Der Wagen, welcher warten sollte, sollte hunderttausend Ducaten enthalten. Der Schließer meinte es mit seinen Anerbietungen ehrlich. Die Flucht sollte in der zweitnächsten Nacht stattfinden. Ehe der Schließer die Gräfin verließ, erhielt er fünftausend Ducaten und bezeichnete die Stelle, wo der Wagen halten sollte. Die Ueberwachung des Wagens übertrug die Gräfin einem Diener, einem Manne von erprobter Treue. Aber verzeiht,« unterbrach sich der Erzählende, »ich vergesse, daß ich mit einem Fremden spreche, und daß diese Einzelheiten für ihn gleichgültig sind.«
»Darin irrt Ihr Euch,« entgegnete Emanuel, »ich wünsche vielmehr, daß Ihr mir Alles so ausführlich erzählt, als es Euch euer Gedächtniß erlaubt.«
Odoardo fuhr fort:
»Die beiden Tage vergingen in der ängstlichen Aufregung, welche der Ausführung eines wichtigen Unternehmens immer vorausgeht; nur etwas beruhigte die Gräfin: das Interesse, welches der Schließer selbst bei dem Gelingen der Flucht hatte. Hundert Jahre Treue gaben dem Manne nicht, was ihm eine Viertelstunde Verrath einbrachte. Zehnmal fragte sich die Gräfin, warum sie so langer gezögert und die Flucht erst auf achtundvierzig Stunden bestimmt habe. Es war ihr als vergingen die letzten vierundzwanzig Stunden nie, als führten sie in ihrem Verlaufe irgend eine Katastrophe herbei, nach welcher der Plan scheitere… Die Zeit verging indessen in dem Laufe, der ihr zugemessen ist, und endlich kam die Stunde, in welcher die Gräfin sich in das Gefängniß begeben sollte. Im Beiseyn der Gräfin wurden alle für die Flucht des Grafen erforderlichen Gegenstände in den Wagen gebracht, so daß derselbe nirgends anzuhalten brauche. Zwei Pferde waren bereits über Pavia gebracht worden, so daß man dreißig Stunden ohne Aufenthalt zurücklegen konnte. Um elf Uhr sollte der Wagen angespannt werden, um zwölf Uhr an der bezeichneten Stelle halten. Nachdem der Flüchtige der Gefahr entgangen, sollte er der Gräfin Anzeige machen, und sie wollte zu ihm kommen. Die Stunde schlug. Die Gräfin nahm ihre kleine Tochter an der Hand und ging nach dem Gefängnisse; unterwegs überfiel sie Angst, sie dachte nemlich erst jetzt daran, ob die Erlaubniß ihren Mann zu besuchen, noch gültig seyn werde, da sie bereits vor acht Tagen ausgestellt worden. Aber man ließ sie, ohne Schwierigkeit zu dem Gefangenen.
»Man hatte ihr nicht zu viel gesagt und nach der Art, wie man einen Mann von seinem Range behandeln, ließ sich nicht zweifeln, welches Schicksal ihn erwarte. Der Gesandte des Königs von Frankreich hatte eine Kette am Fuße wie ein gemeiner Verbrecher. Das Wiedersehen würde ein sehr schmerzliches gewesen seyn, wenn nicht die Flucht so nahe bevorgestanden. In dieser Unterredung wurde alles festgesetzt, was er wußte, was er zu erwarten hatte, denn der Kaiser hatte ganz bestimmt seinen Tod verlangt.«
Emanuel Philibert machte eine Bewegung.
»Wißt Ihr gewiß, was Ihr da sagt?« fragte er streng, »es ist das eine schwere Anklage, die Ihr gegen einen so großen Fürsten, wie der Kaiser Carl V. ist, richtet.«
»Befehlt Ihr, daß ich aufhöre oder weiter fortfahre?«
»Fahrt fort; aber warum antwortet Ihr nicht erst auf meine Frage?«
»Weil der Verlauf meiner Erzählung die Antwort überflüssig machen wird.«
»So erzählt weiter,« sagte Emanuel Philibert.