Читать книгу Der Page des Herzogs von Savoyen - Александр Дюма - Страница 7

Erster Theil
VII.
Geschichte und Roman

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Während die Abenteurer, die ungesehen Zeugen der Katastrophe gewesen, welche wir geschildert, mit einem traurigen Blicke auf die rauchenden Trümmer des Schlosses Parcq in ihre Höhle zurückkehren, um die letzte Hand an den Gesellschaftsvertrag zu legen, der zwar vor der Hand nutzlos geworden ist, aber in Zukunft den Verbündeten doch die wunderbarsten Früchte tragen kann; während auf der andern Seite die Retter auf den Befehl oder vielmehr aus die Empfehlung ihrem ehemaligen Anführer ein christliches Begräbnis zu gewähren, in einem Winkel des Friedhofes von Hesdin das Grab dessen gruben, welcher die Strafe für sein Verbrechen auf der Erde empfangen hat und nun auf die göttliche Barmherzigkeit hofft; während endlich Philibert Emanuel zwischen seinem Knappen Scianca-Ferro und seinem Pagen Leon nach seinem Zelte zurückkehrt, wollen wir Alles das, was nur Prolog war, die Inscenesetzung und die untergeordneten Personen unseres Dramas bei Seite setzen, uns mit der Wirklichkeit und den Hauptpersonen beschäftigen, welche hervorgetreten sind, und um – die Leser gründlicher mit den Charakteren bekannt zu machen, – einen historisch-romantischen Ausflug oder Abstecher in die Vergangenheit machen, jenes glänzende Reich des Dichters und Geschichtschreibers, das ihnen keine Revolution entziehen kann.

Emanuel Philibert, der dritte Sohn Carls III., des Gütigen, und der Beatrice von Portugal, wurde am 8. Juli 1528 in dem Schlosse zu Chambéry geboren.

Er empfing einen doppelten Namen: Emanuel zu Ehren seines mütterlichen Ahns, Emanuel, Königs von Portugal, und Philibert in Folge eines Gelübdes, welches sein Vater dem heiligen Philibert von Tours gethan hatte. Er wurde um vier Uhr Nachmittags geboren und erschien an der Pforte des Lebens so schwächlich, daß der Athem des Kindes nur durch den Hauch erhalten wurde, den ihm eine der Frauen seiner Mutter einblies und daß er bis zum dritten Jahre den Kopf nicht emporrichten, auch nicht sich auf den Füßen erheben konnte.

Als das Horoskop, das damals bei der Geburt jedes Prinzen gestellt wurde, verkündete, der eben Geborene werde ein großer Kriegsheld werden und dem Hause Savoyen einen größern Glanz geben, als vorher Peter, genannt der kleine Carl der Große, oder Amadeus V., genannt der Große, oder Amadeus VI., genannt der grüne Graf, konnte seine Mutter die Thränen nicht unterdrücken, während sein Vater, ein frommer, gottergebener Mann, kopfschüttelnd und zweifelnd zu dem Astrologen sagte, welcher ihm diese Prophezeiung brachte:

»Gott erhöre Euch, guter Freund!«


Emanuel Philibert war durch seine Mutter, Beatrice von Portugal, die schönste und gebildetste Fürstin ihrer Zeit, der Neffe Carls V., und durch seine Taute, Louise von Savoyen, unter deren Bett der Connétable von Bourbon sein Heiligen-Geist-Ordensband gelassen haben sollte, der Vetter Franz I.

Seine Tante war auch die geistreiche Margaretha von Oesterreich, welche ein Heft eigenhändig geschriebener Lieder hinterlassen hat, die man heute noch in der kaiserlichen Bibliothek in Paris sehen kann, und welche im Sturme unterwegs nach Spanien, wo sie sich mit dem Infanten, dem Sohne Ferdinands und Isabellens, vermählen sollte, nachdem sie mit dem Dauphin von Frankreich und dem Könige von England verlobt gewesen war, die seltsame Grabschrift für sich schrieb, weil sie glaubte, ihr Ende sey gekommen:

»Weinet, weinet, Liebesgötter, über die schöne Margarethe,

Die dreimal verlobt war und als Jungfrau starb.


Emanuel Philibert war, wie gesagt, so schwächlich, daß ihn sein Vater trotz der Prophezeiung, die einen gewaltigen Kriegsmann in ihm sah, für die Kirche bestimmte. Im Alter von drei Jahren schon wurde er nach Bologna gesandt, damit er den Fuß des Papstes Clemens VII. küsse, welcher seinem Oheim, dem Kaiser Carl  V., die Krone gegeben hatte, auf dessen Empfehlung der junge Prinz von dem Papste den Cardinalshut zugesagt erhielt. Daher der Name Cardinälchen, den man ihm als Kind gab und der ihn gewaltig aufbrachte, denn er wollte viel lieber ein großer Krieger als eine fromme Eminenz werden.

Man erinnert sich der Dienerin oder vielmehr der Freundin der Herzogin von Savoyen, welche nach der Geburt des Prinzen das im Verscheiden liegende Kind dadurch erhalten hatte, daß sie ihm Luft in die Lungen geblasen. Sechs Monate vorher gebar sie selbst einen Sohn, der so stark und kräftig zur Welt kam wie jener der Herzogin schwächlich. Als die Herzogin sah, daß ihr Kind durch jene Getreue gerettet worden, sagte sie:

»Meine liebe Lucretia, das Kind gehört nun Dir sowohl als mir; ich gebe es Dir, nähre es mit deiner Milch, wie Du es mit deinem Athem erhalten hast und ich werde Dir mehr verdanken als er selbst, denn er verdankt Dir nur das Leben, ich aber danke Dir mein Kind.«

Lucretia nahm das Kind, zu dessen halber Mutter man sie machte, als etwas Heiliges in Verwahrung; es schien indeß als solle der Erbe des Herzogs von Savoyen auf Kosten des kleinen Rinaldo, wie sein Milchbruder hieß, Leben und Kraft gewinnen, weil die Nahrung, welche der kleine Emanuel beanspruchte, die Rinaldo’s um so viel verminderte.

Rinaldo aber war nach sechs Monaten so stark und kräftig wie ein anderes Kind kaum in einem Jahre. Die Natur hat ja ihre Wunder und so tranken die beiden Kinder an derselben Brust, ohne daß die Muttermilch einen Augenblick versiegte.

Die Herzogin seufzte, wenn sie an einer Brust das so starke fremde Kind und ihr eigenes schwächliches sah.

Der kleine Rinaldo schien übrigens die Schwäche seines Milchbruders zu erkennen und zu bemitleiden; oft wollte das herzogliche Kind die Brust, an welcher das andere Kind trank, und dieses überließ, lächelnd mit den milchnassen Lippen, bereitwillig dem eigensinnigen Herzoge den Platz.

So wuchsen die beiden Kinder auf dem Schooße Lucretia’s heran. Im dritten Jahre sah Rinaldo aus wie fünfjährig, während Emanuel in seinem dritten Jahre kaum gehen und nur mit Mühe den gesenkten Kopf emporrichten konnte.

Da ließ man ihn die Reise nach Bologna machen, bei welcher der Papst Clemens VII. ihm den Cardinalshut versprach.

Man hätte glauben können, dieses Versprechen habe ihm Glück gebracht und der Name Cardinälchen den besondern Schutz Gottes zugewendet, denn von seinem dritten Jahre an begann seine Gesundheit sich zu befestigen und sein Körper zu kräftigen.

Wahrhaft wunderbare Fortschritte in dieser Art aber machte Rinaldo; seine dauerhaftesten Spielzeuge brachen in Stücke unter seinen Fingern, er konnte nichts angreifen ohne es zu zerbrechen. Da kam man auf den Gedanken ihm eiserne machen zu lassen, aber er zerbrach sie auch, als wären sie von Töpferzeug. Darum nannte denn auch der gute Herzog Carl III., der oftmals die beiden Kinder spielen sah, den Spielgenossen seines Emanuel Scianca-Ferro, was in dem piemontesischen Dialekt »Eisenbrecher« heißt.

Den Namen behielt er.

Merkwürdig dabei war, daß Scianca-Ferro seiner bewunderungswürdigen Körperkraft sich nur bediente, um Emanuel zu schützen, den er über alles liebte, statt neidisch auf ihn zu seyn, wie es vielleicht ein anderes Kind gewesen wäre.

Der kleine Emanuel dagegen beneidete seinen Milchbruder gar sehr um diese Körperkraft und hätte seinen Namen Cardinälchen gern für Scianca-Ferro hingegeben.

Er schien indeß im Umgange mit dem Kräftigen auch allmälig eine gewisse Kraft zu erlangen. Scianca-Ferro, der allerdings nicht seine ganze Kraft anwandte, rang mit ihm, lief mit ihm und ließ sich bisweilen, um ihn zu ermuthigen, im Kampfe besiegen, im Laufe einholen.

Alle körperlichen Uebungen trieben sie gemeinschaftlich: Neuen, Fechten, Schwimmen; in allen war Scianca-Ferro für den Augenblick überlegen, aber man sah doch auch ein, daß es nur eine Sache der Zeit sey und Emanuel vielleicht noch Vieles nachhole.

Die beiden Kinder verließen einander nicht und liebten einander wie Brüder; Einer war eifersüchtig auf den Andern, wie eine Geliebte eifersüchtig auf den Geliebten ist und doch nahte die Zeit, in der ein dritter Genosse, den sie mit gleicher Liebe aufnahmen, an ihren Spielen Theil nehmen sollte.

Eines Tages, als der Hof des Herzogs Carl III. in Vercelli war, wegen Unruhen, die in Mailand ausgebrochen, ritten die beiden Knaben mit ihrem Reitlehrer aus, machten einen langen Ausflug am linken Ufer der Sesia, kamen über Novara hinaus und wagten sich bis an den Ticino. Das Pferd des jungen Herzogs war voraus, als plötzlich ein Stier, der auf einem Weideplatze eingesperrt war, die Schranken zerbrach, die ihn einschlossen und das Pferd des Prinzen scheu machte, das über die Wiesen hinweg durchging und über Gräben, Bäche und Hecken setzte. Emanuel war bereits ein trefflicher Reiter, man hatte deshalb nichts zu besorgen; Scianca-Ferro jagte ihm indeß geradenwegs nach und setzte über dieselben Hindernisse hinweg. Der Reitlehrer machte einen Umweg, so daß er sicherer an die Stelle kommen mußte, nach welcher die Jagd der beiden jungen Leute hinging.

Nach einer Viertelstunde wahnsinnigen Jagens sah Scianca-Ferro Emanuel nicht mehr, und fürchtete, daß ihm ein Unglück begegnet sey und rief mit aller Kraft. Zweimal blieb sein Rufen ohne Antwort; endlich aber war es ihm als höre er die Stimme des Prinzen nach dem Dorfe Oleggio hin. Er jagte dahin und bald fand er Emanuel an einem Beiflusse des Ticino.

Zu seinen Füßen lag eine Todte, die in ihren Armen einen fast todten Knaben von vier bis fünf Jahren hielt.

Das Pferd, das sich wieder beruhigt hatte, fraß ruhig die jungen Baumtriebe ab, während der Prinz das Kind zum Bewußtseyn zu bringen suchte. An die Frau brauchte er nicht zu denken, denn die war wirklich todt.

Sie schien der Anstrengung, der Armuth und dem Hunger erlegen zu seyn und das Kind schien auch dem Hungertode nahe.

Das Dorf Oleggio war nicht weit entfernt und Scianca-Ferro ritt sofort dahin.

Emanuel wäre gern selbst geritten, statt seinen Milchbruder zu schicken, das Kind hatte sich aber an ihn geschmiegt, schien an seiner Seite allmälig wieder aufzuleben und wollte ihn nicht loslassen.

Der arme Kleine hatte ihn dicht an die Todte gezogen und sagte in dem herzzerreißenden Tone des Kindes, dem man nie das Bewußtseyn seines Unglücks geben kann:

»Wache auf, Mütterchen! Wache auf, Mütterchen!» Emanuel hatte Thränen in den Augen. Was konnte er thun? Er selbst sah zum ersten Male den Tod; er hatte nichts als seine Thränen und die gab er.

Scianca-Ferro erschien wieder; er brachte Brot und eine Flasche Wein.

Man versuchte einige Tropfen des Weines in den Mund der Mutter zu bringen, aber vergebens; sie war eine Leiche.

Nur mit dem Kinde konnte man sich beschäftigen.

Das Kind weinte über die Mutter, die nicht erwachen wollte, trank aber, aß und erholte sich ein wenig.

In diesem Augenblicke kamen die Landleute an, welche Scianca-Ferro berufen hatte; sie hatten auch den Begleiter des Prinzen getroffen, der ganz trostlos gewesen war, und brachten ihn mit an die Stelle, welche Scianca-Ferro ihnen beschrieben.

Sie wußten also, daß sie den jungen Prinzen von Savoyen vor sich hatten und da der Herzog Carl III. allgemein geliebt war, so erboten sie sich sogleich Alles zu thun, was Emanuel ihnen wegen der todten Frau und des Kindes befehlen würde.

Emanuel wählte unter den Leuten eine Frau aus, die er für gutmüthig und mitleidig hielt; er gab ihr alles Geld, das er und Scianca-Ferro bei sich hatten, schrieb den Namen der Frau auf und bat sie für das Begräbniß der Todten und die Bedürfnisse des Kindes zu sorgen.

Da es spät wurde, so bestand der Reitlehrer, der Stallmeister, darauf, daß sie ohne Zögern zurückkehrten. Der kleine Waise weinte sehr; das Kind wollte seinen guten Freund Emanuel nicht verlassen, dessen Namen es kannte, aber nicht den Stand. Emanuel versprach wieder zu kommen und es zu besuchen; dieses Versprechen beruhigte es etwas, aber als Emanuel fortritt, weinte es nur um so heftiger.

Wie schnell man auch ritt, man kam erst spät am Abend zurück. Man war in der herzoglichen Familie sehr besorgt gewesen und hatte nach allen Richtungen hin Boten ausgeschickt. Auch wollte die Herzogin ernstlich schelten, als Emanuel die Geschichte von dem Kinde mit seiner sanften Stimme traurig erzählte. Da konnte man ihn nicht mehr schelten, sondern mußte ihn loben und die Herzogin, welche innigen Antheil an dem armen Kinde nahm, erklärte sie selbst würde am nächsten Tage, nachdem die Mutter begraben, ihm einen Besuch machen.

So geschah es; die Herzogin reiste in der Sänfte und die beiden Jünglinge begleiteten sie zu Pferde.

Als sie in die Nähe des Dorfes kamen, konnte Emanuel nicht an sich halten; er gab seinem Pferde die Sporen und jagte dahin, um das von ihm gerettete Kind etwas früher zu sehen.

Seine Ankunft war eine große Freude für das arme Kind; man hatte es mit Gewalt von der Leiche der Mutter wegreißen müssen; es wollte nicht glauben, daß sie todt sey und rief immer:

»Verscharrt sie nicht! Legt sie nicht in das Grab! Sie wacht gewiß wieder auf.«

Als man den Sarg fortgetragen, hatte man das Kind in dem Hause einsperren müssen.

Der Anblick seines Retters tröstete es ein wenig. Als Emanuel ihm sagte, seine Mutter habe es auch sehen wollen und sie werde sogleich kommen, rief es:

»Ach, Du hast eine Mutter? Dann will ich den lieben Gott recht bitten, daß sie nicht auch einschläft wie die meine.«

Für die Bauern war es etwas Unerhörtes, daß die Herzogin selbst in das Dorf und in das Haus kommen werde, in welchem das Kind Aufnahme gefunden; sie liefen ihr entgegen.

Endlich kam der Zug an und an der Spitze desselben ritt Scianca-Ferro.

Emanuel führte seinen Schützling der Mutter vor und die Herzogin fragte, was Emanuel vergessen hatte, nemlich wie es heiße und wer seine Mutter gewesen.

Das Kind antwortete, es heiße Leone und seine Mutter Leona, Weiteres wollte es nicht sagen und auf alle Fragen, die man that, antwortete es: »Ich weiß nicht.«

Man errieth indeß leicht, daß dies Nichtwissen nur erheuchelt war und ein Geheimniß dahinter lag.

Ohne Zweifel hatte ihm die Mutter im Sterben befohlen weiter nichts zu antworten, als was es eben sagte, denn gewiß konnte nur die Empfehlung einer sterbenden Mutter einen solchen Eindruck auf ein vierjähriges Kind machen.

Die Herzogin beobachtete das Kind mit echt weiblicher Neugierde; obwohl es schlecht gekleidet war, hatte es doch feine und weiße Hände, und man erkannte, daß sie von einer eleganten und vornehmen Mutter gepflegt worden waren. Auch seine Sprache deutete Aristokratie an, und es sprach im vierten Jahre richtig italienisch und französisch.

Die Herzogin ließ sich die Kleider der Mutter des Kindes vorlegen; es waren die einer Bäuerin.

Die Bauern aber, die sie ausgekleidet und begraben hatten, behaupteten, sie hätten nie eine weißere Haut, zartere Hände und zierlichere Füße gesehen.

Ein Umstand verrieth die Classe der Gesellschaft, welcher die arme Frau angehört hatte; sie trug zu ihrem Bäuerinanzug, in den plumpen Schuhen, seidene Strümpfe.

Ohne Zweifel war sie in einer Verkleidung geflohen und hatte von dem Anzuge, den sie der Flucht wegen abgelegt, die seidenen Strümpfe behalten, die sie nach dem Tode verriethen.

Die Herzogin kehrte dann zu dem kleinen Leone zurück und fragte ihn über alles aus, aber er antwortete standhaft: »Ich weiß nicht.« Etwas Anderes brachte sie nicht aus ihm. Sie empfahl ihn von neuem den Leuten, die ihn aufgenommen hatten, gab denselben noch einmal so viel Geld, als sie bereits bekommen hatten, trug ihnen auf, Nachforschungen in der Umgegend über die Mutter und das Kind anzustellen und versprach ihnen eine gute Belohnung, wenn sie ihr eine Aufklärung gäben.

Der kleine Leone wollte durchaus Emanuel folgen und dieser drang seinerseits in die Mutter ihn mitzunehmen, denn er hatte das innigste Mitleid mit dem Verwaisten. Da ihm indeß sein Wille nicht erfüllt wurde, so versprach er sobald als möglich wieder zu kommen und auch die Herzogin sagte einen zweiten Besuch zu.

Leider traten um dieselbe Zeit Ereignisse ein, welche es der Herzogin unmöglich machten ihr gegebenes Wort zu halten.

Franz I. erklärte zum dritten Male den Krieg an Carl V. und zwar wegen des Herzogthums Mailand, dessen Erbe er von Valentine Visconti, der Gemahlin Ludwigs von Orléans, Bruders Carls VII., zu seyn behauptete.

Das erste Mal hatte er die Schlacht von Marignan gewonnen.

Das zweite Mal hatte er die Schlacht von Pavia verloren.

Nach dem Vertrage von Madrid, nach dem Gefängnisse von Toledo, nach seinem Schwure namentlich hätte man glauben sollen, Franz I. habe alle Ansprüche auf das unglückliche Herzogthum aufgegeben, welches ihn, den König von Frankreich, überdies zum Vasallen des römisch-deutschen Kaisers gemacht hätte. Im Gegentheil, er wartete nur auf eine Gelegenheit, um es nochmals zu beanspruchen, und er ergriff die erste, die sich darbot.

Es war zufällig eine gute, er würde aber auch eine schlechte ergriffen haben. (Franz I. war bekanntlich nicht sehr bedenklich in Sachen, welche die Leute abhalten, die man ehrliche nennt.)

Die Gelegenheit, welche sich darbot, war folgende:

Maria Francesco Sforza, der zweite Sohn Ludwigs »il moro« regierte in Mailand, aber ganz und gar unter der Oberherrlichkeit und der Schutzherrschaft des Kaisers, dem er am 23. December 1529 sein Herzogthum für die Summe von viermal hunderttausend Ducaten, im ersten Jahre der Regierung zahlbar, und für die von fünfmal hunderttausend abgekauft hatte, die in den folgenden zehn Jahren bezahlt werden sollten.

Der Sicherheit wegen blieben die Castelle von Mailand, Como und Pavia in den Händen der Kaiserlichen.

Um das Jahr 1534 nun beglaubigte Franz I. bei dem Herzoge Sforza einen mailändischen Adeligen, dessen Glück er, Franz I. gemacht hatte.

Der Mann hieß Francesco Maraviglia.

Er war am französischen Hofe sehr reich geworden und kehrte mit Freude und Stolz mit allem Pomp eines Gesandten in seine Geburtsstadt zurück.

Er hatte seine Frau und seine dreijährige Tochter mitgebracht, in Paris aber, unter den Pagen des Königs von Frankreich, seinen zwölfjährigen Sohn Odoardo zurückgelassen.

Warum erregte dieser Gesandte den Argwohn Carls V.? Warum forderte dieser den Herzog auf, ihn bei der ersten Gelegenheit zu entfernen? Das weiß man nicht und man könnte es nur erfahren, wenn man seine geheime Correspondenz mit Cosmo von Medici fände; genug, als die Diener Maraviglias Streit mit Leuten im Lande angefangen und das Unglück gehabt hatten, dabei zwei Unterthanen des Herzogs Sforza zu tödten, ließ dieser Maraviglia verhaften und in das Castell zu Mailand bringen, das, wie man weiß, von Kaiserlichen besetzt war.

Was da aus ihm geworden ist, hat man nie mit Bestimmtheit erfahren. Einige sagten, er sey vergiftet worden. Andere meinen, er sey ausgeglitten und durch eine Fallthür hinabgestürzt, von deren Daseyn man ihn zu unterrichten vergessen; das Wahrscheinlichste ist, daß er insgeheim in seinem Gefängnisse ermordet wurde. Gewiß ist, daß er nicht wieder zum Vorschein kam und daß gleichzeitig mit ihm seine Frau und seine Tochter verschwanden, ohne daß man jemals wieder von ihnen hörte.

Diese Ereignisse waren ganz kürzlich, kaum einige Tage vor dem Zusammentreffen Emanuels mit dem Kinde und der todten Frau, vorgekommen und sie sollten einen schrecklichen Einfluß aus das Geschick des Herzogs Carl haben.

Franz I. ergriff die Gelegenheit.

Nicht die Klagen des Kindes, das bei ihm geblieben war und Rache für den Mord seines Vaters verlangte, nicht die in der Person des Gesandten beleidigte Majestät, auch nicht das durch einen Mord verletzte Völkerrecht neigten bei ihm die Wage zum Kriege, sondern der alte Sauerteig der Rachsucht, der noch im Herzen des Besiegten von Pavia und des Gefangenen von Toledo lag.

Ein dritter Feldzug nach Italien wurde beschlossen.

Der Augenblick war gut gewählt. Carl  V. kriegte in Africa gegen den berühmten Khaïr Eddin, genannt Rothbart.

Bei diesem Feldzuge mußte er den Weg durch Savoyen nehmen. Savoyen stand unter Carl dem Guten, dem Vater Emanuel Philiberts, dem Oheime Franz I. und Schwager Carls V.

Für wen erklärte sich Carl der Gute? Für den Schwager oder für den Neffen? Die Frage war wichtig.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde der Herzog von Savoyen der Verbündete des Kaisers und der Feind Franz I.

Der Herzog von Savoyen hatte in der That dem Kaiser Carl  V. als Pfand seiner Treue seinen ältesten Sohn, Ludwig, Prinzen von Piemont, gegeben; er hatte sich geweigert von Franz I., das Band des heiligen Michael und eine Compagnie mit zwölftausend Thalern Gehalt anzunehmen; er hatte Ländereien besetzt, die ein Lehen der Dauphins waren; er verweigerte Frankreich die Huldigung wegen Faucigny; er hatte schriftlich gegen den Kaiser seine Freude über den Sieg von Pavia und die Gefangennehmung des Königs Franz I. ausgesprochen und endlich dem Connétable von Bourbon in dem Augenblicke Geld geliehen, als dieser durch sein Land reiste, um sich durch Benvenuto Cellini bei der Belagerung von Rom tödten zu lassen.

Man mußte sich vergewissern.

Zu diesem Zwecke schickte Franz I. den Präsidenten des Parlamentes von Paris, Wilhelm Poyet, mit dem Auftrage nach Turin, von dem Herzog Carl Zweierlei zu verlangen: erstens die Erlaubniß zum Durchmarsche des französischen Heeres durch Savoyen und Piemont, und zweitens die Uebergabe der Plätze Montmeillan, Chivas, Veillane und Vercelli.

Dagegen erbot sich Franz ihm Ländereien in Frankreich zu geben und seine Tochter Margarethe mit dem Prinzen Ludwig von Piemont zu vermählen.

Carl III. schickte zur Verhandlung mit Wilhelm Poyet den piemontesischen Präsidenten Purpurat, welcher ermächtigt war, den Durchmarsch der französischen Truppen durch Savoyen und Piemont zu gestatten, aber wegen Uebergabe der vier Plätze anfangs ausweichend, bei weiterem Drängen aber ablehnend zu antworten.

Die Verhandlungen zwischen den beiden Bevollmächtigten wurden hitzig, so daß Poyet, als er auf die guten Gründe Purpuratis nichts mehr entgegnen konnte, ausrief:

»Es geschieht aber, denn der König will es.»

»Um Vergebung,« antwortete Purpurat, »dieses Gesetz finde ich in unsern Landesgesetzen nicht.«

Er stand auf und überließ die Zukunft der Allmacht des Königs von Frankreich und der Weisheit des Höchsten.

Die Unterhandlungen wurden abgebrochen und als der Herzog Carl im Februar 1535 sich in dem Schloß zu Vercelli befand, wurde ein Herold zu ihm gebracht, der ihm von Seiten Franz I. den Krieg erklärte.

Der Herzog hörte ihn ruhig an und als derselbe die kriegerische Botschaft beendigt hatte, sagte er mit ruhiger Stimme:

»Lieber Freund, ich habe dem Könige von Frankreich immer nur Dienste geleistet und glaubte, die Namen »Bundesgenosse,« »Freund,« »Diener« und »Oheim« verdienten ein anderes Verfahren. Ich habe alles gethan, was ich thun konnte, um in Eintracht mit ihm zu leben und nichts versäumt, um ihn wissen zu lassen, wie Unrecht er hat, sich gegen mich zu erzürnen. Ich weiß wohl, daß meine Streitmacht mit der seinigen nicht verglichen werden kann, da er denn aber durchaus nicht auf den Beistand hören will und entschlossen zu seyn scheint, meiner Staaten sich zu bemächtigen, so saget ihm, er werde mich an der Grenze finden und ich hoffe mit Hilfe meiner Verbündeten und Freunde mich zu vertheidigen. Uebrigens kennt der König, mein Neffe, meine Devise: Dem fehlt nichts, welchem Gott bleibt.«

Er schickte darauf den Herold zurück, nachdem er ihm einen sehr kostbaren Anzug und ein Paar Handschuhe voll Thaler hatte geben lassen.

Nach einer solchen Antwort hatte man nichts zu thun als sich zum Kriege vorzubereiten.

Zuerst brachte Carl III. seine Gemahlin und sein Kind in Sicherheit in seinem Castell zu Nizza.

Die Abreise dahin wurde demnach als nahe bevorstehend angekündigt.

Da hielt es Emanuel Philibert für Zeit, seine Mutter zu vermögen, Leone aus der Bauernfamilie wegzunehmen, bei der man ihn überhaupt nur vorläufig gelassen hatte. Man war schon damit einig, den Knaben wie Scianca-Ferro zum Genossen des Prinzen zu machen.

Die Herzogin Beatrice war, wie schon gesagt, eine kluge Frau. Alles was sie an dem Verwaisten bemerkt hatte, die feinen Züge, die zarten Hände, die gewählte Sprache, brachte sie zu dem Glauben, es liege dahinter irgend ein großes Geheimniß. Die Herzogin war ferner eine religiöse Frau; sie sah darin, daß Emanuel das Kind nach einer Gefahr gefunden hatte, einen Fingerzeig Gottes; sie meinte, jetzt, da das Unglück ihrem Hause sich nahe und der Engel der finstern Nächte ihrem Gemahl, ihr selbst und ihrem Sohne den Weg in das Exil zeige, sey es die Zeit nicht den Verwaisten zurückzuweisen, der einmal als Mann ihr Freund seyn könne. Sie gedachte des Boten Gottes, der als gewöhnlicher Wanderer auf der Schwelle des blinden Tobias erschienen war, dem er später durch die Hände des Sohnes Licht und Freude zurückgegeben. Statt also dem Verlangen Emanuels entgegen zu seyn, ging sie bereitwillig auf dasselbe ein und ermächtigte, mit der Erlaubniß des Herzogs, ihren Sohn, die Nachricht selbst seinem Schützlinge zu bringen.

Leone sollte die Reise nach Nizza mit den beiden andern Kindern machen. Emanuel wartete nur bis zum andern Tage, Leone die angenehme Nachricht zu bringen. Gleich bei Tagesanbruch ging er in den Stall, sattelte sich selbst sein kleines Pferd, überließ Scianca-Ferro das Uebrige und ritt so schnell sein Pferd laufen konnte nach Oleggio.

Er fand Leone in Trauer. Der Arme hatte gehört, daß seine reichen und mächtigen Beschützer nun auch vom Unglück bedroht würden. Man hatte von der Abreise des Hofes nach Nizza gesprochen, das heißt in eine Gegend, von welcher das Kind nie etwas gehört, und als Emanuel athemlos und freudig zugleich ankam, weinte Leone, als habe er die Mutter zum zweiten Male verloren.

Die Kinder aber sehen vorzugsweise durch die Thränen der Engel und wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, daß Emanuel dem weinenden Leone wie ein Engel erschien.

Mit wenigen Worten wurde alles gesagt, erklärt, verabredet und auf die Thränen folgte Lachen. Es gibt bei den Menschen eine Zeit – es ist die glückliche – wo Weinen und Lachen sich berühren wie die Nacht und die Morgenröthe.

Zwei Stunden nach Emanuel kam Scianca-Ferro mit dem ersten Knappen des Prinzen und zwei Dienern an und einer derselben führte den Zelter der Herzogin. Man gab dem Bauer, welcher Leone sechs Wochen bei sich gesehen hatte, eine gute Summe Geldes. Das Kind nahm herzlichen Abschied, aber wenn auch mit Thränen, so doch auch mit Freude. Emanuel half Leone auf das Pferd und wollte dasselbe auch selbst am Zügel führen, damit seinem Schützlinge ja nichts geschehe.

Scianca-Ferro war auf diese neue Freundschaft nicht eifersüchtig, sondern galoppirte an der Seite hin und her und lächelte dem Freunde seines Freundes mit dem Jugendlächeln zu, das alle Zähne und das ganze Herz zeigt.

So gelangte man nach Vercelli. Der Herzog und die Herzogin empfingen Leone freundlich und er gehörte von nun an zur Familie.

Den nächsten Tag bereits brach man nach Nizza auf, wo man ohne Unfall anlangte.

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