Читать книгу Der Page des Herzogs von Savoyen - Александр Дюма - Страница 12
Zweiter Theil
I.
Was in der Nacht vom 14. zum 15. November 1534 in einem Kerker der Feste von Mailand vorging
ОглавлениеEinige Minuten vor neun Uhr,« fuhr Odoardo fort, »zeigte der Schließer der Gräfin an, daß es Zeit sey, sich zu entfernen; die Wachen würden abgelöst werden, und es sey gut, daß die Wache, welche sie hereinkommen sah, auch wieder sie fortgehen sehe. Die Trennung war eine schmerzliche und doch sollte man einander nach drei Stunden wiedersehen und bald auf immer mit einander vereinigt seyn. Das Kind weinte heftig und wollte den Vater nicht loslassen, Die Gräfin brachte es fast mit Gewalt fort; man ging wiederum vor der Schildwache und dem Schließer vorbei und gelangte in das tiefste Dunkel des Hofes. Von da kamen sie wirklich glücklich in die Wohnung des Schließers, ohne gesehen worden zu seyn. Hier schloß man die Gräfin und deren Kind in eine Kammer ein und empfahl ihnen, kein Wort zu sprechen und sich nicht zu rühren. Es konnte jeden Augenblick ein Aufseher eintreten; die Gräfin und das Kind verhielten sich stumm und unbeweglich. Die drei Stunden, welche sie noch von Mitternacht trennten, erschienen der Gräfin so lang, wie die achtundvierzig Stunden, welche vergangen waren; endlich öffnete der Schließer die Thür wieder.
»Kommt,« sagte er kaum hörbar leise.
Die Mutter hatte das Kind nicht lassen mögen, damit der Vater bei der Flucht ihm einen letzten Kuß geben könne; es gibt ja auch Augenblicke, in denen man sich um ein Reich nicht von dein trennen würde, was man liebt.
Wußte die arme Mutter was geschehen sollte, die arme Mutter, welche das Leben ihres Mannes den Henkern zu entreißen suchte? Konnte sie nicht auch gezwungen werden, zu fliehen, entweder mit dem Grafen oder nach einer andern Seite hin? Und wenn sie fliehen mußte, konnte sie ihr Kind zurücklassen? Der Schließer zog das Bett zurück; es befand sich dahinter ein Loch in der Wand, groß genug selbst für einen starken Mann. Hinter dem Schließer gingen Mutter und Kind in den Kerker und als sie hindurch waren, schob die Frau des Schließers das Bett wieder vor, in welchem ein Knabe von vier Jahren schlief. Der Schließer hatte, wie gesagt, den Schlüssel zu diesem ersten Kerker; er öffnete die Thür, deren Angeln er vorher sorgsam eingeölt hatte und man befand sich in dem Kerker des Grafen. Dieser hatte, eine Stunde vorher eine Feile erhalten, damit seine Kette durchzufeilen; da er aber ungeübt in dieser Arbeit war und übrigens gefürchtet hatte von der Schildwache gehört zu werden, die auf dem Gange draußen hin und her ging, so war er kaum zur Hälfte fertig. Der Schließer nahm nun seinerseits die Feile und fing an die Kette durchzufeilen. Plötzlich sah er empor, blieb auf einem Knie liegen, streckte die Hand nach der Thür hinaus und horchte. Der Graf wollte fragen.
»Still,« sagte der Schließer leise, »es geht etwas Ungewöhnliches vor.«
»Mein Gott!« jammerte die Gräfin.
»Still,« wiederholte der Schließer.
»Alle schwiegen; sie wagten kaum zu athmen; die vier Personen glichen einer Gruppe von Bronze, welche alle Grade der Angst vorstellte. Man hörte ein langsames gedehntes Geräusch, das näher kam, die Tritte mehrerer Personen, und an dem gemessenen Tritt erkannte man, daß Soldaten sich darunter befanden.
»Kommt,« sagte der Schließer, indem er die Gräfin und das Kind umfaßte und sie mit sich fortzog. »Kommt; es ist ohne Zweifel eine nächtliche Visitation; in jedem Falle dürft Ihr nicht gesehen werden. Sind die Leute wieder fort, angenommen, sie gehen in den Kerker des Grafen, so kehren wir zu ihm zurück.«
»Die Gräfin und das Kind leisteten keinen Widerstand; der Gefangene selbst trieb sie hinweg; sie gingen durch die Thür, die sich hinter ihnen schloß, die Thür des zweiten Kerkers. In diesem Kerker befand sich eine vergitterte Oeffnung, die in den andern führte und durch die man hinein sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Die Gräfin hielt ihre Tochter im Arme und blickte mit ihr durch jenes Gitter, um zu sehen, was vorgehen werde. Die Hoffnung, die man eine kurze Zeit gehegt hatte, die Ankommenden würden nicht zu dem Grafen sich begeben, schwand; sie blieben an der Thür seines Kerkers stehen und man hörte den Schlüssel in dem Schlosse sich drehen. Bei dem Anblicke, der sich der Gräfin bot, war sie nahe daran einen Schrei auszustoßen; es war aber als errathe dies der Schließer.
»Kein Wort,« flüsterte er, »keinen Laut, keine Geberde, was auch geschehen mag, oder…«
Er besann sich, welche schreckliche Drohung er wohl aussprechen könnte, um der Gräfin Schweigen aufzulegen; so zog er endlich einen Dolch von der Brust und sagte: »Oder ich erdolche euer Kind!
»Unglücklicher!« stammelte die Gräfin.
»Hier geht es um eines Jeden Leben und mein Leben ist mir so lieb als Euch das eurige.«
Die Gräfin legte der Tochter die Hand auf den Mund, damit diese schweige. Sie selbst, das wußte sie, ließ keinen Laut über ihre Lippen, nachdem sie die Drohung vernommen hatte. Sie sah nun Folgendes: Zuerst zwei schwarz gekleidete Männer, deren jeder eine Fackel trug; hinter ihnen ein dritter mit einem Pergament, an dem unten ein großes rothes Siegel hing; hinter diesem Manne ein Anderer mit einer Maske, in einem großen braunen Mantel und hinter ihm ein Priester. Sie traten nacheinander in den Kerker, ohne daß die Gräfin ihre Angst durch ein Wort, einen Laut oder eine Geberde verrieth, obwohl sie hinter den Eintretenden draußen eine noch schauerlichere Gruppe bemerkte. Der Thür gegenüber stand ein halb schwarz halb roth gekleideter Mann, welcher beide Hände auf den Griff eines langen, breiten, geraden Schwertes stützte; hinter ihm sah man die sechs barmherzigen Brüder mit den schwarzen Capuzen, welche auf ihren Achseln einen Sarg trugen, und über Alles hinweg blitzten die Gewehre eines Dutzend Soldaten, die an der Wand aufgestellt waren. Die beiden Männer mit den Fackeln, der Mann mit dem Pergament, der Maskirte und der Geistliche traten, wie gesagt, in den Kerker ein, worauf die Thür geschlossen wurde, so daß der Henker, die barmherzigen Brüder und die Soldaten draußen blieben. Der Graf stand an der dicken Gefängnißwand, an der sein bleiches Gesicht abstach; sein Blick suchte hinter dem Gitter den Blick der angstvollen Augen zwar vergebens zu erkennen, aber er errieth, daß sie da waren. So unerwartet und stumm die Erscheinung war, welche sich in seinem Kerker einfand, ließ sie ihm doch keinen Zweifel über sein Schicksal. Wäre er auch so glücklich gewesen zu zweifeln, so würde der Zweifel nicht lange gedauert haben: die beiden Männer mit den Fackeln stellten sich rechts und links auf; der Maskirte und der Geistliche blieben an der Thür, der Mann mit dem Pergamente aber trat vor und fragte:
»Graf, glaubt Ihr mit eurem Gott gut zu stehen?«
»So gut wie ein Mensch mit ihm stehen kann, der sich nichts vorzuwerfen hat,« antwortete der Graf mit ruhiger Stimme.
»Um so besser.« entgegnete der Mann mit dem Pergamente, »denn Ihr seyd verurtheilt und ich habe den Auftrag Euch das Todesurtheil vorzulesen.«
»Von welchem Gerichtshofe ist es gesprochen?« fragte der Graf ironisch.
»Durch die alles vermögende Justiz des Herzogs.«
»Und auf welche Anklage?«
»Auf die des Kaisers Carl V. Majestät.«
»Ich bin bereit, das Urtheil anzuhören.«
»So kniet nieder, denn es ziemt sich, daß ein Mann in der Nähe des Todes sein Urtheil kniend anhöre.«
»Ja, wenn er schuldig ist, aber nicht wenn er unschuldig ist.«
»Graf, Ihr steht nicht außerhalb des Gesetzes, kniet also nieder, damit wir nicht genöthigt sind, Gewalt zu brauchen.«
»Versucht es,« sagte der Graf.
»Lasset ihn stehen,« fiel der Maskirte ein, »er möge sich nur bekreuzigen, um sich unter den Schutz des Herrn zu stellen.«
»Der Graf erbebte bei dem Klange dieser Stimme.«
»Herzog Sforza?« sagte er, indem er sich nach dem Maskirten umdrehte, »ich danke Dir.«
»Ach, wenn es der Herzog ist, könnte man vielleicht Gnade von ihm erlangen,« flüsterte die Gräfin.
»Still, wenn Euch das Leben eures Kindes lieb ist,« sagte der Schließer leise.
»Die Gräfin seufzte so stark, daß es der Graf hörte und erbebte. Er machte eine Bewegung der Hand, welche sagen sollte: Muth! dann sagte er laut, wie ihn der Maskirte aufgefordert hatte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«
»Amen!« fielen alle Anwesenden leise ein.
»Dann begann der Mann mit dem Pergamente das Urtheil zu lesen; es war im Namen des Herzogs Francesco Maria Sforza auf Ansuchen des Kaisers Carl V. erlassen und verurtheilte Francesco Maraviglia, den Gesandten des Königs von Frankreich, in der Nacht in seinem Kerker enthauptet zu werden als Verräther, Spion und Verbreiter von Staatsgeheimnissen. Ein tiefer Seufzer drang wiederum zu dem Ohre des Grafen, aber er war so leise, daß nur er ihn zu vernehmen und zu verstehen vermochte. Er wendete den Blick dahin, von wo der schmerzliche Seufzer kam und sagte ohne Unruhe und ohne Zorn:
»So ungerecht das Urtheil des Herzogs ist, so unterwerfe ich mich ihm doch; aber der Mann, der sein Leben nicht mehr vertheidigen kann, muß noch immer seine Ehre vertheidigen, und so appelliere ich von dem Spruche des Herzogs.«
»An wen?« fragte der Mann mit der Maske.
»An meinen König und Herrn, Franz I., zuerst, dann an die Zukunft und an Gott, an Gott, unter dem alle Menschen stehen, namentlich die Fürsten, die Könige und Kaiser.«
»Das ist allein das Tribunal, dem Du Dich empfiehlst?« fragte der Mann mit der Maske.
»Ja,« antwortete der Graf, »und ich berufe Dich, Herzog Francesco Maria Sforza, vor diesem Tribunale zu erscheinen.«
»Wann?« fragte der Maskirte.
»Zu derselben Zeit, welche Jacob von Molay, der Großmeister der Tempelritter, seinem Richter bestimmte, d.h. nach einem Jahre und einem Tage. Wir haben heute den 15. November 1534, also am 16. November 1535, verstehst Du, Herzog Francesco Maria Sforza?«
Er streckte dabei die Hand nach dem Maskierten aus, zum Zeichen der Berufung und der Drohung. Wäre der Herzog nicht maskiert gewesen, man hätte gewiß ihn erbleichen sehen können, denn er war es wirklich, der so mit der Maske dem Tode seines Opfers beiwohnen wollte. So triumphirte der Verurtheilte einen Augenblick vor dem Richter, der vor ihm zitterte.
»Schon gut,« antwortete der Herzog, »Du hast eine Viertelstunde Zeit, Dich mit dem frommen Manne da – er deutete auf den Geistlichen – vorzubereiten; sorge dafür, daß Du nach einer Viertelstunde bereit bist, denn es wird Dir keine Minute mehr gewährt.«
Dann wendete er sich an den Mann Gottes und sagte: »Herr Pater, thut eure Schuldigkeit.«
Er ging hinaus und nahm die beiden Fackelträger und den Mann mit dem Pergamente mit sich; aber er ließ die Thür weit offen, damit er wie die Soldaten in den Kerker hineinsehen und jede Bewegung des Gefangenen beobachten könnte, von dem er sich aus Ehrfurcht vor der Beichte entfernt hatte, damit er nichts hören könne. Nochmals drang ein Seufzer von dem Gitter her zu dem Ohr und dem Herzen des Verurtheilten. Die Gräfin hatte gehofft, daß die Thür sich schließen werde und wer weiß? der Mann Gottes hätte vielleicht durch Bitten und Thränen einer knienden Frau und eines knienden Kindes sich bewegen lassen den Kopf abzuwenden und den Grafen fliehen zu lassen.
Es war die letzte Hoffnung meiner armen Mutter und sie entging ihr.«
Emanuel Philibert erbebte; bisweilen vergaß er, daß ihm ein Sohn die letzten Augenblicke seines Vaters beschrieb, und es war ihm als lese er eine schreckliche Legende.
Ein Wort erinnerte ihn endlich an die Wirklichkeit und ließ ihn erkennen, daß die Erzählung nicht aus der Feder eines unbetheiligten Geschichtschreibers, sondern aus dem Munde eines Sohnes komme.
»Es war die letzte Hoffnung meiner Mutter und sie entging ihr,« sagte Odoardo nochmals, welcher seine Erzählung einen Augenblick unterbrochen hatte, »denn,« fuhr er fort, »an der andern Seite der offenen Thür blieben die Vorbereitungen zum Tode und die Zuschauer. Der Geistliche allein war bei dem Verurtheilten geblieben, wie ich sagte; der Graf kniete vor ihm nieder, ohne zu beachten, wer ihn gesandt hatte, und nun begann die Beichte, eine seltsame Beichte, bei welcher der, welcher sterben sollte, an sich selbst gar nicht zu denken schien und sich nur mit Andern beschäftigte, bei welcher die Worte, welche scheinbar an den Geistlichen gerichtet wurden, eigentlich der Frau und dem Kinde galten und zu Gott erst hinaufstiegen, nachdem sie durch das Herz einer Mutter und einer Tochter gegangen waren. Nur meine Schwester, wenn sie noch lebte, könnte die Thränen beschreiben, unter welchen sie vernommen wurden, denn ich selbst war nicht dabei, ich wußte nicht was dreihundert Stunden von mir vorging, ich spielte, ich lachte, ich sang vielleicht gerade in dem Augenblicke als mein Vater an der Pforte des Todes mit meiner weinenden Mutter und Schwester von mir, dem Abwesenden, sprach.«
Odoardo mußte, von dieser Erinnerung überwältigt, sich einen Augenblick unterbrechen, dann fuhr er mit einem unterdrückten Seufzer fort:
»Die Viertelstunde war bald vorüber. Der Maskirte folgte mit einer Uhr in der Hand dem Gange der Beichte auf dem Gesichte des Priesters und des Verurtheilten und als die Minuten abgelaufen waren, sagte er:
»Graf, die Zeit, die Dir gegeben war, noch unter den Lebenden zu seyn, ist vorüber; der Geistliche hat gethan, was seines Amtes ist, jetzt kommt die Reihe an den Nachrichter.«
Der Geistliche gab dem Grafen die Absolution und stand auf, dann wies er ihm das Crucifix und ging nach der Thür zurück, während gleichzeitig der Henker vortrat. Der Graf war auf den Knien geblieben.
»Hast Du dem Herzoge Sforza oder dem Kaiser Carl V. noch etwas zu sagen?« fragte der Mann mit der Maske.
»Ich habe mich nur Gott zu empfehlen,« antwortete der Graf.
»So bist Du bereit?« fragte derselbe Mann noch einmal.
»Du siehst es, da ich knie.«
Der Graf kniete mit dem Gesicht nach dem Gitter gewendet, durch welches seine Frau und seine Tochter auf ihn sahen. Sein Mund, der weiter zu beten schien, sandte ihnen Worte der Liebe zu und war auch ein Gebet.
»Wenn Ihr nicht wünscht, Herr Graf, daß meine Hand Euch beflecke,« sagte eine Stimme hinter dem Verurtheilten, »so schlaget den Kragen eures Hemdes selbst zurück. Ihr seyd ein Edelmann und ich habe nicht das Recht, Euch anders zu berühren als mit der Schärfe meines Schwertes.«
Der Graf schlug, ohne eine Antwort zu geben, den Kragen seines Hemdes bis zu der Achsel zurück, so daß sein Hals ganz bloß war.
»Empfehlt Euch Gott!« sagte der Henker.
»Gütiger und barmherziger Gott!« sagte der Graf, »Allmächtiger Gott, in deine Hände empfehle ich meine Seele!«
Kaum hatte er das lehre Wort gesprochen, so blitzte und pfiff das Schwert des Henkers im Dunkel und der Kopf des Verurtheilten rollte, von dem Rumpfe getrennt, an die Thür mit dem Gitter, nach den Geliebten hinter derselben zu. Gleichzeitig mit dem dumpfen Falle eines Körpers ließ sich ein halbunterdrückter Schrei hören, die Anwesenden aber hielten diesen Schrei für den letzten Laut des Verurtheilten und den Fall für den des Körpers des Grafen. Verzeiht,« unterbrach sich Odoado, »aber wenn Ihr das Uebrige hören wollt, müsset Ihr mir ein Glas Wasser geben lassen, denn meine Kräfte wollen mich verlassen.«
Emanuel Philibert sah in der That den, welcher ihm diese schreckliche Geschichte erzählt hatte, wanken und erbleichen; er trat rasch hinzu, um ihn zu halten, ließ ihn auf einen Haufen Kissen sich setzen und reichte ihm selbst das Glas Wasser.
Der Schweiß stand dem Prinzen auf der Stirne und obwohl er als Soldat an die Scenen auf den Schlachtfeldern gewöhnt war, schien er doch einer Ohnmacht fast so nahe zu seyn wie der, welchem er beistand.
Nach fünf Minuten hatte Odoardo sich gesammelt.
»Wollet Ihr noch mehr wissen?« fragte er.
»Ich will Alles wissen,« antwortete Emanuel, »solche Erzählungen sind große Lehren für Fürsten, die einmal regieren sollen.«
»So ist es,« sagte Odoardo, »auch ist das Schrecklichste vorüber.«