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Erster Theil
II.
Das Abenteuer

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Dem schärfsten Blicke eines Jeden wäre das entgangen, wer in dem dichtesten und folglich dunkelsten Theile des Waldes von Saint-Pol-sur-Ternoise in einer Höhle geschah, welche die Bäume mit ihrem Schatten deckten und Epheuranken mit ihren Blättern umschlangen, während zur größern Sicherheit der Inhaber dieser Höhle, eine Schildwache im Gebüsch, unbeweglich wie ein Baumstamm, daneben auf dem Bauche lag und darauf achtete, daß kein Uneingeweihter die wichtige Berathung störe, zu welcher wir als Romandichter, das heißt als Zauberer, vor dem sich alle Thüren öffnen, unsere Leser führen wollen.

Benutzen wir den Augenblick, in welchem die Schildwache, durch das Geräusch eines scheu vorüberspringenden Rehs aufmerksam gemacht, dahin blickt, uns also nicht sieht, schlüpfen wir unbemerkt in die Höhle hinein und beachten, hinter einem vorstehenden Felsenstück versteckt, genau alles was darin vorgeht.

In der Höhle befinden sich acht Männer von verschiedenem Gesicht, verschiedener Tracht und verschiedenem Temperament, obgleich sie nach den Waffen, die sie tragen oder die umherliegen, eine und dieselbe Laufbahn gewählt zu haben scheinen.

Der Eine, mit Tintenflecken an den Fingern und pfiffigem Gesichte, taucht eine Feder – von deren Schnabel von Zeit zu Zeit er eines der Fädchen nahm, die sich auf schlecht gearbeiteten Papiere finden – in eines der Tintenfässer von Horn, welche die Schreiber und Studenten am Gürtel tragen, und schreibt auf einer Art Tisch, einer auf zwei massiven Füssen ruhenden Steinplatte, während ein Anderer mit der Geduld und Unbeweglichkeit eines Leuchters, einen brennenden Fichtenzweig hält und nicht nur den Schreiber, den Tisch und das Papier beleuchtet, sondern auch mehr oder minder helle Lichter, je nach der Nähe oder Entfernung, auf sich selbst und selbst auf die andern Genossen fallen läßt.

Ohne Zweifel handelt es sich um etwas, das für die Gesellschaft von Wichtigkeit ist, wie man leicht an dem Eifer sehen kann, mit welchem Jeder an der Abfassung der Schrift Theil nimmt.

Drei der Männer indeß scheinen sich weniger mit dieser ganz materiellen Sorge zu beschäftigen.

Der Erste ist ein schöner junger Mann von vier- bis fünfundzwanzig Jahren in einem Büffellederkoller, das, wenn nicht vor Kugeln, doch vor Hieb und Stich sichert. Ein Wamms von braunem Sammt, das allerdings etwas verschossen, aber noch immer ansehnlich ist, mit spanisch geschlitzten Aermeln, also nach der neuesten Mode, geht vier Finger breit über das Lederkoller unten hinweg und fällt in ziemlich weiten Falten auf die ebenfalls geschlitzte Hose von grünem Tuch, welche sich in großen Stiefeln verliert, die so hoch heraufgehen, daß sie zu Pferd die Schenkel schützen und so weich sind, daß sie bei dem zu Fußegehen bis unter das Knie zurückgeschlagen werden können.

Er trällert ein Liedchen von Clément Marot, während er mit der einen Hand seinen feinen schwarzen Schnurrbart streicht und mit der andern das Haar kämmt, das er etwas länger trägt, als es die Mode verlangt, wahrscheinlich um die weichen Lockenwellen nicht zu verlieren, die ihm die Natur gegeben hat.

Der Zweite ist ein Mann von kaum sechsunddreißig Jahren, sein Gesicht aber von Narben nach allen Richtungen hin so durchzogen, daß man darnach unmöglich sein Alter bestimmen könnte. Der Arm und ein Theil der Brust ist bloß und auf dem was man so von seinem Körper sieht, kann man eine Reihe nicht minder zahlreicher Narben erkennen als in dem Gesicht. Er ist eben beschäftigt, eine Wunde zu verbinden, die ihm zum Theil den zweiköpfigen Muskel am linken Arme bloßgelegt hat, die aber für ihn nicht eben hinderlich ist, wie sie es seyn würde, wenn sie sich an dem rechten Arme befände. Mit den Zähnen hält er das Ende einer Leinwandbinde, mit der er eine Hand voll Charpie zusammendrückt, die er vorher in einem Balsam getränkt hat, den ihm ein Zigeuner gab und der ihm, wie er sagt, sehr gut thut. Uebrigens geht kein Klagelaut aus seinem Munde und er scheint gegen Schmerz so unempfindlich zu seyn, als wenn der Arm, mit dessen Heilung er sich beschäftigt, von Holz wäre.

Der Dritte ist ein Mann von vierzig Jahren, groß und hager, mit blassem Gesicht und frommer Haltung. Er kniet in einem Winkel, hat den Rosenkranz in der Hand und sagt mit nur ihm eigenthümlicher Zungenfertigkeit ein Dutzend Paternoster und ein Dutzend Ave her. Von Zeit zu Zeit läßt seine rechte Hand den Rosenkranz los und klingt auf der Brust wie der Schlägel des Böttchers auf einem leeren Fasse, nachdem er aber zwei- oder dreimal mea culpa gesprochen hat, greift er wieder nach dem Rosenkranze.

Die drei noch übrigen Personen haben, Gott sey Dank, keinen so hervortretenden Charakter als die fünf, welche wir den Lesern bereits vorgeführt haben.

Einer dieser letzten Drei stemmte beide Hände auf den Tisch, an welchem der Schreiber arbeitete, folgte jedem Zuge der Feder und macht die meisten Bemerkungen über die Abfassung; auch sind seine Bemerkungen, wenn auch etwas egoistisch gefärbt, fast alle durch Schlauheit und gesunden Verstand ausgezeichnet. Er ist fünfundvierzig Jahre alt und hat kleine kluge Augen, die tief unter blonden dicken Brauen liegen.

Ein Anderer liegt am Boden; er hat einen Stein gefunden, der zum Wetzen der Schwerter und Dolche dienen kann, und benutzt dies, um mit Aufwand von vielem Speichel und durch vielfaches Reihen auf dem Steine eine neue Spitze an seinen ganz stumpfen Dolch zu machen. Seine Zunge, die er fest zwischen den Zähnen hält und die am Mundwinkel heraussteht, verräth die große Aufmerksamkeit, wir möchten fast sagen das Interesse, das er an seiner Arbeit nimmt. Indeß ist seine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich darauf gerichtet; er hört auch auf die Erörterung. Wenn das Schreiben seinen Beifall hat, so begnügt er sich mit dem Kopfe zu nicken; wenn es dagegen gegen seine Erwartung und Berechnung ausfällt, steht er auf, tritt zu dem Schreiber, weiset mit der Spitze seines Dolches auf das Papier und sagt; »mit Verlaub,… Ihr sagt?… « Den Dolch nimmt er nicht eher hinweg, bis er eine vollkommen befriedigende Auskunft erhalten hat, was er durch reichlicheres Ausspucken auf den Stein und eifrigeres Wetzen des Dolches zu erkennen gibt, der denn wirklich auch bald seine ursprüngliche spitze Form wieder zu erhalten scheint.

Der Letzte – und wir erkennen unser Unrecht, daß wir ihn zu Jenen gerechnet haben, welche sich mit den in Frage stehenden materiellen Interessen beschäftigen sollen – der Letzte lehnt an der Wand der Höhle, läßt die Arme herabhängen, sieht nach dem Himmel oder vielmehr nach der dunklen feuchten Höhlenwölbung hinauf, an welcher das flackernde Licht spielt, und sieht aus wie ein Träumer und Dichter. Was sucht er in diesem Augenblicke? Die Lösung eines Problems gleich dem, welches Christoph Columbus und Galilei gelöst hatten? Die Form einer der Terzinen, wie sie Dante schrieb, oder der Octaven wie sie Tasso sang? Das würde nur der Geist sagen können, der in ihm wacht und so wenig sich um das Materielle kümmert, daß er alles an dem Anzuge des Dichters, was nicht von Eisen, Stahl oder Kupfer ist, in Fetzen zerfallen läßt.

Das sind die wohl oder übel gezeichneten Porträts. Sehen wir nun die Namen darunter.

Der welcher die Feder führt, heißt Procop; er ist Normanne von Geburt und seiner Bildung nach fast Jurist; er spickt seine Reden mit Aussprüchen des römischen Rechtes und Aphorismen aus den Capitularien Carl des Großen. Sobald man aber etwas Schriftliches von ihm hat oder ihm gibt, muß man auf einen Prozeß gefaßt seyn; begnügt man sich mit seinem Worte, so findet man es treu wie Gold, nur stimmt die Art, es zu halten, nicht immer mit der gewöhnlichen Moral überein. Nur ein Beispiel davon und zwar das, welches ihn in das Abenteuerleben getrieben hatte, in welchem wir ihn finden. Ein Herr vom Hofe Franz I. hatte eines Tages ihm und dreien seiner Genossen ein Geschäft angetragen; er wußte, daß der königliche Schatzmeister denselben Abend tausend Goldthaler aus dem Arsenale nach dem Louvre bringen sollte. Das Geschäft bestand nun darin, den Schatzmeister an der Ecke der Straße St. Paul anzuhalten, ihm die tausend Goldthaler abzunehmen und sie so zu theilen, daß fünfhundert der vornehme Herr erhalte, welcher auf dem Königsplatze warten wollte, bis die Sache geschehen seyn würde, und eben als vornehmer Herr die Hälfte der Summe verlangte; die andere Hälfte sollte Procop mit seinen drei Gefährten theilen. Man gab einander gegenseitig das Wort und die Sache geschah, wie verabredet. Als aber der Schatzmeister beraubt, erschlagen und in den Fluß geworfen war, machten die Gefährten Procops den Vorschlag, nach der Notre-Dame zu statt nach dem Königsplatze zu gehen und die tausend Goldthaler zu behalten, statt die Hälfte an den großen Herrn abzugeben. Procop erinnerte sie an ihr Wort.

»Meine Herren,« sagte er ernsthaft, »Ihr vergesset, daß dies ein Bruch des Vertrages, eine Uebervortheilung eines Clienten wäre. Ehrlich währt am längsten. Wir wollen dem Herzoge (der vornehme Herr war ein Herzog) die fünfhundert Goldthaler übergeben, die ihm zukommen, so daß nicht einer fehle, aber,« fuhr er fort als er bemerkte, daß der Vorschlag mißbilligendes Gemurmel veranlaßte, »distinguimus; sobald er das Geld eingesteckt und uns für ehrliche Leute anerkannt hat, steht nichts entgegen, daß wir uns am Johannesgottesacker, an dem er vorüber muß, in Hinterhalt legen; es ist dies ein abgelegener und ganz passender Ort. Wir machen es dann mit dem Herzoge, wie wir es mit dem Schatzmeister gemacht haben, und da der Gottesacker gar nicht weit von der Seine entfernt ist, so kann man morgen Beide in den Netzen zu St. Clous finden. Wir bekommen dann ein jeder zweihundertfünfzig Goldthaler, über die wir ohne Gewissensbisse verfügen können, da wir dem guten Herzoge getreulich das Wort gehalten haben.«

Der Vorschlag wurde mit Begeisterung, angenommen und ausgeführt. Nur bemerkten die vier Verbündeten in ihrem Eifer nicht, daß der Herzog noch lebte, als sie ihn in den Fluß warfen; die Kühle in demselben gab ihm aber seine Kraft wieder, er gelangte an das Ufer, begab sich in das Châtelet und gab dem Prévot von Paris, der damals Herr von Estourville hieß, eine so genaue Beschreibung der vier Banditen, daß dieselben es am andern Morgen schon für gerathen hielten,Paris zu verlassen, um einem Prozesse zu entgehen, in welchem sie trotz der tiefen Rechtskenntnissen Procops recht wohl dasjenige verlieren konnten, auf welches man immer großen Werth legt, nemlich das Leben.

Unsere vier Helden hatten demnach Paris verlassen und sich nach verschiedenen Gegenden gewendet. Der Norden war unserem Procop zugefallen und deshalb haben wir das Glück , ihn mit der Feder in der Hand in der Höhle zu finden, wo er, nach der Wahl seiner neuen Genossen, die seine Verdienste anerkannten, das wichtige Schriftstück abfaßte, mit dem wir uns sogleich zu beschäftigen haben werden.

Der, welcher dem Schreibenden leuchtet, heißt Heinrich Scharfenstein und ist ein Anhänger Luther’s, welchen das üble Verfahren Carls V. gegen die Hugenotten in die Reihen, des französischen Heeres getrieben hat und zwar sogleich mit seinem Neffen Franz Scharfenstein, welcher in diesem Augenblicke draußen Wache hält. Sie sind zwei Riesen, die, könnte man sagen, Eine Seele bewegt und Ein Geist leitet. Viele behaupten, dieser Eine Geist genüge nicht für zwei so riesige Körper, sie selbst aber sind dieser Meinung nicht und finden Alles so wie es ist gut. In dem gewöhnlichen Leben halten sie es meist unter ihrer Würde, irgend eine Hilfe von Menschen, ein Werkzeug, in Anspruch zu nehmen, um ihren Zweck zu erreichen. Handelt es sich darum, irgend eine Masse zu bewegen, so sinnen sie nicht nach wie unsere neuen Gelehrten, durch welche Mittel Cleopatra ihre Schiffe aus dem Mittelmeere in das rothe Meer brachte oder mit welchen Maschinen Titus die riesigen Blöcke des Flavianischen Circus emporhob, sondern sie packen einfach den zu beseitigenden Gegenstand mit ihren Armen, bringen ihre Eisenfinger unauflöslich in einander, machen gleichzeitig eine Anstrengung mit jener Regelmäßigkeit, die alle ihre Bewegungen auszeichnet, und der Gegenstand kommt dahin, wohin sie ihn haben wollen. Ist eine Mauer zu ersteigen oder ein Fenster zu erreichen, so schleppen sie keineswegs, wie es ihre Gefährten thun, eine schwere Leiter, die sie nur im Gehen hindert, wenn das Unternehmen gelingt, und die sie im Stiche lassen müssen, wenn es mißlingt, sondern sie gehen mit leeren Händen an Ort und Stelle; der Eine, gleichviel welcher, lehnt sich an die Wand, der Andere steigt auf die Achseln und im Nothfalle auf die über den Kopf gestreckten Hände. Mit Hilfe seiner eigenen Arme erreicht der Zweite so eine Höhe von achtzehn bis zwanzig Fuß, welche fast immer genügt, um über eine Mauer oder in ein Fenster zu gelangen. Auch im Kampfe gilt dieses Associationssystem, sie gehen neben einander in gleichem Schritte, aber der Eine haut und der Andere eignet sich zu; ist der Eine des Dreinschlagens müde, so gibt er dem Andern das Schwert, die Streitaxt oder das Beil und sagt: »nun Du,« er und sie wechseln die Rollen; der, welcher erst hieb, eignet sich zu und der Andere haut. Uebrigens ist die Art des Zuschlagens bekannt und sehr geschätzt, indeß legt man, wie gesagt, überhaupt mehr Werth auf ihre Faust als auf ihren Geist. Deshalb hat denn auch der Eine den Auftrag erhalten Schildwache zu stehen und der Andere zu leuchten.

Der junge Mann mit dem Schnurrbarte und mit dem Lockenhaare, welcher den Bart streicht und das Haar kämmt, heißt Yvonnet und ist ein Pariser von Geburt, ein Franzose von ganzem Herzen. Seinen bereits erwähnten körperlichen Vorzügen sind noch zierliche Hände und Füße hinzuzufügen. Im Frieden klagt er fortwährend und über Alles; wie den Sybariten in der alten Zeit drückt ihn ein gerunzeltes Rosenblatt; er ist faul, wenn er gehen soll; er leidet an Schwindel, wenn zu steigen ist, und er hat Kopfschmerzen, wenn er denken soll. Er ist empfindlich und reizbar wie ein junges Mädchen und muß deshalb äußerst schonend behandelt werden. Um sich in das Dunkel zu wagen, das ihm zuwider ist, muß ihn eine starke Leidenschaft außer sich bringen. Am Tage fürchtet er sich vor Mäusen und der Anblick von Spinnen oder Kröten macht ihm übel. Uebrigens muß man ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er immer eine starke Leidenschaft hat, nur kommt er, wenn es in der Nacht ist, erschrocken und zitternd zu der Geliebten, und es bedarf so vieler beruhigender Worte, so warmer Liebkosungen und so schmeichelhafter Aufmerksamkeit, wie Hero dem Leander gewährt, wenn er triefend von dem Wasser der Dardanellen in ihren Thurm trat. Freilich, sobald er die Trompete hörte, sobald er Pulver roch, sobald er die Fahnen sah, ist Yvonnet nicht mehr derselbe und es geht in ihm eine vollständige Umwandlung vor. Der mädchenhafte Jüngling wird ein rauher Soldat, der um sich haut und sticht, ein wahrer Löwe mit eisernen Klauen und stählernen Zähnen. Er, der sich zögernd bedachte, eine Treppe hinaufzusteigen, um in das Schlafzimmer einer hübschen Frau zu gelangen, klettert auf eine Leiter, klammert sich an einen Strick, hängt sich an einen Faden, um zuerst auf die Mauer zu kommen. Ist der Kampf vorbei, so wäscht er sich mit der grüßten Sorgfalt die Hände und das Gesicht und, wechselt die Wäsche und den Anzug, dann wird er allmälig wieder der zarte Jüngling, den wir in diesem Augenblicke den Schnurrbart streichen, das Haar kämmen und Stäubchen von dem Anzuge blasen sehen.

Der, welcher die Wunde am linken Arme verbindet, heißt Malemort. Er ist ein finsterer, melancholischer Charakter, der nur eine Liebe, eine Leidenschaft, eine Freude kennt: den Krieg, eine unglückliche Leidenschaft, eine schlimm vergoltene Liebe, eine kurze, traurige Freude, denn kaum hat er sich an der Metzelei zu weiden begonnen, als er, wegen des blinden, wüthigen Eifers, mit dem er sich in das Gedräng stürzt, und wegen der wenigen Vorsicht zu seinem Schutze einen fürchterlichen Pikenstich oder einen Schuß bekommt, der ihn zu Boden streckt, wo er kläglich jammert, nicht aus Schmerz in der Wunde, sondern aus Verdruß, daß die Andern ohne ihn bei dem Feste bleiben. Zum Glück heilt bei ihm Fleisch und Knochen schnell. Jetzt zählt er fünfundzwanzig Wunden, drei mehr als Cäsar, und er hofft, wenn der Krieg fortdauert, noch fünfundzwanzig wie jene zu erhalten, welche dieser Laufbahn voll Ruhm und Schmerzen unfehlbar ein Ende machen müssen.

Der Hagere, der in einem Winkel kniet und betet, heißt Lactantius. Er ist ein eifriger Katholik und duldet kaum die Nähe der beiden Scharfenstein, von deren Ketzerei er besudelt zu werden fürchtete. Da er sich gegen seine Brüder in Christus schlagen und so viele derselben als möglich umbringen muß, so legt er sich alle erdenklichen Bußen auf, um jener grausamen Nothwendigkeit das Gleichgewicht zu halten. Das Tuchgewand, das er trägt und zwar, ohne Weste und Hemd auf der Haut, ist mit einem Panzerhemd gefüttert, wenn nicht das Tuch das Futter des Panzerhemdes ist. Im Kampfe trägt er jedenfalls das Panzerhemd nach außen; nach dem Kampfe wendet er sein Gewand um, damit das Panzerhemd nach innen kommt. Uebrigens ist es offenbar ein Gewinn von ihm getödtet zu werden, wenigstens kann der, welcher von den Händen des frommen Mannes stirbt, sicher seyn, daß viel für ihn gebetet wird. In dem letzten Gefechte hat er zwei Spanier und einen Engländer getödtet, und da er ihretwegen im Rückstande ist, namentlich wegen der Ketzerei des Engländers, der sich nicht wohl mit dem gewöhnlichen de profundis begnügen kann, betet er, wie wir gesehen haben, eifrig viele Pater und ave und überläßt es seinen Gefährten sich mit den weltlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Hat er seine Rechnung mit dem Himmel geschlossen, so wird er auf die Erde herabsteigen und seine Bemerkungen gegen Procop machen.

Der, welcher beide Hände auf den Tisch stützt und ganz das Gegentheil von Lactantius, mit ausdauernder Aufmerksamkeit jedem Federzuge Procops folgte, heißt Maldent. Er, ist in Noyon geboren, hat eine tolle, verschwenderische Jugend durchgemacht, will in reiferem Alter die verlorene Zeit einholen und für »sein Bestes« sorgen. Er hat eine Menge Abenteuer gehabt, die er in ganz hübscher naiver Weise erzählt, welche aber sofort und gänzlich schwindet, wenn er mit Procop in einen juridischen Streit geräth. Uebrigens ertheilt und empfängt Maldent tüchtig Säbelhiebe, und wenn er auch nicht die Kraft der Brüder Scharfenstein, nicht den Muth Yvonnet’s, nicht den Ungestüm Malemort’s besitzt, ist er doch im Nothfalle ein Genosse, auf den man rechnen kann und der sicherlich keinen Freund im Stiche läßt.

Der Schleifer, welcher den Dolch spitzig zu machen sucht und die Spitze auf dem Fingernagel probirt, heißt Pille-Trousse. Er ist ein Vollblutsoldat und diente abwechselnd den Spaniern und den Engländern, aber die Engländer handeln zu viel und die Spanier bezahlen nicht viel. Deshalb entschloß er sich für eigene Rechnung zu arbeiten. Pille-Trousse treibt sich auf den Landstraßen umher; namentlich in der Nacht gibt es Räuber aller Nationen auf den Landstraßen: Pille-Trousse beraubt die Räuber und schont nur die Franzosen, seine halben Landsleute – er ist ein Provençale; er hat auch ein gutes Herz, wenn sie arm sind, hilft er ihnen; sind sie schwach, so unterstützt er sie; sind sie krank, so pflegt er sie, – trifft er aber einen wirklichen Landsmann, das heißt Einen, der zwischen dem Berge Viso und der Rhône geboren ist, so kann derselbe über Pille-Trousse ganz und gar, über Leib und Leben, Blut und Geld verfügen und Pille-Trousse wird ihm noch Dank schuldig zu seyn glauben.

Der Neunte und Letzte endlich, der an der Wand lehnt, die Arme hängen läßt und nach der Decke sieht, heißt Fracasso. Er ist, wie wir gesagt haben, ein Träumer und Dichter; weit entfernt, Yvonnet zu gleichen, welchem das Dunkel zuwider ist, liebt er die schönen sternenhellen Nächte, die blumengeschmückten Flußufer und den Strand des Meeres. Da er leider dem französischen Heere folgen muß, wohin es zieht – denn, obgleich Italiener, hat er doch sein Schwert der Sache Heinrichs II. gewidmet – so kann er seiner Neigung zum Umherschweifen nicht folgen, aber gleichviel: für den Dichter wird alles Begeisterung, für den Träumer alles Traum, nur ist den Dichtern und Träumern Zerstreutheit eigen und diese ist in der Laufbahn, die Fracasso gewählt hat, sehr verderblich. So bleibt denn Fracasso oftmals mitten im Schlachtgedränge mit erhobenem Schwerte stehen, um auf eine Trompete zu hören, nach einer vorüberziehenden Wolke zu sehen oder eine schöne Waffenthat in seiner Nähe zu bewundern. Da benutzt der Feind Fracasso gegenüber diese Zerstreutheit, um ihm in aller Bequemlichkeit einen fürchterlichen Hieb zu versetzen, welcher den Träumer weckt. Aber wehe auch diesem Feinde, wenn er trotz der Bequemlichkeit nicht recht gezielt oder getroffen und Fracasso nicht betäubt hat! Fracasso wird Vergeltung üben, nicht um sich für den empfangenen Hieb zu rächen, sondern um den Störer zu züchtigen, der ihn aus dem siebenten Himmel zurückzerrte, in dem er sich auf den bunten Fittigen der Phantasie wiegte.

Nachdem wir so unsere Abenteuerer vorgeführt haben – von denen einige den Lesern der »zwei Dianen« und »Ascanio« nicht ganz unbekannt seyn werden, werden wir erzählen, welcher Zufall sie in der Höhle zusammenbrachte und was sie so bedächtig niederschrieben.

Der Page des Herzogs von Savoyen

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