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Erster Band
V.
Dritter Rath meines Wirthes, des Kupferschmieds

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Am folgenden Tage erhielt ich in der That einen Brief von Madame Snart, welche mir meldete, daß das von ihr gegebene Versprechen von ihrem Gatten genehmigt wäre, und daß, da meine Predigt bereits in dem Dorfe gemeldet sei, die Gemeinde von Ashbourn für den folgenden Sonntag auf mich rechnete.

Ich hatte diesen Brief nicht abgewartet, um mich an’s Werk zu machen, und am selben Abende meines Besuches bei dem Rector und meines Mittagessens bei meinem Wirthe, dem Kupferschmiede, hatte ich in Folge des gefälligen, von Madame Snart gemachten Anerbietens meine Predigt angefangen.

Sei es nun, daß ich mich in einer reizbaren Gemüthsstimmung befand, oder sei es, daß ich den Gedanken gehabt hatte, daß ich, wenn ich eine große Wirkung hervorbringen und meine Zuhörer in Erstaunen versetzen wollte, fest auftreten und durch meine Strenge imponiren müßte, ich beschloß zum Gegenstande meiner Predigt die Laster der Zeit und die Verdorbenheit des Jahrhunderts zu nehmen. Das Thema war herrlich, glänzend, ohne Grenzen. Wenn ich vor dem Hofe von Frankreich, vor dem Hofe von Spanien, oder selbst vor dem Hofe von England zu sprechen gehabt hätte, so zweifle ich nicht an dem Eindrucke, den eine solche Predigt in dem Munde eines Bossuet, dessen sie wahrhaft würdig war, hervorgebracht hätte; aber für ein kleines Dorf von fünf Hundert Seelen, wie Ashbourn, für alltägliche und mit den meisten dieser Laster, gegen welche ich eiferte, unbekannte Gemüther, für eine Bevölkerung, bei welcher alle Stunden während der Woche der Arbeit, alle Stunden des Sonntags der Frömmigkeit und der Ruhe gewidmet waren, und unter welcher die Trunkenbolde, die Faulenzer und die Wüstlinge eine Ausnahme waren, war vielleicht eine solche Predigt nicht ganz an ihrem Platze. Unglücklicher Weise sah ich das nicht; ich that das, was ein dramatischer Dichter thun würde, der ein Stück wie Hamlet oder wie Don Juan mit fünfzig Personen und mit fünfundzwanzig Veränderungen der Decorationen für ein kleines Marionettentheater schreiben würde, auf welchem ein lebendiger und wirklicher Schauspieler, wenn er sich aufrecht hielte, die Gesimse einstoßen würde, wie der olympische Jupiter von Phidias das Gewölbe des Tempels eingestoßen hätte, wenn ihn die Lust angewandelt, von dem Sessel von Gold und von Elfenbein aufzustehen, auf dem er saß. Statt kaltblütiger Weise den Schauplatz und die Zuschauer zu beurtheilen, verblendete ich mich selbst an dem Glanze meines Themas; ich berauschte mich an den Strömen meiner eigenen Beredtsamkeit, und als ich am Sonnabend Morgen aus meinem kleinen Zimmer zu meinem Wirthe, dem Kupferschmiede, hinunterging, um ihm meine Predigt vorzulesen, bedauerte ich ganz aufrichtig, daß die Calvins, die Wiclefs, die Zwinglis, die Boffuets, die Fenelons, die Flèchiers, die Bourdaloues, die Massillons, kurz alle Prediger, die gelebt hatten oder noch lebten, nicht am folgenden Tage in der kleinen Kirche von Ashbourn versammelt wären, damit sie dort ein für alle Male eine tüchtige Lection in der geistlichen Beredtsamkeit erhielten.

An meiner wichtigen und mit mir selbst zufriedenen Miene sah mein Wirth, der Kupferschmied, wohl, daß sich irgend was Neues zutrüge.

– Nun denn! mein lieber Herr Bemrode, was haben Sie uns Gutes mitzutheilen?

– Ich will Ihnen sagen, mein würdiger Wirth, daß meine Predigt fertig ist.

– Und Sie sind mit ihr zufrieden? erwiederte er.

– Das heißt, antwortete ich mit meiner gewöhnlichen «Offenherzigkeit, das heißt, daß ich sie als ein Meisterstück ansehe.

–Hm! hm! äußerte mein Wirth.

– Sie zweifeln? sagte ich geringschätzender Weise.

– Mein lieber Herr Bemrode, antwortete mir der würdige Mann, ich weiß nicht, ob es mit den Predigten wie mit den Kasserolen, und mit den Kupferschmieden wie mit den Predigern ist, aber ich habe die schlechten Arbeiter immer mit ihrer Arbeit zufrieden gesehen, während die Meister, die wahren Meister, immer abwarten, bis das Lob der Kenner sie über den Werth ihrer eigenen Werke unterrichtet hat.

– Nun denn! antwortete ich, mein würdiger Wirth, gerade deshalb komme ich zu Ihnen, um Sie um Ihre Meinung zu fragen; ich will Ihnen meine Predigt vorlesen, und wenn Sie dieselbe gehört, so werden sie mir offenherzig sagen, was Sie von ihr halten.

– Sie erzeigen mir zu viel Ehre, mich so zum Richter zu nehmen, sagte mein Wirth, indem er seinen Hut lüftete, fragen Sie mich, ob ein Kessel von gutem oder schlechtem Kupfer, ob eine Kasserole gut oder schlecht verzinnt ist, so werde ich in meinem Elemente sein, und Ihnen dreist und ruhig antworten; was aber eine Predigt anbetrifft, so könnte ich Ihnen nur den empfundenen Eindruck angeben, ohne nur zu versuchen, Gründe für meine gute oder schlechte Meinung anzugeben.

– Und was Sie da thun werden, wird in der That von einem vernünftigen Manne zeugen, mein würdiger Wirth, und ich sehe wohl, daß Sie die Anekdote des Apelles und des Schuhmachers kennen.

– Sie irren sich, Herr Bemrode, antwortete mein Wirth einfacher Weise, ich kenne sie nicht.

– Wohlan! ich will sie Ihnen erzählen; sie wird meiner Predigt vortrefflich zur Vorrede dienen; nur werden Sie annehmen, daß ich Apelles bin, und daß Sie der Schuhmacher sind.

– Ich werde Alles annehmen, was Ihnen beliebt, Herr Bemrode. . . Lassen Sie die Anekdote hören.

Hierauf fügte er mit einem Gefühle der Bewunderung hinzu, für das ich ihm Dank wußte:

– Wahrlich, jedes Mal, wo ich Sie verlasse, nachdem ich mich mit Ihnen unterhalten habe, mein lieber Herr Bemrode, frage ich mich, wo Sie alles das gelernt haben, was Sie wissen!

Ich lächelte mit zufriedener Miene und verneigte mich leicht, wie um das Compliment im Fluge aufzuraffen, das von den Lippen meines Wirthes gefallen war.

– Apelles, sagte ich zu ihm, war ein berühmter Maler von Kos, Ephesus oder Colophon; seine Biographen sind wie die des großen Homer über den Ort seiner Geburt nicht einig. Alles was man von ihm weiß, ist, daß er 332 Jahre vor Jesus Christus in Ansehen stand.

– Den Teufel! unterbrach mich mein Wirth lächelnd, 332 Jahre vor Jesus Christus! wissen Sie, daß das nicht gestern war, Herr Bemrode, und daß es mich nicht wundert, wenn man den Ort seiner Geburt vergessen hat. . . Wer wird in zwei Tausend Jahren wissen, Herr Bemrode, wo Sie und ich geboren sind?

– Oh! mein Freund, was in dieser Beziehung mich anbetrifft, so wird man es wissen; denn damit die Nachwelt nicht im Zweifel bleibt, oder in dieser Beziehung nicht irgend einen Irrthum begeht, so werde ich in der Vorrede des großen Werkes, das ich gleich nach meiner Ernennung zu schreiben gedenke, Sorge tragen zu beurkunden, daß ich am 24. Juli 1728 in dem Dorfe Beeston geboren bin.– Aber kommen wir auf Apelles zurück, welcher, da er diese Vorsicht vernachlässigt, die Nachwelt im Zweifel gelassen hat.

– Erzählen Sie, mein lieber Herr Bemrode; wahrlich, Sie sprechen wie ein Buch!

– Ich sagte also, daß Apelles gegen das Jahr 332 vor Jesus Christus in Ansehen stand. Er lebte an dem Hofe Alexanders, hierauf an dem des Ptolomäus. Er war ein großer Arbeiter, ein Maler, der nicht einen Tag zubrachte, ohne seine Pinsel zur Hand zu nehmen, wie ich nicht einen Tag zubringe, ohne meine Feder zu berühren, und da er bescheiden war, wie es einem großen Talente geziemt, so stellte er seine Gemälde öffentlich aus, und sammelte über sie die geringsten Meinungen.

– Wie Sie es machen, lieber Herr Bemrode, da Sie in diesem Augenblicke so gefällig sein wollen, mich um die meinige zu fragen.

– Hören Sie Folgendes, mein Freund, begann ich wieder. Eines Tages machte ein unter die Menge gemischter Schuhflicker eine so richtige Bemerkung über die Sandale einer der Personen, daß Apelles ihm dankte und den von diesem Manne angedeuteten Fehler verbesserte, was »den Chieupus in alten Schuhen,« wie unser herrlicher Shakespeare sagt, so hochmüthig machte, daß er, als er am folgenden Tage zurückgekehrt war, sich nicht mehr damit begnügte, die Sandalen zu tadeln, sondern das Uebrige des Gemäldes zu tadeln begann; aber dieses Mal unterbrach ihn Apelles kurz in seinen Bemerkungen, und indem er ihm die Hand auf die Schulter legte, sagte er zu ihm: «Schuster! bleib bei deinem Leisten!« was im Lateinischen ausgedrückt wird: Ne sutor ultra crepidam! und im Griechischen: Mé uper to upodema, skutotmos!

– Und das war gut gesagt, lieber Herr Bemrode; nur, wenn in Ihrer Predigt nicht von kupfernem Küchengeschirr die Rede ist, so weiß ich nicht, was ich Ihnen darüber werde sagen können, denn Sie werden mir wahrscheinlich wie Apelles seinem Schuhflicker antworten: »Kupferschmied! bleib bei deiner Kasserole!«

– Es ist weder ein Tadel, noch ein Lob meiner Predigt, was ich von Ihnen verlange, mein lieber Wirth; ich bitte Sie einfach, sich zu. meinem Auditorium zu machen, und mir zu sagen, welchen Eindruck sie auf Sie hervorgebracht haben wird.

– Oh! wenn Sie nicht mehr von mir verlangen, mein lieber Herr Bemrode, das ist etwas Leichtes, und Sie sollen nach Wunsch bedient werden . . . Fangen Sie daher an: ich bin ganz Ohr.

– Setzen Sie sich, um ganz wie in der Kirche zu sein. . . Ich spreche für sitzende Leute, und Cicero stellt einen Unterschied zwischen den Reden auf, welche vor einem sitzenden Auditorium, oder einem stehenden Auditorium gehalten werden sollen.

– Da Sie es wünschen, Herr Bemrode, so werde ich mich setzen.

Und er setzte sich.

Was mich anbetrifft, so blieb ich stehen, denn der Prediger steht auf der Kanzel, was ihm eine große Leichtigkeit für den Vortrag seiner Rede und die Mannigfaltigkeit der Geberde verleiht.

Hierauf hustete ich, spie aus, wie ich es die verschiedenen Prediger hatte thun sehen, deren Predigten ich beigewohnt hatte, und fing meine Vorlesung an.

Ich muß Ihnen, unter uns gesagt, gestehen, mein lieber Petrus, daß ich diese Vorlesung meinem Wirthe nicht allein darum hielt, um seine Meinung zu haben, sondern auch noch um mich auf die Feierlichkeit des folgenden Tages vorzubereiten, kurz, um ihr zur Generalprobe zu dienen, wie die Dichter von Schau- und Trauerspielen sagen.

Ich vernachlässigte daher auch keines jener künstlichen Mittel der Sprache, welche die Kunst des Redners sind; ich hatte das, was Cicero für den Mann verlangt, der öffentlich spricht, eine gefällige Aussprache, ein angenehmes Gesicht und eine edle Geberde.

Stimme, Geberde und Gesicht harmonirten ganz mit einer hohen Gewandtheit; ich war geringschätzend, wenn ich von den Mächtigen der Erde sprach, vor denen der geringste Bettler im Himmel den Vortritt haben würde; ich war finster und streng, als ich von den Lastern der Zeit und der Verdorbenheit der Sitten sprach; ich war schrecklich, ohne Erbarmen, donnernd, als ich die den Sündern vorbehaltenen Qualen in den sieben von Dante, dem großen florentinischen Dichter, offenbarten Kreisen der Hölle herzählte; endlich gelangte ich zu meinem Schlusse dermaßen durch das Feuer und die Heftigkeit erschöpft, die ich darauf verwandt hatte, meine Predigt zu wiederholen, daß ich bei dem letzten Satze, oder vielmehr bei dem letzten Worte dieses Satzes, – denn die Begeisterung hatte mich bis an das Ende aufrecht erhalten, – auf einen Stuhl sank, der sich glücklicher Weise hinter mir befand; was sagen will, daß ich auf den Boden gefallen wäre, wenn sich dieser Stuhl nicht dort befunden hätte.

Ich hatte keine Kraft mehr zu sprechen, aber ich befragte meinen Wirth mit dem Blicke.

Er blieb indessen sitzen, indem er kein Wort sagte und sich hinter dem Ohre kratzte.

– Nun denn? fragte ich ihn endlich, indem ich anfing, einige Besorgnisse über dieses anhaltende Schweigen zu fassen.

– Ei nun! sagte er zu mir, was Sie mir da soeben vorgelesen haben, Herr Bemrode, ist in der That sehr schön.

– Ah! äußerte ich, indem ich wieder Athem schöpfte und meinen Kopf wieder erhob, mit dem ich stolzer Weise nickte.

– Aber. . . wagte mein Kupferschmied zu äußern, der ohne Zweifel zögerte, indem er sich der Anekdote des Apelles und des Schuhflickers erinnerte.

– Aber, begann ich wieder, indem ich ihn unterbrach, aber was?. . .

– Aber ich hielt Sie nicht für so bös, lieber Herr Bemrode . . . Ach! wie streng Sie sind! Wissen Sie, daß Sie uns arme Sünder verteufelt mitnehmen?

– Ich bin nicht bös, mein lieber Wirth, antwortete ich mit Stolz: die Menschen sind es. Da ich nun aber die Menschen kenne, so behandle ich sie nach ihrem Verdienste.

– Ei! mein lieber Herr Bemrode, antwortete mein Wirth, ich bin in meinem Leben nur ein Mal im Schauspiele gewesen; das war im vorigen Jahre, als eine Schauspielertruppe von London nach Nottingham kam. Man spielte ein Stück, dessen Verfasser ich nicht kenne und dessen Titel ich vergessen habe; Alles, was ich mich erinnere, ist, daß darin folgender Grundsatz vorhanden war: »Wenn man allen Denen die Peitsche gäbe, die sie verdienen, welcher Mensch würde da sicher sein, nicht gepeitscht zu werden?«

– Sie behaupten also, mein lieber Wirth, rief ich, ich gestehe es, ein wenig gereizt über diese Anführung aus Hamlet aus, die wie der rauhe Nachtwind, von dem der dänische Prinz spricht, mir das Gesicht zerschnitt; Sie behaupten also, daß die Menschen gut sind, und daß sie weder Laster noch Fehler haben?

– Ich sage nicht, daß die Menschen gut sind, lieber Herr Bemrode, ich sage Ihnen, daß ich sie nicht für so bös hielt . . . ich sage Ihnen, daß Sie Mühe haben werden, Ihre Zuhörer zu überreden, daß Sie das einzige gerechte, rechtschaffene, züchtige, billige und sanfte Wesen sind, das es auf der Welt giebt. Uebrigens sage ich Ihnen nochmals, daß Ihre Predigt sehr schön ist, Herr zukünftiger Pastor… aber ich erwarte Sie morgen bei der Rückkehr von Ashbourn. Auf Wiedersehen und glückliche Reise, lieber Herr Bemrode!

Und indem er hierauf seinen Hut nahm, ging er hinaus und ließ mich unter seinen Kesseln und Kasserolen, mit meiner Predigt in der Hand, allein.

Ich blieb einen Augenblick lang ganz verblüfft über das Urtheil meines Wirthes, des Kupferschmieds; indem ich hierauf endlich den Kopf wieder erhob und ihn schüttelte, schlug ich den Weg nach dem Dorfe ein, wo ich am folgenden Tage meine erste Predigt halten sollte, und wo mir eine so rührende und so väterliche Gastfreundschaft angeboten worden war.

Ich hatte beschlossen, zu Fuß zu gehen, um meinen armen Guineen – welche, trotz meiner Sparsamkeit und meiner Entbehrungen, sichtlich abnahmen – den Preis eines Wagens zu ersparen. Da ich sieben Meilen auf einer wenig besuchten Straße zurückzulegen hatte, so ging daraus hervor, daß mir das Urtheil meines Wirthes wieder einfiel. In dem Maße, als ich mich von ihm entfernte, um mich dem Dorfe zu nähern, wo ich predigen sollte, nahm meine Aufregung gegen den wackern Mann ab, und es schien mir allmählich, daß es seiner Meinung darum, daß sie zu streng war, dennoch nicht an Verstand fehlte. – In der That, mit welchem Rechte wollte ich, ein junger Mann von drei und zwanzig Jahren, und demzufolge jünger als die meisten der Zuhörer, die ich haben würde, sie unter der Last meiner Strenge vernichten, ihnen Laster vorwerfen, die sie vielleicht nicht kannten, Verbrechen, die sie ohne Zweifel nicht begangen hatten? Ich war nicht ihr Pastor; ich hatte nicht unter ihnen gelebt; ich sollte alle diese nach mir gewandten Gesichter zum ersten Male sehen. Setzte ich mich nicht ihrem Urtheile aus, wenn ich mich so zu ihrem Richter aufwarf? Konnte mir meine gründliche Kenntniß der Menschen, eine Kenntniß, die sie nicht im Stande waren zu würdigen, zur Entschuldigung dienen? Es gab dabei in der That gar Vieles zu sagen, was mir mein Wirth, der Kupferschmied, nicht gesagt hatte, zuvörderst, weil ich ihm nicht die Zeit dazu gelassen, und vielleicht auch, weil sein unausgebildeter gesunder Verstand wohl ein Ganzes auffassen , aber nicht eine so große Anzahl einzelner Umstände übersehen konnte. Zuverlässig war meine Predigt darum nicht weniger schön; sie mußte darum nichtsdestoweniger ein herrliches Stück der Beredtsamkeit bleiben; nur fragte ich mich, ob das wohl solche Beredtsamkeit wäre, die man vor alltäglichen und rohen Wesen ausschütten dürfte. Hieß das nicht einen falschen Weg einschlagen, und, wie man im gemeinen Leben sagt, Perlen vor die Säue werfen? – Das waren die Betrachtungen, welche mich auf der ganzen Lange des Weges überfielen, und die, ich wiederhole es, mit jedem Schritte weit dringender wurden.

Unglücklicher Weise hatte ich nicht mehr die Zeit, eine andere Predigt zu verfassen; meine Predigt war für den folgenden Tag angekündigt und erwartet. Ich beschloß daher, die Nacht damit zuzubringen, sie wieder durchzusehen, die Haupthärten derselben zu mildern und die heftigsten Stellen derselben zu streichen. Diese Aenderungen waren mir durch meine eigenen Betrachtungen eingegeben, die in Folge der Bemerkungen meines Wirthes, des Kupferschmieds, gekommen waren, und auch durch den Anblick der Gegend und ihrer Bewohner. – Das Ansehen der Gegend war das einer reizenden, bereits unter den warmen Sonnenstrahlen gelb werdenden Ebene, in welcher sich stellenweise köstliche Baumgruppen befanden, das Ganze von guten Landleuten belebt, die sich den verschiedenen Arbeiten des Ackerbaues hingaben, welche die Jahreszeit erheischte.

Alle diese Leute, welche diese Ebene mit ihren Arbeiten und ihren Gesängen belebten, hatten das Ansehen rechtschaffener Sterblicher, die unfähig waren, an das Böse zu denken und boshaft zu handeln. So daß, als ich aus der Ferne den Kirchthurm des Dorfes sah, wohin ich mich begab, ich mehr als jemals überzeugt war, daß dieses Mal, wie immer, mein Wirth, der Kupferschmied, es war, der Recht hatte, und ich, der Unrecht hatte.

Mit diesem Eindrucke kam ich nach dem Pfarrhause. Die gute Madame Snart erwartete mich unter der Thür, sie führte mich zu ihrem Gatten, der, seit einem Monate auf einem Kanapee liegend, nicht mehr ausging, nicht mehr aufstand, und an einer Lungenschwindsucht dahin starb.

Der Kranke reichte mir die Hand, hieß mich mit erloschener Stimme willkommen und lud mich ein, mich neben sein Kanapee an den für seine Frau und mich gedeckten Tisch zu setzen.

Ich hatte sieben Meilen zu Fuß zurückgelegt; ich war jung, gesund; ich hatte großen Appetit; ich nahm mir nur die Zeit in das kleine, wie eine Brautkammer weiße Zimmer zu gehen, das für mich zurecht gemacht worden war, und nachdem ich meiner Toilette einige Aufmerksamkeit gewidmet, kehrte ich zu meinen beiden Wirthen zurück.

Man sah, daß, ohne reich zu sein, das Haus wohlhabend war. In der That, der Pastor sagte mir, daß seine Pfarre ihm jahrlich neunzig Pfund Sterling eintrüge, was mehr als hinreichend war, um in einem kleinen Dorfe von fünfhundert Seelen zu leben. Alles, Wäsche, Porzellan und Silberzeug war daher auch in dem Innern schön, frisch und glänzend. Eine einzige Magd besorgte die kleine Haushaltung; aber sie war sauber, gut gekleidet, freundlich, gefällig, indem sie in den Augen ihrer Herrschaft ihre Wünsche las und ihnen zuvorkam, bevor sie dieselben ausgedrückt hatte. Mit Ausnahme des Sterbenden, der übrigens, wie alle Brustkranke, seinen Zustand nicht ahnete, und die schönsten Pläne für die Zukunft machte, schien Alles um dieses Kanapee herum gesegnet, auf welchem er mit dem Tode rang. Nur, wenn das Auge auf dem schwermüthigen Gesichte der Frau, auf dem besorgten Blicke der Magd verweilte, sah man ein, daß da auf der einen Seite ein unermeßlicher Schmerz, und auf der andern eine große Furcht herrschte, welche die beiden Frauen vor den Augen des Kranken, und selbst vor ihren eigenen Augen zu verbergen suchten.

Ich war um fünf Uhr angekommen; die Mahlzeit, die wir gehalten hatten, und die weit eher ein Vesperbrod, als ein Mittagessen war, hatte bis um halb sieben Uhr gedauert. Als wir vom Tische aufstanden, und ich mich anschickte, auszugehen, hatten wir also noch beinahe zwei Stunden Tag. Ich sage, als ich mich anschickte, auszugehen, weil ich, beständig von dieser unglückseligen Predigt gequält, von der ich meine Gedanken keine einzige Minute lang entfernen konnte, beschlossen hatte, einen Spaziergang in das Dorf, und eine weit genauere Bekanntschaft mit den Bewohnern von Ashbourn zu machen. Herr und Madame Snart, welche mir bereits Einiges über die Einfachheit des Herzens und die Reinheit der Sitten dieser wackeren Leute gesagt hatten, forderten mich ihrerseits dazu auf, wie als ob sie meine Besorgnisse auf dem Grunde meiner Seele hätten lesen können und errathen hätten, daß ich des Anblickes eines jener friedlichen Dorfabende bedurft hätte, um meine Ideen zu berichtigen. – Ich ging also aus, indem ich einen besorgten und bestürzten Blick um mich warf, und nichts so sehr fürchtete, als sich vor meinen Augen das Schauspiel eines unschuldigen und ruhigen Lebens entfalten zu sehen! . . .

Ach! mein lieber Petrus, ein Abend des goldenen Zeitalters wäre nicht friedlicher und lachender gewesen als der, welcher sich meinen Blicken bot, und der von den letzten Strahlen der Sonne vergoldet verfloß! – Die alten Mütter spannen vor ihren Thüren, die Greise plauderten auf Bänken von Stein, von Holz oder Rasen; die Männer im mittleren Alter schoben Kegel oder spielten Siam; endlich tanzten die jungen Leute und die jungen Mädchen bei der Musik einer Violine und einer Flöte unter vier großen Linden, welche den Marktplatz des Dorfes beschatteten. Man errieth, daß es der Abend des Sonnabends , das heißt das Ende des letzten Tages der Woche war; man begriff diese fröhliche Einleitung zu der Ruhe des folgenden Tages, und man fühlte, daß alle diese wackeren Leute, die indessen niemals Horaz gelesen hatten, indem sie bereits die vergangenen Beschwerden vergaßen und sich noch nicht um die kommenden Beschwerden kümmerten, wie jener Fürst der Dichter und jener König der Epikuräer sagten: Valeat res ludicra!

Ich gestehe zu meiner Schande, mein lieber Petrus, daß dieses des Pinsels van Ostade’s und Tenier’s würdige Bild, statt mich zu erfreuen, wie es dasselbe hätte thun sollen, mich unendlich betrübte. Ich hätte Gesang und Geschrei in den Schenken, Wortwechsel und Balgereien an den Straßenecken gewollt; ich hätte diesen unter der Aufsicht ihrer Großeltern tanzenden jungen Leuten und jungen Mädchen verstohlene Gruppen vorgezogen, die sich wie Schatten davon schlichen und heimlicher Weise das Feld erreichten; ich hätte den Reichen sehen mögen, wie er dem Armen das Almosen verweigerte, und den Armen weinend und lästernd; kurz, ich hätte irgend Etwas sehen mögen, was meine Predigt des folgenden Tages rechtfertigte, während ich im Gegentheile, nach welcher Seite ich die Augen auch wenden mochte, nur das friedliche Schauspiel einer rechtschaffenen Bevölkerung fand, die sich ohne Aergerniß belustigte und ihre Spiele nur unterbrach, um mich wohlwollend zu grüßen und mir freundschaftlich zuzulächeln: denn als man mich allein, fremd, durch die Straßen des Dorfes umherirren sah, dachte man sich, daß ich, der junge Pastor, ohne Heerde wäre, der in seinem evangelischen Eifer käme, umsonst das Wort des Herrn auf dem Boden auszusäen, den die Krankheit eines seiner Amtsbrüder brach liegen ließ.

Ich blieb, indem ich hoffte, daß die Dunkelheit, welche sich auf die Erde herab ließ, und welche die Mutter der schlechten Gedanken und das Asyl der schlechten Handlungen, ist, eine Aenderung unter dieser unschuldigen Bevölkerung herbeiführen würde, die nur eine einzige Familie auszumachen schien. Ich irrte mich. Die Dämmerung kam herbei, dann die Nacht, eine finstere Nacht, wie das Laster und das Verbrechen selbst sie hätten verlangen können, wenn sie dieselbe nöthig gehabt hätten; aber bei dem Einbruche der Nacht kehrten Alle nach Haus zurück, indem sie unschuldige Küsse oder freundschaftliche Händedrücke auswechselten. Die Lichter verloschen eines nach dem anderen, das Geräusch hörte allmälig auf, und ich befand mich mit untergeschlagenen Armen, – an eine der Linden gelehnt, welche den fröhlichen Tanz beschirmt hatten, – weit trauriger, weit finsterer, als diese Nacht, die mich umgab, allein auf diesem Marktplatze!

Ich kehrte bestürzt nach Haus zurück!

Der Pastor von Ashbourn

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