Читать книгу Der Page des Herzogs von Savoyen - Александр Дюма - Страница 9

Erster Theil
IX.
Leone Leona

Оглавление

Welche Mühe Emanuel Philibert sich auch gab, als er in den Palast zurück kam, in welchem er mit seinem Vater wohnte, von Leone zu erfahren, was ihn veranlaßt habe den Diamantring auszuschlagen und sogar mit einem Angstschrei zu entfliehen, das Kind blieb stumm und kein Bitten vermochte ein Wort aus seinem Munde zu bringen.

Es war dasselbe hartnäckige Schweigen, welches früher die Herzogin Beatrice nicht hatte brechen können, als sie Näheres über die Mutter des Kindes zu erfahren sich bemüht.

Wie aber konnte der Kaiser Carl V. mit dem Unglücke, welches den Pagen zur Waise gemacht hatte, in Verbindung stehen? Das vermochte Emanuel Philibert nicht zu errathen. Wie dem auch seyn mochte, er gab lieber im Voraus Jederman und selbst seinem Oheime Unrecht, als daß er Leone einen Augenblick beschuldigte.

Zwei Jahre waren seit dem Waffenstillstande von Nizza verstrichen, und König Franz I. hatte also sehr lange bereits sein Wort gehalten. Auch wunderte sich Jedermann darüber, besonders Carl V. welcher bei der erwähnten Unterredung mit seinem Schwager fortwährend sein Mißtrauen gegen Franz I. ausgesprochen hatte, der dem Herzoge gewiß etwas zu Leide thue, sobald er, der Kaiser, nicht da sey ihn zu schützen.

Carl V. war in der That kaum unter Segel gegangen, als der Herzog von Savoyen bei seiner Rückkehr nach Nizza eine Botschaft von Franz I. empfing.

Franz I. machte dem Oheime den Antrag, ihm Savoyen zurück zu geben, wenn ihm dafür Piemont abgetreten werde, so daß es der Krone Frankreichs einverleibt werden könnte.

Der Herzog war höchst unwillig über einen solchen Antrag, entließ die Boten seines Neffen und verbot ihnen wieder vor ihm zu erscheinen.

Was hatte Franz I. die Zuversicht gegeben, dem Kaiser zum vierten Male den Krieg zu erklären? Er hatte zwei neue Verbündete: Luther und Soliman, die Ketzer in Deutschland und die Saracenen in Afrika.

Seltsame Bundesgenossen für den allerchristlichsten König, für den ältesten Sohn der Kirche! In dem langen Kampfe zwischen Franz I. und Carl V. nennt man den Erstern immer den ritterlichen König und gleichwohl bricht er fortwährend sein Wort. Nachdem er auf dem Schlachtfelde von Pavia Alles verloren, nur die Ehre nicht, befleckte er in unverlöschlicher Weise jene trotz der Niederlage unverletzt gebliebene Ehre durch Unterzeichnung eines Vertrags, den er nicht halten wollte.

Dieser König, den die Historiker aus der Geschichte peitschen sollten, wie Jesus die Wechsler aus dem Tempel trieb; dieser Soldat, den Bayard zum Ritter schlug und den St. Vallier verfluchte, scheint in Wahnsinn zu verfallen, sobald er sein Wort gebrochen hat; er ist der Freund des Türken und des Ketzers, er reicht die rechte Hand Soliman und die linke Luther; er der Nachkomme Ludwigs des Heiligen, geht mit dem Nachkommen Mohameds! Freilich sandte ihm Gott auch, nachdem er ihm die Niederlage gesandt, die Tochter seines Zornes, die Pest, die Tochter seiner Rache.

**Und Carl V. erkannte so deutlich, daß Gott für ihn sey, daß er, der kluge Kaiser, der schlaue Staatsmann, der zu den Waffen erst greift, nachdem alle Hilfsmittel der Diplomatie erschöpft sind, dem Riesen trotzt, dem Manne, welcher einen Harnisch, einen Helm und einen Schild führt, die Niemand außer ihm in seinem Reiche regieren kann. Den König, den man bei Marignan Reiter bis zum Gürtel spalten sah, so daß seine Schmeichler ihn mit Ajax oder mit Judas Maccabäus verglichen, diesen Goliath forderte Carl V. heraus zum Zweikampfe, auf jede beliebige Waffe, nackt bis zum Gürtel, allein in einem Bote oder auf einer Brücke.**

Und der König Franz I. schlug diesen Zweikampf aus, was indeß nicht hindert, daß er in den Büchern der ritterliche König heißt.

Wir Dichter freilich, wir nennen ihn den ehrlosen König, welcher seinen Feinden, seinen Freunden und Gott selbst des beschworne Wort brach.

Diesmal bedrohte er Nizza, als er die Antwort des Herzogs von Savoyen erhalten hatte.

Der Herzog ließ in Nizza einen tapfern Ritter, Odinet von Montfort, und begab sich selbst nach Vercelli, wo er die wenigen Streitkräfte sammelte, über die er noch verfügen konnte.

Emanuel Philibert hatte seinen Vetter um die Erlaubniß gebeten in Nizza bleiben zu dürfen, um da zuerst seine Waffen zu versuchen, da er aber der einzige und letzte Sprößling seines Hauses war, so hielt ihn der Herzog für zu kostbar, als daß er ihm ein solches Gesuch hätte bewilligen können.

Scianca-Ferro dagegen erhielt die Erlaubniß und er machte Gebrauch davon.

Kaum war der Herzog mit seinem Sohne, Leone und dem Gefolge abgereist, so sah man eine Flotte von zweihundert Segeln mit türkischer und französischer Flagge erscheinen, welche zehntausend Türken unter Khaïr-Eddin und zwölftausend Franzosen unter dem Herzoge von Enghien aussetzte.

Die Belagerung war fürchterlich; die Besatzung vertheidigte jeden Fußbreit Boden und Alle, Soldaten und Bürger, thaten Wunder der Tapferkeit. Die Stadt wurde an zehn Stellen geöffnet; Türken und Franzosen drangen durch zehn Breschen ein; man vertheidigte jede Straße, jeden Platz, jedes Haus; das Feuer rückte mit den Belagerern vor; Odinet zog sich in das Castell zurück und überließ dem Feinde eine Stadt in Trümmern.

Am andern Tage forderte ein Herold ihn auf sich zu ergeben, er aber schüttelte den Kopf und sagte:

Guter Freund, Du bist aus falschem Wege, wenn Du Dich zu einer solchen Feigheit an mich wendest. Ich heiße Montfort; meine Wappen sind Pfähle und meine Devise lautet: Aushalten.«

Montfort war seiner Devise, seines Wappens und seines Namens würdig; er hielt aus, bis auf der einen Seite der Herzog selbst mit viertausend Piemontesen und auf der andern Don Alfonso von Avallos im Namen des Kaisers mit zehntausend Spaniern ankam, da hoben Türken und Franzosen die Belagerung auf.

Es war ein großes Fest für den Herzog Carl und seine Unterthanen, als er in Nizza einzog, so verfallen auch die Stadt war.

Es war auch ein großes Fest für Emanuel Philibert und dessen Knappen Scianca-Ferro hatte den Namen verdient, welchen ihm Carl III. gegeben, und als sein Milchbruder ihn fragte, wie es gegangen, da er auf wirkliche Harnische und wirkliche Schilde habe schlagen müssen, antwortete er:

»Es ist nicht so hart wie Eichen zu spalten, nicht so schwer wie Felsen zu zermalmen.«

»Ach, warum war ich nicht dabei!« murmelte Emanuel Philibert, ohne zu bemerken, daß Leone, der sich an seinen Arm festhielt, bei dem Gedanken an die Gefahren erbleichte, die Scianca-Ferro bereits bestanden hatte und denen Emanuel auch einmal sich aussetzen werde.

Allerdings wurde der arme Page einige Zeit nachher durch den Frieden von Crespy vollständig beruhigt, die Folge des Einfalles Carls in die Provence und gleichzeitig der Schlacht von Cérisolles.

Der Friede wurde am 4. October 1544 unterzeichnet.

Er setzte fest, daß Philipp von Orléans, der zweite Sohn Franz I., nach zwei Jahren sich mit der Tochter des Kaisers vermähle, und als Mitgift das Herzogthum Mailand und die Niederlande erhalte, daß der König von Frankreich seinerseits seinem Anspruche auf das Königreich Neapel entsage und dem Herzoge von Savoyen alles zurückgebe, was er ihm genommen, mit Ausnahme der Festungen Pignerolles und Montmeillant, welche mit dem französischen Gebiete vereinigt bleiben sollten.

Der Vertrag sollte seine Ausführung nach zwei Jahren erhalten, das heißt bei der Vermählung des Herzogs von Orléans mit der Tochter des Kaisers.

Wie man sieht, war man zum Jahre 1545 gelangt, die Kinder waren herangewachsen, Leone, der jüngste von den Dreien, zählte vierzehn Jahre, Emanuel siebenzehn und Scianca-Ferro noch sechs Monate mehr.

Was ging in dem Herzen Leone’s vor und warum wurde er von Tag zu Tag trauriger? Das fragten einander Scianca-Ferro und Emanuel vergeblich, das fragte Emanuel auch Leone umsonst.

Seltsam! Je älter Leone wurde, um so weniger folgte er dem Beispiele seiner beiden Gefährten. Emanuel und Scianca-Ferro übten sich den ganzen Tag in dem Gebrauche der Waffen, der erstere, um den Namen Cardinälchen vergessen zu lassen, der letztere, um seinen Namen immer mehr zu verdienen. Emanuel hatte denn auch bereits alles erlangt, was Geschicklichkeit geben kann, und Scianca-Ferro hatte von Gott alles empfangen, was er menschlichen Muskeln an Kraft gibt.

Währenddessen befand Leone sich auf irgend einem Thurm, von wo er den Uebungen der beiden Freunde zusehen konnte, und wenn sie ihr Eifer zu weit hinwegtrieb, nahm er ein Buch, setzte sich in einen Winkel des Gartens, und las.

Das Einzige was Leone mit Freuden erlernt hatte, ohne Zweifel, weil er darin ein Mittel sah Emanuel zu folgen, war das Reiten, aber seit einiger Zeit entsagte der Page auch diesem und zwar in demselben Maße, als er trauriger wurde.

Eines besonders setzte Emanuel immer in Verwunderung, nemlich, daß das Gesicht Leone’s sich stets verdüsterte, wenn davon die Rede war, daß er, Emanuel, einmal ein reicher mächtiger Fürst werde.

Eines Tages erhielt der Herzog ein Schreiben von dem Kaiser Carl V., in welchem von einer Vermälung zwischen Emanuel Philibert und der Tochter des Königs Ferdinand, des Bruders des Kaisers, die Rede war. Leone hörte dieses Schreiben vorlesen, er konnte die Wirkung nicht verheimlichen, die es auf ihn machte, und eilte schluchzend hinaus, zum großen Erstaunen des Herzogs Carl III. und Scianca-Ferro’s, welche vergebens nach den Gründen eines solchen Schmerzes suchten.

Sobald der Herzog sich in seine Gemächer begeben hatte, eilte Emanuel seinem Pagen nach. Das, was er für Leone empfand, war etwas ganz Anderes, als was er für Scianca-Ferro fühlte. Er hätte sein Leben hingegeben, um das Leben Scianca-Ferro’s zu retten, sein eigenes Blut vergossen, um das seines Milchbruders zu schonen; aber Leben und alles Blut hätte er freudig hingegeben, um eine Thräne zurückzuhalten, die an den sammtgleichen Lidern und an den langte schwarzen Wimpern Leone’s zitterte.

Da er ihn jetzt hatte weinen sehen, wollte er die Ursache des Schmerzes kennen. Seit länger als einem Jahr bemerkte er die zunehmende Traurigkeit des Pagen und oftmals hatte er ihn um den Grund derselben gefragt, aber alsbald hatte auch Leone seine Kraft zusammengenommen, den Kopf geschüttelt, um trübe Gedanken zu verscheuchen, und dann lächelnd geantwortet:

»Ich bin zu glücklich, Prinz Emanuel, und ich fürchte immer, ein solches Glück könne nicht von Dauer seyn.«

Da hatte Emanuel seinerseits den Kopf geschüttelt, weil er aber schon wußte, daß Leone noch trauriger würde, wenn man in ihn drang, so begnügte er sich, die Hände des Freundes zu fassen und ihn fest anzusehen, als wollte er ihn mit allen Sinnen zugleich fragen; aber Leone wendete langsam die Augen ab und entzog Emanuel sanft die Hände.

Emanuel ging dann selbst traurig zu Scianca-Ferro, der nicht daran dachte, ihn zu fragen, und dem es nicht eingefallen seyn würde, die Hände zu fassen, so sehr war die Freundschaft zwischen Scianca-Ferro und Emanuel verschieden von der zwischen Emanuel und Leon.

An diesem Tage suchte Emanuel den Pagen vergebens länger als eine Stunde in dem Schlosse und im Park; er erkundigte sich bei Jedermann; Niemand hatte Leone gesehen. Endlich sagte ein Stalldiener, Leone sey in die Kirche gegangen und müsse wohl noch da seyn.

Emanuel eilte in die Kirche, überschaute sogleich den ganzen düstern Raum und sah wirklich Leone in der dunkelsten Ecke der verstecktesten Capelle knien.

Er trat so nahe an ihn, daß er ihn fast berührte, ohne daß der Page in seinem inbrünstigen Gebete seine Gegenwart zu bemerken schien.

Da klopfte er ihm leicht auf die Achsel und nannte seinen Namen.

Leone erschrak und sah Emanuel fast furchtsam an.

»Was thust Du zu dieser Stunde in der Kirche?« fragte Emanuel besorgt.

»Ich bete zu Gott,« antwortete Leone schwermüthig, »daß er mir die Kraft gebe das auszuführen, was ich im Sinne habe.«

»Und was hast Du im Sinne?« fragte Emanuel, »darf ich es nicht wissen?«

»Ihr werdet es im Gegentheil zuerst erfahren,« antwortete Leone.

»Du schwörst es mir, Leone?«

»Ja wohl,« antwortete dieser mit traurigem Lächeln.

Emanuel ergriff seine Hand und versuchte ihn aus der Kirche hinauszuziehen, aber Leone machte sanft seine Hand los, wie er es seit einiger Zeit immer zu thun pflegte, kniete wieder nieder und bat mit einer Geberde den jungen Herzog ihn allein zu lassen, dann setzte er hinzu:

»Ich muß noch einen Augenblick mit Gott allein seyn.«

Es lag in dem Tone des Pagen etwas so Feierliches und so Schwermüthiges, daß Emanuel gar keinen Versuch machte ihm entgegen zu seyn.

Er verließ die Kirche, wartete aber an der Thür auf Leone.

Dieser zuckte zusammen, als er ihn bemerkte, schien sich aber gleichwohl nicht zu wundern ihn da zu finden.

»Nun,« fragte Emanuel, »kann ich das Geheimniß nun erfahren?«

»Morgen hoffe ich die Kraft zu haben, es Euch mittheilen zu können,« antwortete Leone.

»Wo?«

»Hier in der Kirche.«

»Zu welcher Zeit?«

»Kommt um dieselbe Stunde wie heute.«

»Und bis dahin, Leone?« fragte Emanuel fast bittend.

»Bis dahin werdet Ihr hoffentlich mich nicht nöthigen, mein Zimmer zu verlassen. Ich bedarf der Einsamkeit und des Nachdenkens.«

Emanuel sah seinen Pagen mit unbeschreiblicher Herzbeklemmung an und begleitete ihn bis an die Thür; hier wollte Leone die Hand des Prinzen ergreifen und küssen, aber jetzt zog Emanuel sie zurück und streckte beide Arme aus, um den Knaben an sich zu ziehen und ihn zu küssen; Leone hielt ihn indeß sanft von sich zurück, machte sich aus Emanuels Armen los und sagte in einem Tone unbeschreiblicher Trauer:

»Morgen, gnädiger Prinz.«

Er ging darauf in sein Zimmer.

Emanuel blieb einen Augenblick an der Thür stehen und hörte so, daß Leone den Riegel vorschob.

»Mein Gott!« dachte der Prinz bei sich, »was geht in mir vor? was empfinde ich?«

»Zum Teufel, was machst Du da?« fragte hinter Emanuel eine rauhe Stimme, während eine kräftige Hand sich ihm auf die Achsel legte.

Emanuel seufzte, faßte den Arm Scianca-Ferro’s und zog ihn mit sich in den Garten.

Da setzten sie sich neben einander auf eine Bank.

Emanuel erzählte, was zwischen ihm und Leone vorgegangen war.

Scianca-Ferro dachte einen Augenblick nach, sah empor und und biß sich in die Hand.

Mit einem Male sagte er dann:

»Ich wette, daß ich weiß was es ist.«

»Was?«

»Leone ist verliebt.«

Emanuel war es als erhalte er einen Stich in das Herz.

»Unmöglich!« stammelte er.

»Unmöglich? Warum unmöglich?« fragte Scianca-Ferro, »ich bin es ja auch.«

»Du? und in wen?« fragte Emanuel.

»In Lucia, die Tochter des Pförtners. Die Arme fürchtete sich entsetzlich während der Belagerung, besonders in der Nacht, und ich that alles, um sie zu beruhigen.«

Emanuel zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, daß er gewiß sey, Leone liebe die Lucia nicht.

Scianca-Ferro verstand die Geberde Emanuels falsch, indem er in ihr ein Zeichen der Geringschätzung sah.

»Cardinälchen,« sagte er, denn er nannte den Prinzen noch immer so, trotz dem Orden des goldenen Vließes, den derselbe bisweilen trug, »spielen wir nicht den Unzufriedenen? Ich für meine Person ziehe die Lucia allen denen am Hofe vor, und wenn einmal ein Turnier gehalten wird, will ich ihre Farben tragen und ihre Schönheit gegen Jeden vertheidigen.«

»Ich würde die beklagen, die nicht deiner Meinung wären, lieber Scianca-Ferro,« antwortete Emanuel.

»Da hast Du Recht, denn ich würde für sie so derb zerschlagen wie für die Tochter eines Königs.«

Emanuel drückte ihm die Hand, stand auf und ging in sein Zimmer.

Scianca-Ferro, dachte er, bekümmert sich doch zu viel um das Zuschlagen, als daß er begreifen könne, was in seinem und Emanuels Herzen vorgehe oder in der Seele Leone’s.

Aber auch Emanuel, dem es doch an Scharfsinn und Geist nicht, fehlte, sann in der Einsamkeit seines Zimmers und in der Stille der Nacht vergeblich darüber nach, was die Seele Leone’s wohl beunruhige und was sein eigenes Herz beängstige.

Er wartete also mit Spannung auf den andern Tag.

Der Vormittag verging langsam ohne, daß Emanuel Leone sah. Zur bestimmten Stunde ging er endlich nach der Kirche und zwar mit dem Gefühle, als müsse etwas äußerst Wichtiges in seinem Leben sich entscheiden.

Der Vertrag von Crespy, der vor einem Jahre unterzeichnet worden war und der ihm seine Staaten definitiv entziehen oder zurückgeben sollte, war ihm minder wichtig und bedeutsam vorgekommen als das Geheimniß, das ihm Leone mitzutheilen versprochen.

Er fand Leone an derselben Stelle wie am vorigen Tages; wahrscheinlich betete er schon lange, und in seinem Gesichte sprach sich schwermuthsvolle Ergebung aus. Offenbar stand sein Entschluß fest, welcher in der vorigen Woche noch geschwankt.

Emanuel trat rasch zu ihm; Leone empfing ihn mit sanftem, aber traurigem Lächeln.

»Nun?« fragte Emanuel.

»Nun, gnädiger Prinz,« entgegnete Leone, »ich habe Euch um eine Gnade zu bitten…«

»Welche, Leone?«

»Ihr sehet wie schwach und ungeeignet ich für körperliche Uebungen bin. Ihr werdet in eurer fast königlichen Zukunft starker Männer bedürfen wie Scianca-Ferro, nicht schüchterner Kinder wie ich eins bin. Gnädiger Prinz…« Leone nahm alle seine Kräfte zusammen, aber große Thränen rannen über seine Wangen, »ich bitte um die Gnade Euch verlassen zu dürfen.«

Emanuel trat einen Schritt zurück; er hatte sich sein Leben, das zwischen Scianca-Ferro und Leone begonnen, in der Zukunft nie ohne Einen der Freunde gedacht.

»Mich verlassen?« fragte er also Leone in höchster Verwunderung.

Leone senkte den Kopf und antwortete nicht.

»Mich verlassen?« fuhr Emanuel fort im Tone des tiefsten Schmerzes. »Du mich verlassen? Das ist nicht möglich.«

»Es muß seyn,« antwortete Leone kaum vornehmlich.

Emanuel legte die Hand auf die Stirn, blickte nach dem Altar und ließ die Arme schlaff herabhängen.

In einigen Augenblicken hatte er sich, hatte er Gott gefragt, und da er keine Antwort erhalten, verließ ihn der Muth.

»Mich verlassen!« wiederholte er zum dritten Male, als könne er sich an das Wort gar nicht gewöhnen. »Ich habe Dich sterbend gefunden, Leone, ich habe Dich aufgenommen, wie mir von der Vorsehung selbst zugesandt… ich habe Dich behandelt wie einen Bruder und…«

»Eben deshalb, gnädiger Prinz, weil ich Euch zu viel verdanke und weil ich Euch nichts vergelten kann, wenn ich hier bleibe, deshalb möchte ich mein Leben lang nur für meinen Wohlthäter beten.«

»Für mich beten?« fragte Emanuel immer mehr erstaunt. »Wo das?«

»In irgend einem Kloster, das mir ein weit geeigneterer Platz für einen armen Verwaisten zu seyn scheint als der, welchen ich an diesem glänzenden Hofe einnehme.«

»Ach, meine Mutter, meine arme Mutter!« flüsterte Emanuel. »Du liebtest ihn so sehr, was würdest Du sagen, wenn Du ihn jetzt hörtest?«

»Vor Gott, der uns hört und sieht,« sagte Leone feierlich, indem er die Hand des Prinzen ergriff, »vor Gott, der uns hört, sie würde sagen, daß ich Recht thue.«

Es lag ein solcher Ton der Wahrheit, eine solche Ueberzeugung des Gewissens in der Antwort Leone’s, daß Emanuel erschüttert wurde.

»Leone,« sagte er, »thue was Du willst, es steht Dir frei… Ich habe versucht, dein Herz zu fesseln, aber nie wird es mir in den Sinn kommen deinen Körper zu fesseln… Nur bitte ich Dich, übereile Dich nicht mit deinem Vorsatze… Nimm Dir einen Monat Bedenkzeit…«

Leone schüttelte den Kopf.

»Nimm acht Tage, nimm…«

»Ach,« unterbrach ihn Leone, »ach, Emanuel, wenn ich nicht gehe in dem Augenblicke, da mir Gott die Kraft dazu gibt, gehe ich nimmer und ich sage,« setzte er schluchzend hinzu, »ich muß fort.«

»Aber warum? Warum mußt Du fort?« fragte Philibert.

Auf diese Frage antwortete Leone nur mit einem unerschütterlichen Schweigen, wie schon bei zwei frühern Gelegenheiten, als nemlich in Oleggio die Herzogin ihn nach seinen Eltern und seiner Geburt gefragt hatte und dann als Emanuel hatte wissen wollen, warum er den Diamantring von Carl V. nicht angenommen.

Der Prinz wollte weiter in ihn dringen, als er Tritte in der Kirche hörte.

Es war ein Diener seines Vaters, der ihn suchte und ihm meldete, der Herzog Carl wünsche sogleich mit ihm zu sprechen. Man habe wichtige Nachrichten aus Frankreich erhalten.

»Du siehst, Leone,« sagte Emanuel, »ich muß Dich jetzt verlassen. Heute Abend werde ich Dich wiedersehen und wenn Du bei deinem Beschlusse verharrst, nun – so bist Du frei, Du magst mich morgen, noch in der Nacht verlassen, wenn Du glaubst, nicht länger bei mir bleiben zu dürfen.«

Leone antwortete nicht; er sank mit tiefem Seufzen auf seine Knie und man hätte meinen können, sein Herz breche.

Emanuel entfernte sich, aber ehe er die Kirche verließ, drehte er sich zwei- dreimal um, als wolle er sehen, ob Leone ihn so ungern scheiden sehe, wie er von ihm gehe.

Leone blieb noch eine Stunde im Gebete, dann begab er sich ruhiger in sein Zimmer.

In Abwesenheit Emanuels, vor dem er schwankte, richtete sich sein Vorsatz fast wieder auf; aber der Gedanke beunruhigte ihn, daß Emanuel jeden Augenblick noch einmal kommen könne, um einen letzten Versuch zu machen.

Er erschrak bei jedem Geräusch, das er aus der Treppe hörte.

Zwei Stunden vergingen… da machte sich ein Tritt bemerklich… Diesmal konnte Leone nicht irren, es war der Tritt Emanuels.

Die Thür öffnete sich, Emanuel trat ein.

Er war traurig und doch glänzte bei dieser Trauer ein Strahl der Freude.

»Nun, Leone,« fragte er, als er die Thür verschlossen und indem er auf den Freund zutrat, »hast Du nachgedacht?«

»Gnädiger Prinz,« antwortete Leone, »als Ihr mich verließet, hatte ich nicht weiter nachzudenken.«

»So bleibst Du bei deinem Vorsatze mich zu verlassen?«

Leone hatte nicht die Kraft zu antworten, aber er nickte.

»Und nur,« fragte Emanuel mit schwermüthigem Lächeln, »weil ich ein großer Fürst seyn und einen glänzenden Hof haben werde?«

Leone neigte nochmals den Kopf.

»Nun,« sprach Emanuel mit einer gewissen Bitterkeit, »über diesen Punkt beruhige Dich: ich bin jetzt ärmer als ich es je gewesen.«

Leone richtete rasch den Kopf empor und Emanuel konnte in den schönen Augen die Veränderung durch die Thränen glänzen sehen.

»Der zweite Sohn Franz I., der Herzog von Orléans, ist gestorben,« fuhr Emanuel fort, »so daß der Vertrag von Crespy aufgehoben ist…«

»Und?« fragte Leone, der Emanuel mit allen Muskeln seines Gesichtes fragte.

»Und da der Kaiser Carl V., mein Oheim, das Herzogthum Mailand meinem Vetter Franz I. nicht gibt, so wird dieser meinem Vater das Land nicht herausgeben.«

»Und,« fragte Leone in dem Tone, unbeschreiblicher Hast, »und die Heirath mit der Tochter des Königs Ferdinand, die Heirath, welche der Kaiser vorgeschlagen hat?«

»Armer Leone,« antwortete Emanuel, »der, welchem der Kaiser seine Nichte geben wollte, war der Herzog von Savoyen, der Fürst von Piemont, kurz ein gekrönter Gemahl, nicht aber der arme Emanuel Philibert, der, von allen seinen Staaten nichts mehr besitzt als die Stadt Nizza, das Thal Aosta und drei oder vier Güter hier und da in Savoyen und Piemont.

»Ach!« rief Leone mit einem Gefühle der Freude, die er unmöglich unterdrücken konnte.

Aber fast in demselben Augenblicke gewann er die Selbstbeherrschung wieder, die ihm hatte entschlüpfen wollen, und er sagte:

»Gleichviel, nichts darf geändert werden in dem, was beschlossen war.«

»Also,« fragte Emanuel, trauriger über den Entschluß des Freundes als über die Nachricht von dem Verluste seines Landes, »also verlässest Du mich doch?«

»Wie es gestern eine Nothwendigkeit war, so ist es noch heute.«

»Gestern, Leone, war ich reich und mächtig, ich hatte eine Herzogskrone auf dem Haupte, heute bin ich arm und machtlos und habe nichts mehr, als meinen Degen. Als Du gestern von mir gehen wolltest, Leone, warst Du nur grausam, wenn Du heute noch gehst, bist Du undankbar, Leone.«

»Undankbar?« wiederholte Leone. »Mein Gott, Du hörst es! Er sagt, ich sey undankbar!«

Da der Prinz sich anschickte mit gerunzelter Stirn und finsterem Auge fortzugehen, rief Leone:

»Ach, Emanuel, Emanuel, gehe nicht so von mir… ich würde daran sterben.«

Emanuel drehte sich um und sah, daß Leone mit nach ihm ausgebreiteten Armen dastand, bleich, wankend, einer Ohnmacht nahe.

Er eilte zu ihm, er hielt ihn in seinen Armen und drückte in einem ihm selbst unerklärlichen unwiderstehlichen Drange seine Lippen auf die Lippen Leone’s.

Leone stieß einen schmerzlichen Schrei aus, als sey er von einem glühenden Eisen berührt worden und wurde ohnmächtig.

Der Haftel am Kragen schnürte ihm die Kehle zusammen, Emanuel machte ihn auf und da Leone ersticken zu müssen schien, riß er ihm mit einem kräftigen Rucke alle Knöpfe des Wammses auf.

Da aber stieß er einen Schrei aus, nicht einen Schrei des Schmerzes, sondern der Ueberraschung, des Staunens, der Freude.

Leone war ein Mädchen.

Als die Ohnmacht vorüber, war auch Leone verschwunden und Leona die Geliebte Emanuel Philiberts.

Nun war nicht mehr die Rede davon, den Geliebten zu verlassen, dem ohne ein Wort der Erläuterung alles erklärt war: Traurigkeit, Liebe zur Einsamkeit und der Wunsch zu entfliehen. Leona hatte, als sie erkannte, daß sie den Prinzen liebe, sich von ihm trennen wollen, aber so bald Emanuel ihre Liebe theilte, gab sie ihm ihr Leben hin.

Für Alle, selbst Scianca-Ferro, blieb der Page Leone… ein junger Mann.

Nur für Emanuel Philibert war Leone ein schönes junges Mädchen und hieß Leona.

Als Prinz hatte Emanuel Philibert Bresse, Piemont und Savoyen mit Ausnahme von Nizza, Vercelli und dem Thale Aosta verloren, als Mann dagegen hatte er nichts verloren, da ihm Gott Scianca-Ferro und Leona gab, d. h. die beiden kostbarsten Geschenke, welche Gott in seiner himmlischen Güte seinen Auserwählten gewähren kann: hingebende Freundschaft und Liebe.

Der Page des Herzogs von Savoyen

Подняться наверх